MIGHTY MIGHTY BOSSTONES

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This is Boston and L.A.

So kommt eins zum anderen: Nachdem ich dieses Jahr bereits zwei Live-Berichte zu THE MIGHTY MIGHTY BOSSTONES abgeliefert hatte – Hometown Throwdown Boston und Wien/Stuttgart –, werde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein Interview zum neuen Album mit der Band zu machen. So sitze ich also an einem Samstagabend Ende Oktober zu Hause und warte darauf, dass Dicky Barrett, der ebenso charismatische wie durch seine tiefergelegte Stimme absolut unverkennbare Sänger der Band, bei mir anruft. War vor vier Jahren noch gar nicht absehbar, ob sich TMMB nach ihrer ebenso langen Auszeit noch einmal zusammentun würden, nimmt die Band seit Ende 2007 wieder richtig Fahrt auf. Auf das erste Lebenszeichen „Medium Rare“, eine Zusammenstellung von Raritäten sowie einigen neuen Songs, folgte vor zwei Jahren das überragende achte Album „Pin Points & Gin Joints“, und jetzt steht mit der Veröffentlichung des Hit-Feuerwerks „The Magic Of Youth“ Album Nummer neun an.

TMMB nehmen in dem ansonsten recht ausgebrannten Genre Ska-Punk nach wie vor nicht nur eine absolut erhabene Ausnahmestellung ein, sie schaffen es tatsächlich als eine der wenigen Bands auch nach mehr als 20 Jahren in Sachen Songwriting noch nachzulegen und ein absolutes Meisterwerk abzuliefern. Hierüber und über vieles andere unterhielt ich mich mit dem Mann, der als Skate-Kid in der frühen Bostoner Hardcore-Szene aufwuchs und jetzt in L.A. lebt, wo er bereits seit sieben Jahren hauptberuflich als Ansager der „Jimmy Kimmel Live!“-TV-Show bei einem der größten Fernsehsender der USA engagiert ist. Wenn Dicky übrigens im Verlauf des Interviews immer wieder viel Gutes von Weggefährten und Mitstreitern zu berichten hat, dann ist das keinesfalls aufgesetzt, sondern kommt absolut von Herzen. Man hat es einfach mit einem grundehrlichen, total netten und coolen Typen zu tun, der wie alle anderen Bosstones auch größten Respekt vor anderen Bands, Freunden und Fans zeigt.

Bevor ich mit dem Frage-und-Antwort-Spiel starte, stelle ich mich Dicky noch einmal vor. Als ich erwähne, dass wir uns letztes Jahr beim Meet & Greet vor dem 13. Hometown Throwdown in Boston getroffen hatten, ist das Eis direkt gebrochen und Dicky erinnert sich: „Ach, du bist der Kerl, der mir das St.-Pauli-T-Shirt gegeben hat!. Das habe ich gestern erst getragen.“


Dicky, wir haben uns zuletzt nach eurem Auftritt in Stuttgart getroffen. Ihr seid anschließend als Headliner bei den großen UK-Festivals in Reading und Leeds aufgetreten und hattet nach eurer Rückkehr einen Auftritt im Fenway Park, dem legendären Stadion der Boston Red Sox, eine seltene Gelegenheit. Wie war’s?

Nachdem wir in Leeds und Reading gespielt hatten, konnten wir zusammen mit den DROPKICK MURPHYS im Fenway Park in unserer Heimatstadt spielen, es war absolut genial. Es ist das Baseball-Stadion, das ich seit meiner Kindheit besucht habe, und es ist die Nachbarschaft, in der ich aufgewachsen bin, Kenmore Square, wo wir als Kids abhingen und wo „unser“ Club war.

Du meinst den legendären Punk-Club The Rat beziehungsweise The Rathskeller, vergleichbar mit dem CBGB in New York.

Ja, ich habe direkt darüber gewohnt.

Wo wir gerade über die DROPKICK MURPHYS sprechen: Ihr habt die Band in Europa „eingeführt“ als Support auf eurer „Let’s Face It“-Tour 1997, damals noch mit Mike McColgan als Sänger. Heute ist die Band unglaublich erfolgreich, füllt hier Hallen mit 6.000 Fans oder spielt als Headliner auf großen Festivals. Wie ist eure Beziehung inzwischen?

Es war eine andere Band damals, als Mike als Sänger und Rick als Gitarrist noch dabei waren. Sie machen heute ein ganz anderes Ding, auch wenn Bassist Kenny und Schlagzeuger Matt Kelly immer noch in der Band sind. Kenny ist einer meiner besten Kumpel, wir kennen uns seit unserer Kindheit und ich würde alles für ihn tun, ich denke, umgekehrt ist es genauso. Es ist fantastisch, dass sie so einen großen Erfolg bei euch haben, das war mir gar nicht so bewusst. Ich freue mich für sie, sie sind wie Brüder für mich und sie arbeiten extrem hart und ziehen ihr Ding durch. Ich bin sehr stolz auf sie, wie auf alles, was aus Boston kommt – ich liebe die Red Sox, die Bruins, die DROPKICK MURPHYS und die Boston Celtics! Wir sind sehr eigen in Boston – wir wünschen immer allem aus Boston Erfolg, und wenn der Erfolg dann da ist, dann beanspruchen wir ihn für uns. Boston ist eben der Grund, dass sie so gut sind.

Ich hatte einen Riesenspaß bei euren beiden Club-Shows in Wien und Stuttgart. Ich fand es absolut unglaublich, wie die Fans ausgerastet sind und alle Songs mitsingen konnten. Wie war es, nach acht Jahren wieder in Europa zu spielen?

Es ist riesig, wenn man sieht, wie ganz junge Fans zusammen mit den alten Spaß haben. Es war eine großartige Atmosphäre. Findest du nicht auch, dass die Stimmung in Wien überragend war? Echt unglaublich, was für eine verschwitzte, heiße Nacht! Alle schienen extrem viel Spaß zu haben! Es war grandios und es hat mich zugleich auch traurig gemacht, dass es so lange her war, dass ich hier gespielt habe.

Bei der Show in Stuttgart hast du Campino und DIE TOTEN HOSEN gegrüßt, für die ihr 1994 Support wart. Woran erinnerst du dich?

Wir hatten eine großartige Zeit zusammen und die TOTEN HOSEN sind super Typen. Wir können nicht nach Deutschland kommen, ohne uns an die Jungs zu erinnern und an den Spaß, den wir mit ihnen hatten. Wir haben von ihnen eine Menge darüber gelernt, wie man seine Tour-Crew, seine Support-Bands und die Fans behandelt.

Ihr hattet in die Tourwoche auch zwei freie Tage eingebaut, vor und nach den Festivalauftritten. Ich hatte eigentlich noch auf ein paar mehr Club-Shows gehofft, da ich keine Open-Airs mag. Werdet ihr alt, braucht ihr eure Ruhepausen?

Haha, absolut! Um ehrlich zu sein, liebe ich es, mich auszuruhen und zu faulenzen. Das liebe ich wirklich mehr als alles andere in meinem Leben. Ich weiß nicht, ob ich es brauche, aber ich habe ein Verlangen danach. Es liegt gar nicht daran, dass ich alt werde, ich mochte das schon als Kind. Und wegen der Club-Shows gebe ich dir absolut recht, ich mag sie auch lieber, aber man erreicht eben mehr Leute bei Festivalauftritten.

Als ihr Ende 2003 eure unbestimmte Auszeit angekündigt habt, war das ein absoluter Alptraum für alle TMMB-Fans weltweit. Was hat euch dann 2007 motiviert, die Band wieder aufleben zu lassen?

Wir gingen auf die 40 zu und haben zusammen Musik gemacht, seit wir in unseren Zwanzigern waren. Wir haben gedacht, dass es vielleicht andere Dinge in unserem Leben gibt, die wir tun könnten. Also haben wir entschieden, eine Auszeit zu nehmen und diese zu genießen. Dann ist uns bewusst geworden, dass wir eigentlich sehr gern zusammen in der Band spielen. Wir lieben TMMB und die Leute mögen, was wir tun, also haben wir uns wieder zusammengetan. Uns geht es nicht darum, einen Hit zu schreiben, ständig im Radio gespielt zu werden oder das zu machen, was gerade angesagt ist. Es geht um uns als Band und darum, genau das zu machen, was wir machen wollen, und um nichts anderes. Und was soll ich sagen, seit der Reunion macht es mehr Spaß als jemals zuvor! Wir müssen nicht größer sein als die DROPKICK MURPHYS, das ist uns nicht wichtig. Wir wollen die TMMB sein und dafür unser Bestes geben.

Welchen Einfluss hatten die Fans, die sich Tag für Tag auf MySpace euer Comeback gewünscht haben? Das war unglaublich, wie sich zum Beispiel Väter nichts sehnlicher gewünscht haben, als dass sie die Band noch einmal zusammen mit ihrem Nachwuchs spielen sehen dürfen.

Ich bin froh, dass ich nichts von dem gesehen habe, es hätte mir das Herz gebrochen. Ich bin nicht bei Facebook, MySpace und ich habe keinen Twitter-Account, obwohl ich weiß, dass TMMB einen haben. Wenn ich es gelesen hätte, hätte es mich fertig gemacht, aber ich brauchte wirklich ein paar Jahre für mich selbst, um mir über einige Dinge klar zu werden. Der Grund dafür, dass wir wieder zusammengekommen sind, ist einfach der, dass wir gerne Musik machen. Ich liebe Joe, ich liebe Ben, ich liebe Lawrence, den Schlagzeuger Joe und die Jungs aus der Bläsersektion, Tim – sie sind meine Familie, meine Brüder. Wir waren sehr miteinander verbunden, dann sind wir getrennte Wege gegangen, um am Ende herauszufinden, dass wir wieder zusammen sein wollen. Und es ist großartig! Ich freue mich sehr, dass Leute uns gerne wieder zusammen sehen wollten und uns vermisst haben, und ich wollte auf keinen Fall jemanden verletzen. Es macht mich natürlich auch stolz und ist ein Zeugnis dafür, dass wir eine wirklich gute Band sind. Aber jetzt gebe ich vielleicht etwas zu sehr an ... Nichtsdestotrotz: es ist mein Leben, ich habe noch einige Jahre Lebenszeit vor mir und muss sehen, was ich daraus mache.

Ihr habt alle Jobs und Familie, wie teilt ihr die Zeit auf und wie kriegt ihr das mit der Band hin? Gibt es Diskussionen darüber, wie viel Zeit in die Band und in Touren investiert werden soll? Du bist Ansager bei der „Jimmy Kimmel Live!“-Show, die jetzt schon sieben Jahre lang sehr erfolgreich im Fernsehen läuft. Gibt es nur bestimmte Zeiten, in denen du Urlaub nehmen kannst?

Ja, ich bin Ansager bei „Jimmy Kimmel Live!“, der besten Late-Night-Show, nicht nur der USA, sondern der Welt! Es ist wirklich die beste Late-Night-Talkshow und ich bin stolz darauf dazuzugehören. Ich mag die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, und ich liebe den Job. Es bringt mir viel Spaß, die Leute behandeln mich sehr fair und sie wissen, dass ich bei TMMB bin, sie lieben die Band und respektieren es. Es gibt Zeiten, in denen die Show nicht läuft und ich frei habe. Ich würde keinen Ersatz für mich ranlassen, dann würden sie nachher noch merken, dass ich nicht so gut bin, haha. Das könnte ich nicht zulassen. Wenn wir also Zeit finden zu spielen, spielen wir. Joe ist College-Professor, er lehrt „Music Business“ in Vermont, und Tim lebt in Florida. Wir finden trotzdem irgendwie immer noch Zeit, uns zu treffen, Songs zu schreiben, aufzunehmen und zu touren. Und natürlich diskutieren wir alles in der Band. Ich denke, alle sind sehr glücklich damit, wie es momentan läuft. Ich wünschte, wir könnten es hinbekommen, häufiger zu touren, aber, wie gesagt haben wir alle auch noch Familie. Es darf auch keine Verpflichtung werden, es muss Spaß machen! Es darf sich nicht wie Arbeit anfühlen, so als wären wir Berufsmusiker. Vor der Auszeit war es am Ende so, dass wir uns verpflichtet fühlten, irgendwo zu erscheinen und bestimmte Dinge zu tun. Es erschien zu sehr wie ein Zwang. Wir haben die Band gegründet, weil wir es alle wollten, und vor der Auszeit fühlte es sich dann so an, als ob wir es tun mussten und unser Leben davon abhing. Es ging am Ende so weit, dass wir nicht mehr Nein sagen konnten. Wir mussten irgendwo hinfahren, wo wir nicht sein wollten, und Leute haben gesagt: Du musst mit diesem Typ reden, du musst zu dieser Zeit da und da sein, und das entsprach einfach nicht mehr dem, weshalb wir die Band gegründet hatten. Wir wollten nichts tun müssen, wir wollten nur das tun, was wir auch wirklich machen wollten. Also haben wir uns zurückgezogen – und zum Glück mögen die Leute uns jetzt immer noch.

Ihr habt wohl mit die besten und treuesten Fans in der Welt, die sogenannten „737“.

Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel sie uns bedeuten. Wir haben so viel Glück, dass wir diese Fans haben. Deshalb mache ich mir auch immer Sorgen, wenn wir eine neue Platte rausbringen: Ich will sie nicht enttäuschen! Wenn wir eine Platte fertig aufgenommen haben, fragen wir uns, was die Fans davon halten werden. Sollten wir das Gefühl haben, dass sie die Platte schlecht finden könnten, würden wir sie wahrscheinlich nicht rausbringen. Wir wollen unseren Wurzeln auch treu bleiben, aber gleichzeitig muss man sich auch entwickeln und reifen. Der alte Mann, der immer noch denkt, er ist jung und sexy, ist doch eher peinlich. Ich denke immer daran, dass Sinatra in Würde gealtert ist, er hat es irgendwie rausgehabt.

Viele eurer Fans haben TMMB-Tattoos, die kann man sich zum Beispiel auf eurer MySpace Seite ansehen. Ich habe dieses Jahr auch noch vor, mir eins machen zu lassen, erst mein zweites neben ROCKET FROM THE CRYPT. Was denkst du darüber?

Oh, du hast ein Rocket-Tattoo?! Ich liebe diese Band, sie waren unglaublich! Sie waren sooo gut, die Band sollte wieder zusammenspielen und mit uns auf Tour gehen! Aber es ist schwer, jemandem zu einem Tattoo zu raten. Wenn es einem viel bedeutet, dann sollte man es auf jeden Fall tun. Nicht aber, wenn man nur denkt, das könnte ganz cool aussehen, das mache ich mir mal. Ich möchte niemandem zureden, seine Arme zu ruinieren. Ich habe selbst eine Menge Tattoos und alle haben eine Bedeutung für mich. Ich weiß nicht, ob ich sie mir alle noch einmal stechen lassen würde, aber sie bedeuten mir etwas. Sie sind auf jeden Fall Teil meines Lebens.

Ich hatte das Glück, letztes Jahr beim 13. Hometown Throwdown in Boston gewesen zu sein. Was bedeuten euch diese Shows und gibt es eine Chance auf einen Sommer-Throwdown?

Ich glaube, 2010 war wirklich großartig, und ich hoffe, dass dieses Jahr ähnlich gut wird. Ich glaube schon, aber letztes Jahr zu überbieten, wird sehr schwer sein. Es war sehr aufregend, auch was das Wetter angeht, da war dieser mächtige Blizzard! Sommer-Throwdowns wären mit Blick auf das Wetter sicher clever. Es kommen immer mehr Leute aus aller Welt eingeflogen und es würde es ihnen einfacher machen zu reisen. Einen im Sommer und einen im Winter, das ist eine gute Idee! Es hört sich aber nach verdammt viel Arbeit an, haha.

Als ihr 2002/03 in Europa getourt seid, hast du es dir bei keiner Show nehmen lassen, klar Stellung gegen George W. Bush zu beziehen. Seit Barack Obama an der Macht ist, haben sich die Dinge denn jetzt zum Positiven gebessert? Und was sagst du zur Tea-Party-Bewegung – der christlich-rechtskonservative Abspaltung der Republikaner?

Na ja, gegen George W. Bush zu sein, war ja keine große Sache, haha. Ich würde es ja auch nicht mögen, wenn es eine nukleare Katastrophe gäbe. Alles, was ich von einem Präsidenten erwarte, ist, dass er cleverer als ist ich, und das ist nicht so schwierig. Ich dachte immer, wenn George W. Bush bei den Bosstones wäre, wäre er der dümmste Bosstone. Er wäre der Typ, über den wir uns die ganze Zeit lustig machen würden. Die Bush-Jahre waren eine bekloppte und beängstigende Phase in der amerikanischen Geschichte. Jetzt haben wir einen clevereren Präsidenten, aber ich bin mir nicht sicher, ob sich die Dinge so sehr geändert haben. Der historische Ursprung der Tea Party war schon eine total alberne Geschichte.

1773 warfen Bürger von Boston eine Lieferung englischen Tee im Hafen vom Schiff ins Wasser, weil sie durch die Besteuerung des Tees durch die britischen Kolonialherren ihre Unabhängigkeitsbestrebungen gefährdet sahen. Das Ganze ist als „Boston Tea Party“ bekannt und darauf bezieht sich die heutige „Tea Party“-Bewegung.

Die Idee war, Position gegen Steuern zu beziehen. „Lasst uns runter zum Bostoner Hafen gehen und den Tee ins Wasser werfen!“ „Aber was ist, wenn wir geschnappt werden?“ „Nein, wir werden nicht geschnappt, weil wir uns als Indianer verkleiden, also kriegen die den Ärger.“ Es war eine ziemlich feige Tat. Und es machte auch nicht viel Sinn, dass die Leute glauben sollten, dass die Indianer den Tee ins Wasser geworfen haben, dann wäre es doch nur Vandalismus von Indianern gewesen ... Und was die heutige Tea Party angeht: das ist sogar alles noch beknackter! Ich finde es gut, wenn Leute genervt sind, wenn politisch aktiv werden und etwas verändern wollen. Aber die meisten in der Tea Party haben sogar Probleme, richtig zu buchstabieren. Das macht sich nicht gut auf politischen Plakaten, haha.

Einer eurer frühen Songs, „Guns and the young“, handelte von Gangs und Gewalt in Boston. Außerdem spielen einige bekannte Gangster-Filme in Boston, zum Beispiel „The Departed“ oder kürzlich „The Town“. Ist die Stadt wirklich so gefährlich? Ich war jetzt zweimal da und habe mich recht sicher gefühlt.

Es ist nicht mehr so gefährlich, wie es in den Achtzigern war. Ich glaube, dass zum Beispiel Handys die Art und Weise, wie Verbrechen in Boston begangen werden, geändert haben, denn es spielt sich alles nicht mehr so sehr auf den Straßen ab wie früher. Boston ist heute ziemlich sicher, eine der sichersten Städte in den USA. Ich denke, du wirst mir zustimmen, dass Boston eine wunderschöne Stadt ist, aber in den Achtzigern gab es eine Faszination für Crack, Kokain und Waffen. Eine üble Kombination, gerade was die Jugend anging.

Wenn man den Wikipedia-Eintrag zur Bostoner Hardcore-Szene checkt, dann steht da zu lesen, dass es am Kenmore Square – ebenso Treffpunkt der frühen Hardcore- und Skate-Szene, wie auch U-Bahn-Station für die Fans der Boston Red Sox – regelmäßig zu Schlägereien beider Gruppen kam. Warst du dabei?

Nein, das kann ich so nicht bestätigen. Als ich aufgewachsen bin, haben wir die Baseball-Fans ignoriert oder sind ihnen aus dem Weg gegangen. In der ursprünglichen Bostoner Hardcore-Szene, und ich rede von Bands wie SS DECONTROL, DYS, THE FU’s oder GANG GREEN, haben wir keine Schlägereien angefangen, wir haben sie, so gut es ging, vermieden. Wir wollten in Ruhe gelassen werden und unser eigenes Ding durchziehen. Leute haben vielmehr Schlägereien mit uns angefangen, weil wir uns die Köpfe rasiert hatten und Lederjacken trugen. Die Dinge haben sich dann im Laufe der Zeit geändert, Stichwort „Boston Beatdown“. Aber der ursprünglichen Szene ging es nicht um Gewalt oder darum, Leute zu verprügeln.

Ich habe auch gelesen, dass du in der frühen Szene als Unruhestifter galtest. Was ist zum Beispiel dran an der Geschichte mit Lux Interior von THE CRAMPS, den du angeblich während eines Auftritts so genervt hast, dass es zu einem Handgemenge zwischen ihm und dir gekommen sein soll?

Ach, diese ganze Lux-Interior-Geschichte ist komplett falsch dargestellt worden. Wir waren junge Skateboarder und sind zu einer THE CRAMPS-Show gegangen. Stagediving war ziemlich neu zu der Zeit. Wir haben also viele Stagedives gemacht, wahrscheinlich viel zu viele, und dann hat Poison Ivy mit dem Bass nach einem meiner Freunde ausgeholt, und Lux hat nach mir ausgeholt und versucht mir eine zu kleben. Dann sind wir von der Bühne gesprungen, aber ich habe Lux nie berührt, das ist eine Lüge. Die Lokalzeitung, der Boston Globe, hat dann darüber berichtet, uns als Unruhestifter hingestellt und mich beim Namen genannt. Ich habe Lux aber nie geschlagen, das hätte ich nie getan, ich liebe THE CRAMPS!

Beim letzten Throwdown habt ihr alte Boston-Hardcore-Bands wie die FU’s und DYS als Support für die Shows eingeladen. Kannst du uns mehr über die frühe Bostoner Hardcore-Szene erzählen?

Ja, das war aufregend, das waren meine Freunde, die, mit denen wir wohl früher für einigen Ärger gesorgt haben. Die frühe Bostoner Hardcore-Szene bestand vielleicht aus 50 Leuten, bekannt als „Boston Crew“. Überall, wo wir aufgetaucht sind, fielen wir auf. Wir waren die ersten in Boston, die sich an Slamdance und Stagediving versucht haben. Bei der besagten THE CRAMPS-Show war es zum Beispiel so, dass Leute tanzen wollten und wir ihnen auf die Köpfe gesprungen sind. Wir waren 18 und wussten es wohl nicht besser, aber es war eben unser Ding und das, worauf wir Bock hatten. Die Leute konnten damit nichts anfangen und waren genervt. Ich hing immer zusammen ab mit meinem guten Kumpel Pat Rafferty, Gitarrist in Chokes Band NEGATIVE FX, und Chris Doherty von GANG GREEN. Wir tranken Bier und gingen zusammen zu Hardcore-Shows. Wir waren Teil der „Boston Crew“ und verstanden uns immer sehr gut mit den ganzen Straight-Edge-Typen. Die Shows, die wir besucht haben, gerieten oft außer Kontrolle, es war eben die Geburtsstunde von Slamdance und Stagedive.

Wie war das Verhältnis zu der Hardcore-Szene in New York oder Washington? Seid ihr viel auf Shows außerhalb Bostons gefahren, und was waren eure Lieblingsbands?

Mit New York lief es am Anfang nicht so gut, das hat sich dann über die Jahre gebessert. Mit der Zeit haben wir begriffen, dass Hardcore eine gemeinschaftliche Sache ist und die Stärke im Zusammenhalt liegt. Wir sind regelmäßig nach New York, Philadelphia, Washington DC und auch an kleinere Orte entlang der Ostküste gereist, um Hardcore-Shows zu sehen. Dabei sind wir immer als Crew aufgetreten. Wir mochten eigentlich alle Bands, natürlich MINOR THREAT, BAD BRAINS, SSD und BLACK FLAG, um nur einige zu nennen.

Hätten wir das Interview über Skype gemacht, hätte ich jetzt das Cover der 7“ deiner ersten Band IMPACT UNIT in die Kamera gehalten. Wie denkst du darüber nach all der Zeit?

Ich habe es geliebt, in dieser Band zu sein, das war total cool. Ich meine, wir haben nur etwa sechs Shows gespielt, eine davon zusammen mit den MISFITS. Wir haben diese Platte gemacht und die Leute fanden die Platte wirklich gut. Ich war 17, als ich in dieser Band war, meiner allerersten Band!

Du tauchst unglaublich oft als Gastsänger auf den Alben anderer Bands auf, zum Beispiel bei THE GASLIGHT ANTHEM, NO USE FOR A NAME, H2O, THE BRIGGS, THE BUSINESS oder der chinesischen Punkband BRAIN FAILURE. Ich kenne eigentlich keinen anderen Sänger, der häufiger als Gastsänger in Erscheinung tritt als du. Und natürlich hast du auch eine unglaubliche und unverwechselbare Stimme.

Ja, ich habe wohl eine ziemlich spezielle Stimme und werde wirklich oft gefragt wegen eines Gastauftritts, aber ich bin gar nicht so toll, haha! Ich singe zum Beispiel auch auf der neuen DYS-Platte. Ich würde auch nie Nein sagen, wenn die Leute mich um diesen Gefallen bitten, speziell, wenn ich die Band mag. Ich liebe zum Beispiel THE GASLIGHT ANTHEM. Wie kann man also die Bitte einer solchen Band abschlagen? Dass RANCID mich gebeten haben, auf ihrer Platte zu singen, war auch absolut großartig für mich, genauso wie H2O, mit denen ich seit langem befreundet bin.

Kommen wir auf euer neues Album zu sprechen, „The Magic Of Youth“, das am 6. Dezember 2011 erscheint. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Ich finde es lustig, dass Typen in unserem Alter ein Album mit dem Titel „The Magic Of Youth“ rausbringen. Und dann hatte ich auch noch das Gefühl, dass es sich nach einem Frank-Sinatra-Albumtitel anhört. Der Titel symbolisiert für mich, worum es bei den Bosstones geht: Um unsere Freundschaft! Unsere Beziehung zueinander begann, als wir noch jung waren, da wurde die Band geboren. Ich denke, die Bindung und der Zusammenhalt, so wie wir ihn in unserer Band bis heute haben, kann nur daraus entstehen, dass sich Leute in jungen Jahren zusammenfinden, denen einerseits alles scheißegal ist, die andererseits aber Lust auf die selben Sachen haben. Acht Typen, die etwas Spezielles verbindet, das ist etwas ganz besonderes. Wir waren noch Kinder, als wir uns getroffen haben, deshalb passt „The Magic Of Youth“!

Euer neues Albumcover ziert eine Comic-Zeichnung, wie schon die „2000 Miles“-7“ oder das Hometown-Throwdown-Poster letztes Jahr.

Vielleicht haben wir es in der letzten Zeit etwas übertrieben, aber ich liebe Comics, seit ich klein war, und ich zeichne auch selbst sehr gerne. Ein befreundeter Zeichner, den ich sehr schätze, hat das Cover des neuen Albums gestaltet. Und irgendwie sind TMMB auch wie lebende Comic-Figuren.

Um zur Musik zu kommen: Ich finde die neue Platte großartig, sie startet stürmisch mit „The daylights“, ähnlich wie „Graffiti worth reading“ auf dem letzten Album, und lässt danach kein bisschen nach. Wie kriegt ihr es immer noch hin, solch fantastische Songs zu schreiben? Das gelingt wirklich nicht vielen Bands, die schon so lange zusammen sind.

Ja, der Opener „The daylights“ ... Das liegt an Joe Gittleman, unserem Bassisten, er liebt es, genau so loszulegen. Ich glaube nicht, dass wir uns jemals Gedanken gemacht haben, wie wir einen Song schreiben wollen, weder damals noch heute. Ich denke, wir wollen uns gegenseitig zufrieden stellen. Mit so vielen Leuten in der Band fragen wir uns natürlich, ob etwas gut ankommt oder nicht. Und wenn einer von uns wirklich begeistert von etwas ist, dann denken wir darüber nach, ob wir gerade etwas Gutes und Brauchbares gefunden haben. Ich mag es, Texte zu schreiben. Ich weiß, dass ich einige schlechte Texte geschrieben habe, aber ich versuche mein Bestes. Ich möchte etwas ausdrücken, ohne mich dabei zu wiederholen oder dumm zu klingen. Ich denke, wenn wir anfangen würden, unsere Musik und die Texte zu sehr zu analysieren, würden die Songs darunter leiden. Auf „Pin Points & Gin Joints“ hatten wir eine Menge zu sagen, dieses Mal wollten wir ein kompakteres Album schaffen, ein etwas härteres. Vielleicht kannst du es ja bestätigen: Wo „Pin Points ...“ nach Ska klingen sollte, wollten wir, dass dieses Album mehr rockt. Aber beide Alben sollten nach TMMB klingen. Und es wird ein drittes Album geben, an dem wir jetzt anfangen zu arbeiten. Eine Trilogie, wie die „Twilight-Saga“, haha!

Das sind ja gute Nachrichten! Wobei es wirklich schwer werden sollte, „The Magic Of Youth“ noch zu überbieten ... Lassen wir noch mal die letzten 25 Jahre TMMB kurz Revue passieren: Ihr habt in kleinen Clubs angefangen, hattet mit „The impression that I get“ einen Nummer-Eins-Hit in den amerikanischen Billboard-Charts, habt für das „Let’s Face It“-Album Platin bekommen, seid anschließend bei TV-Shows und in Kinofilmen aufgetreten, und habt es nicht zuletzt mit eurem Auftritt beim 30-Jahre-„Sesame Street“-Jubiläum „Elmopalooza“ 1998, zusammen mit AEROSMITH-Sänger Steven Tyler, THE FUGEES und Gloria Estefan, zu einiger Berühmtheit gebracht. Wo siehst du die Band heute?

Ich denke erst mal, dass alles unglaublich toll war. Aber das Beste daran ist, dass es meine Freunde waren und wir alles zusammen erlebt haben. Wir sind nicht U2, und ich möchte auch nicht U2 sein, wir wollen nicht die ROLLING STONES sein oder AEROSMITH. Ich bin froh, zu den Bosstones zu gehören, und ich bin glücklich mit allem, was wir getan haben. Ich möchte nicht größer sein, ich möchte nicht kleiner sein, ich möchte nur ein Bosstone sein – was immer das ist, ich bin stolz darauf.

Zur letzten Frage: Können wir 2012 auf weitere Europa-Shows der MIGHTY MIGHTY BOSSTONES hoffen, gibt es bereits Pläne? Und wie sieht es mit dem Rebellion Festival in Blackpool Anfang August aus, wo RANCID Headliner sind. Wurdet ihr schon gefragt, da aufzutreten?

Ja, ihr könnt immer auf Shows und auf Touren hoffen, das solltet ihr sogar. Es gibt keine Pläne, aber ich hoffe auch darauf. Wegen Blackpool: Oh, das hört sich fantastisch an! Ich denke, bisher hat bei uns noch keiner angefragt. Ich habe Tim von RANCID gerade getroffen und er hat noch nichts davon erzählt. Aber okay, vielleicht kriegen wir das ja hin.