Helge in Australien - BRINGING BARBARISM TO CIVILIZATION

So ähnlich könnte man unsere diesjährige Mission nach Australien bezeichnen. Was soll man denn ansonsten da unten großartig machen? Vieleicht in der Sonne liegen und surfen? Das kann man auch auf Mallorca oder zu Hause im Sonnenstudio bzw. im Fun-Park machen. Eigentlicher Anlass für diesen Trip nach South of Heaven war, daß Birgit und ich uns entschlossen hatten, zu heiraten. So ganz ohne Stress, ohne den üblichen Kladderradatsch mit "In Weiß heiraten" und ohne die ganze bucklige Verwandtschaft. Außerdem haben wir ja auch nur wegen der besseren Steuerklasse geheiratet.

Also, falls jemals wieder jemand auf die schräge Idee kommen sollte, in Australien zu heiraten, dann gebe ich euch mal ein paar Infos, wie man es anstellt. Interessiert das überhaupt jemanden? Ja klar, Volker und Elke aus Bochum, ich wußte, daß ihr das bestimmt lesen würdet. Aber ist da sonst noch jemand, der hier am Ball ist? Okay, was ihr als erstes braucht, ist die Adresse von irgendeinem Standesamt in irgendeiner australischen Stadt. "General Registry Office" heißen die Teile. Von denen müßt ihr eine sogenannte "Blue Notice" anfordern, oder genauer "Notice of intended marriage". Das Formular müßt ihr ausfüllen, und, jetzt kommt der Knackpunkt, offiziell beglaubigen lassen. Wir haben es im Generalkonsulat in Berlin gemacht, kostet inklusive der beglaubigten Geburtsurkunden ca. 45 DM.

Das Formular und die beglaubigten Urkunden geht dann an das Standesamt in Australien zurück, plus ca. 100 $ AUS Hochzeitsgebühr. Die Ämter dort sind korrekt und freuen sich über alle Übersee-Idioten, die dort heiraten wollen. Den Termin gibt es meist postwendend. Um die Flüge usw. müßt ihr Knaller euch natürlich selber kümmern. Wichtig ist, daß bei der Hochzeit zwei Treuzeugen dabei sind. Egal, ob es der Penner aus dem nächsten Park ist oder irgendwelche Freunde.

Wegen des Hochzeitsfressen braucht ihr Euch keine Sorgen machen, in Australien gibt es genügend Freß-Stationen, wo man sich billig und gut abfüllen lassen kann. Wir sind mit 11 Leuten, nach der Hochzeit bei "Sizzlers" futtern gegangen, darunter sechs Vegetarier und Veganer, die sich an der exellenten Salatbar gütlich halten konnten. Einmal zahlen, und dann soviel Nachschlag wie man will. Zusammen haben wir gerade mal umgerechnet 150 DM gezahlt, inkl. drei Flaschen Champus zu je 10 Dollar. Wenn das nicht übelste Dekadenz war!

Ihr könnt ruhig so nach Hause fliegen, aber dort wird keiner diese australische Urkunde anerkennen. Ihr müßt sie also anerkennen lassen. Aber nicht bei der deutschen Botschaft, denn die machen das seit März 95 nicht mehr. Das geht jetzt über das australische "Department of trade and foreign affairs", das es in jedem Bundesstaat gibt. So leicht geht es aber auch nicht. Mit eurer Heiratsurkunde geht ihr bitte zuerst nochmal zu einem Anwalt oder Notar, der sie für euch beurkundet, damit sie auch wirklich wahr und echt ist. Der Notar kostet euch nochmal ca. 100 $. Endlich verheiratet? Wartet mal ab, was ihr noch machen müßt, wenn ihr wieder in Deutschland seid. Trotz der Anerkennung stellen sich die meisten Bürokraten meist ziemlich doof an, weil sie so´n Teil vorher noch nie gesehen haben. Also ab zum Standesamt und ein Familienbuch beantragen, damit auch der letzte bundesdeutsche Idiot schwarz auf weiß lesen kann, daß man verheiratet ist.

Ach ja, waren wir nicht in Sydney, Australien? Genau, eine Großstadt, laut Info der Stadtverwaltung mit 253 Stadtteilen und viermal so groß wie London. Aber warum soll ich euch eigentlich den ganzen Tourismus Scheiß erzählen, den wir dort veranstaltet haben? Ein guter Tip ist der englischsprachige Führer "Lonely Planet" über Australien, den man über jede bessere Buchhandlung bestellt kriegt. Jede Menge günstige, billige Unterkünfte, teilweise unter 30 Dollar für ein Doppelzimmer pro Nacht - Mehrbettzimmer dementsprechend billiger. Mietwagen sind zwar nicht so billig, aber mit mehreren Leuten ist man damit mobiler. Bei Avis bekomt man für 60 DM schon Mittelklasse-Autos. Man kann sich auch vor Ort einen alten Wagen kaufen, aber die Versicherungs-Scheiße ist recht umfangreich, außerdem wird man schnell über den Leisten gezogen.

Ox hat hat ja in irgendeiner Weise mit Punk und dem ganzen Schmutz zu tun. Direkt an dem Tag, als wir ankamen, spielten drei der derzeit besten australischen Bands in Newtown, gleich in der Nähe des Hauptbahnhofs von Sydney. Kleine Anmerkung: die Ortsbezeichnung "Sydney" existiert nur im Stadtzentrum. Alle anderen Stadtteile haben postalisch ihr eigenes Ortsrecht, so ist es für uns europäische Langnasen recht verwunderlich, wenn ein Typ aus Hurstville uns sagt, er kommt aus Sydney, wir Idioten uns aber auf die Postadresse festlegen. Auf jedenfall spielten auf dem Konzert die BLITZ BABIEZ und LAWNSMELL aus Sydney, sowie die absoluten Knaller ONE INCH PUNCH aus Melbourne. Letztere haben eine dermaßen geile CD "Lost in what we lack" (siehe Ox Review #22), daß mir der Käse von der Nülle bröckelt! Dummerweise pennten wir Idioten nach der langen Reise einfach ein und wurden erst abends um 11 Uhr wieder wach. Hat nicht sollen sein.

Erwähnenswert ist, daß Matt, der Gitarrist von LAWNSMELL, in Hurstville einen echt geilen Plattenladen führt. Er weiß immer Bescheid, wo was los ist und kennt die meisten guten Aussie-Bands aus dem Effeff. Falls ihr mal drüben sein solltet, testet den Laden an, er liegt direkt an der S-Bahn Station Hurstville ( THE SOUND GARDEN, Shop 8/8 Crofts Ave., Hurstville 2220 NSW, Tel. (02) 579 2129). Wo wir gerade von guten Plattenläden sprechen: "Phantom Records" befindet sich direkt im City-Bereich an der Monorail Bahn auf der Pitt Street (Nr. 373) und ist dafür bekannt, alle paar Monate Auktionen zu veranstalten, wo Raritäten aus allen Musikrichtungen verscherbelt werden - meist zu korrekten Preisen. Die Auktionsliste ist eher schon ein dickes Fanzine, da auf 56 A4-Seiten alles zusammengefasst wird. Dieses Heft nennt sich "Plunder the Vaults", und gibt es über folgende Adresse: P.O.Box A566, Sydney South 2000, NSW. Tel.: (02) 264 8992, Fax.: (02) 267 5242.

Natürlich gibt es noch "Waterfront", den feinsten Laden in ganz Australien überhaupt, der durch seine HARD ONS-Veröffentlichung weltweit bekannt ist. Der Laden hat alles, was man haben will: Shirts, CD´s, LP´s, Singles, Fanzines usw. Die Adresse lautet: 89 York St., Sydney City, Tel. (02) 262 4120. Der beste Laden in Brisbane dürfte "Rocking Horse" (101 Adelaide St., Brisbane 4000 QLD, Tel. (07) 3229 5360) sein, deren Angebot ähnlich wie bei "Waterfront" ist.

Viele News über den australischen Underground kann ich euch gar nicht erzählen. Das alljährliche BIG DAY OUT Festival fand diesmal mit meist amerikanischen Bands statt, aber dazu mehr bei den Live-Reviews in dieser Ausgabe. Einzig erwähnenswert ist NUNCHAKKA SUPERFLY, in deren Reihen der Gitarrist und Bassist von den HARD ONS sowie der Drummer von MASSAPPEAL ihr Unwesen treiben. Bisher ist noch nichts auf CD erschienen, aber die Vorschuß-Lorbeeren sind groß. Abwarten. RADIO BIRDMAN haben eine Reunion-Tour mit sechs oder sieben Shows gemacht, was mir mehr oder weniger am Arsch vorbei gegangen ist. Das war so, als ob in America GRATEFUL DEAD spielen - zwischen Kult und Kommerz. Manche Leute wissen nicht, wann sie besser aufhören sollten. Nun gut, das mit RADIO BIRDMAN war eine einmalige Sache, und ist nun wieder zu den Akten gelegt.

Eine andere geile Show war unsere Hochzeitsparty, auf der wir durch das Geschenk von Rollo, seines Zeichens Sänger der genialen BLOW HARD, und Heather, Bassistin und Sängerin von ACID WORLD, ziemlich überrascht wurden. Rollos alter Schulkollege ist inzwischen Käpt´n auf einer Fähre. Vorgelagert vor Brisbane findet man eine lange Sandinsel namens Stradbroke Island. Nach der Hochzeit ging es um 17 Uhr vom Festland bei Cleveland rüber nach Stradbroke Island. Die Fähre war mehr oder weniger ein Seelenverkäufer, gerade mal 20 Meter lang, und sechs bis sieben Meter breit. Auf Stradbroke haben wir dann ca. 80 Leute aufgenommen, alles abgefahrene Leute, die dort auf der Insel leben. Da es in Australien immer Donnerstags Cash gibt (vom Arbeitergeber oder Sozialamt), waren die meisten schon beim Einsteigen prall abgefüllt und vor allem zugekifft. Rollo hatte auf der Insel die Tickets verkauft, um die ganze Party zu finanzieren.

Als erstes trat der leibhaftige ELVIS auf, unterstützt von drei BLOW HARD-Leuten. Kein Imitator als solches, sondern eine Imitation eines Elvis-Imitators. Der Gute war auf jedenfall Gold wert. Schmierig und fett, so wie es der wahre ELVIS eben war. Am besten natürlich der Moment, als ELVIS endlich AC/DC coverte. Kult! Nach Elvis spielten dann die Anarcho Punker von ACID WORLD, die sich eigentlich schon vor über einem Jahr aufgelöst hatten, aber extra zu unseren Ehren nochmal spielten. Höhepunkt war natürlich mal wieder BLOW HARD, die absolut geilste Party-Band, die ich kenne. Die Band ist inzwischen auf zehn Leute angewachsen, von denen fünf Bläserinnen sind. Knalliger Punkparty-Sound! Rollo war so breit, daß er kaum noch singen konnte und der Trompeter blies hauptsächlich im Liegen.

Nebenbei möchte ich noch erwähnen, daß das Boot die Nacht über zwischen den Inseln auf dem Südpazific fuhr. Ein laues Lüftchen wehte, Delphine schwammen vorbei, wahrscheinlich auch der ein oder andere Hai. Aber was soll´s, schließlich ging keiner über Bord, auch die Braut nicht (das war der Witz vor der Hochzeit). Erst gegen vier Uhr morgens kamen wir zurück an Land. Glücklich, stramm wie ´ne deutsche Dekor-Hecke, und mit den allerbesten Erinnerungen. Von den 100 Anwesenden waren ca. 50 randvoll, 20 ziemlich prall, 10 angeschlagen und der Rest leicht schicker. Nur vier waren wirklich nüchtern. Zumindest können wir immer auf dieses geile Ereignis zurückblicken. Das war ähnlich klasse wie die Hochzeit von meinem Freund Scott, der im Dezember '94 im "Störtebeker" in Hamburg mit einem geilen Konzert zweier Norweger-Kapellen auch eine super Hochzeitsparty hinlegte.

Übrigens ist Heather in Brisbane sehr aktiv beim alternativen Radiosender "4 ZZZ", der den Ruf hat, der beste Independent-Sender in Australien zu sein. Da hört man Samstag Nachmittag zur besten Zeit die Anarchisten-Show, wo massig Crust- und Polit-HC-Bands gespielt werden. Jeden Dienstag Abend läuft die Punkrock-Show, dazu jeden ersten Dienstag im Monat ein "Once-a-month"-Special. Das Special Anfang Februar behandelte die europäische Punk/HC-Szene. Ich hatte massig Sachen mitgebracht, so daß ich erstmal die ganze Region (der Einzugsbereich umfaßt gut 120-150 Km die Küste hoch und um Brisbane herum, mit gut 1 1/2 Millionen Leuten) mit guter Musik zugeschissen habe. Die Show war über 1 1/2 Monate angekündigt worden, dementsprechend sahen die Reaktionen aus. Schon während der Show riefen ca. 60 Leute an und noch Tage nach der Show gab es massig gutes Feedback. Diese Show gibt es bei mir auf zwei C 90-Kassetten (siehe dazu die letzte Besprechung bei den Tape-Reviews). Für Interessierte hier noch die Adresse von Heather, die sich außerdem um die Rechte der Aboriginees kümmert und zudem zur lokalen "Woman Rights"-Gruppe (undogmatisch!) gehört. Die Radiostation lebt von der guten Musik, die die normalen Sender nur am Rande spielen. Schickt deshalb eure CDs, Singles, Kassetten etc. an: 4 ZZZ, attn. Heather Anderson, P.O. Box 509, Fortitude Valley 40006 QLD, Australia. Ihr könnt sicher sein, daß eure Sachen auch wirklich gespielt werden. Von solch einem Sender können wir hier in Deutschland nur träumen. Weitere Infos könnt ihr von mir bekommen.

DESTROY AUSTRALIA!!! Ich will diesen Bericht nicht schließen, bevor ich das hier angebracht habe. Alle Touris fliegen nach Hause und überschlagen sich mit allen möglichen Stories, wie geil Australien doch war. Schlecht ist es dort eigentlich nicht, vor allem für Kiffer. Aber es hat uns einfach vollkommen angepißt, wie unreflektiert die meisten Touris und auch die Aussies selbst mit ihrem Scheißland umgehen. Friede, Freude, Eierkuchen ist nämlich nicht! Was als erstes auffällt, ist, daß Australien inzwischen ein richtiger Polizeistaat geworden ist. Versucht mal irgendwo hinzugehen ohne dabei nicht mit mit Verbotszeichen zugeschissen zu werden. Vor allem sagen euch die Schildern gleich, wieviel Dollar Strafe euer Tun kostet: Füße auf die Sitzbank in der U-Bahn kostet 200 Dollar, Rauchen im U-Bahn-Bereich 200 $, zu schnelles Autofahren bis 954 $, Speerfischen bis zu 20.000 $, und die Liste geht endlos weiter.

Wenn man sich die ganze Sache mal neutral aus der Ferne anschaut, dann merkt man, daß die australische Regierung nach wie vor eine Linie wie vor ca. 200 Jahren die Briten fährt. Die Gesetze, die von den Briten für die Convicts (Sträflinge) gemacht wurden, waren auf Repressalien aufgebaut. Und das setzt sich bis heute fort. Nur wer im konservativen Strom mitschwimmt und nicht links oder rechts schaut, dem passiert nichts. Kein Wunder, daß sich sich immer mehr Leute ins Outback verpissen. Die Bullen in Australien sind übrigends inzwischen genau so mies drauf wie die in den USA. Ich bin irgendwo in der Pampas mit dem Auto zu schnell gefahren, wo auf langer Sicht keine anderen Autos in der Umgebung waren. Nur ein Bulle, der sein neues Blitzgerät antesten wollte und mich wegen einer "ernsten Gesetzesübertretung" ("serious offence") sofort in den Knast stecken wollte. Leider war es zu spät am Tag, so daß er keinen Schnellrichter mehr auftun konnte. Außerdem ließ er sich durch den Umstand erweichen, daß wir erst zwei Tage verheiratet waren. Okay, ich bin zu schnell gewesen, aber mich deswegen gleich wie einen Schwerverbrecher zu behandeln! Der Spaß hat mich dann ungefähr 700 DM gekostet.

In Queensland gibt es ein Gesetz, durch das ein Bulle dich einsacken kann, wenn er meint, du wärst ein Asozialer, der herumlungert, weil du weniger als 5 $ dabei hast, um dir was zu essen zu kaufen oder den nächsten Bus zu nehmen. Der Hammer schlechthin, daß laut Gesetz beim Sex nur die Missionarsstellung erlaubt ist! Das ist kein Witz! Und noch etwas viel wichtigeres: die Natur dort drüben geht voll in Arsch, anders kann man das nicht sagen. Zum Glück für Australien ist der Großteil des Landes nur wenig besiedelt, mit Ausnahme der Ostküste. Speziell dort ist durch die Monokulturen der Farmer und die Überweidung durch Millionen Schafe und Kühe viel Natur geschädigt worden. Man muß nur mit offenen Augen durch die Gegend laufen und man sieht, was alles den Bach runter gegangen ist. Kangaroos habe ich nur im Zoo oder tot im Strassengraben gesehen. Mancher wird sich wundern, warum ich bisher noch überhaupt nicht die Aboriginees angesprochen habe?! Das zieht mich dann wirklich runter, weil es wirklich nur noch traurig ist. Multikulturell eingestellt ist man in Australien nur gegenüber allen Zugewanderten, während die Urbevölkerung zu Underdogs degradiert wurde. Das ist offener Rassismus ohne Gnade. Zum Glück gibt es einige engagierte Organisationen, und auch Aboriginees, die selbst ihre Rechte durchsetzen, um ihr Land zurückzubekommen, was bisher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. 40.000 Jahre Traumzeit, die bisher in 208 Jahren Alptraum endeten.

Helge Schreiber und Gattin Birgit