ANIKA

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The night we met in a noodle bar

Anika, die ihre Eltern auch als Annika Henderson kennen, hat diesen verkürzten Namen gewählt, um ihr Leben als Musikerin von dem als politische Journalistin zwischen Berlin und Bristol zu trennen. Ein kurioser Zufall geleitete sie in die Hände von PORTISHEAD-Mastermind Geoff Barrow, der gerade für sein Nebenprojekt BEAK> nach einer neuen und großartigen Stimme suchte und sie in Anika ohne jeden Zweifel gefunden hat. Dabei ist Geoff Barrow ein Experte für Schicksalsbegegnungen: Beth Gibbons traf er in einer Arbeitsvermittlung, Anika in einer Nudelbar. Herausgekommen ist dabei kein Album für sein Projekt BEAK>, sondern das Debütalbum von Anika, eingespielt mit den Musikern von BEAK>, das in der Tradition von No Wave, Kraut Rock und Dub steht und das gesanglich starke Assoziationen an Nico von THE VELVET UNDERGROUND weckt und weniger an PORTISHEAD. Eingespielt wurde das Album, erschienen auf Barrows Label Invada, in zwölf Tagen, ohne Overdubs und mit zahlreichen spontan gewählten Coverversionen von Songs der KINKS („I go to sleep“), Bob Dylan („Master of war“) und Yoko Ono („Yang yang“). Anika arbeitet weiter als Journalistin mit den Themenschwerpunkten Bildung und Wissenschaft und beliefert die Leserschaft in Großbritannien. In ihrer Wahlheimat Berlin fand Anika die Zeit, einige Fragen zu beantworten.

Auf deinem Debütalbum, das im Oktober 2010 erschien, finden sich zahlreiche Coverversionen. Nach welchen Kriterien haben du und Geoff Barrow sie ausgewählt?

Während der Aufnahmesessions zum Album war es uns wirklich wichtig, dass die Songs sehr direkt, „roh“ und frisch rüberkommen sollten. Und eine Möglichkeit, das zu gewährleisten, war, dass wir die Entscheidung über die Songs, von denen wir ein Cover einspielen wollten, spontan getroffen haben. Jeder ist abends kurz durch YouTube gesurft und am nächsten Tage mit einer Idee ins Studio gekommen und fertig war die Auswahl. Wir waren dann auch ziemlich erstaunt, als sich herausgestellt hat, dass wir einen sehr ähnlichen Geschmack haben. Ich habe dann die Texte im Studio ausgedruckt und Bassist Billy Fuller hat einige Basslines eingespielt und wir haben abgewartet, ob es funktioniert, und das hat es sehr gut. Ich mag die Wortmelodien von Songs sehr und wie einzelne Wörter klingen und weil ich „Yang yang“ als schöne Wortmelodie empfand, haben wir es auch ausgewählt. Bei „Masters of war“ von Bob Dylan hingegen war das komplett anders: es ist ein sehr clever geschriebener Song über die Machtmechanismen des Krieges und die Personen dahinter, die das wie eine Art Schachspiel steuern. Vermutlich ist hier die politische Journalistin in mir durchgekommen. Die anderen Songs klingen im Original so unschuldig und schön, dass ich das Bedürfnis hatte, sie etwas dunkler und sinistrer einzuspielen. Ich denke, ich habe einen sehr dunklen Humor, der sich auch in meinen eigenen Lyrics äußert, so hat das auch ganz gut gepasst. Wir konnten auf diese Weise zwei unterschiedliche Stimmungen quasi nebeneinander einfangen und so haben die Coverversionen geholfen, dem Hörer zu verdeutlichen, was wir wollen: Stimmungen, die sich gleichberechtigt nebeneinander abspielen. Natürlich ging es auch darum, Diskussionen hervorzurufen.

Ich vermute, dass du mit dieser Frage unzählige Male konfrontiert wurdest, aber wie ist dein Kontakt zu Geoff Barrow zustande gekommen?

Eigentlich auf eine sehr spezielle Art. Wir waren beide in einer Nudelbar und ich habe gerade an einem politischen Essay über das Bildungssystem in Großbritannien geschrieben. Als ich das Lokal verlassen wollte, ist mir eine Schallplatte der New Yorker Band ESG aus der Hand gefallen. Geoff hat sie freundlicherweise aufgehoben, fand sie wohl sehr interessant und so sind wir ins Gespräch gekommen. Wir sind dann tatsächlich an diesem Abend noch in seinem Studio gelandet, sind einige meiner im Entwurf befindlichen Textproben durchgegangen und haben ausprobiert, ob sie auch als Songs funktionieren könnten. Es gab zunächst gar nicht die Intention, damit Songs aufzunehmen, es war mehr ein Experiment. Ich muss dazu sagen, dass mir zu keinem Zeitpunkt bewusst war, dass es sich um Geoff Barrow von PORTISHEAD und seine Musiker aus dem Projekt BEAK> handelte, er erwähnte lediglich, dass er auf der Suche nach einer neuen Stimme sei. Im Grunde genommen hat das Projekt damit begonnen, dass wir uns gar nicht richtig gekannt haben, was irgendwie auch gut war.

Wie nimmst du als Journalistin die aktuelle Diskussion um WikiLeaks in Großbritannien und Deutschland wahr? Der Bereich der journalistischen Freiheit und Arbeit ist hier ja massiv betroffen.

Ich muss zugeben, dass ich die ganze Diskussion nur am Rande verfolgt habe, da ich als Korrespondentin für Bildung und Wissenschaft einen anderen Fokus in meiner Tagesarbeit habe. Im Hinblick auf die Freiheit der Information und des politischen Journalismus denke ich, dass beide Länder relativ viel Pressefreiheit im Vergleich zu anderen Nationen haben, wo die Regierung eine viel strengere Kontrolle über die Medien und den öffentlichen Zugang zu Informationen ausübt. Es ist wichtig, dass wir als Öffentlichkeit Zugang zu bestimmten Informationen haben und dass die Medien die Freiheit haben, Informationen im öffentlichen Interesse zu vermitteln. Großbritannien steht gerade einem der größten Skandale in Sachen Pressefreiheit seit Jahrzehnten gegenüber, und das zeigt, wie wichtig Transparenz durch die Regierung in jeder funktionierenden Demokratie ist. Die wichtigste Frage ist doch, ob die Information, um die es geht, von öffentlichem Interesse ist, oder lediglich im Interessenfokus der Öffentlichkeit. Der Kerneinwand gegen die freie und komplette Veröffentlichung dieses Materials ist letztlich der, dass es unter Umständen auch eine Bedrohung der Sicherheit darstellen könnte. Natürlich können diese Informationen sehr peinliche und abfällige Bemerkungen einer Nation über andere offenlegen, aber welchen Wert hat diese Information für die Allgemeinheit? Was unterscheidet sie im Zweifel oder Einzelfall von einer etwas trashigen Boulevardberichterstattung, in der sich Promis in der Öffentlichkeit gegenseitig lächerlich machen? Im Fall von WikiLeaks glaube ich jedoch, dass die positiven die negativen Effekte bei weitem übertreffen, weil es die entsprechenden Regierungen quasi nötigt, Rechenschaft über ihre Handlungen abzulegen, etwas, was es in den letzten Jahren in diesem Umfang aufgrund der immanenten Intransparenz eben nicht gegeben hat. Vermutlich sind gerade solche Ereignisse in regelmäßigen Zeitabständen absolut notwendig, um das Gleichgewicht der Kräfte zu gewährleisten oder wieder herzustellen und Regierungen für ihre Handlungen verantwortlich zu machen. So wie es eben damals bei Watergate der Fall gewesen ist, werden dadurch Regierungen erst richtig aufgeweckt. Letztlich haben die Ereignisse um WikiLeaks die involvierten Staaten dazu veranlasst, die Macht der Öffentlichkeit nicht weiter zu unterschätzen und ihre eigene nicht zu überschätzen. Genau das ist essentiell.