WRECKLESS ERIC

Foto

The Donovan Of Trash

Viele kennen „Whole wide world“ sicherlich in einer seiner zahlreichen Coverversionen oder aus dem Film „Stranger Than Fiction“, in dem Hauptdarsteller Will Ferrell den Song auf der Akustikgitarre klimpert um somit das Herz seiner Angebeteten zu erobern. Was die meisten jedoch nicht wissen: ursprünglich stammt der Song aus der Feder von Punkrock-Urgestein Wreckless Eric – bürgerlich: Eric Goulden. Leider sollte „Whole wide world“ sein erster und einziger Hit bleiben.

Ian Dury saß damals am Schlagzeug, Nick Lowe übernahm den Bass und die Produktion, und um die Veröffentlichung kümmerte sich Stiff Records. Neben Elvis Costello und Bands wie THE DAMNED, MADNESS und MOTÖRHEAD war auch Eric dort bestens aufgehoben. Nach vier recht erfolglosen Alben widmete Eric sich dann neuen musikalischen Projekten wie CAPTAINS OF INDUSTRY (mit BLOCKHEAD-Mitgliedern), THE LEN BRIGHT COMBO (mit ehemaligen Musikern der MILKSHAKES) und LE BEAT GROUP ELECTRIQUE und nicht zuletzt auch der Schriftstellerei. Zwar ging „The Donovan of Trash“ bereits in den frühen 90ern mehrmals auf Lesetour, krönte seine „Karriere als Vollzeitalkoholiker“ jedoch erst 2004 mit der Veröffentlichung seines Buches „ A Dysfunctional Success – The Wreckless Eric Manual.

2006 lernte er auf Tour die amerikanische Singer/Sonwriterin Amy Rigby kennen und die beiden heirateten. Amy spielte unter anderem bei der No-Wave-Band STARE KITS, den Cow-Punk-Pionieren LAST ROUNDUP und dem Riot grrrl-Folk-Pop-Trio SHAMS bevor sie 1996 mit dem Album „Diary Of A Mod Housewife“ ihre Solokarriere einläutete. Nachdem sie zu Eric nach Frankreich zog, brachten die Eheleute 2008 ihr gemeinsames Album „Wreckless Eric & Amy Rigby“ raus.

Anlässlich eines Konzerts in der Hamburger Kampnagelfabrik unterhielt ich mich mit den beiden über die Bedeutung von Punk in ihrem Leben und bewog sie zu subkulturanthropologischen Vergleichen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich.


Amy, du bist in Pittsburgh aufgewachsen und 1976 nach New York gezogen. Wie hast du die Geburt und frühe Entwicklung des Punks damals erlebt?

Amy:[/b] Punk spielte sich von Anfang an in den Großstädten ab, stieß aber eher bei Künstlern, Kunststudenten und Musikern als bei der breiten Masse an Jugendlichen auf Interesse. Punk sprach damals nur einen kleinen Kreis an und tauchte dementsprechend auch nicht in den Massenmedien auf. Es war also beinahe unmöglich, an Informationen über die Bewegung zu gelangen. In New York bekam ich davon zwar sehr viel mit, aber beispielsweise mein Bruder, der noch in Pittsburgh wohnte, konnte nur staunen, wenn ich ihm von meinen Punkerfahrungen erzählte. Während ich ins CBGBs ging und die RAMONES sah, bestand Punk für ihn zunächst nur daraus, mit gebleichten Haaren in die Schule zu gehen. Dazu bemalte er sich seine T-Shirts so wie er es sich von THE CLASH abgeguckt hatte. Auch wenn das aus heutiger Sicht nicht sonderlich beeindruckend ist, kannten ihn andere Kinder auf seiner Schule als „Punk Mike“. Insgesamt bekam man also von Punk verhältnismäßig wenig mit, was sicherlich auch daran lag, dass die Szene kaum untereinander vernetzt war. In England hingegen wurde das Punk-Phänomen von den Medien ja ziemlich aufgebauscht.

Eric: Ich denke, dass Amy damit nicht Unrecht hat. Als die SEX PISTOLS Ende 1976 in der TV-Sendung von Bill Grundy waren und sich absolut daneben benahmen, kannten die Zeitungen in den darauffolgenden Tagen kaum noch ein anderes Thema. Eine Sache wird beim Punk jedoch immer wieder falsch eingeschätzt: genau wie in den USA war Punk zunächst keine Working-Class-Rebellion, sondern ging auch eher von intellektuell-alternativen Kreisen wie den Kunststudenten aus und war somit auch in den größeren Städten beheimatet. Durch Bands wie ANGELIC UPSTARTS oder SHAM 69 geriet dies jedoch schnell in Vergessenheit.

Gab es – abgesehen von der unterschiedlichen Aufbereitung des Punk-Phänomens und dem grundverschiedenen öffentlichen Interesse, das ihm zu Teil wurde – noch andere schwerwiegende Unterschiede, zum Beispiel im Selbstverständnis oder in der Definition von Punk?

Amy: Klar gab es da Unterschiede. Punk in den USA entsprang zunächst einer Kombination aus Popkultur der 50er, Filmen, klassischem Rock’n’Roll und schwarzen Lederjacken. Prägend war auch das „Punk Magazine“, das von John Holmstrom, Ged Dunn und Legs McNeil herausgegeben wurde. Darin gab’s Cartoons von den RAMONES, kurze Comicstrips mit Debbie Harry oder Joey Ramone. Klar, RAMONES und eigentlich alle Bands, die im CBGBs auftraten, beeinflussten die Punkbewegung in ihrem Selbstverständnis. Dann gab es noch die CRAMPS, später kamen Gruppen aus Cleveland wie die DEAD BOYS dazu. Das wurde dann Punk genannt und daran orientierten sich die Kids. Etwas später diente Punk dann auch als Plattform für den etwas musikalischeren New Wave mit Bands wie XTC oder ULTRAVOX. In New York spielten die ganzen Gruppen, die in England angesagt waren, wie BLONDIE oder die NEW YORK DOLLS

Du zählst ja einige amerikanische Vorzeige-Punkbands auf – wie kamen denn britische Bands bei euch an?

Amy: Für uns war es eine wirklich große Sache, wenn eine britische Band nach Amerika kam. Als X-RAY SPEX spielten, kamst du nicht ins CBGB’s rein, so voll war es. WIRE spielten gleich an zwei Abenden. Die späteren Bands wie CLASH spielten im Palladium, in einem großen Konzertsaal. Das waren Profis, die lieferten eine richtig große, mehr oder weniger professionelle Show ab. Ich weiß auch nicht, ob man CLASH als Punk bezeichnen sollte, denn bei denen war das eher dieses alte Showbusiness-Ding: Du gehst raus und lieferst eine Show ab. Bald darauf gab es die ersten Abspaltungen, es kam das ganze No-Wave-Ding auf, mit Künstlerinnen wie Lydia Lunch, und in diese Fußspuren traten dann auch britische Bands wie die SLITS. Wir gründeten unseren eigenen kleinen Club, da waren eher Gruppen wie SLITS oder RAINCOATS anzutreffen. Spätestens ab dem Zeitpunk wird es noch schwieriger, englische und amerikanische Besonderheiten im Punk ausmachen zu können. Es war chaotisch, aber es konnte immer etwas Spannendes passieren, oder eben auch nicht.

Eric, war das mit dem Pioniergeist und der Experimentierfreude bei euch ähnlich?

Eric: Das war bei uns anders. 1978/79 konnten wir uns nicht den Luxus erlauben, das Bands rumexperimentieren oder eine Platte floppt. Für Konzerte haben die Leute hohe Ticketpreise gezahlt, da war viel Geld im Spiel. Die Agenturen konnten sich da keinen Fehlgriff erlauben, denn dann wären die Leute nicht wieder gekommen. Diese Konzerte, bei denen sich etwas entwickeln könnte oder auch nicht, die waren nicht mehr drin. Einige Bands konnten damit umgehen, ECHO & THE BUNNYMEN beispielsweise haben damit ihre Karriere begründet: mal waren sie grandios, mal entsetzlich.

Amy: Ähnlich wie die REPLACEMENTS in Amerika, die waren in gewissen Kreisen sehr beliebt. Wenn du sie aber live gesehen hast und es nicht funkte, da hattest du das Gefühl, sie sind beschissen – sie haben nichts aus ihren Möglichkeiten gemacht.

Eric: Der schlechteste Gig, an den ich mich aus dieser Zeit erinnere, war von Johnny Thunders. Die Leute wähnten ihn am Ende seiner Karriere und kamen, um ihn noch einmal zu sehen. Es könnte ja seine letzte Show sein, und vielleicht stirbt er ja vor ihren Augen auf der Bühne. Das ist wirklich traurig, aber ich kenne Leute, die genau aus diesem Grund seine Konzerte besucht haben. Es ist deprimierend zu sehen, welchen Weg Punk ging.

Amy: Für mich war eine andere Sache bedeutsam, und zwar als Sid Vicious kam und im Max’s Kansas City in New York auftrat. Er hatte eigens dafür eine Band zusammengestellt. Das war ein totaler Schwindel und du kamst dir verarscht vor. Es war alles nur, um Geld zu machen – eine riesige Enttäuschung! Ich vermute mal, wenn du aus England kommst, dann wusstest du, dass Sid eine Punk-Galionsfigur war, er war aber kein echter Musiker, und das war traurig.

Eric, kannst du dich noch an dein erstes Punk-Konzert erinnern?

Eric: Einer meiner ersten Punk-Gigs waren CLASH, als dritte Band bei einem Sunday-Night-Roundhouse-Konzert 1976 in London mit KURSAAL FLYERS und CRAZY CAVAN & THE RHYTHM ROCKERS. Ich weiß gar nicht, warum hier CLASH auch noch im Vorprogramm dabei waren. CRAZY CAVAN sind eine fantastische Rockabilly-Band, die habe ich ein paar Mal gesehen. Und CLASH waren dagegen so merkwürdig, sie hatten diese besprühten Hosen an. Es war ein unglaublicher Lärm, drei Gitarren, die sich langsam verstimmten, Joe Strummer kannte ich schon, als er bei den 101’ERS war. Ich stand also da und überlegte, ist das gut, gefällt mir das? Und ja, es war unwiderstehlich! Nach einigen Stücken fingen die Leute an zu rufen und Strummer sagte: „Ich möchte euch nur eine Sache fragen: Warum zum Teufel seid ihr heute Nacht hergekommen? Warum seid ihr hier?“ Irgendjemand antwortete: „Um Bier zu trinken.“ Strummer antwortete: „Warum schleppst du dann nicht deinen verfetteten Körper in die Bar?“ Es war großartig.

Und wie hat sich dein Blick auf die Szene über die Jahre verändert, was ist heute noch davon übrig?

Eric: Also, das ist so eine Sache ... Damals hatten wir den Anspruch, die Musikindustrie verändern zu wollen– genauso, wie wir die ganze Welt verändern wollten. Aber letztendlich drehte sich doch alles wieder um Betrug und Abzockerei. Alles war ein Rip-off, denn es war gar nicht so, es drehte sich alles nur um die Kids. Es war alles total falsch. Wenn man im Nachhinein die Auswirkungen von Punk betrachtet, wird man feststellen, dass alles noch schlimmer wurde, als es vor Beginn der Punk-Ära war. Dennoch, der vielleicht wichtigste Aspekt an Punk war, dass uns gezeigt wurde, wogegen wir uns auflehnen konnten – und zu dieser Zeit gab es viel, wogegen du aufmucken konntest. Ich wollte aber letztlich einfach nur ein Popsänger sein, kein Popstar. Lass es mich so sagen: Ich will keine Sicherheitsnadeln in der Backe, ich will nicht diese Hosen mit diesen blödsinnigen Gurten zwischen den Beinen tragen, ich will nicht meine Haare färben. Mein Ding ist die Liebe zu meinem Hohner-Orgaphon-40-Watt-Verstärker und eine Top-20-Gitarre, dieser scheppernde Sound – und das ist alles.