Brian Deneke - Weil er ein Punk war

Es ist was faul im Staate Texas. Nur in Texas? Dies ist die Geschichte eines amerikanischen Punks, der von einem Redneck mit seinem 2-Tonnen-Caddy ermordet wurde. Mit dem Punk verlor die lokale Szene einen wie für jede Szene wichtigen Motor, einen Anpacker. Der Redneck hatte das Glück, ein aufrichtiger Kerl zu sein und "nur" einen Punk zu Tode zu fahren - er wurde freigesprochen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten...

Brian Deneke hatte zwei Spitznamen, die ihm von seinen Freunden gegeben wurden - Sunshine und Fist Magnet. Zwei ziemlich verschiedene Spitznamen und sie bezogen sich auf zwei unmittelbar zusammenhängende Eigenschaften seiner Person. Von seinen Freunden und Bekannten wird er einhellig als eine der freundlichsten und offensten Personen beschrieben, die sie je gekannt haben. Immer freundlich, immer gut gelaunt. Auf seiner Beerdigung lesen seine Tante und sein Onkel einen Brief von Eltern zweier Kinder im Vorschulalter vor; Sie hatten ihn einmal in einemm Restaurant gesehen und die Kinder hatten sich über seinen Iro gewundert - Brian kam zu ihnen und freundete sich spontan mit ihnen an. Deswegen Sunshine .Er wusste seine positive Energie zu nutzen und lockte viele Punkbands in das eigentlich eher verpennte 160.000 Seelen-Nest Amarillo, Texas.

Aus den Beschreibungen Brians und seiner Bedeutung für die lokale Punkszene lässt sich herauslesen, dass er als treibende Kraft hinter ihr stand. Amarillo liegt in der weiten Prärie des texanischen Hinterlandes - weit und breit bis zum Horizont erstrecken sich Farm- und Viehland, hier und dort verläuft mal ein Stacheldrahtzaun. Die nächsten grösseren Städte liegen in weiter Ferne und so wundert es nicht, wenn manche Amarillo als isoliert bezeichnen. So isoliert, dass Konservativismus (auch was Religiösität betrifft) hier noch ungestört "blühen" kann - so wurde hier zum Beispiel als einer der letzten Städte in den USA die Rassentrennung an den Schulen aufgehoben.

Und wie es sich für so eine konservative, von der Mittelklasse dominierte Stadt gehört, herrscht an ihren Schulen auch eine genaue Rangordnung. Man muss sich das so wie in schlechten Filmen oder wie aus Berichten von diversen High-School-Massakern vorstellen: Da gibt es zum einen die "Jocks", die fitten Sportler, die alle gut finden und die einfach die besten Menschen auf der Welt sind. Es sind die weissen Mittelklassekids, die in ihren Markenklamotten und fetten Papa-hat´s-bezahlt-Cadillacs einfach begehrenswert sind und sich im fast religiös betriebenen Volkssport Football vor sich und den anderen als toller Hecht etablieren. Für viele gilt in Amarillo die sogenannte "Hell Week" als Höhepunkt des Jahres. Da es für viele in der abgeschiedenen Stadt nicht viel zu feiern gibt und Football diesen besonderen Stellenwert geniesst, wird die Woche vor dem alljährlichen Match zwischen den Mannschaften der zwei in Amarillo liegenden High Schools ("Amarillo High Sandies" vs. "Tascosa Rebels") mit allem möglichen Schabernack begangen: Die Schüler der verschieden Schulen reizen sich, in dem sie ihre Autos mit Farbe beschmieren, die Häuser mit Eiern bewerfen oder mit Klopapier einwickeln. Auch die ein oder andere Schlägerei gehört zum Alltag.

Und dann gibt es da noch die "Freaks", eine eher buntgemischte Gruppe. Die Jocks bezeichnen als Freaks diejenigen, die nicht in ihr Raster passen - Punks, Goths, Skinheads, alle die, die ihrem Wertesystem nicht entsprechen, die nicht sportlich genug sind, die finanziell nicht mithalten können oder die einfach anders aussehen. Die örtliche Punk- und Skinheadszene entstand nach verschiedenen Konzerten vor rund zwanzig Jahren, als Punkbands auf Tour durch Amarillo kamen, weil die Stadt günstig am Interstate 40 liegt und Bands auf dem Weg nach Los Angeles einen Zwischenstopp einlegen konnten. Seitdem tragen sie das von den Jocks vergebene Stigmata der Andersartigkeit mit Stolz und weigern sich bewusst, dem oberflächlichen Wertesystem zu entsprechen.

Stanley Marsh III, ein ortsansässiger Künstler, den manche vielleicht von seiner Skulptur "Cadillac Ranch" - einer Kaskade von frontal in der Prärie eingegrabenen Cadillacs - kennen, bemerkt, dass es Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen von Anwohnern schon immer gegeben hat: Waren es in den Fünfzigern die Cowboys gegen die sogenannten "City Slickers" waren es davor "Rancher" gegen die Händler. In so einem abgeschiedenen Millieu müssen sich Antagonismen und Feindbilder scheinbar innerhalb der Anwohner ergeben. Während die Punks in ihrer Ablehnung oft soweit gehen, Gesellschaft soweit abzulehnen, dass sie Arbeit und soziales Interesse allgemein ablehnen, haben sich die Skins, oft ehemalige Punks, ihre Iros abgeschnitten, um einen Job zu kriegen und haben eine absolute Working-Class-Attitüde, aber keine rassistische Ideologie angenommen. Nach einer in der Nähe liegenden Atomwaffenfabrik nennen sie sich "Bomb City Skins".

Brian Deneke kam zum Punk, nachdem er mit dreizehn angefangen hatte Skateboard zu fahren und ihn andere Skater mit der Musik bekannt machten. Brian begeisterte die Musik, die Attitüde, alles an Punkrock, und schon bald wurde aus dem Pfadfinder ein Punkrocker, wie er im Buche steht - Iro, Tattoos, Lederjacke - das ganze Programm. In den folgenden Jahren errang er einen "Larger-than-life"-Status unter den örtlichen Punks und allgemein den Freaks, weil er sich nicht auf seiner Andersartigkeit ausruhte, sondern versuchte, das Beste für sich und andere, für die Szene, zu erreichen. Mit viel Überredungskunst brachte er viele Bands nach Amarillo, darunter die SUBHUMANS, LOGICAL NONSENSE, NAKED AGGRESSION und BLANKS 77, und bezahlte deren Unkosten teilweise aus eigener Tasche mit dem Geld, das er sich zum Teil als Tellerwäscher oder als Maler im Dienste von Stanley Marsh III verdiente. Dieser stellte ihn für diverse Projekte ein, zum Beispiel für verschiedene Aktionen des ironischen und anspielungsreichen "Dynamite Museums", bei dem es um falsche Strassenschilder ging, die die Anwohner bei sich in den Vorgarten stellen können ("Road Does Not End" usw.). Marsh schwärmt noch immer davon, wie Brians offene Art die Leute gefangen nahm, wenn er versuchte, sie an der Tür zu überreden, so ein Schild bei sich in den Vorgarten zu stellen. Er war es auch, der Brian den Namen Sunshine gab. Noch heute stehen dutzende solcher Schilder in Amarillo.

Brian war es auch, der aus dem örtlichen Punkerttreffpunkt, einem alten Haus an der 8th Street, einen Zufluchtsort für Heimatlose machte, er gab ihnen etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen. Er wollte auf lange Sicht den Ort in eine Art Kulturzentrum verwandeln für Konzerte, Theater, Kunst etc., als selbstverwalteten Ort, in dem die Leute ungestört von den Rednecks ihre Freizeit gestalten können. Er wollte den Leuten etwas geben, mit dem sie ihre Freizeit gestalten können und ermunterte jeden, etwas zu machen - ein Zine, eine Band usw., und wurde so zum Motor der lokalen Szene. Schon wegen seines Aussehens war er den Jocks natürlich ein Dorn im Auge und musste mehr als einmal Prügel einstecken, wenn er allein auf dem Weg irgendwohin war und neben ihm ein Pickup oder Caddy der lokalen Rednecks auftauchte. Nachdem er mehrmals verprügelt wurde und einmal auch am Kopf genäht werden musste, verliehen ihm seine Freunde seinen zweiten Spitznamen "Fist Magnet". Auch wenn er eher freundlichen Kontakt suchte und nicht auf ihre Sprüche reagierte, hielt er es doch bald für nötig, neben einem Gürtel auch eine Stahlkette mit einem Schloss am Ende an seiner Hose zu tragen, denn natürlich war auch Brian nicht endlos reizbar und warf, als ihm einmal der Kragen platzte, einen Stein nach einem der Wagen der Jocks. Dafür wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Öffentliche Treffpunkte für die Jugendlichen in Tascosa sind vor allem am Wochenende die verschiedenen Fast Food-Läden an der Western Street. Anfang Dezember 1997 kam es zu einer Streiterei zwischen einem Punk, John King, und einem Jock, Dustin Camp, nachdem ein Punk auf ihm entgegengeworfene Beleidigungen mit einem Kussmund reagiert hatte. Fast wäre es zur Eskalation gekommen, wären King und Camp nicht zurückgehalten worden. Vor dem Laden stieg Camp in seinen Wagen - einen 83er Caddy -, nicht ohne dass King ihn noch mit den passenden Worten verabschiedete. Plötzlich beschleunigte Camp aus cem Parkplatz und hielt genau auf den Trupp Punks auf der Strasse zu. Diese - darunter Brian Deneke - mussten zur Seite springen, um nicht vom Wagen mitgerissen zu werden. Dabei schaffte King es noch, eine Scheibe an Camps Wagen einzuschlagen.

Über die nächsten Wochen hielten sich an den Schulen Gerüchte über ein grosses Aufeinandertreffen von Freaks und Jocks am nächsten Freitag. Eben dieser Abend, der 12. Dezember 1997, begann relativ harmlos. Elise Thompson und Rob Mansfield verbrachten den Abend mit anderen Jocks, tranken Bier (ausser Elise), fuhren von Haus zu Haus und spielten bei ihren Freunden Billard. Irgendwann endeten beide in Camps Wagen. Beide kannten Camp nicht allzu gut - ein netter Kerl, der auch immer einen flotten Spruch auf den Lippen hatte. Camp wird von allen seiner Freunde als lustiger Typ beschrieben, der immer gute Laune verbreitete. Dass er nur in der zweiten Garde der Footballmannschaft spielen konnte, weil er mit seiner Statur nicht 100%ig den Anforderungen entsprach, machte er mit übermaessigem Ehrgeiz und Training wieder wett - er tat sein Bestes, um nicht aus dem Raster zu fallen. Ähnlich wie Deneke war er ausserordentlich beliebt in seinem Bekanntenkreis. Gegen 23Uhr fuhren sie auch zum Ort des Geschehens, einem 24-Stunden-Imbiss namens IHOP.

Brian Deneke verbrachte den Abend im Haus seines Bruders Jason - einem Bomb City Skin - trank Bier und hörte Platten. Irgendwann entschieden auch sie sich, zum IHOP zu fahren. Als Camp und Co. ankamen, war der Parkplatz schon so voll, dass er nebenan parken musste. Die Zahlen, wie viele Leute an dem Abend anwesend waren, schwanken zwischen 50 und 100. Absehbarerweise kam es irgendwann zum Unvermeidlichen und die Gruppen von Jocks und Freaks (hauptsächlich Punks) gerieten aneinander. Rob Mansfield holte Elise Thompson aus dem IHOP, das sie zwischenzeitlich betreten hatte, und sagte ihr, dass sie verschwinden würden. Das kam ihr ganz recht, denn die in der Luft liegende Spannung gefiel ihr gar nicht und sie dachte, als sie in Camps Wagen stieg, dass sie wegfahren würden, weg von den sich gegenüberstehenden und sich bedrohenden Gruppen. Wer letztendlich wen provoziert hat, die Punks Oles und King, die sich mit Knüppeln bewaffnet auf einen Kampf vorbereiteten, oder die Jocks, die die Punks mengenmässig weit übertrafen, geht in den verschiedenen Versionen des Tathergangs unter. Aus dem Wagen sah Camp auf jeden Fall, dass die Punks irgendwann zum gegenüberliegenden Plaza Shopping Center rannten, gefolgt von den Wagen der Jocks. Oles war irgendwann in der Mitte der Strasse gefangen und konnte einem Wagen nur knapp ausweichen. King gelingt es noch, eine Scheibe einzuschlagen (wohl ein Hobby). Camp fuhr nicht weg, er folgt mit seinem Wagen und seinen zwei Beifahrern dem Tross von Leuten.

Die Stimmung ist explosiv und chaotisch - die Leute rennen hintereinander her und verprügeln sich. Kurz darauf sehen die Punks, wie Brian in Fötusposition auf dem Boden liegt und von mehreren Jocks zugleich verprügelt und getreten wird. Rob Mansfield sieht kurz darauf in einer ebenfalls am Boden liegenden Person, auf die eingeschlagen wird, seinen Freund Andrew MacCulloch: "Oh my gosh, look at Andrew..." Camp fährt auf die Gruppe zu und rammt Oles, der geschockt, aber unverletzt von seiner Kühlerhaube rollt. Camp dreht eine Runde. Ketten und Knüppel schlagen auf den Wagen ein. Plötzlich gibt Camp voll Gas, dreht den Wagen und hält geradewegs auf Brian Deneke zu. Camp schreit "I´m a Ninja in my Caddy!" Das Nächste, an das Elise Thompson sich erinnert, ist ein weiches Aufprallgeräusch und wie Deneke sie direkt ansieht, bzw. durch sie hindurch. Sie hofft, dass das, worüber sie gerade fahren, die Bordsteinkante ist, doch Camp holt sie auf den Boden der Tatsachen zurück; "I bet he liked that!"

Sie rasen weg, Richtung Freeeway, und lassen Brian blutend auf dem Asphalt zurück. Die Jocks jubeln. Jason rennt zu seinem Bruder, kniet sich neben ihm hin und hebt seinen Oberkörper auf seine Beine. Eine Unmenge Blut ergiesst sich aus Brians Körper in den Schnee. Blut rinnt aus aus seiner Nase und seinem Mund. Er versucht noch ein paar Worte zu formen, aber kann nichts mehr sagen. Gegen 23:30 Uhr stirbt er in den Armen seines Bruders. Seine Zähne sind gebrochen, ein Riss verläuft über die linke Seite seines Gesichts und seine linke Schulter ist aus dem Gelenk gerissen. Wie die Autopsie später feststellt, haben die rund zwei Tonnen des 83er Cadillacs ganz Arbeit geleistet: sein Schaedel, sein Rückgrat, sein Becken und mehrere Rippen sind zerschmettert. Camp und seine Beifahrer sind geschockt, Rob und Elise lassen sich absetzen in der Absicht, so zu tun als seien sie nicht dabeigewesen. Später in der Nacht alarmieren sie ihre Eltern und fahren zur Polizei. Camp war inzwischen nach Hause gefahren und hatte auch seinen Eltern berichtet, was vorgefallen war. Sie sagten ihm, er solle ins Bett gehen und dass sie sich am nächsten Morgen um die Sache kümmern würden. Am nächsten Morgen wurde er Camp von Polizisten abgeholt, Tatverdacht: Mord.

Über eineinhalb Jahre vergehen, bis die Tat vor Gericht geht - am 20. August 1999 schliesslich beginnt der Prozess gegen Dustin Camp, der in der Zwischenzeit seinen High School-Abschluss an einer anderen Schule hatte machen können. Der Gerichtssaal teilte sich in zwei Parteien - Denekes Familie mit den örtlichen Punks hinter sich auf der einen, Camps mit den Jocks auf der anderen Seite. Das öffentliche Interesse war gross und ortsansässige Anwaelte sprachen vom heissesten Fall in Amarillo seit Jahrzehnten. Der Staatsanwalt präsentierte der Jury alle zur Verurteilung nötigen Fakten: Camp hatte mit seinem Wagen als Waffe eine Person, die keine unmittelbare Gefahr für ihn darstellte, bei vollem Bewusstsein umgebracht - "I´m a ninja in my Caddy!".

Camps Verteidiger setzte alles auf eine Karte und fuhr eine Strategie, die die Tatsachen weitgehend ausser Acht liess. Schon mit seiner Eröffnungsrede zeigte er, worauf seine Verteidigung zielte: "Dies ist kein Fall, der Andersartigkeit oder Toleranz oder die Beurteilung von Leuten anhand ihrer Kleidung behandelt. Hier geht es um eine Gruppe junger Männer die einen Lifestyle wählen, der in seiner Unorthodoxheit darauf abzielt, andere zu beleidigen, die Autoritäten anzuzweifeln und Reaktionen zu provozieren." Nicht nur als er später die Kleidung, die Brian Deneke trug, als er getötet wurde, der Jury präsentierte, sollte er diesen Worten widersprechen. In den folgenden dreizehn Gerichtsterminen gelang es dem Verteidiger, von der Tat selbst abzulenken und schoss sich und die Jury auf - grob gesagt - den keulenschwingenden Totalverweigerer Deneke im Gegensatz zum wohlerzogenen und aufrichtigen Camp ein. Ja, Deneke war angetrunken, bewaffnet (mit seiner Kette samt Schloss) und in eine Schlägerei verwickelt, aber Camp selbst war auch angetrunken, hat keine Hilfe geleistet, hat sich nicht bei der Polizei gemeldet und hatte schon mehr als einmal zuvor seinen Wagen als Waffe benutzt. Auch dass festgestellt wurde, dass die Person, der Camp zur Hilfe eilen wollte, nicht sein Freund MacCulloch, sondern ein Punk war, und die detaillierte Aussage von Elise Thompson, die zum Beispiel die Vorgänge in Camps Wagen zu Protokoll gab, konnte die Jury nicht davon überzeugen, Camp als Mörder zu verurteilen.

Camps Verteidiger gelang es im Gegenteil der Jury beizubringen, dass Deneke jemanden umbringen wollte. Denekes "Kaltbluetigkeit" konnte der Verteidiger mit einer Aussage Denekes Pfadfinder-Gruppenleiter untermauern. Dieser hatte mit ihm 4 Jahre (!!!) vor der Tat eine Auseinandersetzung ueber Brians Skateboard: "Er sagte mir, dass ich ein Hurensohn sei und dass er es überhaupt nicht nötig habe, in der Pfadfindergruppe zu bleiben." Er habe noch nie so kalte und dunkle Augen gesehen. Dem gegenüber stellte er den rechtschaffenen Camp, der an der Schwelle zum Erwachsensein ein der Gesellschaft angepasstes Leben vor sich hatte. Die unfassbare Prozessführung des Verteidigers kulminierte im Schlussplädoyer: "[Brian Denekes] Todesumstaende waren unglücklicherweise das Ergebnis der Entscheidungen, die er seit sechs Jahren vor seinem Tod getroffen hatte. Er war ein gewalttätiges Individuum. Und es brauchte Gewalt von Dustins Seite, Dustin Camps Seite, um weiterer Gewalt ein Ende zu bereiten, um ein unschuldiges Leben zu retten. Lasst diesen Jungen nach Hause gehen und sein Leben mit seiner Familie wiederherstellen, weil er das Richtige getan hat." Nach einigen Stunden kam die Jury entschied die Jury, Camp nicht auf Mord, sondern auf Totschlag zu verurteilen. In ihren Augen hatte Camp leichtfertig gehandelt, nicht mit Absicht. Und da er noch nicht vorbestraft war, wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Sogar die Geldstrafe von $10.000 muss er nicht bezahlen, wenn er innerhalb der nächsten 10 Jahre nicht straffällig wird.

Mit diesem mehr als milden Urteil überraschte die Jury sogar den Verteidiger. In den nächsten Tagen ging ein Aufruhr durch Amarillo - Fernseh- und Radiostationen, Zeitungen und das Gericht selbst wurden von ungläubigen, erschütterten und wütenden Nachfragen und Kommentaren bombardiert. Der Richter sah sich genötigt, die Liste der Juroren zu versiegeln. Und die Botschaft des Urteils ist klar: Die angepassten "good boys" können sich verhalten wie sie wollen - solche "Ausrutscher" werden zwar nicht gutgeheissen, aber auch nicht bestraft. Dustin Camp hat keine Nacht im Gefängnis verbracht. Wäre der Fall umgekehrt gewesen, wäre das Urteil sicher anders ausgefallen. Freunde und manche Anwohner bemitleiden Dustin Camp sogar; wenn er einkaufen geht, schauen ihm die Leute nach, er muss abends um 10 zu Hause sein und kann nicht mal richtig feiern, das würde bei einem Drogentest nachgewiesen. Wie ein Mitbürger bemerkt, darf er leider nicht mal eine Waffe besitzen. Aber er hat ja seinen Caddy.

Inzwischen sind viele Punks aus Amarillo weggezogen oder haben die Szene verlassen, das Haus an der 8th Street ist unbewohnt und Punkkonzerte sind nur noch schwach besucht - die Szene hat mit dem Verlust ihres Motors im wahrsten Sinne den Geist aufgegeben. Dennoch haben Freunde und Verwandte sich nicht entmutigen lassen und haben das Brian Deneke Memorial Committee ins Leben gerufen. Der Fall, das Urteil, die Person Brian - all das soll nicht vergessen werden und im Nachrichtendschungel untergehen. Auf den Webseiten des Committees kann man sich eine Menge Nachrichtenmaterial zum Thema runterladen, dazu Banner für die eigenen Webseiten, Flyer und Poster. Diese sollen für groesstmögliche Verbreitung der Geschichte sorgen. Mailorder können die Flyer den Bestellungen beilegen, Fanzines diese abdrucken, und wer sich darüberhinaus noch solidarisieren will, kann sich auch T-Shirts bestellen, die schon Freunde und Bekannte im Gerichtssaal trugen. Ihre Ziele formulieren sie wie folgt: [Die Ziele sind] Toleranz, Dialog und Respekt für verschiedene Lebensstile und Perspektiven in dieser Gemeinschaft zu fördern; zu sehen, dass durch das Rechtssystem auch Recht gesprochen wird; Gewalt und Vergeltungstaten entgegenzuwirken; die Opfer dieses Verbrechens zu unterstützen."

Im Juli findet in Amarillo ein Solidaritätskonzert statt, auf dem befreundete Bands auftreten. Zudem gibt es noch den Brian Deneke-Webring, dem sich andere Webseiten solidarisch anschliessen können. Ein Webring ist, wie der Name schon sagt, ein Verbund von Webseiten, die quasi in Reihe geschaltet sind. Die Teilnhemer von Webringen zeigen auf ihren Seiten den individuellen Banner, der die Möglichkeit bietet, zur nächsten Seite des Webrings zu springen oder eine Liste der zehn nächsten oder aller teilnehmden Seiten zu zeigen. Die Zahl der Teilnehmer nähert sich hier der 200er-Marke. Neben vielen Punkbands findet man hier auch Seiten von Freunden, die Brian Tribut zollen. Man sieht, wie hier die Möglichkeiten des Internets optimal genutzt werden: Man kann so auf eine Sache aufmerksam machen, eine Sache im Blickpunkt der Öffentlichkeit halten. So wie mit diesem Artikel.