PROPAGANDA

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Why does it hurt when my heart misses the beat?

Ralf Dörper entstammte der Düsseldorfer Punk-Bewegung. Schon seine erste Veröffentlichung mit der Avantgarde-Band S.Y.P.H. („Zurück zum Beton“) prägten seinen Ruf als elektronischer Pionier. Danach veröffentlichte er eine experimentelle Single („Eraserhead/Assault“) auf dem lokalen Label Rondo, eine Hommage an die Filme beziehungsweise Soundtracks von David Lynch und John Carpenter. Die Single stieß auf große internationale Resonanz, nachdem John Peel sie im Radio spielte und sie „Record of the Week“ im britischen New Musical Express wurde. Auch die Veröffentlichungen mit seiner Band DIE KRUPPS, die 1980 und 1981 folgten („Stahlwerksinfonie“ und „Wahre Arbeit, wahrer Lohn“), wurden in der britischen Presse hochgelobt, sie gelten als Wegbereiter der Electronic Body Music (EBM). Nach dem Verlassen der KRUPPS im Jahr 1982 wechselte Ralf Dörper seinen Stil und gründete PROPAGANDA, die zu einer der erfolgreichsten deutschen Electro-Pop-Bands der Achtziger Jahre wurden.

„Dr. Mabuse“ (das Video zum Song war zusammen mit „Hockey“ von PALAIS SCHAUMBURG das erste von Anton Corbijn), „Duel“ und „P-Machinery“ (ein Song, bei dem David Sylvian mitwirkte) und das Album „A Secret Wish“ von 1985 wurden vergoldet. Dieses Album erschien auf dem legendären Label ZTT von Produzenten-Ikone Trevor Horn, der seinerzeit auch FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD und ART OF NOISE um sich scharte. 2010 erschien mit „Combined“ eine Compilation von PROPAGANDA-Sängerin Claudia Brücken auf ZTT, mit Songs aus ihrer PROPAGANDA-Zeit, aber auch ihren langjährigen Solo-Aktivitäten und ihre Kollaboration ONETWO mit Paul Humphreys von ORCHESTRAL MANOEUVRES IN THE DARK (teilweise mit der Unterstützung von Martin L. Gore von DEPECHE MODE). Bereits während der Arbeit am PROPAGANDA-Album „1-2-3-4“ (1989) verfolgte Ralf Dörper unterschiedliche Nebenprojekte: den Acid-Clubtrack „Dr. Acid & Mr. House“ und zusammen mit Andreas Thein die KRUPPS feat. NITZER EBB-Kooperation „Machineries Of Joy“, die zur Wiederbelebung der KRUPPS führte, sowie seine Coverversion des KRAFTWERK-Klassikers „Ruckzuck“. Auf dieser unter dem Namen „Technocrat“ veröffentlichten Version versammelte Ralf Dörper zudem Remixer aus dem Umfeld des „Intelligent Techno“ des britischen Labels Warp Records, wie etwa Richard H. Kirk von CABARET VOLTAIRE. Zwischen 1990 und 1997 widmete er sich gemeinsam mit Jürgen Engler erneut dem gemeinsamen Projekt DIE KRUPPS. Fünf neue Alben wurden in der Zeit veröffentlicht. Anlässlich der Wiederveröffentlichung von „A Secret Wish“ nach 25 Jahren beantwortete Ralf Dörper meine Fragen.

Mit PROPAGANDA seid ihr, auch durch eure beiden englischen „Electro-Produzenten“ Trevor Horn und Paul Morley, damals als Düsseldorfer Band ziemlich genau am Puls der Zeit gewesen. Zuvor waren es in Sachen Electronic und Krautrock Bands wie KRAFTWERK, NEU! oder CLUSTER, welche Düsseldorf als „musikalische Pionierstadt“ erscheinen ließen. später dann die Punkszene um den Ratinger Hof. Nimmst du heute Düsseldorf in irgendeinem musikalischen Genre noch als „relevant“ oder „innovativ“ wahr?

Zunächst eine Korrektur: während Trevor Horn damals in der Tat der „State of the Art“-Produzent schlechthin war, der sein Nerd-Image – siehe „Video killed the radio star“ von THE BUGGLES – durch die Arbeit mit Malcom McLaren abgestreift hatte, war Morley lediglich ein Journalist, aber als solcher unter anderem meinungsbildend bei NME oder Face. Er war überaus einflussreich in Großbritannien und mit seinem Intellekt, Witz und Hedonismus einzigartig, insbesondere im direkten Vergleich mit deutschen Schreibern. Aber im Studio hatte er nichts zu suchen. Soviel ich weiß, auch nicht bei ART OF NOISE. Ansonsten halte ich Düsseldorf, Sheffield und Detroit für die Städte, die musikalisch eine eigene elektronische Signatur geschaffen haben. CLUSTER haben aber meiner Einschätzung nach nichts mit Düsseldorf zu tun, die lebten auf dem Land. LA DÜSSELDORF sollte man aber nennen und alle folgenden Projekte von Klaus Dinger. Und wenn es um Pioniere geht, also musikalische Pioniere, die nicht lediglich englische Trends nachspielten, dann muss ich erst einmal Pyrolator und DER PLAN nennen und dann DAF und LIAISONS DANGEREUSES und natürlich auch DIE KRUPPS. Düsseldorf heute: da gefällt mir MUSICCARGO. Aber meine Wahrnehmung ist mittlerweile weniger lokal als noch im analogen Zeitalter. Mit dem Web hat die Region stark an Relevanz verloren. DIE KRUPPS zum Beispiel funktionieren aktuell auf der Kommunikationsachse Texas-Düsseldorf-Hamburg-Kanaren.

Du warst immer in vorderster Linie, was stilprägende elektronische Bands anbelangt. Verfolgst du diese „Szene“ heute noch im Detail? Zur Zeit gibt es wieder eine Renaissance von Minimal Synth, Cold Wave oder anderen elektronischen Nischen der Achtziger Jahre, Pieter Schoolwerth in New York ist hier sehr aktiv, und die unsäglichen HURTS lassen den Sound der frühen THE HUMAN LEAGUE und TEARS FOR FEARS wieder aufleben. Gibt es da Acts, die du schätzt?

„Immer“ stimmt eigentlich nicht mehr, da ich seit Mitte der Neunziger Jahre kaum mehr aktiv bin. Außerdem finde ich die HURTS nicht unsäglich, aber ich fand dafür TEARS FOR FEARS immer unsäglich. Ansonsten sind für mich die Epigonen weniger interessant als die Originale. Es sei denn, aus der Hommage entsteht etwas mit eigener Handschrift. Das war meiner Einschätzung durchaus bei der Elektro-Renaissance in Großbritannien so. Leider wurde die erste Generation wie CLIENT oder LADYTRON noch wenig beachtet, aber später dann GOLDFRAPP, LA ROUX und auch HOT CHIP, die jetzt den Bezug zu den Achtzigern wiederhergestellt haben. Und New York hat doch nach SUICIDE und Robin Crutchfield – neben Arto Lindsay Gründungsmitglied der No-Wave-Band DNA – nichts wirklich tolles Elektronisches mehr hervorgebracht, bis auf ein paar Fun-Sachen während des Elektro-Clash, wie zum Beispiel EMERGE. Nein, LCD SOUNDSYSTEM und DFA sind okay, mehr nicht. Als neuere Band aus den USA würde ich vielleicht TENSE nennen. Aber da bewegen wir uns eher Richtung Chicago. Weiterhin gilt für mich: wenn USA, dann Detroit, also Acts wie DOPPLEREFFEKT, AUX 88 und SUBURBAN KNIGHT.

Apropos THE HUMAN LEAGUE, die sind ebenso wieder aktiv wie HEAVEN 17, die zur Zeit Konzerte geben, auf denen sie komplett ihr sicherlich bestes Album „Penthouse And Pavement“ spielen. Oder OMD, ich meine, Claudia Brücken arbeitet ja seit vielen Jahren schon mit Paul Humphreys von OMD zusammen. Wie empfindest du diese „Sheffield Sound Renaissance“?

OMD sind ja nicht aus Sheffield und zudem einen kuriosen Weg gegangen: über das deutsche TV, dann „Night of the Proms“ und dann die Reunion-Tour. Sie waren ziemlich getrieben vom deutschen Publikum, das ja auch gerne auf Ü30-, Ü40-Partys geht und „Maid of Orleans“ und „Enola Gay“ zu Millionensellern gemacht hat. Hingegen sind THE HUMAN LEAGUE nie getrennt gewesen, sondern hatten sich in England als Live-Band etabliert, die – das ist dort üblich – in der Pre-X-Mas-Season oft auf Tour gingen, so wie andere ehemalige Hit-Giganten. Das ist halt Showbiz. Relevanz bekam es aber wieder mit der „Steel City Tour“: THE HUMAN LEAGUE, HEAVEN 17 und ABC zusammen, die ich mir in England angeschaut hatte; HEAVEN 17 dann später auch in Köln. Bei diesem Konzert fielen mir lediglich ABC negativ auf, eben als nostalgischer Show-Act, während HEAVEN 17 und THE HUMAN LEAGUE zeigten, dass sie noch musikalische Relevanz hatten, indem ihre Klassiker nur leicht an aktuellere Sounds angepasst waren: grandios! Und da HEAVEN 17 vorher nie live spielen konnten – als Fairlight-Geschädigte –, dies aber nun infolge der Computersoundtechnologie geht, ist es legitim. Denn Glenn Gregory wie auch Phil Oakey sind großartige Performer. Aber es sollte auch nicht vergessen werden, dass CABARET VOLTAIRE die Pioniere des Sheffield-Sounds waren.

Derartige Bandwiederbelebungen stellen grundsätzlich kein Vorbild für PROPAGANDA dar, oder? Gerade THE HUMAN LEAGUE und HEAVEN 17 sind damit offensichtlich erfolgreich.

Wie bereits erwähnt, THE HUMAN LEAGUE wurden ja nicht wiederbelebt, eher von einem breiteren Publikum wieder entdeckt. Natürlich gibt es aber auch Opportunisten wie SPANDAU BALLET, die dieses nostalgische Zeitfenster nutzen. Das kann natürlich nicht Vorbild sein. Und das Thema PROPAGANDA war ja eigentlich abgeschlossen. Andererseits gab es auch immer wieder Songs, die ich gerne auch mit den Stimmen von Claudia und/oder Susanne gehört hätte. Und im Hinblick auf die Möglichkeit der Live-Darbietung, da ging es uns wie KRAFTWERK und HEAVEN 17, ist jetzt vieles möglich, was lange Zeit nicht ging. Gleichzeitig erscheint es mir aber nicht erstrebenswert, mit Laptop auf der Bühne zu erscheinen, das erinnert mich zu sehr an die Powerpoint-Präsentationen von Finanzanalysten.

Ich denke, Bands wie PROPAGANDA, DIE KRUPPS, MALARIA! – damals John Peels „Lieblinge“ schlechthin –, X-Mal DEUTSCHLAND oder DAF waren in den Achtzigern auch deshalb so erfolgreich in Großbritannien, weil die Engländer auf diese deutsche Sprachmelodie und Sprachprägung so abgefahren sind. Anja Huwe hatte damals in Großbritannien fast einen Status wie Siouxsie Sioux. Dieser „Exotenstatus“ ist vermutlich heute verspielt. Glaubst du, deutschsprachige Bands hätten heute noch kommerzielle Chancen in Großbritannien? Zumindest ist mir nicht bekannt, dass man dort jemals die vielzitierte „Hamburger Schule“ für sich entdeckt hat.

Die Achtziger Jahre wurden geprägt von diesen massiven Hypes der UK-Musikpresse, die wirklich ein Machtfaktor war, in Gestalt von drei Wochenzeitschriften, dem NME, dem Melody Maker und dem Sounds, welche die Trends bestimmten. Dazu gab es noch Meinungsmacher wie Radio-DJs, eben zum Beispiel John Peel. Auch die BBC mit „Top of the Pops“ war – zumindest im Pop-Bereich – unwahrscheinlich wichtig. Um es brutal zu vereinfachen: ein Play von John Peel brachte dir vielleicht einen Vertriebsdeal oder 500 Verkäufe. Ein Auftritt bei „Top of the Pops“ brachte aber 50.000 Verkäufe und einen Chart-Sprung um zehn Plätze. Allerdings muss man den medialen Erfolg von dem realen Erfolg trennen. Da waren in der Tat X-MAL DEUTSCHLAND um vieles erfolgreicher in Großbritannien als etwa DAF oder MALARIA!. Anja Huwe sah ja auch toll aus. Denn das war auch wichtig: die Optik. Und die hier Genannten sahen definitiv nicht englisch aus.

In Großbritannien finanzieren gegenwärtig viele Bands ihre Alben komplett ohne die Musikindustrie, beispielsweise über Pledge Music, das wie eine Auktion funktioniert. GANG OF FOUR haben auf diese Weise sehr erfolgreich ihr neues Album komplett über dieses Auktion- und Bieterverfahren finanziert, in dem Fans spezielle Bandartikel und Release-Versionen vorab finanzieren. In den USA läuft das ähnlich über Kickstarter. Ist das aus deiner Sicht auch ein Modell für Deutschland? EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN waren die ersten, die dieses Verfahren hier praktiziert haben.

Das sind globale Modelle, denn auch die Fanbase ist global. Wobei es natürlich dann etablierte Namen wie etwa EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN einfacher haben. Unabhängigkeit ist nach meiner Einschätzung sehr wichtig, ein altes Punk-Ideal, das bereits durch THE CLASH verraten wurde. Und Geld macht in der Hinsicht schon unabhängig. Was übrigens in der Frühphase der elektronischen Musik signifikante Wirkung entfaltete. Jean Michel Jarre, aber auch Florian Schneider von KRAFTWERK kamen aus Millionärshaushalten, zu einer Zeit, in der elektronische Geräte noch unerschwinglich waren. Andererseits ist wegweisende elektronische Musik heute ohne Funding möglich, wie bereits in den späten Siebzigern und Achtzigern. Ich nenne hier nur THE NORMAL mit „Warm leatherette“ oder DJ Pierre mit „Acid tracks“.

Was waren für dich 2010 die besten und wichtigsten Veröffentlichungen?

Das mag jetzt arrogant klingen, aber die Wiederveröffentlichung des Album „A Secret Wish“ von PROPAGANDA war für mich am spannendsten in dem Jahr, weil von ZTT kongenial umgesetzt. Das ist hervorzuheben, da ja kein Kontakt mehr besteht zu ZTT, seit wir in diesem Zeitfenster 1985 bis 1988 juristische Auseinandersetzungen hatten. Und was natürlich beeindruckte und etwas zum Grübeln führte, ist der Erfolg in Großbritannien, wo die regulären Charts wieder erreicht wurden. Etwas, das sonst doch eher Reissues von „The Dark Side Of The Moon“ von PINK FLOYD oder „Tubular Bells“ von Mike Oldfield vorbehalten war.