NO LIFE LOST

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Einfach mal die Fresse halten

NO LIFE LOST aus Hamburg sind seit 21 Jahren musikalisch aktiv. Durch die MIGHTY MIGHTY BOSSTONES fand die ehemalige Punkband zwar 1994 zum Ska-Punk, allerdings passt die heutige musikalische Palette längst nicht mehr in diese Schublade. Zum Interview traf ich das NLL-Urgestein Tim, Gesang und Ronnie, Bass, Alien Network-Studiobetreiber und Bassist bei KOMMANDO SONNE-NMILCH. Ronnie ist auch schon seit zehn Jahren dabei und hat sich in dieser Zeit zum kreativen NLL-Kopf gemausert.

Tim, im letzten Ox-Interview nanntest du MIGHTY MIGHTY BOSSTONES als Auslöser für euren musikalischen Wechsel zum Ska-Punk. Was hat dich damals fasziniert und wie würden dich MMB heute inspirieren?

Tim: Das war die schön verzerrte Gitarre und der rauhe Gesang – und eben nicht diese Offbeat-Gitarre. MMB sind tatsächlich die Ursache dafür, dass wir Bläser mit dazu genommen haben. Wir haben später auch mal mit den Bosstones gespielt, aber als ich die dann vor ein paar Jahren noch einmal gesehen habe, fand ich das sehr langweilig. Das war irgendwie nichts Neues mehr. Als Band musst du dich weiterentwickeln und die reproduzieren sich halt nur noch. Die haben 1995 das beste Album gemacht und danach gab es nur noch Wiederholungen. Da frage ich mich, warum die überhaupt noch ins Studio gehen. Vielleicht müssen wir uns das auch irgendwann fragen. Ist natürlich schwierig, denn als Fan erwartet man, dass sie das Gleiche spielen, aber als Mensch Anfang 40 würden sie mich jetzt nicht mehr inspirieren. Auf der einen Seite willst du immer etwas Neues hören, etwas, das vorher noch nicht da war, das kickt eben auch. Auf der anderen Seite hast du alles schon einmal gehört. Da greifst du tatsächlich auf das Altbewährte zurück.

Ronnie: Ich denke, das liegt in der Natur der Sache, dass unsereiner nicht mehr so begeisterungsfähig ist. Wenn du zum Beispiel DACKELBLUT gehört hast und dann kommen ein paar Jahre später TURBOSTAAT oder PASCOW – geile Bands, keine Frage, die machen auch tolle Musik –, aber das reißt mich persönlich nicht mehr mit. So etwas habe ich vor zehn, 15 Jahren schon gehört. Deshalb ist da die Begeisterungsfähigkeit nicht mehr ganz so hoch. Das kann man den neueren Bands jetzt aber nicht ankreiden.

Bei „Nördlich der Vernunft“ tauchen, verglichen mit dem Vorgänger, einige neue Einflüsse auf.

Tim: Da stimmt, von Punk, Hardrock, Reggae, Ska, Funk bis Soul – da ist wirklich alles drin. Ich fand auf der letzten Platte die Reggae-Einflüsse schon ziemlich deutlich hörbar. Auf der einen Seite finde ich das super, auf der anderen ist es auch eines unserer größten Probleme, dass wir eine große Stilvielfalt haben. Das ist für viele Leute verwirrend.

Ronnie: Du läufst ja Gefahr, dass dabei ein bisschen die eigene Authentizität verloren geht. Für was steht diese Band? Oder machen die auf einer Meta-Ebene letztendlich Musik über Musik? Das wird schnell mal beliebig, das ist das Problem dabei. Das muss irgendwie zusammengehalten werden. Ich weiß nicht, ob das bei uns die Texte sind, die das so ein bisschen zusammenbringen.

Tim: Auf jeden Fall. Der stilistische rote Faden, sind seit eh und je die Texte. Die Texte sind auf Deutsch, sie sind halt sehr sarkastisch und treffen nicht jedermanns Humorverständnis, sie provozieren häufig, und das war schon immer so. Ein aktuelles Album-Review endete übrigens mit dem Vorschlag, dass sich NO LIFE LOST vielleicht einfach ihren Songtitel „Einfach mal die Fresse halten“ zu Gemüte führen hätten sollen, haha. Wenn ich das bei einer anderen Band gelesen hätte, dann hätte ich mir sofort die Platte gekauft, das spricht mich an.

Ronnie: Nichtsdestotrotz erleben wir es bei Konzerten ja auch, dass je nach Publikum die härteren Nummern mal nicht so ankommen – oder eben andersherum, je nachdem, ob du in einem Hardcore-Schuppen oder auf einem Ska-Festival spielst. Dementsprechend ist dann natürlich die Frage, inwieweit wir diese Erwartungshaltung bedienen wollen, oder ob wir sagen, nee, wir ziehen hier einfach unser Ding durch und die sollen das gefälligst so nehmen.

Stichwort: Erwartungshaltung. Was macht eurer Meinung nach ein gutes Konzert aus?

Tim: Ein gutes Publikum?! Das sind die Leute, die danach ankommen und sich bedanken. Und wenn ich merke, dass die Leute zuhören.

Woran merkst du, dass die Leute zuhören?

Tim: Das merkst du tatsächlich, wenn ich mich versinge und es den Leuten auffällt. Dann merke ich, okay, die haben zugehört. In den Texten sind so kleine Sachen versteckt. Oder wenn Leute uns das erste Mal hören, da bemerkst du so ein Lächeln auf deren Gesichtern, das finde ich dann geil. Da merkst du, sie hören zu. Wenn du als Band erreichst, dass die Leute tatsächlich auf die Texte achten, dann finde ich das schon super.

Wir ändern einmal die Perspektive: Was wäre für euch als Publikum ein gutes Konzert?

Ronnie: Ich persönlich bin in den letzten Jahren für das, was ich da auf der Bühne vor mir sehe, ein bisschen sensibler geworden bin. Einerseits ist es das nervige Rumgepose und die ganzen Klischees, die da zum Besten gegeben werden, was ja in einem Song wie „Rockscheiße“ thematisiert wird. Andererseits habe ich eben auch ein Gespür dafür bekommen, wie viel Ehrgeiz von der Band entgegen gebracht wird. Es gibt ja Bands, wo der Ehrgeiz bis hin zur Verbissenheit spürbar wird. Da sind mir die Bands, die da oben mit einer Scheißegal-Stimmung stehen, viel angenehmer. Da geht es nicht darum, welche Klamotten ich trage oder ob ich frisch gegelte Haare habe. Das interessiert keine Sau. Ich gehe da hin, will einen schönen Abend haben, mit euch zusammen feiern – das ist dann natürlich eine ganz andere Band-Attitüde. Das habe ich früher wahrscheinlich gar nicht so bewusst wahrgenommen, wie ich es heute tue. Vor zwei Tagen habe ich die SPECIALS zum ersten Mal live gesehen. Das war es für mich echt ein Erlebnis und es gab ein paar „Aha-Effekte“, die ich so auf den Platten noch gar nicht wahrgenommen hatte. So ist beispielsweise zu merken, dass die Gruppe – Einzelmusiker gibt es vielleicht bessere – als Einheit funktioniert und dann so eine Wucht entwickelt. Das finde ich phänomenal, das finde ich großartig. Abgesehen davon stand ich ganz vorne und da hast du natürlich, weil du so nah dran bist, die auch noch als Typen und ihren Humor mitgekriegt. Die kamen wahnsinnig sympathisch rüber. Das bekommst du erst durch Live-Konzerte mit.

Ihr besucht Ska- und Punk-Konzerte, seid selbst Musiker, wie stark fühlt ihr euch in der Ska- und Punk-Szene verankert?

Tim: Ich habe mich zwar für die Kultur interessiert und die Musik gehört, aber weder der Punker-Szene oder Skinhead-Szene zugehörig gefühlt. Ich hatte damals zu Hafenstraßen-Zeiten zwar auch meine Lederjacke mit „Schieß doch, Bulle“ hinten drauf gehabt, aber das war die Klamotte zum Lebensstil. Ich war aber definitiv kein Punk. Genauso wenig bist du ein Skinhead, nur weil du Ben-Sherman- oder Fred-Perry-Klamotten trägst. Auf Ska-Festivals triffst du oft diese ganze Latte an Oldschool- und Traditional-Ska Fans. Die sind sehr traditionell orientiert. So eine Band wie wir bietet da die wenigsten Anziehungspunkte. Was bei denen gut ankommt, sind die Coverversionen auf Deutsch von MADNESS oder SPECIALS. Das finden die geil, damit erreichst du sie auch. Wir können auf deren Konzerten spielen und werden nicht mit fauligen Tomaten beworfen, aber wir können uns nicht als Teil dieser Szene bezeichnen. Das trifft auch auf die Punk-Szene zu. Ich finde das sehr risikobehaftet, wenn du dich als Band auf eine Szene stürzt, da du damit von vornherein auch ganz viele andere Sachen ausschließt. Ich finde es ganz nett, diese Freiheiten zu genießen, und dass wir eigentlich machen können, was wir wollen.