JINGO DE LUNCH

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Ganz viel Energie

Schnell mal zurückgespult und in Erinnerungen geschwelgt: Es ist die Zeit Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre. Wir waren jung. Wir waren wild. Und wir waren verliebt. Allesamt in dieselbe Frau und dieselbe Band: JINGO DE LUNCH. Was nicht nur an Sängerin Yvonne Ducksworth lag, sondern auch an der Musik. Die Band aus Kreuzberg war eine der wenigen, auf die sich vor mehr als 20 Jahren jeder, der irgendwas mit Punk, Hardrock oder Metal am Hut hatte, einigen konnte. Irgendwann Mitte der Neunziger, nach ein paar eher unspektakulären Platten, war dann Schicht bei Jingo, die einzelnen Mitglieder verstreuten sich in alle Winde und widmeten sich ihren ganz eigenen Projekten. Zeitsprung, 15 Jahre später. 2010. Kreuzberg gibt’s immer noch, ist vielleicht auch nicht mehr so wild wie vor 20 Jahren, und JINGO DE LUNCH sind ebenfalls wieder da und das sogar mit einer neuen Platte. Wäre ich Katja Ebstein-Fan, würde ich jetzt nur noch lauthals „Wunder gibt es immer wieder“ singen. Aber ein entspanntes Interview mit Yvonne, Jingo-Sängerin, Roller-Derby-Sportlerin und zeitweise auch erfahrene Tresenkraft in Kreuzbergs Punkrock-Kneipe No. 1, dem Franken, ist da zum Erscheinen des neuen Albums „Land Of The Free-ks“ doch um einiges sinnvoller.

Yvonne, in diesem Jahr haben die SPERMBIRDS eine neue Platte gemacht und JINGO DE LUNCH jetzt auch – das sind alles alte Helden, die für mich irgendwie alle zu einer Szene gehören. Habt ihr euch irgendwie abgesprochen, 2010 das große Revival zu starten?

Wir haben uns dabei gar nicht verabredet. Wir waren ja zuvor auch bei Rookie Records, wo die SPERMBIRDS ihre Platte rausgebracht haben. Das war aber irgendwann für Rookie etwas ungünstig, in kurzer Zeit gleich zwei solcher Produktionen rauszubringen, deshalb haben wir mit Arne von Nois-O-Lution gesprochen, und er hat dann gesagt, dass er die Platte rausbringen könnte. Der Vorteil ist halt, er ist auch in Berlin und es ist die alte Vielklang-Connection. Wenn man heute eine Platte rausbringen will, ist das sowieso ein härteres Business als früher. Du steckst mehr Arbeit rein und bekommst sehr wenig zurück. Deshalb musst du genau schauen, was du rausbringst. Außerdem ist Arnes Büro direkt bei mir um die Ecke, da kann ich dann immer sehen, ob er unsere Platte ordentlich vertreibt, haha.

War es nach der „Independent Years“-Zusammenstellung 2007 eigentlich sofort klar für euch, eine neue Platte rauszubringen?

Ich glaube, für einige von uns war das ein großer Wunsch. Für zwei andere nicht, aber die sind auch nicht mehr dabei. Für Sepp ging es sowieso nicht mehr, der wollte auch nicht mehr auf Tour gehen, weil das für ihn physisch sehr anstrengend war. Sepp hat auch ganz andere Dinge im Kopf, er ist viel relaxter und hat es lieber, mit kleinen Bands aufzutreten. Tom hat auch viele andere Dinge zu tun. Aber Steve, Henning und ich haben schon an neuen Songs gearbeitet.

Und wie kam’s dazu, dass dann Gary Schmalzl als neuer Gitarrist bei euch eingestiegen ist?

Zuerst ist ja Tom ausgestiegen, dann hatten wir einen Amerikaner dabei, der eine Weile mit uns gespielt hat, der ist dann aber wieder nach Amerika gezogen, und schließlich standen wir ganz ohne Gitarristen da, weil Sepp auch gegangen ist. Wir haben dann überlegt, was wir jetzt machen, und es ein paar Leuten erzählt, dass wir einen Gitarristen suchen, und so kam dann Gary dazu. Das war eigentlich perfekt, weil er kein Unbekannter für uns ist – er hat vorher schon mal auf einer Platte für uns gespielt, aber auch bei CHURCH OF CONFIDENCE und BELA B Y LOS HELMSTEDT, und er ist ein wahnsinnig netter Typ. Er hat auch noch ein eigenes verrücktes Gitarrenprojekt, wo er auf 25 Spuren übereinander die „Walküre“ eingespielt hat. Das ist natürlich auch eine Anforderung für einen Gitarristen von seinem Kaliber.

Wie hat sich der Sound von euren Songs deiner Meinung nach verändert, seit Gary dabei ist? Klingen die Songs jetzt anders?

Der größte Unterschied ist ein innerlicher. Ich glaube, wir sind jetzt viel gezielter und ruhiger. Wir waren immer fünf Originale, fünf Persönlichkeiten, die sich immer mehr oder weniger gerieben haben. Es ist eine Geschichte von fünf Kumpels, die sich miteinander auch richtig streiten. Wir sind alle sehr eigen und auch nicht ganz einfach. Mit Gary ist es leichter, der ist immer gut drauf – obwohl er so was wie eine Alkoholallergie hat, und das als Bayer. Da stellen wir ihm beim Konzert immer ein alkoholfreies Pseudoweizen hin, haha. Ich habe mich erst gefragt, wie das gehen soll, nur mit einer Gitarre, weil sich die Jungs vorher auch immer untereinander ausgetauscht haben. Da war ich sehr skeptisch. Aber Gary ist so gut, in dem, was er da macht. Und Henning ist auch ein sehr guter Bassist geworden. Die spielen so gut zusammen, da fällt es mir fast gar nicht auf, dass wir nur eine Gitarre haben.

Was ist dein Lieblingssong auf der neuen Platte?

Der letzte Song auf der Platte, „Street cred heart“, das ist zur Zeit mein Lieblingslied. Den haben wir auch erst eine Woche, bevor wir ins Studio gegangen sind, geschrieben. Das ist so ein Song, bei dem ich so richtig reinhauen kann.

Die ersten beiden Platten habt ihr ja in sehr kurzer Zeit hintereinander eingespielt. Wie war das diesmal, ging das genauso schnell? Wie lange wart ihr im Studio?

Wir haben diesmal nur zehn Tage im Studio gebraucht. Wir haben vorher sehr viel Spaß im Proberaum gehabt, genau wie bei den ersten Platten. Wir haben die Lieder gemacht und jeden Tag was geändert und ausprobiert. Ich habe zu Hause sehr intensiv an den Songs gearbeitet, und als unser Produzent Jon Caffery ankam, hatten wir schon alles fertig und es im Studio eingespielt. Wenn sich die Studioaufnahmen so hinziehen, ist das für mich auch ein Alptraum. Wenn man sich im Studio immer wieder überlegt, was man hier und da noch zusätzlich machen könnte und im Endeffekt ist das total belanglos. Wir hatten das schon mal, weil uns jemand gesagt hat, dass es so besser wäre. Aber bei uns funktioniert das nicht, das ist auch so eine Erfahrung, die wir gemacht haben. Das hat dann nichts mehr von der Frische, die ein Song braucht. Wenn du bei einem Song im Proberaum Bock hast, ihn zu spielen, dann kannst du den einfach runterhauen.

Die Platten, die ihr in den Neunzigern auf einem Majorlabel rausgebracht habt, „Underdog“, „Deja VooDoo“ und „B.Y.E.“, werden oft als die schwächeren Jingo-Platten gesehen. Wie siehst du das im Nachhinein?

Auf „Deja VooDoo“ waren für mich eigentlich sehr schöne Lieder drauf, das war für mich schon die bessere Produktion. Wir haben damals mit Jon Caffery produziert, hatten mehr Ruhe und ich habe die Sachen recht schnell eingesungen. Die Platte, die ich nicht so gut finde, ist „Underdog“, die fanden aber viele andere Leute super und „B.Y.E.“ war auch nicht unbedingt das, was ich machen wollte. Es ist dieser ewige Zwiespalt: JINGO DE LUNCH sind für die einen nicht Metal genug, andere sagen, das hat nichts mit Punkrock zu tun, die nächsten sagen, das ist kein Hardrock. Das prägt uns, seit wir angefangen haben. Viele Leute haben ihre verschiedenen Vorlieben und wir haben immer das zusammengepackt, was wir mochten. Wir sind halt total verschiedene Charaktere, haben das aber nie wirklich so geplant und waren daher immer offen dafür, die verschiedenen Vorlieben zu mischen.

Die anderen von JINGO DE LUNCH haben ja alle möglichen musikalischen Nebenprojekte. Wie sieht’s denn bei dir damit aus, und was hast du musikalisch gemacht, als du von 1996 bis 2007 in den USA lebtest?

Roller-Derby, das ist mein Nebenprojekt. Nee, im Ernst, in den USA habe ich versucht, mit ein paar Bands was zu starten, aber das hat mir nicht gefallen. In erster Linie wollten diese Typen, mit denen ich mich da getroffen habe, Musik machen, um damit ganz groß rauskommen. Oder sie haben gesagt: „Du musst mit allem anderen aufhören und nur noch mit uns Musik machen.“ Oder sie wollten nur Coversongs spielen, weil die Leute nichts anderes hören wollen. Aber ich hatte ja genug andere Sachen zu tun, bin zur Schule gegangen, habe eine Ausbildung gemacht und das war auch ganz gut so. Aber eigentlich bin ich ganz froh, wieder hier zu sein. Ich hatte echt totales Heimweh nach Kreuzberg.

Du spielst Roller-Derby und singst in einer Punkband, das sind ja beides Dinge, die eine Menge an Kraft erfordern. Wo nimmst du die Energie her für diese Projekte?

Ich habe ja mit Roller-Derby angefangen, weil zu der Zeit mit Jingo nichts lief und ich irgendwas machen musste. Irgendwas, um diese Energie unter die Haube zu bringen. Ich habe einfach ganz viel Energie und weiß selbst nicht, wieso. Manchmal kann ich auch einfach ganz schön faul sein. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ich vegan lebe. Kann sein, dass mir das mehr Energie bringt. Und das Franken fordert ja auch manchmal ein bisschen Energie.

Wer hat eigentlich das Cover für die neue Platte gemacht?

Das hat Shaun Weber gemacht. Ich bin eigentlich froh darüber, denn das passt ganz gut zu den alten Covern, die Fritz Ebeling, der Opa von Tom, früher gemacht hat. Shaun ist irgendwann nach Berlin gekommen und saß auf dem Tresen im Franken mit seinem Kumpel Jason, der auch ein ganz begabter Künstler ist, und die beiden haben sich total besoffen. Wir haben uns dann kennen gelernt, er hat versprochen, ein Cover für uns zu gestalten und das musste er jetzt auch tun.

Wir haben am Anfang die SPERMBIRDS erwähnt. Du hast ja auf deren Platte„Common Thread“ auch ein paar Vocals mit eingesungen, wie kam’s dazu?

Das war cool. Als Kid habe ich Lee kennen gelernt, als Jingo und die SPERMBIRDS zusammen gespielt haben. Wie das so ist, wenn zwei Amis in der deutschen Provinz unterwegs sind. Wir haben uns über die Jahre immer wieder gesehen, sind Freunde geworden und wir treffen uns halt immer wieder. Ich fand die SPERMBIRDS total cool, und als sie mich gefragt haben, ob ich was singen würde, habe ich mich total gefreut. Da bin ich auch richtig rot geworden.