TUXEDOMOON

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Tränen lügen nicht

Wer in den letzten 30 Jahren eine Tanzveranstaltung besucht hat, die thematisch im weitesten Sinne mit Wave und Post-Punk bespielt wurde, der wird zwangsläufig mal „No tears“ von TUXEDOMOON gehört haben. Der 1978 veröffentlichte Titeltrack der ersten 12“-EP der ursprünglich aus San Francisco stammenden Formation mit seiner markanten Kreissägengitarre, dem schmerzhaft verzerrten Gesang und dem dünnen, blechernen Beat ist seitdem zum Über-Klassiker geworden. Blaine L. Reininger und Steven Brown – beide beschäftigten sich als Studenten des San Francisco City College mit elektronischer Musik – hatten die Band 1977 im Punk-Underground von San Francisco gegründet, und mit Hilfe verschiedener Klang- und Lichtkünstler entwickelte die Formation einen musikalisch wie visuell ganz eigenen Auftritt. 1978 waren sie Opener von DEVO, unterschrieben 1979 bei Ralph Records, dem Label der obskuren THE RESIDENTS, wo auch die beiden Alben „Half Mute“ (1980) und „Desire“ (1981) erschienen.

Zu diesem Zeitpunkt waren TUXEDOMOON längst nach Europa ausgewandert, ließen sich erst in Rotterdam („Joeboy In Rotterdam“ war der Titel eines zweiten 1981 erschienenen Albums) und dann in Brüssel nieder, in der Hoffnung, dass man ihre eigenwillige, experimentelle Musik auf dem alten Kontinent besser verstehen und mehr schätzen würde als in den USA. Denn „No tears“, der ewige Überhit, machte die Band auch zu so was wie einem „One Hit Wonder“, klingt doch kein anderer ihrer Songs so eingängig und punkig.

Eine Reihe von Besetzungswechseln folgte, mehrere weitere Platten auch, veröffentlicht auf dem belgischen Label Crammed Discs: „Divine“ (1982), „Suite En Sous-Sol-Time To Lose“ (1982), das kommerziell erfolgreiche „Holy Wars“ (1985), „Ship Of Fools“ (1986) und „You“ (1987), das einen vorläufigen Schlusspunkt setzte. Die Band pausierte die nächsten Jahre weitestgehend, doch 2004 erschien mit „Cabin In The Sky“ ein neues Album, dem seitdem mit „Bardo Hotel Soundtrack“ (2006) und dem „Jubiläumsalbum“ „Vapor Trails“ (2007) zwei weitere folgten. Seitdem und bis heute sind Steven Brown, Blaine L. Reininger, Bruce Geduldig, Luc Van Lieshout, Peter Principle und Winston Tong immer wieder mal gemeinsam aktiv, mit „77o7 Tm (The 30th Anniversary Box)“ erschien 2007 eine Werkschau, und für ganz detailversessene Fans kam 2008 Isabelle Corbisiers 476-Seiten-Biografie „Music For Vagabonds – The Tuxedomoon Chronicles“.

Ich sprach via Video-Skype mit dem heute in Athen lebenden Blaine L. Reininger, Jahrgang 1953, über „No tears“, die frühe Punk-Szene von San Francisco und seine heutigen Aktivitäten – auf Englisch, denn Reiningers Deutsch ist etwas eingerostet.


Blaine, wo und wann hast du Deutsch gelernt?

Damals in der Schule, in der Zeit, bevor Reagan Präsident der USA wurde und als im Gegensatz zu heute noch Geld für Bildung ausgegeben wurde. Als wir dann später in Deutschland tourten, war das natürlich sehr hilfreich. Und es half mir auch beim Niederländisch lernen. Vor allem aber waren meine Deutschkenntnisse hilfreich im Umgang mit den ostdeutschen Grenzbeamten beim Durchqueren der DDR auf dem Weg nach West-Berlin. Das war in den Achtzigern, als ich erst sechs Monate in Rotterdam gelebt hatte und dann nach Brüssel zog, wo ich schließlich 18 Jahre blieb.

Welche Rolle spielte die Dauerpräsenz in Europa für euch als ursprünglich in San Francisco ansässige Band?

Die europäische Szene versorgte uns mit Arbeit. Hier bekamen wir den Zuspruch, den wir in den USA nie bekommen hatten. Und wir bekamen auch Aufträge ganz anderer Art, wie Ballett- oder Filmmusik. Vor allem aber gab es in Belgien staatliche Hilfe und Zuschüsse für Kunst- und Kulturprojekte, so dass Leute wie wir tatsächlich eine Chance hatten, unsere Ideen auch umzusetzen. Das half enorm! Das war ein großer Unterschied gegenüber den USA, das ist Ausdruck einer ganz anderen Wertschätzung der Europäer gegenüber der Kunst. Die Amerikaner haben einfach kulturell gesehen diese puritanischen Wurzeln, die auf diese radikalen, fundamentalistischen Christen zurückgehen, die im 17. Jahrhundert aus England in die USA auswanderten. Das waren Leute, die aus England vertrieben wurden und sich in den USA in den neuen Kolonien ansiedelten. Diese Menschen hatten keinen Sinn und keine Zeit für Kunst, die sahen Kunst als dekadent an, und diese Einstellung hat sich in den USA bis heute vielfach bewahrt. Der Gedanke, staatliches Geld an dekadente, schwule, drogenabhängige Künstler zu geben, ist entsprechend nicht besonders beliebt. In diesem Kontext also war Europa für uns eine viel bessere Basis, wir konnten uns da viel besser entwickeln, als wir es wohl in den USA geschafft hätten.

Andererseits wird speziell San Francisco spätestens seit den Sechzigern und der Hippie-Bewegung von Europäern als Traumstadt angesehen, denn dort wurde radikal neue Musik, Literatur und Kunst gemacht, die man so im verschnarchten alten Europa nicht kannte. TUXEDOMOON sind also auch ein Produkt dieser Umgebung und Europa war hungrig nach Input aus den USA.

Das stimmt, und 1980 war in Europa auf jeden Fall weit weniger Aufbruchstimmung zu spüren als in San Francisco, das kam erst später. Die Stimmung in Europa war in den Achtzigern sehr zurückhaltend, kaum jemand war bereit, für seltsame künstlerische Experimente ein Risiko einzugehen, von Ausnahmen wie Karlheinz Stockhausen oder Joseph Beuys mal abgesehen, oder auch EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN. Die leisteten Pionierarbeit. Damals war es absolut außergewöhnlich, wenn sich ein paar Leute mit dem Ziel zusammenschlossen, irgendwas total Verrücktes, nie Dagewesenes zu machen, die Welt zu bereisen, auf Karriere zu verzichten, und dabei am Ende wie die CRAMPS auch noch hochhackige Schuhe zu tragen. Heute mag so was in Europa und USA „normal“ sein, man muss sich nur mal in Berlin irgendwo mit einem Metalldetektor an eine Straßenecke stellen und die Leute nach Piercings an den seltsamsten Stellen absuchen, aber 1980 war das eben ganz anders.

Wie sah der Background von TUXEDOMOON in San Francisco aus? Man steckt euch gewöhnlich in die Punk- und Post-Punk-Schublade.

San Francisco hat schon eine halbe Ewigkeit eine ziemlich verrückte Kunstszene, also seit der Gründung der Stadt um 1850 herum. Damals befand sich Kalifornien im Goldrausch, die Stadt zog Massen von Glücksrittern an, verrückte Typen, die alles hinter sich ließen, Richtung Westen zogen und darauf hofften, Gold zu finden. In San Francisco herrscht seitdem diese „Anything goes“-Einstellung, dazu kamen Prostitution, Glücksspiel und so weiter. Auf dieser Tradition gründete sich die Stadt, und so gab es dort schon immer verrückte Leute, und in dieser Folge existierte auch Mitte der Siebziger eine interessante, surrealistisch-dadaistische Szene, lange nachdem die Hippie-Zeit vorbei war. Die RESIDENTS waren Teil dieser Szene, bevor sich die Post-Punk-Szene entwickelte, und schon seit den späten Sechzigern gab es die Künstlergruppe Ant Farm, von denen auch die bekannte „Cadillac Ranch“ in Texas stammt, diese Skulptur aus mit der Schnauze in der Erde vergrabenen Autos. Die waren mit ihren Aktionen Vorläufer von unzähligen Kunstaktionen, die wir heute so kennen. Es gab allenthalben kleine Konzerte von eigenwilligen, surrealistischen neuen Bands, wie etwa den TUBES.

Du meinst die Band um Fee Waybill, von der „White punks on dope“ stammt?

Ja, deren Shows waren eine Mischung aus Comedy, Theater und Dada, die waren sehr lustig. Und dann ging es 1976 los mit den Punk-Konzerten im Mabuhay Gardens. Es war, als hätten alle nur darauf gewartet. All die Leute, die bislang schon diese dadaistischen Aktionen gemacht hatten, mussten sich nur minimal ändern und passten perfekt in diese neue Szene. Okay, sie mussten ihren Haarschnitt ändern und aufhören, Jeans mit Schlag zu tragen, aber das war’s auch schon – die Musik und die Songs konnten bleiben.

Und gab es eine Verbindung zwischen RESIDENTS, TUXEDOMOON und DEAD KENNEDYS?

Klar, das war eine Szene, da hatten alle zusammen Spaß. Die Grenzen zwischen den Bands verschwammen, all die Bands tauschten untereinander Musiker, man spielte gemeinsame Konzerte. Und der Mabuhay Gardens, die Konzerte dort, spielten eine sehr verbindende Rolle – mit vielen der Leute, die ich damals kennen lernte, bin ich bis heute befreundet. Dirk Dirksen hatte im Mabuhay Gardens das Sagen, er ist der legendäre Konzertveranstalter von San Francisco, und ich kann mich noch genau erinnern, wie man sich als Band dort vorstellen musste, um einen Auftritt zu bekommen, und er stand dann am Rand der Bühne und bestimmte mit seiner markanten Stimme, wer wann spielt: „Montagabend: Erst die NUNS, dann die AVENGERS, dann TUXEDOMOON!“ Wenn man dort eine Show bekam, war das eine große Sache, denn es bedeutete auch, dass man da auch was zu essen bekam – wir hatten doch alle keine Kohle, waren ständig abgebrannt, und während man da abhing, lernte man automatisch die Leute aus den ganzen anderen Bands kennen. Jello Biafra kannte ich übrigens schon, als er noch gar nicht so hieß. Das war eine echte Szene, das war eine schöne, aufregende Zeit.

Damals, 1978, entstand euer Überhit „No tears“, der stark aus dem Gesamtwerk von TUXEDOMOON herausragt. Wie stehst du heute zu diesem Lied?

Ich liebe es! Es ist ein großartiger Song. TUXEDOMOON hatten schon immer diese Tendenz zur Rockband, wobei dieser Einfluss vor allem von mir kommt. TUXEDOMOON, also Steven und ich, strebten immer in zwei Richtungen, und ich war immer der, der Richtung Rock strebte. Ich schrieb das Gitarrenriff und den Text, Steven den Rest, und wir hatten damals anfangs nur diesen kleinen Drumcomputer. Bald darauf hatten wir auch einen Drummer, Paul Zahl, und er trug dann maßgeblich zum Erfolg des Liedes bei, denn von ihm stammt dieser Tribal-Beat, der den Song so vorantreibt. Michael Belfer wiederum trug dieses wundervoll böse Gitarrensolo bei. Eigentlich unterschied sich der Song nicht groß von dem, was wir damals sonst musikalisch so machten, nur nahmen wir davon kaum was auf, und wir haben uns dann einfach in eine andere Richtung entwickelt. Auf unserer Rarities-Collection kann man sich aber ein paar andere frühe Aufnahmen anhören, daran lässt sich das nachvollziehen. Wir hatten damals diese zerstörerische Einstellung, einen Song einmal zu spielen und dann nie wieder.

Im Laufe der Achtziger hatte sich „No tears“ dann zu einem Klassiker entwickelt, der im Programm keiner Gruftie-Disko fehlen durfte, wie auch „Temple of love“ von SISTERS OF MERCY. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Dabei ist es ein starker Kontrast zu dem, was wir sonst so machen, was dazu führt, dass die Leute den Song auch live hören wollen, ein Wunsch, den ich ihnen gerne erfüllen würde, aber Steven ist dagegen. Der hatte schon keine Lust mehr, den live zu spielen, einen Monat nachdem er aufgenommen worden war: „Nee, das ist alt, das will ich nicht mehr!“ Wir hatten damals einen Auftritt in New York, und der Clubbesitzer wollte wissen, an welcher Stelle im Set wir „No tears“ spielen. Steven sagte natürlich, wir würden das überhaupt nicht mehr spielen, das sei alt, woraufhin der Clubbesitzer meinte: „Hör mal gut zu, Honey, ich hab euch geholt, weil der Song hier im Club ein großer Hit ist, und deshalb werdet ihr den spielen – oder ihr könnt gleich wieder nach Hause fahren.“ Und so spielten wir „No tears“, hahaha. Wenn ich solo auftrete, spiele ich „No tears“ bis heute – morgen zum Beispiel, da habe ich einen Auftritt hier in Athen.

Du lebst in Athen?

Ja, wenn ich auf meinen Balkon trete, kann ich die Akropolis sehen.

Und wie lebt es sich in Zeiten der Krise in Griechenland?

Ich habe da gemischte Gefühle. Das Thema zermürbt einen mit der Zeit, und das Leben besteht auch nicht nur aus Krise. Das Alltagsleben geht normal weiter, trotz all der Streiks. Man merkt die Krise an so Punkten wie der Finanzierung eines großen Festivals, bei dem ich auch involviert bin: Letztes Jahr klappte das noch mit Sponsoring und Zuschüssen, dieses Jahr ist das alles wackelig. Und aus diesem Grund sind auch schon ein paar Events ausgefallen. Die Leute hier tun sich schwer mit dem Gedanken, dass der Staat kein Geld mehr haben könnte, um Musik und Kunst zu unterstützen.

Wovon du selbst aber kaum betroffen sein dürftest mit deinen internationalen Kontakten. Was steht an?

Ich arbeite an zwei Theaterprojekten und einem Tanzprojekt, und zum Aufnehmen brauche ich wenig mehr als mein Laptop, so dass ich ständig neue Sachen aufnehme, hier in meiner Wohnung. Dieses Zimmer hier ist mein Studio.

Und wie sah deine technische Ausstattung Ende der Siebziger aus?

Steven und ich besuchten damals beide das San Francisco City College und beschäftigten uns da mit elektronischer Musik. Unser Dozent war ein ziemlich cooler Typ, der hatte zusammen mit Studenten einen E-mu-Synthesizer aufgebaut, und da gab es auch ein Vierspur-Bandgerät sowie ein Mischpult, und mit dieser Gerätschaft machten wir unsere ersten Gehversuche. Steven arbeitet auch für eine freie Theatergruppe namens Angels of Light, die hatte auch sehr gute Ausrüstung, zu der wir Zugang hatten. Wir arbeiteten mit dem Polymoog-Analog-Synthesizer, und Tom Tadlock war unser Elektronik-Zauberer, der baute uns Instrumente nach unseren Vorstellungen. Ich hatte mir ein Rig für Gitarre und Violine ausgedacht, er setzte das um, solche Sachen eben. Meist hatten wir aber nur einen Synthesizer und viele Effektgeräte. Und ich habe bis heute meinen kleinen Casio hier, das war eines der ersten Keyboards für Normaluser. Als wir unser erstes Album „Half Mute“ aufnahmen, waren wir in einem Studio, die hatten dort eine Serge-Synthesizer, und die schafften es, meinen Casio zu modifizieren, der hatte dann vier Oktaven und hundert Stimmen mehr. Uns machte es damals großen Spaß, Leute zu treffen, die Synthesizer bauen und modifizieren konnten, und wir experimentierten sehr viel. Unsere Ausrüstung bestimmte unseren Sound, aber auch unser kreativer Umgang damit. Presets interessierten uns nicht.

Heutige Musiker haben es da einfacher, Gitarristen können sich ganze Batterien an fertigen Effektgeräten auf die Bühne legen.

Aber was nützen die dir, wenn du selbst keine Ideen und musikalischen Fähigkeiten hast? Wenn du smart bist, kannst du selbst mit Schrott gute Musik machen, dann reichen dir Hühnerknochen und leere Katzenfutterdosen. Gleichzeitig kann natürlich jemand, der was drauf hat und über gute Technik verfügt, sehr interessante Ergebnisse erzielen. Technik ersetzt kein Talent. Das Problem ist immer die erste Begeisterung für eine neue Technik und was dann daraus gemacht wird. AutoTune ist dafür ein sehr gutes Beispiel, das kann doch heute keiner mehr hören.

Auf Crammed Discs ist jüngst mit „Unearthed: Lost Cords/Found Films“ eine Zusammenstellung von frühen Non-Album-Tracks erschienen, ergänzt um eine DVD mit Videoclips.

Wie ich ja vorhin schon erzählte, wurden in unserer Frühzeit viele unserer Songs nie aufgenommen, und vieles, was aufgenommen wurde, wurde nicht veröffentlicht. Diese Lücke soll diese Veröffentlichung schließen helfen, denn TUXEDOMOON waren von Anfang an eine Band, die regelmäßig im Studio war. Es gibt also eine Menge Material, und zudem leben wir heute über die ganze Welt verteilt, da ist es schwierig, überhaupt noch zum Aufnehmen zusammenkommen. Da ist durchaus einfacher, den Namen TUXEDOMOON durch das Veröffentlichen alter Aufnahmen im Gespräch zu halten. Aktuell arbeiten wir aber tatsächlich an der Planung neuer Aufnahmen, in den nächsten zwei Jahren könnte es also durchaus was werden mit einem neuen Album.