INCA BABIES

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No sacred sound

Die Präsenz der INCA BABIES, die 1982 in Manchester gegründet wurden, in den britischen Independent-Charts der 80er Jahre war durchaus respektabel: fünf Singles in den Top 30 und ihr fulminantes Debütalbum „Rumble“ landete Anfang 1985 auf Nummer eins in Großbritannien, direkt vor dem Album „Meat Is Murder“ von THE SMITHS. Die ersten Alben und Singles der Post-Punk-Band wurden noch auf dem bandeigenen Label Black Lagoon Records veröffentlicht und verfügten über ein signifikantes Artwork. Bassist – und später auch Sänger – Harry Stafford versah die Cover mit fragmentarischen Skizzen, die ähnlich ungeschliffen und roh waren wie ihre Musik. Bei den INCA BABIES war das musikalische Rückgrat stets ein treibender und rollend dunkler Bass, der Rest hatte sich unterzuordnen. Die INCA BABIES rieben sich gekonnt am Ideal des kurzen prägnanten Drei-Akkorde-Songs. Es gab wohl kaum eine Besprechung zu einer ihrer Veröffentlichungen, in der nicht der musikalische Verweis zu THE BIRTHDAY PARTY oder THE GUN CLUB gelegt wurde. Das war auch durchaus passend, denn kaum eine Band verschmolz die explosive Radikalität der Australier um Nick Cave mit dem Punk-Blues von Jeffrey Lee Pierce gekonnter.

Mitte der Achtziger wechselten die INCA BABIES zum deutschen Label Constrictor und lösten sich nach ihrem Album „Evil Hour“ von 1988 auf. Vor einigen Jahren hat sich Harry Stafford mit Vince Hunt, der mit seiner Band A WITNESS zu den viel zitierten C86-Bands gehörte, zum Projekt PURE SOUND zusammengefunden, das sich eher experimentellen Soundscapes im Bereich Field-Recordings widmete. Mit Vince Hunt und Rob Haynes hat Harry Stafford die INCA BABIES wieder ins Leben gerufen und mit „Death Message Blues“ ist im Oktober die erste Veröffentlichung seit 1988 erschienen (lässt man die exzellente „Plutonium“-Compilation 2006 einmal außen vor). Immer noch dominiert der dunkle von Punk inspirierte Blues die Musik der Band, wenngleich auch Instrumentalparts Eingang gefunden haben, die dem Einfluss von Vince Hunt geschuldet sind. Ein gut aufgelegter Harry S. beantwortete meine Fragen.

Harry, nach über 20 Jahren erscheint nun ein neues Album der INCA BABIES, die ja einen grundsätzlich anderen Sound spielen, als du ihn in den letzten Jahren in deinem Projekt mit Vince Hunt bei PURE SOUND gespielt hast. Was waren die Gründe, die INCA BABIES wieder ins Leben zu rufen, und rechnest du wieder mit den Verweisen auf THE BIRTHDAY PARTY und THE GUN CLUB?

Als ich und Gründungsmitglied Bill Marten, der leider 2008 verstorben ist, uns entschieden haben, „Plutonium“ zusammenzustellen, das „Best Of“-Album der INCA BABIES, war uns während der Arbeiten zu dieser Compilation sofort klar, dass wir wieder live spielen wollten. Sofort tauchten wir in diese Erinnerung ein, an unsere dunklen und elektrisierenden Tourneen in den 80er Jahren, bei denen wir mit vielen großartigen Bands zusammengespielt haben. Als ich wieder mit den INCA BABIES auf der Bühne stand, machten alle diese „Sonic guitar noises“, die ich all die Jahre in meinem Kopf mit mir trug, wieder Sinn. Auch die ganzen Texte, die ich seit langem im Kopf hatte, musste ich zu Papier bringen. Wir begannen, Songs zu schreiben, und spielten das Album „Death Message Blues“ dann eigentlich auch mit sehr geringen Mitteln ein. Die Sachen mit Vince und PURE SOUND spielen sich auf einem anderen Level ab: PURE SOUND ist da eher eine Plattform, um die musikalischen Ideen von Vince umzusetzen. Vince schreibt – im Gegensatz zu mir – Songs auf eine sehr, sagen wir mal, verzögerte Art und Weise. Manchmal vergisst er es, uns die Idee eines Songs zu vermitteln, und so gibt es erst einmal eine Zeit der Überlegungen, bis ein Song wirklich konkrete Gestalt annimmt. Ich habe sehr viel von Vince über den Entstehungsprozess von Songs gelernt und vielleicht werden wir in naher Zukunft neue Sachen einspielen, aber nicht mehr unter dem Namen PURE SOUND. Es gibt bereits einen Song, den wir im Rahmen von PURE SOUND eingespielt haben, der aber auf das nächste INCA BABIES-Album kommen wird. Ich kann nicht beurteilen, ob es beim aktuellen Album wieder diese THE BIRTHDAY PARTY-, THE CRAMPS- oder THE GUN CLUB-Verweise hageln wird, da ich noch keine Besprechung hierzu gelesen habe, aber unser aktuelles Album ist musikalisch schon etwas davon entfernt und selbst böswillige Kritiker müssten das eigentlich erkennen und diese Vergleiche als obsolet ansehen.

Kannst du etwas zum Entwicklungsprozess des Albums „Death Message Blues“ sagen und zu den zentralen Einflüssen? Mitunter schimmert ein wenig der Instrumentalstil von PURE SOUND durch.

Genau genommen arbeite ich an diesem Album seit etwa zehn Jahren, aber die wesentliche Arbeit daran war in den letzten zwei Jahren. Ich hatte jede Menge an Songmaterial zusammengetragen, aber das war alles in meinem Home-Studio mit Samples, Loops und Schlagzeug gespeichert, deshalb war ich sehr gespannt auf die Erfahrung, diese Songs mit der Band einzuspielen und live zu performen. Die Songs waren allerdings zu Beginn einfach zu lang. Wir haben zunächst versucht, sie deutlich unter vier Minuten zu bringen, im Idealfall auf drei Minuten zu reduzieren, allerdings haben sie dann doch wegen der Art der Instrumentation zusätzlichen Platz und Zeit benötigt, um zu atmen. Vince und Rob sind als dynamisches Rückgrat der Band sehr wichtig, um den Songs eine Struktur und ein Fundament zu geben. Aufgrund ihrer Disziplin war es für mich sehr einfach, meinen Gitarrensound und den Gesang innerhalb dieser Struktur aufzusetzen. Mich hat der dynamische Prozess des Songwriting schon immer fasziniert. Immer wenn ich eine Melodie im Radio höre, die mich begeistert, merke ich, dass sie auf einer Grundstruktur aufbaut, die ich bereits schon einmal gehört habe, aber sie in dieser Version einen neuen Drive und Spirit erfahren hat. Irgendjemand hat einmal die These aufgestellt, dass es überhaupt nur elf Songs gibt und alle anderen Songs in irgendeiner Weise auf diesen Songs aufbauen. Ich denke, ich habe bisher sechs dieser Songs verstanden, so dass für mich noch Raum zum Lernen und Entwickeln bleibt. Wir haben beim neuen INCA BABIES-Album auch erstmals mit Keyboards gearbeitet, um eine neue Art von Melodiebögen zu erreichen. Ich wollte hierfür ursprünglich Clint Boon gewinnen, der früher bei den INSPIRAL CARPETS gespielt hat und auf dem INCA BABIES-Album „Evil Hour“ mitwirkte, aber Clint war zu beschäftigt, so dass ich meine Freundin Sared Dirir, die übrigens gerade für die Labour-Partei in den Stadtrat von Manchester Salford gewählt wurde, für den Keyboard-Part von „Death Message Blues“ gewinnen konnte.

Siehst du die INCA BABIES grundsätzlich als politische Band? Du hast kürzlich deine Sympathie für die REDSKINS bekundet. Glaubst du, dass Musik gesellschaftliche Verhältnisse ändern oder zumindest einen Beitrag dazu leisten kann?

Als ich in den Siebzigern ein Teenager war, war durch die vorherrschenden Lebensumstände so gut wie jeder politisiert. Ich erinnere mich an die Aufmärsche der National Front in Derby, und dass wir mit einem Haufen Gleichgesinnter und der Anti-Nazi League gegen sie demonstrierten. Und ich erinnere mich an die „Rock Against Racism“-Events und die Streiks an der Universität, als es Etatkürzungen im Bildungssektor gab. Damals war jeder irgendwie auch Feminist, sogar das lokale Rugby-Team. Später in den Achtzigern war es die Anti-Falkland-Krieg-Bewegung und 1984 gab es die zahlreichen Bergarbeiterstreiks, an denen sich auch unser ganzer Freundeskreis beteiligte, aber ich würde sagen, dass wir mit den INCA BABIES nicht wirklich eine politische Band gewesen sind. Die REDSKINS waren damals eng verbunden mit der Sozialistischen Arbeiterpartei und waren glücklicherweise mehr durch eine marxistische, denn durch eine stalinistische Attitüde geprägt. Was mich betrifft, war ich immer ein Riesenfan von THE CLASH und ich habe sie als junger Mann als eine Art politische Kreuzritter gesehen, obgleich diese Rolle natürlich nicht so richtig ihren tatsächlichen Verhältnissen gerecht wurde. Ich glaube, sie haben das Triple-Album „Sandinista!“ nur eingespielt, um den Leuten ihre Sympathie und Unterstützung für die Revolution in Nicaragua vor Augen zu führen, von der ich vermutlich ohne dieses Album nicht wirklich Notiz genommen hätte. Nach der Auflösung von THE CLASH empfand ich Joe Strummer politisch als wesentlich relevanter, und er nahm sich immer die Zeit für die richtigen politischen Events, wie beispielsweise sein letzter Benefiz-Gig für den Streik der Feuerwehrmänner in London. Und natürlich waren GANG OF FOUR eine sehr politische Band, die ihre Songs in sehr plakative Slogans verpackten. Aber sie haben mit „Entertainment!“ von 1981 ein wirklich großartiges Album veröffentlicht. Ich denke, heute gibt es nur noch wenige öffentlich agierende politische Gruppen. Manchmal ist es fast so, dass man das Publikum extra darauf aufmerksam machen muss, wenn man bestimmte politische Anliegen in einem Song vermitteln will, und glaube mir, in einem zunehmend unpolitischen Umfeld ist das manchmal einfach zu viel verlangt. Protest, wenn überhaupt, findet heute anonym über Facebook statt oder andere Plattformen, wo man aufgrund der Anonymität kein großes persönliches Risiko eingeht, wenn man sich politisch kritisch äußert. Das Beste an Punk war für mich, dass er mir die Augen für viele politische Themen geöffnet hat und mich zu einem völligen Individualisten gemacht hat. Ich mag den Umstand, dass ich damals nicht der Masse gefolgt bin und eigenständig – wenn auch mitunter mit Fehlern – die nicht ausgetretenen Pfade gegangen bin. An der Universität habe ich mich immer denen angeschlossen, die sich in ihrer Haltung und ihrem Äußeren von den anderen abgegrenzt haben, oder um es mit den Worten von Hunter S. Thompson zu sagen: „When the going gets weird, the weird turn pro“ und wir waren die „Pros“.

Die INCA BABIES haben in den Achtzigern mit vielen grandiosen Bands wie THE GUN CLUB, NICK CAVE & THE BAD SEEDS, PLAY DEAD, Johnny Thunders oder den MARCH VIOLETS gespielt. Lass uns mal nostalgisch werden, erzähle ein paar Anekdoten, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind.

In der Zeit von 1983 bis 1988 haben wir rund 240 Konzerte gespielt. Wir waren in ganz Europa unterwegs, von Schottland bis nach Skandinavien, von Belgien bis nach Berlin, dann nach Zagreb und zurück. Und es waren eigentlich immer großartige Shows. Wir haben für NICK CAVE & THE BAD SEEDS einige Male als Support gespielt. Unser Booker Dimitri Leningrad, er war damals Bassist bei LENINGRAD SANDWICH, hat uns 1984 im Berliner Loft als Vorprogramm für die BAD SEEDS gebucht, allerdings haben wir dann den Auftritt von Nick Cave verpasst, weil wir gleich zum nächsten Gig durch halb Berlin in ein besetztes Haus gefahren sind, für das er uns gebucht hat. Wir haben dann noch mit Nick Cave und ALIEN SEX FIEND auf einem „Batcave on Tour“-Konzert in Birmingham gespielt. Mick Harvey hat uns dabei sehr unterstützt und unser ganzes Konzert verfolgt und sich zur Aussage hinreißen lassen, wir seien die „English Punk Cramps“, was wir durchaus als Kompliment aufgenommen haben. Im November 1986 waren wir mit THE GUN CLUB in der Schweiz unterwegs. Das war wirklich eine großartige Tour. Ich erinnere mich, das Jeffrey Lee Pierce völlig aufgelöst mit uns backstage den alten Sun-Records-Klassiker aus den Fünfzigern „Red cadillac and a black moustache” von Warren Smith im Duett gesungen hat. Das war wirklich wüst, weil Jeffrey jede Songzeile nach seinem Belieben verändert und angepasst hat, wie es sein etwas flatternder Gemütszustand mal so gerade erfordert hat. Wir haben den Song wirklich ziemlich zerlegt, anders kann man das nicht sagen. Der Song hat gerade aufgrund dieser Erinnerung einen wirklich festen Platz in meinem Herzen. Uns verband damals so eine Art Hassliebe mit dem Camden Electric Ballroom und dem Hammersmith Odeon in London. Wir haben in beiden Läden sicherlich jeweils ein halbes Dutzend Mal bei verschiedenen Bands als Support gespielt, allerdings mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Bei einem Konzert haben JESUS & THE MARY CHAIN fast einen Aufruhr im Publikum erzeugt, ein anderes Mal haben ECHO & THE BUNNYMEN das Publikum beinahe zum Einschlafen gebracht und ALIEN SEX FIEND waren eben ALIEN SEX FIEND, wie man sie kennt, bei den TOY DOLLS gab es eine wirklich wüste Schlägerei und MY BLOODY VALENTINE haben die gesamte PA auf der Bühne zerlegt, THEATRE OF HATE haben einen Feueralarm ausgelöst und bei NEW MODEL ARMY kam es zu einem massiven Einsatz der Polizei. Als wir einmal in Dobrivoje, im früheren Jugoslawien, spielten und im Hintergrund auf der Bühne bei dem Konzert ein Plakat mit einer stilisierten Abbildung der schwarzen Blues-Legende Huddie Leadbelly zu sehen war, gab es einen Haufen rassistischer Sprüche aus dem Publikum. Erst als unser Promoter auf die Bühne kam und ein paar Worte an das Publikum richtete – an die ich mich nicht erinnern kann – hörten sie auf, Flaschen auf die Bühne zu werfen. Erstaunlicherweise erntete ich ein großes Lachen, als ich zum Ende des Gigs ein herzhaftes „Good night you nazi pricks“ ins Publikum schmetterte.

Du lebst schon seit jeher in Manchester. Wie würdest du den kulturellen Gemütszustand der Stadt beschreiben? Gibt es Bands aus Manchester, die du wirklich magst?

Manchester ist eine Stadt, die gerade auf der Suche nach einer neuen Szene ist, oder besser gesagt, nach der eigenen Identität. Wenn ich dir erzähle, dass die Lokalhelden aus Salford, die THE COURTEENERS, als Headliner in der Manchester Evening News Arena vor circa 10.000 Leute spielten, würdest du das nicht glauben. Oder du würdest sagen: OASIS sind tot, lang leben die neuen Lokalmatadore. Und so wie es aussieht, teilt ganz Manchester diese Einschätzung und feiert diese Band gerade so richtig ab. Nur der NME versucht mal wieder, die Band zu demontieren. Natürlich gibt es da noch einige andere neue Bands und die Presse muss natürlich auch alle paar Tage eine neue hippe Band entdecken, und wenn sie ihre neuen Hotshots gefunden hat, folgen sofort zehn andere Bands, die noch großartiger sind. Es sind oft eben nicht die viel zitierten 15 Minuten des Ruhms, sondern eher 15 Sekunden des Ruhms. Vor sechs Monaten waren DELPHIC die großartigste Band, die jemals aus Manchester gekommen ist, nun werden sie fast totgeschwiegen wie eine furchtbare ansteckende Krankheit. Es hat aber den Anschein, dass es ein paar Bands in den letzten Jahren dem Publikum in Manchester ganz besonders angetan haben, wie ELBOW, DOVES, I AM KLOOT und BADLY DRAWN BOY, die oft den Ansprüchen des jungen Publikums Genüge tun, Klar ist, dass sich neue und frische Bands oft sehr schwer tun, Aufmerksamkeit innerhalb dieses Hypes zu erzeugen. Deshalb gibt es im Moment auch kaum wirklich großartige Acts, die von Dauer sind und sich eben nicht kurzfristig wieder auflösen und dafür die Unzulänglichkeiten der Musikindustrie verantwortlich machen. Allerdings muss ich sagen, dass mir das letzte Album von I AM KLOOT auch wirklich sehr gut gefällt. Aber es gibt aus meiner Sicht gegenwärtig nicht wirklich etwas Neues und Aufregendes aus Manchester, was richtig rockt, oder ich habe es total verpasst.