VARSOVIE

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La fête triste – und das ohne Jean-Paul Sartre

Als Ludwig XVI. am Abend des 14. Juli 1789 vom Sturm auf die Bastille in Paris erfuhr, empörte er sich: „Aber das ist eine Revolte!“ Doch sein Berichterstatter, der Großmeister der Garderobe, Duc de La Rochefoucauld-Liancourt, korrigierte: „Nein, Sire, das ist eine Revolution!“ Und dieser Drang nach Revolution und Veränderung steckt immer noch in vielen jungen vom Post-Punk geprägten Bands in Frankreich. Waren es vor kurzem noch JOY/DISASTER aus Nancy, 1984 aus Strasbourg oder die fulminanten DROSERAE aus Paris, die sich einen Namen machten und live viele Sympathien erspielten, sind es nun VARSOVIE aus Grenoble, die mit ihren Wurzeln im Cold Wave, Death Rock und Post-Punk für einen Sound stehen, den es in dieser Form vermutlich wirklich nur in Frankreich gibt. VARSOVIE wurden 2005 gegründet und haben bereits mit JOY/DISASTER, TRAGIC BLACK und CINEMA STRANGE gespielt und das passt auch alles gut zusammen. Eine Bloggerin umschrieb jüngst VARSOVIE mit einer Vielzahl von sehr trefflichen Attributen: „Art, poetry, history, décadence, tristesse, paradox, love, war, mélancolie, nostalgia.“ Sänger, Schlagzeuger und Gründer Arnault Destal beantwortete einige Fragen.

Ich vermute, ihr habt den Namen VARSOVIE nicht zufällig gewählt, sondern auch als Referenz an WARSAW, wie sich JOY DIVISION ursprünglich benannt haben. Und somit seid ihr auch in guter Gesellschaft mit französischen Bands wie JOY/DISASTER oder JAD WIO, die in den 80er Jahren als die französischen BAUHAUS galten, oder wie ist der Name sonst entstanden?

Als wir uns im Jahr 2005 gründeten, nannten wir uns zunächst EX CATHEDRA, aber wir merkten schnell, dass dies nicht so richtig zu uns passte. Als wir einige Bands anhörten, die wir sehr schätzen, kam uns sehr schnell der Name VARSOVIE in den Sinn, nachdem wir Warschau ins Französische übersetzten und wir auch die Klangprägung sehr ansprechend fanden. Ursprünglich haben wird das nicht so ernst genommen, aber ich hatte zu dieser Zeit ein Buch über die Stadt Warschau in der Zeit des Zweiten Weltkriegs gelesen. Der Warschauer Aufstand von 1944 war die finale militärische Erhebung der polnischen Heimatarmee, der „Armia Krajowa“, kurz „AK“, gegen die deutschen Besatzungstruppen im August 1944. Die Widerständler kämpften mehrere Wochen gegen die deutschen Truppen, bevor sie angesichts der aussichtslosen Situation kapitulieren mussten. Er stellte die größte einzelne bewaffnete Erhebung im besetzten Europa während des Zweiten Weltkrieges dar. Wir empfanden diesen Namen vor diesem Hintergrund sehr passend für uns. Uns berührte der verzweifelte Kampf um die Freiheit der Stadt und die des Landes. Er spiegelt im gewissen Sinne auch das wider, was wir in unserer Musik umsetzen wollen. Generell mag ich das, wenn man sich durch eine historische Begebenheit ganz persönlichen Themen annähert und so eine Art Brückenschlag herstellt zwischen den großen Ereignissen und dem, womit man sich beschäftigt. Natürlich ist der Bandname auch eine Art Referenz an die Musik, in der wir verankert sind, wie eben Post-Punk und die dunkle Seite des Rock’n’Roll wie sie früher von Bands wie JOY DIVISION, BAUHAUS, THE SOUND, THE CHAMELEONS oder AND ALSO THE TREES gespielt wurde. Auch einige Bands aus dem Bereich Death Rock haben Einfluss auf uns, sowie der von dir erwähnte französische Cold Wave der 80er Jahre. Aber auch Bands wie die großartigen NOIR DÈSIR, Daniel Darc oder Alain Bashung, einer der großen französischen Sänger und Schauspieler, der auch bereits mit Serge Gainsbourg zusammengearbeitet hat, beeinflussen uns.

Ihr habt euer Debütalbum „Civil Etat“ auf dem fast ikonenhaften französischen Label Infrastition veröffentlicht, das auch in Sachen Wiederveröffentlichungen von stilprägenden Cold Wave- und Minimal-Synth-Bands einen einzigartigen Ruf genießt, der bis in die USA reicht. Wir seid ihr zu dem Label gekommen?

Die Songs, die wir für „Etat Civil“ geschrieben haben, wurden bereits 2008 eingespielt und dank unserer Förderer des französischen Labels Editions La Hussarde, die die gesamten Aufnahmesessions im Drudenhaus Studio nahe Nantes finanzierten, haben wir zwei Monate mit diesen Aufnahmen verbracht. Wir haben im Studio viel experimentiert, kamen allerdings danach nicht dazu, die Songs zu veröffentlichen, weil wir uns mit dem, sagen wir mal, realen Leben beschäftigen mussten. Als wir uns wieder um ein Label zur Veröffentlichung von „Etat Civil“ kümmerten, schickten wir eine Promo an Infrastition und sie waren wohl begeistert. So sind wir dann mit dem Label zusammengekommen.

Welche Bedeutung hat eure französische Herkunft für eure Musik?

Die vielfältigsten Facetten der französischen Kultur sind wichtig für uns: die französische Geschichte, die typischen Landschaften, das bekannte französische Kino, die Städte und die großen, tragischen geschichtlichen Ereignisse dieses Landes prägen uns sehr. Wir bevorzugen es auch, in unserer Muttersprache zu singen, auch wenn es nicht so einfach ist, französische Texte in den Kontext eines internationalen Rockbusiness zu bringen, insbesondere dann, wenn ich etwas mehr Poesie in die Texte bringen will und einige Regeln des Sprachflusses beziehungsweise der Betonung beachten muss, ist es vermutlich für eine internationale Hörerschaft nicht so einfach, dies nachzuvollziehen.

Letztes Jahr ist ein Film über das Leben des „Vorzeigefranzosen“ Serge Gainsbourg in den Kinos gelaufen. Welche Bedeutung hat sein Schaffen für dich und das etwas aufgebrauchte „Je t’aime ... moi non plus“-Klischee, das ihn immer noch umgibt?

Ich mag einen großen Teil seiner Arbeit als Künstler sehr, nicht alles, aber einen großen Teil. Serge Gainsbourg war ein großartiger Mensch mit einem faszinierenden kulturellen Schaffen, das ihn umgibt und seine ganz eigene großartige Aura erzeugt hat. Seine Referenzen reichen bis in die klassische Musik und Poesie. Das schwingt bei allen seinen Songs mit und das ist etwas, was ich an ihm mag.

Welches sind deiner Meinung nach die fünf besten Alben im Bereich Cold Wave?

Das ist eine schwierige Frage und hängt natürlich von meiner aktuellen Stimmung ab, aber sicherlich sehr großartige Alben sind „Demain Berlin“ von GUERRE FROIDE von 1981, eine französische Minimal Synth- und Cold-Wave-Band, die im Übrigen auch auf den Compilations von Infrastition zu finden ist, „Dantzig Twist“, 1979, von MARQUIS DE SADE, die lediglich von 1977 bis 1981 existierten und auch von THE VELVET UNDERGROUND und David Bowie beeinflusst waren, sowie COMPLOT BRONSWICK mit „Maiakovski“ von 1984 und „Où veux-tu qu’je r’garde?“, das Debütalbum von NOIR DÈSIR aus dem Jahr 1987. Ich würde es zwar nicht als reines Cold-Wave-Album bezeichnen, aber es hat einen sehr kalten und dunklen Duktus und Esprit, der sehr gut in dieses Genre passt. Und was die aktuellen Bands anbelangt, sollte man in jedem Fall FRUSTRATION mit dem Album „Full Of Sorrow“ erwähnen, aber während ich dir das sage, fallen mir auch LITTLE NEMO und RISE AND FALL OF A DECADE ein. Es gibt da einfach zu viele großartige Bands, um sie alle für einen Moment als Favoriten zu benennen.

Was machst du eigentlich neben der Band, um im realen Leben über die Runden zu kommen?

Ich arbeite als Literaturkritiker für verschiedene französische Fachmagazine und Websites in Paris und ich schreibe mehr oder minder intelligente Artikel in der Lokalpresse, um zu überleben. Nebenbei habe ich mit den Arbeiten an meinem ersten Roman begonnen.