LOKALMATADORE

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Söhne Mülheims

Wenn man es genau nimmt, sind die LOKALMATADORE weniger solche als eher Lokalpatrioten. Denn auch wenn sich das offizielle Mülheim trotz bald 30 Jahren Bandgeschichte weigert, den kulturellen Beitrag dieser Söhne der Stadt anzuerkennen, obwohl doch keine andere Band aus dieser Stadt landesweite Bekanntheit genießt und diese zudem keine Gelegenheit auslässt, ihrer Heimatstadt Tribut zu zollen. Kürzlich erschien mit „Söhne Mülheims“ zehn Jahre nach „Männer Rock’n’Roll“ (2000) endlich ein neues Album von Fisch, Bubba, Blüm und Rommel, das wie gewohnt einen bunten Reigen froher Punkrock-Stimmungshits aufweist, die – ebenso gewohnt – die Zuhörerschaft spalten: die einen finden die oft expliziten, von Fäkalausdrücken nicht freien Texte wenig erquicklich, die anderen machen noch ein Bier auf und lassen sich niveauvoll unterhalten mit Geschichten, die der Alltag schrieb, zwischen Fußballstadion, Bankschalter und Fabrikhalle, durchzogen von popkulturellen Referenzen der obersten Güteklasse. Eine Abordnung des Ox traf Fisch und Bubba Ende Juni im Biergarten der Prinzess-Luise-Stuben.

Also, ihr Söhne Mülheims, erzählt uns doch mal, was an Mülheim/Ruhr so toll ist, dass die Stadt auf euren Platten immer so präsent ist, textlich wie bildlich.

Bubba: Wir sind von hier, wir leben hier, wie bewegen uns hier – Mülheim ist alternativlos.

Fisch: Wir sind ja auch zu faul, wo anders hinzuziehen.

Bubba: In unserer langen Karriere sind wir viel rumgekommen, haben andere Städte gesehen und die Frage, ob wir da leben wollen, verneinen können.

Was macht den Charme eurer Stadt aus?

Fisch: Erika. Das ist die tollste Pommesfee der Stadt. Wir hatten dazu in einem Lied schon mal was gesagt. „Erikas Braterei“ gibt es immer noch, an der Aktienstraße.

Bubba: Auch empfehlenswert ist der Speldorfer Grill. Das war einst der erste in Mülheim, der Mitte der Achtziger holländische Frikandel mit Speciaal-Saus hatte.

Fisch: Sehr schön ist auch der Grill an der Nordstraße, den man von der Straße aus nicht sieht, weil er im Hinterhof ist. Da ist eine Schule, da gehen nur Schüler hin, der ist große Klasse. Den „Kampfgrill“ am Bahnhof gibt es leider nicht mehr. Der hieß inoffiziell so, weil sich die Leute da nachts immer gekloppt haben. Das war ein toller Laden, der, wie es sich für eine Bahnhofspommesbude gehört, erstklassige Saufgrundlagen auf Fettbasis verkaufte, zum Beispiel Pommes Spezial mit Thunfisch. Und nicht vergessen werden dürfen auch all die schönen Kneipen Mülheims.

Also können wir es so auf den Punkt bringen, dass das gastronomische Angebot für euer positives Bild von Mülheim verantwortlich ist. Das passt ja zu eurem proletarischen Image.

Bubba: Pass mal auf, ich hab studiert! Ich habe lang in Essen und Duisburg Englisch, Deutsch und Kommunikationswissenschaft studiert, aber irgendwann nach dem Vordiplom war ich dann mehr im Pornokino als an der Uni, und dann bin ich bei der Bank gelandet. Ich hatte mal in den Semesterferien bei der Sparkasse als Kassierer gearbeitet – ich bin im Gegensatz zu dieser Gruppe aus Wattenscheid ein echter Kassierer –, und nach den Ferien fragten sie mich dann, ob ich das nicht weitermachen wolle, sie bräuchten gerade einen, und jetzt bin ich bald 25 Jahre da.

Und zum Jubiläum gibt es eine goldene Uhr?

Bubba: Das ist erst im September, und ich hoffe, ich bekomme Wein. Dazu gibt es dann noch eine popelige Ehrenurkunde, so aus Word ausgedruckt, und die Frauen bekommen Blumen und die Männer Wein.

Fisch: Ich habe nächstes Jahr bei Mannesmann mein 25-jähriges Betriebsjubiläum, und da gibt es von der Gewerkschaft wohl ’ne Uhr. Aber das ist mir auch egal. Von Mannesmann gibt es zwei Monatsgehälter, damit kann ich schon eher was anfangen.

Ihr seid also eigentlich total bodenständige Typen, oder? Ganz schön spießig für so eine Punkband.

Bubba: Ob wir spießig sind oder nicht, das müssen die Leute beurteilen, die uns kennen. Und ich glaube, da denken viele anders drüber. Meine Kollegen bei der Sparkasse zum Beispiel denken nicht, dass ich spießig bin. Wenn man die mal mit mir vergleicht, dann ist da schon ein ziemlicher Unterschied. Durch das jahrzehntelange Dasein im Punkrock-Bereich sind eben gewisse Verhaltensmuster vorhanden, die im normalen Leben etwas komisch rüberkommen. Wenn wir bei der Sparkasse zusammen Fußball gucken, muss ich immer schön mit dem Bier aufpassen, denn gerade beim Fußball kann man schon mal verbal entgleisen, so dass Worte verwendet werden, die nicht gerade tischfein sind ...

Fisch: ... bei den LOKALMATADOREN aber durchaus Verwendung finden.

Bubba: Ja, bei uns in der Band ist das normaler Umgangston, in der Sparkasse könnte das auf ein gewisses Befremden stoßen.

Fisch: Meine Kollegen halten mich sowieso alle für bekloppt: zu Recht. Ich die aber auch. Zu Recht.

An eurem neuen Album hat man auch unter den Ox-Schreibern gesehen, dass sich daran die Geister scheiden: Entweder man versteht und mag euch, oder man kann damit gar nichts anfangen und will sich auch nicht weiter damit beschäftigen. Ist das eine Erfahrung, die ihr über die Jahre immer wieder gemacht habt?

Bubba: Zum neuen Album haben wir bislang gefühlt circa 60% gute und 40% schlechte Reviews bekommen – und unter den schlechten ist auch die von Ralf Real Shock ...

... der das 3rd Generation Nation-Fanzine machte ...

Bubba: ... und bei dem die neue Platte auf völliges Unverständnis stieß, der gar keine Lust hatte, sich mit den Texten zu beschäftigen. Der schrieb auch mal, dass man uns in Mülheim sicher eines Tages ein Denkmal errichten werde, direkt neben dem von Helge Schneider. Und das meinte der nicht nett. Ja, die Leute fragen sich immer, warum wir solche Texte machen, warum das immer so unter die Gürtellinie gehen muss, doch die Antwort ist einfach: Wir können gar nichts anderes. Wenn wir im Proberaum neue Songs machen, kommen automatisch solche Texte dabei heraus und wir überlegen, doch mal einen richtigen Text zu machen. Nur fällt uns nichts Besseres ein, und deshalb bleibt das dann so. Aber Fisch und ich arbeiten auch mal richtig an den Texten, etwa dem eher kontemplativ-balladesken „Ich und meine Kiste“, das ich mal zu Hause skizziert hatte, oder „Posthorn“, über die Animositäten zwischen unserer Schalke-Kneipe und dem BVB-Laden Posthorn. Letzteres ist ja eher so eine Country-Nummer im NINE POUND HAMMER-Stil.

Bemerkenswert ist auch das Cover der neuen Platte mit hübschen Kinderfotos von euch vieren. Klärt uns auf, wer wo zu sehen ist. Oben links, der auf dem Pott?

Fisch: Das ist Bubba.

Und der links unten mit der Narrenkappe?

Bubba: Das ist Fisch. Rechts unten, der mit dem Kopf in der Steckdose, ist Rommel.

Fisch: Genau, und der größte Asi von allen, der Blüm, ist der rechts oben.

Damals sah noch alles gut aus für euch, da hätte noch was werden können aus euch.

Bubba: Es ist doch bislang ganz gut gelaufen, finde ich.

Fisch: Und uns als Band kann auch keiner Ausverkauf an die Medien oder zu radiofreundliche Lieder vorwerfen.

Dann doch lieber eine Karriere als Kapelle für die reifere Jugend. Auf der Coverrückseite sieht man euch in schicken pinkfarbenen Hemden und Bierflaschen in der Hand vor einem Tanzlokal, auf dessen beleuchtetem Schild „Tanz für die reifere Jugend“ steht.

Bubba: Die Hemden haben wir uns auch extra von Vivienne Westwood anfertigen lassen.

Fisch: Und die Flaschen, das sind Mölmsch-Flaschen – Söhne Mülheims ohne Mölmsch, das geht nicht.

Mölmsch ...?

Bubba: Das ist eine alte Mülheimer Bierspezialität, ein helles, obergäriges Bier. Leider hat die Brauerei, die das hergestellt hat, vor 20 Jahren zugemacht, und seit kurzem gibt es das jetzt von einer anderen Brauerei wieder. Eigentlich war das damals ein echtes Schädelbier und so gesehen nicht schade drum, aber dass es danach gar keine Brauerei mehr gab in Mülheim, war auch scheiße. Und das neue Mölmsch ist deutlich besser als das früher.

Mit Brauereien habt ihr ja so eure Erfahrung, etwa König Pilsener.

Fisch: Ja. die haben uns damals, als unser „Heute ein König ... morgen ein Arschloch“-Album erschien, einen Brief geschrieben, dass wir den Titel doch ändern sollten. Wir haben da nicht darauf reagiert und es ist auch nichts weiter passiert. Das Lustigste an dem Brief war aber, dass darin stand, sie würden an unsere Vernunft appellieren. An unsere Vernunft, hahaha, das fanden wir gut.

Nun ist es aber auch eine Tatsache, dass du als Sänger einer Band, die dem Biertrinken huldigt und deren Konzerte quasi Werbeveranstaltungen sind für den Bierkonsum, selbst gar keinen Alkohol mehr trinkst und nüchtern auf der Bühne stehst. Wie fühlt sich das an?

Fisch: Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, ich mache das jetzt schon seit neun Jahren so: Pfingsten 2001 habe ich mein letztes Bier getrunken. Anfangs war das schon ungewohnt, und das erste nüchterne LOKALMATADORE-Konzert war auch ausgesprochen gewöhnungsbedürftig. Das war in Stuttgart, da waren ständig 50 besoffene Punks und Glatzen auf der Bühne, und das auch gerade mal eine Woche, nachdem ich aus dem Krankenhaus wieder raus war.

Bubba: Ich weiß noch, dass Fischs erste Reaktion auf die Ankündigung seitens der Ärzte, dass er keinen Alkohol mehr trinken dürfe, der Satz „Was mach ich denn dann jetzt?“ war. Das war schon ein harter Schnitt, weil man sich ja nicht nur textlich über den Alkohol definierte, auch das ganze Leben war eng damit verknüpft.

Wie ist es angesichts solcher Erkenntnisse mit dem Verkulten des Alkoholkonsums? Seid ihr euch bewusst, dass ihr einer Saufkultur zuarbeitet, die zwar lustig ist, aber auch tragische Konsequenzen haben kann?

Fisch: Kinky Friedman hat mal gesagt: „You gotta find what you like and let it kill you.“ Das ist halt so.

Bubba: Für uns ist das Thema Alkohol alternativlos, uns fällt nichts anderes ein. Außerdem schreibt Fisch die Sauftexte ja nicht, der muss die nur singen.

Fisch: Die Texte zu singen fällt mir aber auch nicht schwer, weil ich sowieso nicht ernst nehme, was ich singe. Ich habe ja auch keinen Schuhkarton mit abgeschnittenen Genitalien zu Hause oben auf dem Schrank stehen, nur weil so was in einem Text vorkommt.

Das beruhigt mich. Und als kleinen Hinweis an die Fans: Immer daran denken, dass es das Stilmittel der Ironie gibt, das mit Überspitzung und Übertreibung arbeitet.

Bubba: Gerade bei uns wird das nicht unbedingt immer so wirklich gesehen, das stimmt. Da zieht man sich dann an einzelnen Worten hoch, sieht aber nicht das Gesamtbild, und dass wir durchaus ambivalent sind.

In den letzten Jahren sind die Gelegenheiten, euch live zu erleben, auch nicht gerade mehr geworden. Wie oft spielt ihr denn so?

Bubba: Ach, so zehn, 15 Konzerte im Jahr. Das machen wir aber nicht bewusst so, das ergibt sich aus Schichtarbeit, Urlaub und familiären Verpflichtungen eben so. Außerdem leben wir ja nicht von der Musik, können also nicht alles danach ausrichten. Aber jetzt, da wir eine neue Platte haben, werden es wieder ein paar mehr.

Eurem Kultcharakter tut das keinen Abbruch, das ist ja ähnlich wie bei DIE KASSIERER.

Fisch: Wir werden immer wieder von einer neuen Generation verehrt, was ich schön finde. Es ist gut, dass das Publikum nicht komplett mit uns mitaltert.

Bubba: Asis gibt es eben in jeder Generation.