AYS

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Gegen eure Gesellschaft

Wegberg ist eine 30.000-Einwohner-Stadt zwischen Mönchengladbach und der holländischen Grenze. So sieht die Provinz aus, hier in der niederrheinischen Variante. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen Kleinstädten in Deutschland konnte Wegberg sich einen Namen machen – mit einer sehr fruchtbaren und aktiven Punk- und Hardcore-Szene, die mittlerweile zwar weitgehend eingeschlafen ist, mit SNIFFING GLUE, ABFUKK, ITALIAN STALLION, NEIN NEIN NEIN und eben AYS aber einige hervorragende Bands hervorgebracht hat. 2006 erschien ihre „The Strength We Share“-7“, 2008 das Debütalbum „Wreck My Soul“, im Frühjahr 2010 dann die EP „The Path Of Ages“ und kürzlich nun das zweite Album „Eroded By The Breeze“, ein brachiales, brutales, mitreißendes Stück Hardcore. Ich sprach mit Florian Schommer, dem Sänger und Coverartist von AYS, der längst in Düsseldorf wohnt und dort Kommunikationsdesign studiert, über die Entwicklung seiner Band, seiner Kunst und seiner Heimatstadt.

Florian, wann ging es los mit AYS?

Das war 2002, in einer ganz anderen Besetzung. Damals machten wir aber noch Punk, wenn auch mit Hardcore-Einschlag. In unserer Heimatstadt Wegberg gab es damals eine riesige Hardcore-Szene mit vielen Straight-Edge-Kids. Wir hörten viel BLACK FLAG und Co., aber unsere ersten Gehversuche klangen dann eher wie die BOUNCING SOULS. Wir probten bei mir im Zimmer, fuhren mit dem Zug zu unseren ersten Konzerten, denn wir waren ja gerade mal 15, 16 und hatten noch keinen Führerschein, das war alles chaotisch. Aber es gab auch oft Konzerte in Wegberg, mit bis zu 300 Leuten. Heute sind von der Originalbesetzung noch der Drummer Pietz und ich übrig, wobei unser Gitarrist, der im Herbst 2010 ausgestiegen ist, auch von Anfang an dabei gewesen war. Der hat es einfach zeitlich nicht mehr geschafft, unsere rund 50 Shows im Jahr mit seinem Handwerker-Job zu vereinbaren. Dazu kommen noch die Tage im Studio, so dass die Band sicher 60, 70 Tage im Jahr beansprucht. Wir hatten für seine Entscheidung Verständnis, wollten aber auch nicht auf Touren in Russland, Asien und Australien verzichten.

Was machte die Szene in Wegberg aus, wieso ging da in der Mitte des letzten Jahrzehnts in Sachen Hardcore mehr als im viel größeren Mönchengladbach oder Düsseldorf?

Zuerst war da die große Skate-Szene, denn Skaten war ein Ausweg aus der Langeweile. Es gab einen Skateplatz außerhalb der Stadt, wo man sich traf. Die meisten Skater hörten aber HipHop, doch dann gab es die Band CAUGHT MY BREATH, aus der dann später ITALIAN STALLION und ABFUKK hervorgingen. Die Leute waren ein paar Jahre älter als wir, die beeindruckten uns nachhaltig und brachten uns auch auf Straight Edge. Es wurden fleißig CDs gekauft, Tapes aufgenommen und auf dem Schulhof getauscht, und so wurde die Szene immer größer. Klar gab es da auch viele Mitläufer, diese Musik war einfach ein simples Mittel, um gegen seine Eltern und die dörfliche Spießigkeit zu rebellieren – Wegberg ist eine totale CDU-Hochburg. Und dann kamen wir und machten richtig Palaver, da war jedes Wochenende die Innenstadt voller Punks und Hardcore-Kids, so 50 bis 80 waren wir immer, die Polizei kam dazu, und es ging hin und her. Das ging etwa 2000/2001 los, und die Hoch-Zeit war so 2004. Konzerte gab es hin und wieder auch, aber es war immer schwierig, eine Location zu finden – den Jugendzentren war das zu stressig.

Also war man gezwungen, sich in die Nachbarstädte zu bewegen.

Ja, und da zeigte sich dann, bei wem die Musik nur pubertäres Aufbegehren war, aber wir anderen hatten Bock auf mehr. Da kristallisierte sich dann heraus, wer wirklich was bewegen will und wer nur Mitläufer ist.

Und wie sieht es heute in Wegberg aus?

Das ist auf ein totales Minimum geschrumpft. Es gibt da zwar noch gute Leute, etwa die Jungs von ABFUKK, aber wenn ich Freunde von damals treffe, habe ich das Gefühl, dass die nichts mehr von früher wissen wollen und das verdrängen. Warum die das verdrängen wollen, weiß ich nicht, denn es war eine gute Zeit, wir gingen total in unserer Musik auf, fühlten uns durch die Musik verbunden.

Was ist dir so viel wichtiger an der Musik, dass du dabei geblieben bist?

Ich finde es erstaunlich, wie man durch die Musik sein Leben gestalten kann. Die Musik ist mein Freiraum, da kann ich machen, was ich will.

Was gehört da für dich an politischer Einstellung dazu?

Das mag flach klingen, aber ein No-Go ist für mich beispielsweise, dass ein Polizist in einer Band spielt. Oder christliche Bands, Homophobie und auch auf sein Land stolz zu sein, geht gar nicht, das stößt mir bei US-Bands übel auf, wenn die da so mit ihrer Nationalhymne ankommen. Abgesehen von so Grundsätzlichem, will ich niemandem Vorschriften machen.

Euer Berliner Label Mad Mob/Coretex bezeichnet euch als Band aus dem Ruhrgebiet – weder Wegberg noch Düsseldorf liegen allerdings im Ruhrgebiet.

Das ist unsere Schuld, das haben wir denen gesagt. Wir fühlen uns mittlerweile eher im Ruhrpott heimisch, da sind unsere Konzerte, da leben unsere Freunde, das ist unsere Basis, von dort, aus Herne, kommt unser Label Cobra Records. Das heißt, wir haben mehrere Labels: Cobra und Purgatory Records machen das Vinyl, Letztere für England, und Mad Mob/Coretex macht die CD. Und dann gibt es noch Dead Souls Records, die machen die CD in Australien.

Du lebst in Düsseldorf und studierst Kommunikationsdesign – und bist, wenig erstaunlich, auch für die Gestaltung eurer Cover zuständig. Gerade das Artwork eures neuen Albums ist beeindruckend. Mein erster Eindruck war, da habe man ein bestehendes, indisch anmutendes Motiv verwendet und angepasst.

Ja, aber das ist alles von mir. Ich habe während des Malens unsere Proberaumaufnahmen der Album-Songs gehört und dann drauflos gemalt. Eine Idee für das Motiv gab es zuerst nicht, ich habe mich da von der Musik inspirieren lassen. Das war eine willkommene Abwechslung zur Arbeit im Studio, wo ich meine Ideen immer den anderen begründen muss. Mir gefällt die Vorstellung, dass Musik und Grafik aus einem Guss sind, und der Plan ist auch, bei den nächsten Platten diese Linie beizubehalten. Ich finde, bei uns ist das Artwork mit der Musik gewachsen. Bei „Wreck My Soul“ sieht man durchaus, dass ich da gerade erst angefangen hatte zu zeichnen, und das finde ich heute nicht mehr so cool. Das ist ziemlich hobbymäßig, und auch bei der Musik hört man, dass wir noch nicht so genau wussten, in welche Richtung es gehen soll. Wir waren da einfach noch ziemlich jung.

Wer und was hat dich beeinflusst?

Mich hat schon immer die Gestaltung von Plattencovern interessiert, und da ich an vielen Covern was auszusetzen habe, besteht mein Anreiz darin, Artwork zu machen, das es noch nicht gibt, das mich reizt, das ich gerne sehen will.

Auf eurem Albumcover sieht man eine Menge russisch-orthodoxe bunte Zwiebeltürmchen, die mich an die des Kremls erinnern, davor ein paar Gestalten mit Totenkopf, wobei die eine einen Halbmond auf der Stirn hat, die andere hat ein Christenkreuz in der Hand. Was will uns das sagen?

Eine wirkliche Aussage steckt da nicht dahinter, da besteht einfach ein loser Zusammenhang zu Liedern und Texten, etwa über Religion. Und wo die Zwiebeltürme herkommen, das weiß ich selbst nicht. Das Bild gibt letztlich eine Stimmung wieder, die unsere Songs in mir hervorgerufen haben.

Im Gegensatz zu eurem sehr kleinteiligen, fein ausgearbeiteten Artwork ist eure Musik eher simpel und direkt.

Wir sind im Gegensatz zu früher sicher düsterer und härter geworden, mit mehr Moshparts als bisher. Wir finden unsere Mischung ganz interessant, denn von unserer Attitüde her gehen wir ja Richtung Punk, musikalisch hingegen sind wir recht Metal-lastig. Aber unsere Musik ist nicht stumpf, wir haben keine Standard-Moshparts, und sowieso singen die Leute bei uns eher mit, als dass sie moshen. Ich finde, wir sind mit der Zeit melancholischer und dramatischer geworden. Unsere „Path Of Ages“-EP war die Übergangsplatte, die war noch etwas schneller und punkiger, aber hatte auch drei Songs, die Metal-lastiger, stampfender waren als die des ersten Albums „Wreck My Soul“, von dem ich nicht mehr so wirklich überzeugt bin. Klar, ich schäme mich nicht für die Platte, aber man hört, dass wir damals noch nicht so recht wussten, wo wir hinwollen.

„Eroded By The Breeze“ wurde in der Tonmeisterei in Oldenburg aufgenommen. Den Namen dieses Studios liest man oft bei guten Platten.

Die Verbindung ergab sich über EMPTY VISION und Fields Of Hope Records. „Wreck My Soul“ nahmen wir auch schon da auf, ebenso „Path Of Ages“, und Roland von der Tonmeisterei weiß einfach, was wir wollen. Der ist mittlerweile recht gefragt, da muss man mit einer Wartezeit von einem halben Jahr rechnen.

Mich erinnern EP wie Album an „Best Wishes“ der CRO-MAGS.

Mag sein, aber das ist nicht die Band, die uns wirklich geprägt hat. Wir haben alle unterschiedliche Einflüsse und mögen die CRO-MAGS, wobei dann lustigerweise doch wieder die CRO-MAGS eine der wenigen Bands sind, die wir als gemeinsamen Nenner ansehen. Im Bandbus haben wir meist Schwierigkeiten, uns auf die Musik zu einigen, die da laufen soll.

Was steht als Nächstes auf dem Plan?

Im April fliegen wir nach Malaysia, und dann weiter nach Australien. Wir fliegen einfach los und vertrauen den Leuten dort, dass sie für uns Konzerte organisiert bekommen. So was macht eben nicht jeder, und ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele gute Leute man in dieser Szene kennen lernt, denen man vertrauen kann, die einen bei sich zu Hause aufnehmen. Das ist einfach ein gutes Gefühl. Wir haben bislang acht oder neun Europatouren gespielt, haben aber auch da noch Lücken, die wir bald mal schließen möchten, etwa Portugal oder Russland, aber jetzt wollen wir erst mal aus dem Kontinent raus, und über Fans aus Malaysia und den Sänger von CARPATHIAN aus Australien ergab sich das dann – von Malaysia ist es ja nicht mehr weit. Ich finde das auch reizvoller, als in den USA zu spielen. Finanziell rechnet sich so was natürlich überhaupt nicht, ich denke, wir werden es kaum schaffen, das Geld für unsere Flüge wieder reinzubekommen, aber darum geht es auch nicht – viel wichtiger ist es, da nette Leute kennen zu lernen und was anderes zu sehen.