DEADLINE & I WALK THE LINE

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Neues aus dem Tour-Hamsterrad. #1: Entspannung im Rock’n’Roll-Urlaub

Jeden Abend Party, von Alltagsfrust keine Spur und Alkohol in rauhen Mengen – sagenhafte Mythen über das Leben tourender Musiker gibt es mehr als Clubs auf diesem Planeten. Wenn man aber das Klischee des „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ von der nüchternen, realistischen Seite aus betrachtet, besteht der Touralltag all der Bands da draußen nicht nur aus dem „süßen Leben“. Ein Beispiel: Wenn ihr nach einem intensiven Gig erschöpft nach Hause flüchten könnt, sind es – zumindest in unserer Rock’n’Roll-Gewichtsklasse – die Musiker, die sich ebenfalls erschöpft mit so spaßigen Dingen wie Technik abbauen etc. die Nächte verkürzen. Von den quälenden Autobahnkilometern am Folgetag ganz zu schweigen ... Ab sofort gibt es also, in loser Folge, einen authentischen Blick ins Tourleben jenseits von „Sex & Co.“ Zum Start zwei Bands, die förmlich „on the road“ leben, aber weder entspannt im Nightliner reisen noch arrogantes Stargehabe nötig haben, vielmehr mit Authentizität und Kontinuität überzeugen. Gemeinsam mit den Herren Jani von I WALK THE LINE und Hervé von DEADLINE blickte ich noch einmal zurück auf deren Tour-Frühjahr 2010.

„Touring is never boring!“ – das mag mal, kann aber nicht immer stimmen. Es gibt auf Tour sicher ausreichend öde und melancholische Momente. Wo und wann hattet ihr diese auf der jüngsten Europatour?

Hervé: Wir hatten einige solcher Momente, aber es waren nicht per se die, die ich vermutete. Also, wir spielten irgendwo eine Show und ich dachte: Das war heute nichts, alles fühlte sich mies an: ich mich, meine Performance, das Publikum. Aber als wir dann von der Bühne gingen, sagten mir die anderen, dass sie genau den Gig klasse fanden. Die Perspektiven verschieben sich da sehr, das empfindet wohl jeder anders. Manchmal bist du müde und deprimiert, denn es ist kalt und grau, du musst den Van im Regen ausladen und das Einzige, was du dir in so einer Situation wünschst, ist zu Hause unter einer warmen Dusche zu stehen. Aber irgendwie ergibt sich jeden Tag eine erinnerungswerte Situation. Oft macht mich schon eine einzige Person glücklich, die direkt vor mir tanzt und die Texte euphorisch mitsingt. Natürlich willst du, dass ich dir die Städte nenne, wo es nicht so lief. Es gibt aber immer Leute, die uns 110% unterstützen, egal, wo wir spielen. Wie gesagt, mein „bad day“ kann durchaus Liz’ oder Pascals „good day“ sein!

Jani: Glücklicherweise war die vergangene Tour eine der entspanntesten, die wir je gemacht haben. Keine großen Probleme. Wir hatten einen neuen Fahrer und eine neue Keyboarderin, für die es die erste Tour in dieser Dimension überhaupt war. So waren viele Dinge für sie ganz neu und aufregend, die für uns schon „normal“ sind. Das brachte eine ganz neue Energie in die Band und wir konnten ihr im Van die ganzen alten Tour-Geschichten erzählen, was mehr Spaß als sonst mit sich brachte. Also, keine Sorgen.

Was waren die glücklichsten Momente dieser Tour? Was lief nicht wie erhofft und wer oder was war verantwortlich dafür?

Hervé: Die schönsten Momente dieser Tour? Hm, da gab es einige, wobei ich oft gar nicht richtig erklären kann, warum. Beispiele? Unmengen von Wein aus Flaschen mit Freunden und Fans nach dem Gig in Stuttgart trinken, Spazierengehen mit Liz im Kasseler Herkules-Park, erneut in Chemnitz spielen, viele alte Freunde in Dortmund sehen, quatschen und trinken mit der Supportband in Cottbus, die extrem wilde Show in Rostock mit grandios abgehendem Publikum, Cocktails trinken nach der Show in Köln, zu erfahren, dass wir auf dem With Full Force die Hardbowl-Stage headlinen. Manchmal scheint alles gut zu laufen, dann klappt wieder nichts – that’s life!

Jani: Glücklichste Momente? Die letzte Show in Hamburg war großartig, eine der besten überhaupt in Deutschland! Danach feierten wir einfach im Van weiter und fuhren mit einem „Gewinner-Gefühl“ direkt nach Hause. An einem der ersten richtig heißen Tage im Jahr im schönen Tübingen abhängen und abends draußen sitzen war auch super ... Du, ich muss aufhören mit all den schönen Erinnerungen, bin doch auf Arbeit und es fühlt sich hier langsam echt miserabel an, hehe.

Neues Album, neue Erwartungen – wurden sie erfüllt, enttäuscht oder übertroffen? Was kam beim Publikum am besten an, hoffentlich waren es nicht nur die „alten Kamellen“?

Hervé: Oh, der „alte Scheiß“ funktioniert immer! Viele wollen ihn hören – und wir spielen ihn, hehe. Wir können keine Show ohne „Last night“ oder „Take no chances“ spielen, versuchen aber immer neue Songs aufs Publikum loszulassen. Auf dieser Tour waren wir von 22 Tagen 22-mal Headliner. Demnach spielten wir immer recht lange Sets mit bis zu 30 Stücken, da ist immer Platz für Neues. Die Leute scheinen das neue Album zu mögen! Die Vinylversion war ausverkauft, bevor die Tour überhaupt startete, und wir verkauften unser Merch während der Tour ebenfalls komplett aus! Einige neue Songs bekamen großartiges Feedback, vor allem „What’s going on?“ und „Two heads“, andere hingegen funktionierten schlechter, als wir dachten. „Bring the house down“ oder „Faud“ zum Beispiel, aber wir hoffen weiter, hehe. Ich erinnere mich, dass es über ein Jahr gedauert hat, bis „Last night“ zu einem der Publikumslieblinge wurde.

Jani: Gut, die Tour war direkt nach der Veröffentlichung von „Language Of The Lost“, so dass kaum einer etwas davon kannte, also kamen die Lieder von „Black Wave Rising“ am besten an. Aber ich hatte den Eindruck, dass auch die ganz neuen Sachen sehr gut ankamen und hoffe, dass das Publikum auf unserer nächsten Tour auch zu diesen Songs tanzen wird.

Was habt ihr außer den typischen Entzugserscheinungen, was etwa den Schlaf angeht, wieder mit nach Hause gebracht? Neue Songs, Lieblingsorte ...

Hervé: Schlafentzug? Du machst Scherze, wenn ich auf Tour bin, schlafe ich mehr als sonst. Zu Hause habe ich maximal fünf bis sechs Stunden Schlaf, ich muss früh raus zur Arbeit, viel am Abend erledigen und so weiter. Auf Tour schlafe ich zehn oder zwölf Stunden am Tag, die Hälfte davon im Hotel und die andere im Van. Früher musste ich immer noch fahren, jetzt haben wir aber einen Fahrer, was die Dinge viel entspannter macht. Ich fülle mein Schlafdefizit auf, wenn eine Tour startet, hehe. Nun gut, zurück zu deiner Frage. Ja, wir haben einiges mitgebracht: viele persönliche Erinnerungen, allerhand Spaß und Tratsch, jede Menge neue tolle Orte ... Wir bringen natürlich immer Songideen mit. Liz notiert immer massig Ideen und Textpassagen auf klitzekleinen Blättern, welche sie öfter mal „vergisst“ und so ein bis zwei Jahre später plötzlich wieder findet, versteckt in den Tiefen ihrer Handtasche.

Jani: Diese Tour war wirklich angenehm, denn die Distanzen zwischen den einzelnen Auftrittsorten waren die bisher kürzesten und es waren auch viele bekannte Orte dabei. Wir hatten mal richtig Zeit, um in den jeweiligen Städten abzuhängen, Eis zu essen und Dinge zu entdecken, die wir zuvor nie sehen konnten. Viele coole Sachen: Dresden, Erfurt, Leipzig, München etc. Und natürlich ein für uns völlig neuer wundervoller Ort: Tübingen. Wir hoffen, da schnell wieder Halt zu machen. Viele schöne Eindrücke also, und ich schlafe auf Tour auch definitiv mehr als sonst. Mein Job bei Combat Rock Industry und die anderen Sachen hier sind so hart und anstrengend, hehe. Auf Tour kann ich vieles doch lockerer sehen – das ist Urlaub für mich!

Nachher ist vorher, kurzum: Was hat euch diese Tour für die Zukunft gelehrt oder seid ihr des Tourens vorerst überdrüssig?

Hervé: Ich denke nicht, dass wir jemals die Lust am Touren verlieren werden. Es ist für mich, wie in den Urlaub fahren. Ich denke aber nicht, dass wir dieses Jahr bei euch noch mal vorbeikommen werden. Wir konzentrieren uns auf andere Länder, wo es bisher eher schwierig war, wie Südeuropa, USA und UK. Wir wollen auch nicht, dass das deutsche Publikum unserer überdrüssig wird. So werden wir wohl ein ganzes Jahr warten, um 2011 zu unserem Zehnjährigen zurückzukommen. Das könnte schwierig werden, denn ich würde jede Woche hier touren, wenn es nach mir ginge. Aber man sollte von einer guten Sache nicht zu viel haben.

Jani: Momentan ist es schwierig, für die Zukunft Pläne zu machen, denn Anna, unsere eigentliche Keyboarderin, ist schwanger und das Baby erblickt in Kürze das Licht der Welt. Dass sie eine ganze Zeit lang nicht touren kann, ist natürlich selbstredend. Dieses Mal hat uns unsere Freundin Kara von PETTY CRIMES und PATSY WALKERS ausgeholfen, und wie ich schon sagte, sie tat uns gut und machte auch einen echt guten Job. Aber auch sie ist sehr beschäftigt mit vielen Dingen und natürlich ist es nicht das Gleiche, als wenn Anna mit auf Tour ist. Wir werden also länger warten müssen und schauen, was die Zukunft bringen wird.