Screaming Apple Records

Ok, alle mal hübsch aufgepasst! Es ist ja nunmal so (und nicht etwa anders): der Mensch ist ein Gewohnheitstier und benötigt daher für ein geordnetes Dasein auf unserem schönen Mutterschiff Erde gewisse Konstanten, Eckpfeiler, feste Bezugspunkte, da selbige beruhigen, zu geregelten Schlafgewohnheiten führen und somit für einen gesunden Teint sorgen. Umso tragischer ist es daher, dass der Homo Sapiens in seiner Lieblingsrolle als Konsument heutzutage einer fortwährenden Reizüberflutung ausgesetzt ist, die einer Tranquillisierung der Sinne geradezu reziprokal entgegenwirkt und beinahe zwangsläufig zu Kurzschlussreaktionen führen muss. Das gilt gleichermassen für den Rock´n´Roll wie auch für die Käsetheke im Supermarkt um die Ecke. Deswegen jetzt mal Hosen runter, Snookeylumps! Wann ist es dir zum letzten Mal passiert, dass du im Plattenladen standest, eine schellackoide Delikatesse aus den Kisten hervorgezaubert und heimlich triumphierend konstatiert hast: "Hey, die Platte brauche ich mir gar nicht anzuhören, da sie auf Label X erschienen ist, und die veröffentlichen ausschliesslich qualitativ hochwertige Klangwerke gutaussehender, wohlerzogener, ordentlich frisierter Barden."? Derartige Glücksgefühle gehören weitestgehend der Vergangenheit an. Verschlimmernd kommt hinzu, dass der Prophet, insbesondere in unserer zunehmend amerikanophilen Gesellschaft, im eigenen Lande nichts mehr gilt, weshalb der verunsicherte Verbraucher von heute letztendlich eher dazu neigt, fäulnisbefallene Früchte vom internationalen Labelstammbaum zu pflücken, anstatt sich an unverhältnismässig erlesenerem Tafelobst einer in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Talentschmiede wie beispielsweise Screaming Apple Records zu laben. Seit nunmehr zehn Jahren wird dort die Kunst des Palooka Whoopin´ in einer Art zelebriert, die selbst einen erklärten Domstadthasser wie yours truly dazu veranlasste, jenes durch langjährige ethnologische Studien verifizierte Vorurteil, Kölner Herkunft indiziere zwangsläufig das Werturteil "Kann ja nur Scheisse sein!", zu Überdenken und stattdessen eine längst überfällige Ehrerbietung in Form eines Interviews zu cogitieren. Und wie es der Zufall so will, habe ich genau das getan und erteile daher hiermit Head Honcho Ritchie Apple das Wort. Yama yama!

Illumination der Unerleuchteten bitte ein kurzes Statement zum Wer, Wie, Was, Wo, Wann und Warum von Screaming Apple.

Screaming Apple Records erblickte 1990 das Licht der Welt und dies in Gestalt einer 5-Track-7"-EP-Compilation mit diversen Garagengrößen und Sternchen der damaligen Zeit. Im einzelnen waren das die australischen STEMS, die holländischen KLIEK, die amerikanischen ULTRA 5 und projectiles und die italienischen ELECTRIC SHIELDS. Nachdem mein Partner Cornel Polak und meine Wenigkeit 1986 das von einem Bekannten von uns gestartete Ex Nexu-Fanzine in einem Handstreich übernahmen, fühlten wir uns berufen die damals aktuelle und auch recht angesagte internationale Garagenszene angemessen zu würdigen und dadurch unsere totale Manie in puncto 60´s Garage-Sounds auszuleben. Wir liebten diese Klänge und tun es natürlich noch heute. In den vier Jahren des Bestehens des Heftes schrieben wir über Bands wie die STEMS, CHESTERFIELD KINGS, WYLDE MAMMOTHS, GRUESOMES, MIRACLE WORKERS, EXPLODING WHITE MICE, PRISONERS, FUZZTONES, HEADLESS HORSEMEN oder WIPERS, um nur einige zu nennen. Doch irgendwann erreichten wir einen Punkt, an dem wir erkennen mußten, daß der rhetorische Spielraum eines derart genrespezifischen Fanzines doch sehr beschränkt war und die ständige Phrasendrescherei uns sehr unzufrieden machte. So entschieden wir uns, das Fanzine einzustellen und ein Label zu gründen, denn so konnten wir unsere Lieblingsbands noch gezielter supporten als durch die Schreiberei.

Gibt es andere Label, an denen du dich orientierst/orientiert hast oder deren Veröffentlichungspolitik dir besonders liegt?

Wir orientieren uns an niemanden, wir machen einzig und allein das, was wir wollen. Natürlich gibt es Labels, die ich sehr schätze, wie z.B. Crypt, obwohl ich deren Veröffentlichungen nur bedingt gut finde, oder Dionysus Records aus Kalifornien. Das sind Labels, die sich immer treu geblieben sind, die ihr Ding machen und sich nicht von Trends beeinflußen lassen. Hut ab vor deren Arbeit. Auch wir versuchen einen solchen Weg zu gehen.Wir veröffentlichen nur Sachen, zu denen wir 100% stehen können und orientieren uns auf keinen Fall an Trends oder möglichen Verkaufszahlen.

Gibt es gewisse Grundsätze, nach denen du dein Label betreibst und die im Umgang mit allen Bands gleichermaßen gelten?

Natürlich gibt es die. Wie schon zuvor erwähnt, erscheinen bei uns nur Platten von Bands, zu denen wir eine Beziehung haben, von Bands die wir uneingeschränkt gut finden. Ich möchte nie zu einem dieser "Parasiten-Labels" mutieren, deren Geschmäcker sich ausschließlich nach dem richten, was sich momentan gut verkauft - und davon gibt es mehr als genug. Darüberhinaus muß ich eine Beziehung zu den Bands haben, die auf Screaming Apple veröffentlichen. Komme ich mit ihnen nicht klar, sinken auch die Chancen auf eine Zusammenarbeit. Ich versuche ein freundschaftliches Verhältnis zu all meinen Bands aufzubauen und denke, daß mir dies auch weitestgehend gelungen ist, denn dies ist eine optimale Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.

Man könnte Screaming Apple Records im weitesten Sinne als Rock´n´Roll-Label bezeichnen, das eine Reihe unterschiedlicher Stile wie 60´s-Garage, Punk, Frat, Power-Pop, etc. vereint. Welchen dieser Stile favorisierst du persönlich?

Ich liebe alle die von dir hier angeführten Stile und exakt diese stellen die musikalischen Grundpfeiler des Labels dar. Sicherlich sind dabei Garage und Power-Pop die Genres, an denen mein Herzblut hängt, doch auch Punk, Surf und Frat-Rock dürfen in keinem guten Haushalt fehlen.

Im Screaming Apple-Backkatalog tauchen mit den MONOMEN, HOODS, VIKINGS, DM 3, A-BONES, SWINGIN´ NECKBREAKERS etc. eine ganze Reihe namhafter Bands auf, hinter deren Aufnahmen sicherlich noch andere Plattenfirmen hergewesen sind. Wie schafft man es als vergleichsweise kleines Label aus Deutschland, sich Veröffentlichungen solch prominenter Herrschaften an Land zu ziehen?

Nun ja, ich denke, wenn man zehn Jahre im Geschäft ist, sollte man denjenigen, die Interesse am Rock´n´Roll haben, schon ein Begriff sein, und gerade bei Bands spricht es sich schnell herum, wenn da irgendwo im finsteren Germany ein Label sitzt, das verläßlich ist, schnell und gut arbeitet, eine anständige Promo macht und auch unbekannten Bands eine Chance gibt. Gute Arbeit und faire Deals sprechen sich eben schnell herum, darüberhinaus bestanden auch schon viele Kontakte noch aus der Fanzine-Zeit und die wurden von uns eben gepflegt. Dazu kommt dann noch die Tatsache, daß Anfang der Neunziger Jahre noch nicht jeder dritte Plattensammler sein eigenes Label haben wollte und es dementsprechend wenige europäische Labels gab, die diese Art von Musik herausbrachten. Auf der anderen Seite wollten aber die meisten US-Bands gerne in Europa touren, und da sich dies eher verwirklichen ließ, wenn man eine Veröffentlichung dort hatte, waren wir dann eben zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

Wie sah es insbesondere im Fall der RAYDIOS aus, die aufgrund ihrer TEENGENERATE-Vergangenheit wahrscheinlich zwischen mehreren großen amerikanischen Labels hätten wählen können?

Fink und ich stehen schon lange in Kontakt miteinander und ich wollte schon immer was von einer seiner Bands veröffentlichen. Da aber zu Lebzeiten von TEENGENERATE eine ganze Meute von Labels über den Output der Band herfiel und ich nicht einer von vielen sein wollte, übte ich mich eben in Geduld und wartete auf meine Chance. Als Fink mir dann von seiner neuen Band, den RAYDIOS, erzählte, war ich sogleich nicht mehr von der Absicht abzubringen, deren Songs herauszubringen. Dies schien auch der gute Fink gemerkt zu haben und gab mir schließlich die Aufnahmen für das "Original Demo Recordings"-Album. Ich bin wirklich sehr stolz darauf.

Wie ist der Kontakt zu Leuten wie Dave Crider von Estrus, Billy Miller von Norton Records oder Mike Stax von den HOODS, TELLTALE HEARTS etc. zustandegekommen?

Diese Kontakte entstanden eigentlich fast zwangsläufig, denn die wenigen Leute, die sich wirklich richtig um diese Musik bemühen, nehmen irgendwann miteinander Kontakt auf, um mehr bewegen zu können. Dave Crider z.B. rief mich eines Tages an und fragte mich, ob wir Interesse haben eine MONOMEN-7" rauszubringen, und da konnten wir natürlich nicht nein sagen. Wir alle versuchen uns untereinander zu helfen, uns weiterzubringen, neue Kontakte zu knüpfen und neue Wege zu ebnen.

Während Screaming Apple in Deutschland bis vor kurzem noch ohne Vertrieb dastand, scheint sich das Label im Ausland, insbesondere in den USA, schon sehr früh einen guten Ruf erarbeitet zu haben. Was sind deiner Meinung nach die Gründe hierfür und hat sich in der jüngeren Vergangenheit eventuell auch hierzulande eine Veränderung zum Positiven eingestellt?

Screaming Apple wurde viele Jahre von Semaphore vertrieben, doch vor ca. drei Jahren trennten sich unsere Wege, da wohl beide Seiten mit dem, was unterm Strich für sie rumkam, unzufrieden waren. Ich muß sagen, daß auch von unserer Seite aus danach kein großes Interesse an einem neuen Vertrieb für unsere Sachen in Deutschland bestand, da wir uns mittlerweile eine Art eigenes Vertriebsnetz in Deutschland aufgebaut hatten. Als dann Cargo Deutschland ins Leben gerufen wurde, dachte ich mir , versuchen wirs doch einfach nochmal, denn es scheint, als hätten die Leute dort wirklich Interesse an unseren Sachen. Die Sache mit Cargo läuft ganz gut und ich bin froh, sie als unseren Vertrieb gewonnen zu haben. Nichtsdestotrotz hast du damit recht, daß der Name Screaming Apple in anderen Ländern einen wesentlich höheren Stellenwert hat, und ich glaube dies liegt in erster Linie an der doch weitverbreiteten Ignoranz, die in unserem Lande gegenüber dieser Art von Musik herrscht und dem etwas bizarren Kaufverhalten, das der deutsche Musikkonsument so an den Tag legt. Will sagen, ich finde es äußerst befremdlich, wenn jemand in einen Plattenladen kommt und z.B. zwischen zwei neuen SMUGGLERS-7"s wählt und sich letztlich für die 4 DM teurere US-Scheibe entscheidet, statt die in Deutschland erschienene zu erstehen. Die Leute finden es eben irgendwie cooler eine US-Single ihr eigen zu nennen, als eine die irgendwo bei ihnen um die Ecke erschienen ist. Traurig aber wahr!

Kommen Bands dank des Rufes, den das Label im Laufe der Jahre erworben hat, mittlerweile überwiegend selber auf dich zu oder hängen die Veröffentlichungen immer noch größtenteils mit Eigeninitiative deinerseits zusammen?

Das hält sich die Waage. Viele Bands wie die BOMBORAS, MONOMEN, CHEEKS, CYNICS, FORTUNE & MALTESE, CAMPUS TRAMPS, SATELLITERS oder die VON ZIPPERS wollten unbedingt bei uns veröffentlichen, wohingegen ich z.B. die YUM YUMS, SPIDER BABIES und SWINGIN´ NECKBREAKERS doch erst auf den "rechten Weg" führen mußte.

Screaming Apple richtet sich mit seinen Veröffentlichungen überwiegend an eine eingeschworene Fangemeinde. Ist es möglich, sich in einem solchen musikalischen Umfeld im Laufe der Jahre eine finanziell solide Basis zu schaffen oder ist man aufgrund der begrenzten Hörerschaft ständig von finanziellen Risiken bedroht? Ließen sich über die Jahre hinweg in Hinblick auf den Verkauf gewisse Hoch- und Tiefphasen feststellen?

Finanzielle Risiken lassen sich in disem Geschäft wohl kaum vermeiden, doch bedingt durch die Tatsache, eine, wie du so schön sagst, eingeschworene Fangemeinde zu haben, ist man in der Lage, die Risiken überschaubarer zu gestalten. Natürlich gibt es immer wieder Veröffentlichungszyklen, die dein Konto eher füllen als andere, doch auch diese sind relativ absehbar, und so weiß man einfach über die Jahre, was sich gut verkaufen wird und was weniger.Wenn man solche Veröffentlichungen geschickt streut, daß heißt eine Scheibe herausbringt, von der man gute Verkaufszahlen erwartet und diese etwa zusammen mit einer Scheibe veröffentlicht, von der man nicht allzuviel erwartet, kann man das finanzielle Risiko so in Maßen halten. Nach diesem Prinzip ist es mir über die Jahre gelungen ein Auskommen durch das Label zu haben.

Obwohl du Platten von Bands aus der ganzen Welt veröffentlichst, scheint es mit Skandinavien, insbesondere Norwegen, und den USA zwei geographische Schwerpunkte zu geben. Was sind die Gründe hierfür?

Das kann ich nicht sagen. Vielleicht weil von dort die besten Rock´n´Roll-Bands kommen?!

Inwieweit können die Platten der skandinavischen Bands, die du veröffentlichst, gegen die dort vorherrschende Schweinerockarmada bestehen?

Gute Frage: Ich denke, die Scheiben von skandinavischen Acts, die ich veröffentliche, können nicht gegen die vorherrschende Schweinerockarmada bestehen, weil sie eben keine Scheinerockscheiben sind und dies nunmal die Musik ist, die sich verkauft. Ich hatte Anfragen von TURBONEGRO und GLUECIFER, wollte aber mit beiden keine Platte machen, da ich das, was beide machen, nicht gut finde und es mir dann auch scheißegal ist, ob ich damit ´ne schnelle Mark verdienen kann. Ich würde nie und nimmer eine HELLACOPTERS-7" rausbringen, denn dann würde ich mich selbst verleugnen. Ich hasse deren Musik! Schweinerock! Grauenhaft! Rock´n´Roll-Songs dürfen nicht länger als drei Minuten sein und keine Gitarrensoli haben, die über 13 Sekunden sind. Anyway, ich habe auch nicht die Absicht gegen den skandinavischen "Cock-Rock" anzustinken. Wir zeigen euch die andere Seite des skandinavischen Rock´n´Rolls, die mit Brause-Geschmack. Wir setzen auf die YUM YUMS, BASEMENT BRATS und KWYET KINGS und wissen, daß wir das richtige tun.

Bist du davon betroffen, wenn eine Band wie FORTUNE & MALTESE ihre Screaming Apple-LP als CD von Get Hip wiederveröffentlichen läßt und die YUM YUMS-Mini-CDs mit neueingespielten Versionen der "Sweet As Candy"-LP auf Universal herausbringen oder werden diese Entscheidungen eigenverantwortlich von den Bands getroffen?

Eigentlich stört mich das nicht weiter. Wenn wir genügend Vorlaufzeit mit unseren Vinyl-Releases haben, merken wir von der CD-Version nichts. Nur wenn die CD Monate vor unserem Vinyl erscheint, kommt das einer finanziellen Exekution gleich, so geschehen bei der TRAVOLTAS-LP.

Screaming Apple hat auch in Hinblick auf die Covergestaltung eine gewisse eigene Identität, für die vielfach Darren Merinuk verantwortlich ist. Wie kam der Kontakt zustande?

Darren und ich kennen uns schon seit fast 10 Jahren. Ich war ein großer Freund seiner "Rockin´Bones"-Comics, die er in Kanada herausbrachte, und fragte ihn dann irgendwann, ob er nicht Interesse habe, mal ein Cover für mich zu gestalten. Ich glaube, ich war der erste, der ihm diesen Vorschlag machte und brachte so eine echte Lawine ins rollen.

Ein gewisses Label aus Hamburg hat vor kurzem die Veröffentlichungen "moderner" Bands u.a. deshalb eingestellt, weil sich die Bands nach Erscheinen ihrer Platten häufig auflösen, ein Problem, mit dem du in letzter Zeit ebenfalls zu kämpfen hattest. Inwieweit haben sich durch den Split einer Band verursachte Auswirkungen für dich bemerkbar gemacht?

Es ist natürlich viel besser, wenn eine Band, deren Platte man gerade veröffentlicht hat, auch in der Lage ist diese durch eine Tour zu promoten, denn das hilft natürlich den Bekanntheitsgrad zu steigern und somit auch mehr Platten zu verkaufen. Daß die KWYET KINGS und die TROUBLE MAKERS bei Veröffentlichung ihrer Alben schon das Zeitliche gesegnet hatten, trug nicht unbedingt zur Finanzierung meines Familienurlaubs bei.

Als weiterer Grund wurden von eben jenem Label verlustreiche Touren angeführt. Gehört es für dich zur Promotion einer Platte dazu, eine Band hierzulande auftreten zu lassen, und inwieweit bist du in eine solche Tour involviert?

Ich finde es wichtig, eine Band, deren Album bei uns erscheint, auch hier touren zu lassen, doch leider gestaltet sich das oft schwieriger, als man denkt, denn Flugtickets sind ein teurer Spaß und auch das Mieten von Back-Line und Bus muß bezahlt werden. Und wenn man dann fast ausschließlich mit amerikanischen Bands zusammenarbeitet, fördert das den Grad der Realisierung dieses Vorhabens nicht unbedingt. Ich versuche eigentlich immer eine Agentur zu finden, die eine Tour für die jeweilige Band auf die Beine stellt, doch manchmal setze ich mich dann auch selbst hinters Telefon und buche Shows, wie zum Beispiel im Moment für die YUM YUMS. Deren Deutschlandtour wird im Juni laufen.

Nach eigenen Aussagen hattest du das Interesse am 60´s-Sound vorübergehend etwas verloren, da die wenigsten Bands es heutzutage noch hinbekämen, den Geist des ursprünglichen Garage-Punks in die Gegenwart herüberzuretten, ohne wie eine blasse Kopie zu wirken. Welche Anforderungen muß eine Band deiner Meinung nach erfüllen, um dem 60´s-Sound die notwendige Portion Originalität hinzuzufügen, und welche Bands haben dies in der jüngeren Vergangenheit am überzeugendsten hingekriegt?

Der große Unterschied zwischen dem sogenannten 60´s-Revival in den Achtzigern und dem in den Neunzigern ist der Fakt, daß die Bands in den Achtzigern aus dem schier unerschöpflichen Fundus der Sechziger schöpfen konnten, wohingegen ich den Eindruck habe, daß die meisten 60´s beeinflußten Bands unserer Tage ihre Einflüße überwiegend aus den Bands der Achtziger ziehen. So entsteht dann soetwas wie eine Kopie einer Kopie und wie das dann aussieht bzw. klingt, muß ich dir ja wohl nicht sagen. Mir fehlt da die Originalität, die Besessenheit, das Funkenschlagen, das die Bands in den 60´s, aber auch die Garagenbands in den Eighties besaßen und das den meisten aktuellen Bands einfach fehlt. Nur kopieren, ohne eine eigene Note einzubringen, das ist einfach zu wenig, finde ich. Zu den wenigen herausragenden 6t´s Garage-Bands der Neunziger zählen für mich die WOGGLES, HATE BOMBS, FLESHTONES, STROLLERS, MAKERS, FORTUNE & MALTESE und LUST-O-RAMA.

Hast du in Hinblick auf deinen eigenen Geschmack Veränderungen feststellen können? Gibt es heutzutage Screaming Apple-Veröffentlichungen, die vor 5 oder 10 Jahren so nicht möglich gewesen wären und umgekehrt?

Sicherlich hätten wir in den frühen Neunzigern keine straighten Punkrock- oder Power-Pop-Scheiben rausgebracht. Damals waren wir total garagenfixiert. Ich bin froh, daß sich dies über die Jahre geändert hat, denn eine solch konsequenteFestlegung auf nur ein bestimmtes Musik-Genre läßt nach gewisser Zeit doch etwas Langeweile aufkommen.

Wie stehst du zum Thema "Reunion", beispielsweise zu den Veröffentlichungen und (geplanten) Auftritten von 60´s-Ikonen wie GONN, den REMAINS oder ? & THE MYSTERIANS? Welches Reunionkonzert würde dich persönlich reizen?

Reunions sind meines Erachtens überflüssig und nur billige Geldmacherei. Ich finde es traurig, daß die sogenannten Fans ihre Objektivität gänzlich zu verlieren scheinen, wenn es um ihre Lieblingsbands geht, insbesondere dann, wenn diese im Alter meines Vaters sind. Mein Gott, ich habe ? & THE MYSTERIANS, GONN und DOWNLINERS SECT gesehen, und es war entsetzlich. Da muß man doch ehrlich sein. Wer braucht diesen Zombie-Rock mit "Love-Boat"-Charakter von Leuten mit dicken Bäuchen und lichtem Haar, die geradewegs die Sechzig ansteuern. Versteh mich nicht falsch, ich liebe all diese Bands und danke ihnen für das, was sie vor gut dreißig Jahren für den Rock´n´roll geleistet haben. Ich höre ihre Platten gerne, aber ich möchte diese Leute nicht auf einer Bühne sehen. Wo bleibt denn da der Unterhaltungswert?! Geht und schaut euch FORTUNE & MALTESE oder die WOGGLES an, die rocken wirklich das Haus und wissen, was das Wort "Entertainment" bedeutet.

Gegen Ende 1997 habe ich mit einigen Leuten gesprochen, die damals die Hoffnung äußerten, 1998 könne das Jahr des Power-Pop werden. Wie würdest du das rückwirkend beurteilen?

1998 war das Jahr des Schweinerocks und sicherlich nicht das des Power-Pops, auch wenn ich das gerne gehabt hätte. Power-Pop hat sicherlich letztes Jahr seinen Triumphzug in den Staaten gehabt, aber ganz bestimmt nicht hier. Wir leben in Deutschland, dem Land der stumpfen Techno-Rhythmen und der "echt harten Jungs". Hier hat Power-Pop keine Chance, denn wer sagt schon freiwillig von sich, daß er ein "Wimp" ist. Lutz, Axel und die CHEEKS waren letztlich doch nur auf sich allein gestellt und versuchten da ein Fähnchen bei totaler Windstille zum wehen zu bringen. Das funktioniert nunmal nicht. Schade, schade!

Glaubst du, es wäre vom Bedarf und Potential her möglich, auch in Europa Festivals wie "Poptopia" oder "International Pop Overthrown" zu veranstalten?

Lediglich in Spanien oder Schweden wäre so etwas möglich, denn diese Länder haben neben einer großen Anzahl wirklich guter Power-Pop-Bands wie den PROTONES, INSANITY WAVE, FEEDBACKS, PSYCHOTIC YOUTH, GRASS SHOW und den MERRYMAKERS auch die begeisterungsfähigsten Rock´n´Roll-Anhängerschaften in ganz Europa. Sicherlich wäre der Bedarf da, doch ich glaube, die Resonanz in den übrigen Teilen Europas wäre da eher kläglich und die finanzielle Umsetzung eines solchen Mega-Festivals kaum zu realisieren, denn die meisten Bands der internationalen Power-Pop-Szene stammen doch aus den USA und Australien, und die dann alle herüberzuholen, würde einen verdammt viel Geld kosten.

Es ist jetzt ziemlich genau zehn Jahre her, daß die erste Screaming Apple-EP erschienen ist. Wie fällt dein persönliches Resümee des letzten Jahrzehnts in puncto Labelarbeit aus? Was waren die Höhepunkte und auf welche Erfahrungen hättest du auch ganz gut verzichten können? Mit welchen Vorstellungen und Erwartungen wurde Screaming Apple vor zehn Jahren gegründet und inwieweit sind diese eingetroffen bzw. mußten diese revidiert werden?

Zuallererst einmal bin ich wirklich stolz auf das, was wir in diesen fast 10 Jahren geleistet haben. Ich denke, wir haben vor allem hier in Europa mit dazu beigetragen, den Geist des traditionellen Rock´n´Rolls am Leben zu erhalten - entschuldige meinen Pathos... Ich würde es auf jeden Fall wieder machen. Höhepunkte waren sicherlich die Veröffentlichungen von Bands, die mir ganz besonders am Herzen lagen, wie die der YOUNG FRESH FELLOWS, der YUM YUMS, DM 3 und der VIKINGS. Gerne hätte ich mir die ernüchternde Erfahrung erspart, daß Freundschaften im Sumpf des Musikgeschäfts versinken und ein Vertrag scheinbar doch wichtiger ist als der Handschlag eines Freundes - jaja, noch mehr Pathos. Wir hofften damals, unsere Fave-Bands unterstützen zu können, indem wir ihre Songs veröffentlichten, und ich denke, das ist uns auch gelungen. Erwartungen hatten wir eigentlich keine, doch wenn du mir vor 10 Jahren erzählt hättest, daß es Screaming Apple im Jahre 1999 immer noch gibt, hätte ich dich wohl für verrückt erklärt.