MODERN PETS

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Lieber Kellerloch als ROLLING STONES

Wo immer man momentan auch liest, klickt oder hört, die MODERN PETS sind quasi allgegenwärtig, und selbstberufene Punkrock-Experten wie du und ich überbieten sich gegenseitig mit Superlativen für die nächste deutsche Punkrock-Hoffnung. Nun ist es zwar so, dass man der schreibenden Zunft diesbezüglich nicht immer unbedingt über den Weg trauen sollte, denn was heute noch als das nächste große Ding gefeiert wird, stellt sich oftmals am nächsten Tag nur als lauer Furz heraus. Voller Selbstüberschätzung bezüglich meiner musikalischen Fachkenntnisse und aus tiefster Überzeugung heraus kann ich allerdings behaupten, dass man mir und den werten Kollegen im Falle der Exil-Schwaben-Brandenburg-Berliner allerdings vollauf vertrauen kann. Denn sind wir doch mal ehrlich, in Zeiten der scheinbar endlosen Wiedervereinigungskatastrophen so genannter alter Helden aus den Jahren 1977-81, die oftmals vor Selbstverstümmelung, Erniedrigung und ideologischer wie musikalischer Resterampigkeit kaum zu ertragen sind, tut es verdammt gut, wenn eine junge Band diesen Herren mal wieder die Realität zurechtrückt. Ich sprach mit Schlagzeuger Jay und Toby, Gitarre.

Standardeinleitung Punkrock-Sozialisation – wie muss man sich die bei den einzelnen Pets vorstellen und hoffen eure Eltern noch, dass ihr endlichen einen vernünftigen Beruf lernt?

Vom Marktplatz in den Proberaum auf die Bühne! Eltern? Wir sind alle von koffeinsüchtigen Ex-Junkies aus Mülltonnen gefischt worden.

Vor kurzem habt ihr eure schwäbische Heimat in Richtung Berlin verlassen. Wieso die Entscheidung für Berlin, was macht den Unterschied zu Stuttgart aus?

Das ist nur bei drei Vierteln der Band so, der Hustler kommt aus Brandenburg! Stuttgart unterscheidet – auch schon von anderen Städten in BaWü wie Tübingen oder Mannheim –, dass dort Punk- und Underground-mäßig kaum was los ist, und nachdem wir alle ein paar Jahre lang aktiv versucht haben, daran was zu ändern, hatten wir einfach die Schnauze voll und sind ausgewandert. Letztendlich sind wir aber alle aus unterschiedlichen Gründen nach Berlin gezogen, zum Beispiel wegen Freunden und Freundinnen, um die Schule nachzumachen, um Musiker zu sein, ein Lotterleben zu führen, blablaba ... und nicht zuletzt auch wegen der Band und natürlich, weil es total hip ist. Haha! Die Unterschiede zu Stuttgart sind groß. Das Leben ist billiger und rougher, da können EMPOWERMENT mal einpacken, aber es bieten eben auch mehr Möglichkeiten, sich kreativ und musikalisch zu verwirklichen, ohne dabei am Hungertuch zu nagen. Letztendlich liegt das hier doch alles auf der Hand, oder? Hallo, wir reden hier von Stuttgart und Berlin!

Und inwiefern kann man die Punk-Szene in Berlin mit der in Stuttgart und Umgebung vergleichen, da gibt es doch bestimmt gewisse Eigenheiten, was die Mentalität angeht?

Alle gleich blöd! Überall derselbe Regionalpatriotismus, die Stuttgarter reden schwäbisch, finden Stuttgart geil und Berliner doof und arrogant – in die Ecke wirst du dann auch von einigen Leuten gestellt, die von dort kommen, „Verräter“ und so was. Die Berliner reden Berliner Schnauze, finden Berlin übergeil und Stuttgarter überdoof. Ach, keine Ahnung, interessiert uns alles nicht.

Schleicht sich nicht eine gewisse Bequemlichkeit ein, wenn man ständig das volle Programm an Konzerten geboten bekommt?

Macht unser Konzertkalender den Eindruck, als seien wir bequeme Menschen? Die meisten von uns halten das wohl mittlerweile so, dass sie eben, wenn wir mal zu Hause sind, eher nur auf Shows gehen, wo sie auch wirklich Bock darauf haben. Natürlich kommt jede Band auf ihrer Tour nach Berlin, das heißt aber noch lange nicht, dass wir überall hinrennen, nur weil da Punk drunter steht. Wir sind hier ja nicht in Stuttgart!

Dann lasst uns mal über eure aktuelle Platte sprechen, die immerhin auf nicht weniger als drei Labels in verschiedenen Versionen erscheint, was ein weiterer Beleg dafür ist, dass ihr im Moment anscheinend ziemlich gefragt seid. Überrascht euch das selbst und hättet ihr das, als ihr angefangen habt, so erwartet?

Nein, das hätten wir so nicht erwartet. Wir haben begonnen, zusammen Musik zu machen, weil wir Freunde sind, Bock darauf hatten und verliebt in diesen Sound, nicht weil wir geil sind auf irgendwelchen Fame.

Überhaupt habt ihr in den zwei Jahren, die es eure Band ja erst gibt, schon einiges auf die Beine gestellt. Immerhin kann nicht jeder von sich behaupten, in so kurzer Zeit schon halb Europa durchquert und Platten bei P.Trash und Modern Action Records veröffentlicht zu haben. Was unterscheidet die MODERN PETS von anderen Bands, die nach Jahren immer noch im Proberaum festhängen? Zufall, Berechnung oder harte Arbeit?

Ein bisschen von allem. Es war die Entscheidung von uns allen, so viel Zeit wie möglich in die Band zu stecken und so viel mitzunehmen, wie es geht. Das hätte aber auch nach hinten losgehen können. Im Moment ist da irgendwie ein Hype im Gange und wir können nicht sagen, wer den losgetreten hat. Es liegt vielleicht aber auch an Bands wie den BRIEFS, SHOCKS, CLOROX GIRLS oder OBSERVERS, die vor uns ähnliche Musik gemacht haben, aber wir denken, dass wir behaupten können, dass deren Ziel genau wie bei uns eben die Bühne und nicht der Nine-to-five-Job war. Es war von Anfang an auch ein Riesenvorteil, einen Typen wie Jay in der Band zu haben, der vor uns schon jahrelang selbst in zig Bands gespielt sowie für andere Bands Shows veranstaltet hat und der dementsprechend keine Probleme hatte, eine erste Tour zu organisieren. Probleme, wie sie vielleicht andere Bands haben, die keiner kennt oder die auch keine Ahnung haben, wie man das überhaupt macht oder machen kann. Und zuletzt spielen wir einen Musikstil, der, weil er eben der ursprünglichen Punkmusik ähneln mag, vom alten Crustie bis zum Kidpunk jedem irgendwie bekannt ist. So könnten wir uns das ein wenig erklären. Es war aber nie so berechnet, wir haben einfach das gemacht, worauf wir Bock hatten, und wollten das dann konsequent durchziehen.

Wie kam der Kontakt zu den beiden Labels zustande und was ist für euch bei der Auswahl eines Labels ausschlaggebend?

Also zu P.Trash kamen wir über Litty von Prügelprinz Records, ein guter Freund von uns, der unsere erste Single zusammen mit Peter rausgebracht hat. Modern Action haben uns irgendwann per MySpace angeschrieben und wollten ein Demotape, als sie es dann hatten, meinten sie, dass sie die Single machen wollen. Die Platte jetzt kommt ja außer auf Vinyl auch noch auf CD und Digital bei Concrete Jungle. Der Deal ist wiederum auch entstanden, weil wir gut mit Matze befreundet sind und der uns geil fand blablabla ... Bei der Auswahl des Labels ist es uns wichtig, dass wir vertreten können, was das Label macht und gemacht hat, wir also politisch, persönlich und musikalisch dahinterstehen können, und dass das Label auch wirklich was für uns tun kann, uns irgendwie weiterbringt.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich damals bei eurem Demotape spontan an SMOGTOWN und die STITCHES denken musste. Also, was sind eure Top-5-Orange-County-Punkrock-Scheiben und warum?

Also so bewusst O.C.-Punk-beeinflusst sind wir jetzt auch nicht, deswegen werden wir dir jetzt auch keine Top 5 an O.C.-Punk-Scheiben aufzählen, dazu haben wir alle viel zu unterschiedliche Geschmäcker und kommen da nicht überein ... und sich auf so einen Mini-Flecken Erde irgendwo in Kalifornien zu konzentrieren, ist nicht unser Ding. SMOGTOWN hat zum Beispiel nie jemand von uns groß gehört, STITCHES wiederum finden alle mindestens okay bis sehr geil. Absolute Konsens-Band und Konsens-Album ist auf jeden Fall die erste ADOLESCENTS-LP! Auf die AGENT ORANGE-Platte „Living In Darkness“ können wir uns wohl auch alle einigen, weil wir sehr auf diesen Surf-Einschlag stehen. Beste aktuelle Cali-Band sind auf jeden Fall SHARP OBJECTS und natürlich die mächtigen SPITS! Ansonsten, CIRCLE JERKS „Group Sex“, BLACK FLAG „Damaged“, DEAD KENNEDYS „Fresh Fruits ...“. Klar, alles keine O.C.-Bands, aber zumindest Kalifornien.

Deutlich häufiger werdet ihr inzwischen allerdings mit BRIEFS oder SHOCKS verglichen, da sollte man doch mal fragen, wie prägend oder wichtig die wirklich für euch waren?

Diese Bands waren auf jeden Fall für die meisten von uns wichtiger als fast jede, die es mal in den Siebzigern oder Achtzigern gab, denn beispielsweise SHOCKS oder eben auch DEAN DIRG, SNIFFING GLUE, IDLE HANDS, PRESS GANG, LIGHTS OUT!, LIBERTY MADNESS etc. konnte mensch sich immer live reinziehen und zwar für wenig Geld in der passenden Atmosphäre in irgendeinem Kellerloch, wo es abgeht. Das gehört dazu! BUZZCOCKS auf irgendeinem Festival zu sehen, wo lauter alte Typen um dich rumstehen, 20 Meter von der Bühne weg, das gibt keinem von uns was. Auch wenn wir uns die natürlich sehr gerne zu Hause anhören und auch nicht ablehnen würden, mal mit denen zu spielen.

Was habt ihr den Leuten zu entgegnen, die euch diesbezüglich unterstellen, dass ihr zwar großartig kopieren könnt, einen eigenen Sound aber vermissen lasst?

Nichts! Wenn die das meinen, ist das okay. Punk hat doch realistisch gesehen eh seit mindestens 20 Jahren musikalisch nichts Innovatives mehr hervorgebracht. Who cares?

Wie viel Innovation ist überhaupt möglich oder nötig, wenn man sich im Bereich 77er-Punk bewegt, der immerhin schon einige Jahre auf dem Buckel hat und nicht gerade arm ist an sowohl großartigen wie aber auch überflüssigen Bands?

Inwiefern Innovation bei klassischer Punkmusik noch möglich ist, betrachten wir als Ansichtssache. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass so gut wie alle „Retro-Bands“, also ungefähr 80% der Bands, die in den letzten Jahren in der so genannten Punk-Szene aufkamen, musikalisch und textlich meist innovativer waren als ihre angeblichen Vorbilder aus vergangenen Zeiten. Außerdem: Um gute Musik und gute Songs zu schreiben, ist es definitiv immer nötig, innovativ zu arbeiten und viel Zeit und Energie ins Songwriting und Zusammenspiel zu stecken, und da ist heutzutage, allein schon technisch gesehen, einiges mehr drin als vor 35 Jahren, auch wenn so einige alte Hits absolut zeitlose Klassiker sind, die heute nicht mehr erreicht werden können. Wir selber finden übrigens nicht, dass wir uns im Bereich des 77er-Punk bewegen.

Warum braucht man immer noch „große“ Namen, um gewisse Leute dazu zu bewegen, ihren Arsch mal auf ein Konzert zu schwingen, ganz egal, wie belanglos und ohne Bezug zur Szene die jeweilige Band auch sein mag?

Weil gewisse Leute eben belanglos und langweilig sind und keinen Bezug zur Szene haben. Das ist, wie 2011 ein ROLLING STONES-Konzert zu besuchen und es geil zu finden. Aber so läuft es in der Punk-Szene schon seit einigen Jahrzehnten, ist eben in vielen Teilen auch nix anderes als Popkultur.

Habt ihr als junge, neue Band selbst die Erfahrung gemacht, dass man es diesbezüglich nicht unbedingt leicht hat, und welche Art Konzertbesucher geht euch dabei besonders auf den Sack?

Für uns lief bisher alles ziemlich gut und wir hatten Spaß daran, was wohl damit zu tun hat, dass uns eben genau solche Dinge nicht kümmern. Wir haben Bock zu spielen, und solange wir nicht vor oder mit irgendwelchen Vollhonks, stumpfer rechtsoffener Oi!-Kacke oder sonst irgendwie für uns fragwürdigen Ideologien und schlechter Musik zu tun haben, kommen wir vorbei und ziehen unser Set durch. Bis jetzt kam es nicht so oft vor, dass wir mit irgendwelchen „großen Namen“ die Bühne teilen mussten, und wenn, dann war das cool für uns. Wir würden aber auch definitiv mit den meisten Opa-Bands gar nicht erst zusammen spielen, dann lieber Kellerloch!

Was ist in der nächsten Zeit geplant, um diesen Leuten weiter in den Arsch zu treten?

Nachdem jetzt die Platte raus ist und die vier Wochen Marathon-Tour im Sommer gespielt wurde, werden wir Ende September/Anfang Oktober nochmals durch Europa touren, wohl viel UK, ein wenig Frankreich und auch fünf Shows in Deutschland zusammen mit BLANK PAGES, der neuen Band von Jay mit Ex-IDLE HANDS-Leuten. Dann erst mal locker bis Ende des Jahres vielleicht was aufnehmen. 2012 steht wohl noch die eine oder andere Tour in Europa sowie der lang ersehnte USA-Besuch an, und bestimmt wird auch mal irgendwas veröffentlicht. Das sind so die groben Pläne.