Joey Ramone

Ein Gespräch mit Joeys Bruder Mickey Leigh

Ein Interview mit Joey Ramones Bruder ... Klingt im ersten Moment wie ein lahmer Zock, beim zweiten Nachdenken und angesichts der bedauernswerten Tatsache, dass Joey am 15. April 2001 verstarb, wie eine gute Idee. Und einen Anlass gibt es zudem: die Veröffentlichung von „... Ya Know?“, dem zweiten Solo-Album des RAMONES-Frontmanns, welches sein jüngerer Bruder aus diversen alten Aufnahmen zusammengestellt hat und das dieser Tage erschienen ist. Mickey erwies sich als auskunftsfreudiger Mensch, der bereitwillig von seinem Bruder erzählte, und der immer eng mit den RAMONES verbunden war. Später schlug er eine eigene musikalische Karriere ein (THE RATTLERS), ist heute mit seinem NEW YORKESTRA aktiv und veröffentlichte 2009 das zusammen mit Legs McNeil verfasste Buch „I Slept with Joey Ramone – A Family Memoir“. Mickey kümmert sich zudem um die Verwaltung der musikalischen Hinterlassenschaft seines Bruders.

Mickey, bevor wir über deinen Bruder sprechen, wüsste ich gerne etwas über dich. Was machst du ansonsten, wenn du nicht ein posthumes Album deines Bruders zusammenstellst?

In letzter Zeit treibe ich meist irgendwas, das mit dem Vermächtnis meines Bruders und den RAMONES zusammenhängt. Und es hat auch wirklich lange gebraucht, dieses Album zusammenzustellen. Jetzt kümmere ich mich darum, es zu promoten. Und als Nächstes stehen die Vorbereitungen für den alljährlichen „Joey Ramone Birthday Bash“ an, ein kleines Festival, das einerseits dazu dient, Joeys Leben zu feiern, andererseits dabei hilft, Geld für die Lymphdrüsenkrebs-Forschung zu sammeln, jener Krebsart, an der Joey starb. Und wenn ich dann wieder Zeit habe, mein eigenes Leben zu leben, genieße ich das.

Und das besteht woraus genau?

Seit dem zehnten Lebensjahr mache ich Musik. Meine aktuelle Band heißt MICKEY LEIGH’S NEW YORKESTRA, wobei ich wegen Joeys Album in letzter Zeit kaum Zeit für sie hatte. Davor habe ich sechs Jahre lang an meinem Buch „I Slept with Joey Ramone“ gearbeitet, das 2009 erschienen ist und in dem ich unsere Familiengeschichte von seiner Geburt bis zu seinem Tod erzähle. Joey war mein älterer Bruder, ich bin Jahrgang 1954, er wurde 1951 geboren.

Unter Erwachsenen sind drei Jahre Altersunterschied bedeutungslos, unter Kindern und Jugendlichen machen sie einen großen Unterschied. Wie war das bei euch, wie war euer Verhältnis, was hattet ihr gemeinsam?

Oh ja, bis man so Anfang 20 ist, macht so ein Altersunterschied noch eine Menge aus. Neben unseren Eltern verband uns auch die Liebe zum Rock’n’Roll, zu Musik ganz allgemein – und unsere Begeisterung für Gegenkultur überhaupt. Unsere Familie war ja nicht gerade konventionell. Unsere Eltern ließen sich scheiden, als ich gerade mal fünf Jahre alt war, und da sich unsere Mutter in Hippie-Kreisen bewegte, erlebten wir die ganze Entwicklung der nonkonformistischen Bewegung der Sechziger mit. Wir waren zwar keine radikalen Subversiven, aber lebten den nonkonformistischen Hippie-Lifestyle. Mit zehn Jahren fing ich an, Gitarre zu spielen, Joey entdeckte die Musik erst später, er lernte dann Schlagzeug. Damals war übrigens der ältere Bruder eines Freundes in einer Band mit einem gewissen John Cummings ...

... alias Johnny Ramone.

Exakt, und in der Band spielte auch Tommy Erdelyi alias Tommy Ramone. Die probten bei denen im Keller, und wenn ich bei meinem Freund war, schauten wir ihnen beim Proben zu. Mit 14 hatte ich dann mit Johnny eine Band, der war beinahe sieben Jahre älter als ich, er war gerade 21 geworden. Joey hingegen war damals noch ein richtiger Hippie, er und John verstanden sich nicht besonders gut. John war die nächsten Jahre, bis ich so 16, 17 war, mein bester Freund, wir hatten unsere Band, in der auch Tommy zwischendurch mal spielte.

Wie kamt ihr als Brüder klar? Warst du die kleine Nervensäge?

Wir hatten eine Menge gemeinsam, aber wir waren eben auch diese ungewöhnliche Hippie-Familie. Unserer Mutter war es sehr wichtig, dass wir unsere Individualität zum Ausdruck bringen können. Joey und ich teilten die Vorliebe für viele Bands, aber bestimmte Bands wie JEFFERSON AIRPLANE waren einfach nur seine Sache, mir gaben die nichts. Ich glaube, ich war ein sehr netter kleiner Bruder, wobei unsere Rollen auch etwas vertauscht waren: Er war ein langer, schlaksiger Kerl, auf dem die anderen gerne rumhackten und über den man sich lustig machte, und wo normalerweise der ältere Bruder den jüngeren beschützt, war es bei uns genau andersherum. Er war ein ruhiger, schüchterner Kerl und suchte eher meine Gesellschaft und die meiner Freunde.

Und wer hat bei euch wen musikalisch beeinflusst?

Also bis er dann anfing, Glam-Rock zu hören, der mir überhaupt nicht gefiel, war unser Musikgeschmack sehr ähnlich. Von Anfang bis Ende der Sechziger hatten wir eine gemeinsame Plattensammlung. Du kennst das doch, wie man als Kind oder Jugendlicher innen in die Plattenhüllen seinen Namen geschrieben hat, oder? Das machte damals jeder – nur wir nicht. Wir hatten eine gemeinsame Sammlung, hörten die gleichen Platten.

Und an welcher Stelle trennten sich eure Wege? Als die RAMONES sich gründeten, war er Anfang 20, da ist man ja normalerweise gerade zu Hause ausgezogen, um zu studieren oder so.

Joey fuhr damals auf den ganzen Glam-Rock ab, auf Platten wie Lou Reeds „Transformer“-Album oder den David Bowie der „Ziggy Stardust“-Jahre. Ich dagegen fing zu der Zeit an, am Rock’n’Roll zu zweifeln. Das ganze Rockstar-Ding, das damals immer mehr in der Vordergrund trat, fand ich befremdlich. Dieses ganze Getue von Bowie mit „You can be a star, we can all be pretty“, das war nicht mein Ding. Joey hingegen brauchte das, er war damals sehr auf der Suche. Für ihn hatte das was Tröstliches, er fand in der New Yorker Glitter-Szene Gleichgesinnte. Da tummelten sich Bands wie die NEW YORK DOLLS oder die HARLOTS OF 42ND STREET. Ich hörte damals hingegen Frank Zappa – und sonst nichts. Zu der Zeit, Anfang der Siebziger, besuchte ich eine Musikhochschule und studierte Komposition und Musiktheorie, beschäftigte mich mit klassischer Musik. Ich lernte Klavier spielen, interessierte mich für Jazz, hatte mehr für Django Reinhardt übrig als für Elton John. Da trennten sich also unsere Wege, aber ein paar Jahre später erzählte mir John dann von seiner neuen Band, ich hörte mir ihre Musik an, und obwohl ich mich in meinem Studium klassischer und damit sehr komplexer Musik widmete und mit dem Rock’n’Roll eigentlich abgeschlossen hatte, liebte ich sofort, was sie da machten. Es war so einfach und minimalistisch, so rein und roh. Und lustig dazu. Mich erinnerte es an Sachen, die Zappa schon Jahre zuvor gemacht hatte.

War dir bewusst, dass sie da etwas taten, das radikal und revolutionär neu war?

Mir war klar, dass sie da was machten, das ganz anders war als all die andere Musik, und deshalb gefiel es mir. Die machten genau das, was alle andere nicht machten. Die anderen Bands waren alle so „sauber“, spielten 15 Minute lange Stücke, endlose Gitarrensoli, alles musste sehr virtuos sein. All das war diese neue Band nicht, und das gefiel mir. Wobei ich schon sagen muss, dass sie auch nicht alles neu erfanden, speziell Zappa und Leute aus seinem Umfeld, die alle auch nie großen Erfolg hatten, machten ganz eigene Musik, und in dieser Nische sah ich auch die RAMONES – als Band mit einer kleinen, kulthaften Anhängerschaft, nicht als die nächsten BEATLES. Mit Songs darüber, seine Freundin zu verprügeln oder Klebstoff zu schnüffeln, wird man eben nicht groß.

Und wie hast du dann die Karriere deines Bruders weiter verfolgt und begleitet?

In der Frühphase der RAMONES studierte ich noch und arbeitete nachts in einer Diskothek. Das war echt eine Qual, da ständig „Fly, robin, fly“ und „The hustle“ hören zu müssen. Und dann kamen die RAMONES, und ich ging mit ein paar wenigen anderen zu ihren ersten Konzerten, zu ihren Proben. Sie probten im Haus der Eltern meines Freundes und im Keller der Kunstgalerie meiner Mutter, sie waren einfach immer präsent. Und dann gaben sie mir ein Tape mit ihren Songs, damit ich sie auf Notenblätter übertrage. Das musste man damals noch machen, um sich für die Lieder die Urheberechte zu sichern. Auf dem Band waren sieben, acht Stücke, ich bekam für meine Arbeit 15 Dollar pro Song. Und dann wurden die Konzerte mehr, es rissen Gitarrensaiten, es gab blöde Pausen, und so bot ich an, ihnen zu helfen und wurde so was wie ihr erster Roadie. Und so schafften wir es mit der Zeit, diese langen Pausen von fünf oder zehn Minuten zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Stücke wie am Schnürchen runtergespielt werden konnten – boom! Ein totaler Blast, ein Ausbruch von Energie! Ich war also Roadie, Stage- und Tourmanager in einer Person. Das tat ich die ersten zwei Jahre ihrer Karriere, von 1975 bis 1977. Dann wollte ich wieder mein eigenes Ding machen.

Und wie war euer Verhältnis im weiteren Verlauf der Karriere der RAMONES?

Mein Bruder und ich waren die ganze Zeit über eng befreundet, wir verbrachten viel Zeit zusammen, ich half ihm beim Songwriting, besuchte ihn mit meinem Vierspurrekorder und wir nahmen seine Ideen auf. Manchmal schrieb ich sogar einen Teil der Musik, was später dann gewisse Probleme mit sich brachte ... Auf dem ersten RAMONES-Album bin ich übrigens bei sechs Songs mit Background-Gesang zu hören. Wenn sie mich brauchten, war ich eben da, und ich denke, das war auch mit der Grund, warum die Platte so schnell im Kasten war.

Wie war damals die Reaktion der Familie auf die Aktivitäten deines Bruders? Punk war ja nicht gerade eine besonders angesehenes Genre.

Als das mit den RAMONES losging, sprach ja noch keiner von Punk, das hieß so erst ein, zwei Jahre, nachdem sie angefangen hatten, Konzerte zu spielen. Die fingen ja nicht an mit der Devise „Lasst uns Punkrock spielen!“, das gab es noch gar nicht. Die RAMONES akzeptierten den Begriff für sich nicht so richtig, der gab nicht wieder, was sie machen wollten. Ihnen war aber schon klar, dass das, was sie da taten, sehr seltsam, anders und eigenwillig war und sich eher an die Außenseiter der Gesellschaft richtete. Es ging also nicht um „Punk“. Meine Mutter war Künstlerin, sie unterstütze Individualität, wohingegen mein Vater ein Lkw-Fahrer war, der war eher konservativ, der war nie so richtig begeistert über das, was da vor sich ging. Die Sache war vielmehr, dass Joey damals psychische Probleme hatte, ja, er wies sich sogar mal selbst in die Psychiatrie ein, um sich untersuchen zu lassen. Joey hatte wirklich viele Probleme, und uns wurde gesagt, dass es gut möglich sein könne, dass er nicht in der Lage sein werde, ein eigenständiges Leben innerhalb der Gesellschaft zu führen, dass er letztlich als „Gemüse“ enden würde. Mit 23 schmiss ihn meine Mutter zu Hause raus, er hatte keinen Job, er hatte keinerlei Ziel im Leben. Er hatte ein paar Sachen versucht, um einen Job zu bekommen, aber erfolglos, und er bekam etwas Geld von der Regierung, weil seine psychischen Probleme als eine Form von Behinderung eingestuft wurden. Vor diesem Hintergrund waren die Reaktionen seitens unserer Familie auf Joeys musikalische Aktivitäten nach anfänglichem Zögern sehr begeistert. Als nach sechs Monaten oder so immer mehr Leute zu den Konzerten kamen, waren meine Eltern sehr glücklich, und als dann noch der Plattendeal kam, kannte die Begeisterung kaum Grenzen, haha. Dabei wusste ja eigentlich keiner, wo das hinführt. Viel Geld war damals nicht im Spiel, und wie schnell es mit der Karriere wieder vorbei sein kann, hatten wir gerade erst bei den NEW YORK DOLLS gesehen, die ihren Plattendeal wieder verloren hatten. Eine Erfolgsgarantie gibt es in unserem Geschäft ja sowieso nicht, aber die RAMONES blieben dran, machten etwas Einzigartiges und setzten sich durch.

Machen wir einen großen Schritt nach vorne und reden wir über „... Ya Know?“. Dem Begleitschreiben nach war es für dich nicht gerade einfach, das ganze Projekt über die Bühne zu bringen, speziell der in den späteren Jahren als Produzent für die Band und Joey tätige Daniel Rey erwies sich wohl als Hindernis.

Wie kommst du darauf?

Na ja, das liest sich hier schon recht eindeutig, und zwei Songs mussten auf den letzten Drücker weggelassen werden.

Woher weißt du das?! Du bist der Erste, der mich danach fragt. Das kann eigentlich gar niemand wissen!

Äh ... so schwer war das nicht rauszubekommen, das steht im Wikipedia-Eintrag zum Album ...

Wirklich? Ist nicht wahr? Wow. Das steht da? Hm, das wusste ich nicht. Ehrlich, das wussten nur super wenig Leute, das erstaunt mich jetzt wirklich. Wie auch immer, die Arbeit an dem Album war ein echter Kampf, ja, sie wurde zu einem Alptraum. Ausgangsbasis waren vier, fünf richtig gute Songs, und ich wusste, dass wir ein großartiges zweites Joey Ramone-Soloalbum hinbekommen können. Es gab ungefähr 15 Demos, mit denen wir arbeiten konnten, die sich im Besitz seines Freundes, oder besser gesagt sogenannten Freundes Daniel Rey befanden. Ich schlug Daniel vor, sich um vier der Songs zu kümmern, für die anderen wollte ich die anderen Produzenten gewinnen, mit denen Joey gearbeitet hatte, etwa Jean Beauvoir oder auch Phil Spector, mit dem ich 2002 angesichts der Aufnahme der RAMONES in die „Rock’n’Roll Hall of Fame“ sprach und der zugesagt hatte.

Aber Phil hatte andere Pläne ...

Ja, der ist jetzt „beschäftigt“ ... Nun ja, ich hatte also meine Ideen, und Daniel Rey andere. Er bestand darauf, alles selbst zu machen, wir sollten uns komplett raushalten, und das war nicht so ganz, was unseren Vorstellungen entsprach. Mein Bruder hatte alles meiner Mutter vermacht, sie zur Verwalterin seines Nachlasses bestimmt. Also gehörte ihr alles, was Joey gemacht hatte, auch die Bänder in der Obhut von Daniel Rey. Eigentlich klar: Wenn du in ein Studio gehst und was aufnimmst, dafür bezahlst, dann gehört das dir, auch wenn du die Bänder dort erst mal liegen lässt. Daniel sah das anders, er war nicht kooperativ und die ganze Angelegenheit artete in eine rechtliche Auseinandersetzung aus. Es dauerte acht Jahre, bis wir das geklärt hatten, und Daniel verlangte eine absurde Geldsumme für die Aufnahmen. Er wollte nicht mal die Lieder meiner Mutter zum Anhören überlassen. Es hat mich echt schockiert, wie ein angeblicher Freund meines Bruders so wenig Respekt vor dessen Mutter haben konnte. Er war es also, der aus Eigennutz und Gier die Veröffentlichung dieses Albums so lange verhinderte.

Hat er sein Verhalten mal gerechtfertigt?

Er sagte, er müsse Joeys musikalisches Erbe vor mir schützen, ich würde das ganze Projekt an die Wand fahren. Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie besitzergreifend Menschen in Bezug auf die Freundschaft zu meinem Bruder sind. Es war echt schwer, damit umzugehen, und es machte mich echt wütend, als meine Mutter dann starb und nicht mal mehr die Vollendung dieses Projektes mitbekommen hatte. Es brauchte neun Jahre und einige Anwälte und Freunde, um Daniel Rey davon zu überzeugen, die Lieder freizugeben. Letztlich hatte Ed Stasium Erfolg ...

... jener Produzent, der unter anderem „Road To Ruin“ und „Too Tough Too Die“ produziert hatte.

Genau, und er schaffte es 2009, Daniel Rey zu überzeugen, ihm das Material zu übergeben. Natürlich bezahlten wir Daniel. Es war also ein echt langer Kampf. Aber das Schöne ist, wie gut das Album geworden ist. Es gibt eben für alles einen Grund.

Wie ist die rechtliche Situation nach dem Tod eurer Mutter? Bist du jetzt alleine verantwortlich für Joeys Vermächtnis?

Ja, er hatte ihr alles hinterlassen, im Wissen, dass sie es mir überlassen würde. Aber schon vor ihrem Tod kümmerte ich mich um die ganzen Musikbusiness-Aspekte von Joeys Erbe, meine Mutter hatte mich darum gebeten. Sie hatte ja keine Ahnung von diesem Geschäft, und so hat sich mit ihrem Tod im Umgang mit Joeys Erbe auch nichts verändert. Diese Hinterlassenschaft ist für mich Segen und Fluch zugleich, es ist eine auslaugende Tätigkeit, die ich mir übrigens mit mit meiner Geschäftspartnerin teile, der Frau von Johnny, der die anderen 50% von Ramones Productions gehören. Ich wäre froh, wenn mir diese Verantwortung nie zuteil geworden wäre, aber ich hatte da keine Wahl. Mein Bruder erwartete, dass ich diese Verantwortung übernehme, und so mache ich das. Die ganze Sache hat mit natürlich auch davor „bewahrt“, mein eigenes Leben zu leben. Ich will mich echt nicht beklagen, aber es gibt eben Momente, da hadere ich mit dieser Verantwortung, die mir da übertragen wurde. Ich rede seit über 30 Jahren über fast nichts anderes als die RAMONES, da ... Ach, ich sage jetzt besser nichts, da muss man aufpassen.

Du meinst die unzähligen, sehr engagierten RAMONES-Fans in aller Welt, die alles verfolgen, was du sagst, und das nach Lust und Laune interpretieren?

Exakt. Ich bekomme unzählige Briefe, und da stehen teilweise Sachen drin, das würdest du nicht glauben. Ich würde Joeys Vermächtnis ausnutzen, um mich selbst in den Status eines Rockstars zu erheben, und so weiter. Der Punkt ist: Was ich auch mache, ist in den Augen dieser Leute falsch. Mache ich dieses Solo-Album, will ich ja nur Aufmerksamkeit für mich selbst. Und hätte ich es nicht gemacht, wäre ich auf Joeys Vermächtnis herumgetrampelt.

Da kann man nur verlieren.

Ja, ich kann bei solcher Betrachtung nicht gewinnen, aber wenn ich auf mein Herz höre, weiß ich, dass ich das Richtige getan habe. Und nur darauf kommt es an. Ich versuche immer, das alles nicht an mich ranzulassen, aber es klappt eben nicht immer, etwa wenn man gesagt bekommt, es wäre besser, ich würde in diesem Grab liegen und nicht Joey. Oder wenn du auf Joeys Facebook-Profil schaust und da einer in Großbuchstaben mit zig Ausrufezeichen schreibt, bei „Rock’n’roll is the answer“ sei ja gar nicht Joeys Stimme zu hören, sondern meine. Zum Glück sind das nur einzelne Meinungen, die Mehrzahl der Briefe und Posts ist positiv, aber wie es so ist, der eine Meckerer kann einem den ganzen Tag versauen. Und ich kenne das Gemecker ja auch schon ewig, denn obwohl ich vor meinem Bruder angefangen hatte, Musik zu machen, durfte ich mir immer wieder anhören, ich sei ja nur ein Trittbrettfahrer seines Erfolgs, ich hätte meine Powerchords auf seinem Schoß sitzend gelernt.

Wenn du einen Song vom Album aussuchen müsstest, welcher wäre dein Favorit?

Das wäre „Waiting for that railroad“. Den Song habe ich 1987 erstmals zusammen mit meinem Bruder in einer Radiosendung gespielt. Es ist ein wunderschönes Lied, und irgendwas an diesem Lied versetzt mich in meine Kindheit zurück. Es ist für mich deshalb der schönste und berührendste Song des Albums.

Mickey, vielen Dank für deine Zeit.