JAMES FEARNLEY

The Story of THE POGUES

Es ist kurz vor 18 Uhr und ich sitze zu Hause vor meinem Telefon und warte darauf, dass ich mit James Fearnley, Gründungsmitglied und Akkordeonspieler der irischen Folk-Punk-Legende THE POGUES, verbunden werde. James hat gerade pünktlich zum 30-jährigen Bestehen der POGUES das Buch „Here Comes Everybody – The Story Of The Pogues“ veröffentlicht. Ich habe dann einen gut aufgelegten James Fearnley in der Leitung, der gerade in seinem Haus in Los Angeles weilt. Es ergibt sich ein sehr interessantes Gespräch, in dessen Verlauf wir über seine Vergangenheit, sein Buch und die Zukunft sprechen. Und er gewährt mir, soweit das möglich ist, ehrliche Einblicke in das Verhältnis der Band zu ihrem charismatischen und vom Alkohol gezeichneten Sänger und Songwriter Shane McGowan.

James, ich habe gehört, dass du mal in Deutschland gelebt hast. Stimmt das?


Na ja, „in Deutschland gelebt“ würde ich das nicht nennen. Ein deutscher Freund von mir lebte damals in Marburg. Das war 1977. Ich wollte ihn besuchen, aber es gab ein Missverständnis und er war gerade in Spanien, als ich ankam. Aber zum Glück war seine Freundin da und so hatte ich wenigstens ein Dach über dem Kopf. Einen Tag später wollte sie mit einer Freundin nach Berlin fahren. Da ich gerade nichts anderes vorhatte, bin ich mitgefahren. Ich war dann von Oktober bis Weihnachten in Berlin und es war eine sehr aufregende Zeit damals in Deutschland. In meiner Erinnerung sind noch die RAF-Hexenjagd, das Stammheim-Gefängnis und das Attentat auf Hanns Martin Schleyer, ja die ganze Baader-Meinhof-Sache damals. Es war ein politisch sehr unruhiges und aufregendes Jahr.

Mit etwa elf Jahren hast du schon angefangen, Klavier zu spielen ...

Ja, schon zu Schulzeiten hatte ich Klavierunterricht. Meine Eltern wollten das damals so. Und wie sich im Nachhinein herausstellen sollte, war es eine gute Wahl. Doch zunächst kam alles anders. Als ich 14 war, wurde ich gefragt, ob ich nicht in einer Band Bassgitarre spielen wolle. Und ich wollte natürlich, hatte aber keine Bassgitarre. Die anderen Jungs aus der Band und ich versuchten, in den Sommerferien Geld für Instrumente zu verdienen, was mir aber nicht gelang. Als ich dann Geburtstag hatte, bekam ich von meiner Mutter eine spanische Gitarre geschenkt. Als ich damit zur Bandprobe kam, waren die anderen sehr irritiert, haha. Später habe ich aber doch noch zur Bassgitarre gefunden.

Fällt es dir leicht, ein neues Instrument zu erlernen?

Bei den POGUES habe ich ja bei den Aufnahmen zu unseren Alben schon verschiedene Instrumente gespielt, zum Beispiel Cello beim „Turkish song of the damned“ oder Klavier bei „Hell’s ditch“. Ja, es fällt mir relativ leicht, weil ich immer genau weiß, wie es sich anhören soll. Technisch gesehen spiele ich sicherlich keines der Instrumente perfekt, aber es macht mir einfach Spaß, Geräusche zu machen und diese dann auf ein Ziel hin auszurichten.

Welche musikalischen Einflüsse haben dich in deiner Jugend geprägt?

Damals habe ich THE CREAM gehört. Eric Clapton fand ich großartig oder Peter Green, ein hervorragender Gitarrenspieler. David Bowie, ein bisschen LED ZEPPELIN und ein kleines bisschen auch DEEP PURPLE. Und natürlich Rory Gallagher. Das waren damals meine wichtigsten Einflüsse.

Hattest du damals schon eine klare Vorstellung davon, was du mal machen möchtest?

Ich wusste schon immer, dass ich mal Musiker werden wollte. Es war damals für mich die einzige Möglichkeit, von meiner Familie wegzukommen. Und das meine ich nicht böse. Ich denke, jeder sucht in dem Alter einen Weg, um selbständig zu werden. Meine Eltern hatten eine Firma in Manchester, aber ich wollte auf keinen Fall ins Familienunternehmen einsteigen und den Rest meines Lebens im Büro sitzen. Und so habe ich dann immer mehr zur Musik gefunden – und die Musik immer mehr zu mir.

Dann hast du dich der Band THE NIPS angeschlossen und einen Menschen kennen gelernt, der dich bis heute immer irgendwie begleitet hat ...

Das war 1980. Da waren die NIPS schon fast am Ende. Ich habe durch die Musikzeitschriften damals von Shane gehört, da war ständig die Rede von ihm. Shane O’Hooligan wurde er seinerzeit überall genannt. Und dann habe ich ihn schließlich beim Vorspielen für die NIPS zum ersten Mal getroffen.

Und als es mit den NIPS zu Ende ging, hast du bereits mit dem Schreiben angefangen?

Da habe ich dann wirklich erst mal meine Gitarre gegen eine Schreibmaschine getauscht. Aber ich schreibe eigentlich schon mein ganzes Leben lang. Nichts Spezielles. Mal dies, mal das. Und die Belohnung ist jetzt zum 30-jährigen Bandbestehen die Veröffentlichung meines Buches „Here Comes Everybody – The Story of The Pogues“.

Bei den NIPS hat auch Jon Moss, der spätere Drummer von THE CULTURE CLUB, gespielt, die dann kurze Zeit später berühmt wurden. Ich habe gelesen, dass die dich auch haben wollten ...

Jon Moss kam mit einem Demotape vom CULTURE CLUB in meine Wohnung, wir hörten es uns gemeinsam an. Ich war damals offen für fast alles und hätte in nahezu jeder Band gespielt. So war ich auch kurz davor, mich Billy Idols GENERATION X anzuschließen, und habe kurz bei ALIEN SEX FIEND gespielt, und noch bei vielen anderen Bands um London herum. Wenn Jon Moss, Boy George oder irgendjemand sonst sich damals bei mir gemeldet hätten, dann hätte ich sofort ja gesagt. Ich denke aber auch, dass Jon Moss mit dem damaligen Gitarristen von CULTURE CLUB zufrieden sein konnte. Und ein Telefon hatte ich damals auch nicht. Auf jeden Fall hat er sich nicht mehr gemeldet und so ist nichts daraus geworden.

Doch dann hast du ja doch noch eine Band gefunden ...

Am 26. August 1982 kam Jem Finer zu mir und erzählte mir, dass Shane noch von unserer gemeinsamen Zeit bei den NIPS wusste, dass ich Klavier spiele. Sie suchten aber jemanden, der Akkordeon spielt. Ich bekam ein Akkordeon und sie gaben mir eine Woche Zeit, um mich vorzubereiten. Anfang September habe ich mich dann in Shanes Wohnung mit den beiden zu den ersten Proben getroffen und es lief ganz ordentlich. Die beiden wollten mich auf jeden Fall an Bord haben. Und mit Shanes Kumpel Spider Stacy, mit dem er zusammen THE NEW REPUBLICANS gegründet hatte, und unserem damaligen Drummer John Hasler, die ich beide zum ersten Mal bei unserer ersten Show am 5. Oktober 1982 getroffen habe, waren wir erst mal komplett. Ach nein, da war ja noch Cait O’Riordan, unsere weibliche Bassspielerin, die ich jetzt fast vergessen hätte. Also waren wir auf einmal zu sechst und hatten am 5. Oktober unseren ersten Auftritt im Pinder of Wakefield.

Vor einigen Jahren habe ich irgendwo gelesen, dass ihr keine neuen Sachen mehr aufnehmen wollt ...

Oh, ich denke das ist keine Frage des Wollens, sondern eher eine Frage der Zeit. So genau weiß ich eigentlich gar nicht, warum wir nichts Neues mehr veröffentlicht haben. Vielleicht auch, weil die neuen Sachen nicht mehr so gut waren wie die alten. Und wir sind immer noch zufrieden damit, auf unserer Tour die alten Sachen zu spielen.

Also besteht die Möglichkeit, dass von den POGUES doch noch mal etwas Neues kommt?

Ich würde niemals nie sagen, was das angeht. Aber aktuell ... ich weiß es einfach nicht.

Also frage ich mal ganz direkt: Ist Shane das Problem, was euren kreativen Prozess angeht?

Shane war, ehrlich gesagt, schon immer ein Problem. Aber das meine ich nicht böse. Ich bin froh, dass er dabei ist, und genieße es, Zeit mit ihm zu verbringen. Seit ich ihn kenne, war es aber immer irgendwie problematisch mit ihm. Er ist eben ein sehr exzentrischer Typ.

Letztes und vorletztes Jahr habe ich euch in Deutschland live gesehen. Ich hatte immer den Eindruck, dass du und die anderen Bandmitglieder häufiger etwas genervt auf Shanes extravagantes Verhalten reagiert habt. Täuscht der Eindruck?

Das ist schon richtig und beschreibt genau die Banddynamik der letzten 30 Jahre. Deshalb haben wir auch zwischendurch eine Pause gemacht. Aber das macht andererseits auch den Reiz aus und ist vor allem auch für die Zuschauer sehr interessant. Die Zuschauer wollen eben vor allem Shane sehen.

Kann man sagen, dass die POGUES ohne Shane nicht die wahren POGUES sind?

Ja, da stimme ich mit dir überein. Aber andererseits ist Shane alleine natürlich auch nicht die POGUES. Shane braucht uns und wir brauchen Shane. Wir haben es ja eine Zeit lang ohne ihn versucht und es war okay. Aber mehr auch nicht.

Gab es keine Möglichkeit, Shane damals mit seinen Drogenproblemen zu helfen?

Das ist eine wirklich schwierige Frage. Ich denke, er war sehr weit davon entfernt, sich helfen zu lassen. Und wir waren einfach nicht qualifiziert genug, um ihm Hilfe anbieten zu können. Die beste Hilfe, die wir ihm damals geben konnten, war wohl ihn gehen zu lassen.

Und wie sieht es heutzutage hinsichtlich Drogen bei ihm aus?

Ganz genau kann ich dir das im Moment gar nicht sagen. Ich weiß es einfach nicht. Was den Alkohol angeht, denke ich, dass es besser geworden ist. Manchmal ist er betrunken und manchmal nicht. Meistens aber nicht mehr, obwohl es so aussieht. Aber Shane ist eben ein ganz besonderer Typ mit all seinen Schwächen. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen Menschen wie ihn getroffen und genieße trotz aller Probleme immer die Zeit mit ihm auf Tour.

Dein Buch „Here Comes Everybody – The Story Of The Pogues“ wurde gerade veröffentlicht. Warum sollte es jemand lesen, der sich für die POGUES interessiert?

Ich hoffe ja, dass das Buch nicht nur Menschen anspricht, die sich für die POGUES interessieren. Aber das werden wir noch sehen. Wenn ich ein Fan wäre, würde mich das Buch vor allem deshalb interessieren, weil es von einem Mitglied der Band geschrieben wurde. Es wurden ja bereits einige Bücher über uns von Leuten außerhalb der Band geschrieben. Das Buch behandelt die Zeit zwischen meinem ersten Treffen mit Shane 1980 bei einer Probe seiner damaligen Band THE NIPPLE ERECTORS und dem Punkt, an dem wir unseren Sänger entlassen mussten. Das war 1991. Das erste Kapitel beschreibt den Tag, an dem wir als Band zusammengekommen sind, um uns zu beraten, was wir mit Shane machen sollen, als er total außer Kontrolle geraten ist. Wir haben ihn in den Raum bestellt, in dem wir uns alle versammelt haben, um ihm mitzuteilen, dass wir ihn rausschmeißen werden. Und er hat sich einfach nur hingesetzt und gefragt: „Wie habt ihr das so lange ausgehalten?“

Auf dem Frontcover des Buches ist Shane im Vordergrund zu sehen und der Rest von euch im Hintergrund mit dem Rücken zu ihm gewandt. Was kannst du mir zu diesem charakteristischen Bild sagen?

Und das ist noch gar nicht alles, was das Bild ausdrückt. Da hast du noch etwas übersehen. Shane war ein absoluter Chaot, wie einige andere von uns übrigens auch. Doch Shane war der König der Chaoten. Er hatte aber auch noch eine andere Seite. An dem Nachmittag, als das Foto von Shane entstanden ist, das war im Frühjahr 1985 in Berlin, da war er einfach nur unterwegs und hat ein paar Blumen gepflückt, die er dem Fotografen zeigen wollte. Völlig harmlos. Diese Blumen sieht man auch auf dem Foto. Er hatte eben auch eine ganz andere Seite, die einfach nur harmlos und fast schon kindlich war. Das wollte der Fotograf mit diesem Bild auch dokumentieren.

Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus, mit den POGUES und persönlich?

Mit den POGUES möchte ich gerne weiterhin auf Tour gehen. Ich genieße ihre Gesellschaft. Sie waren schon immer so etwas wie meine zweite Familie. Und jetzt, nachdem meine Eltern gestorben sind, da sind sie sogar so etwas wie meine erste Familie geworden. Ich werde weiterhin schreiben. Aktuell arbeite ich gerade an einem zweiten Buch, einer fiktiven Geschichte. Ich habe hier in Los Angeles eine Band, CRANKY GEORGE, zusammen mit Dermot Mulroney, seinem Bruder Kieran und dem Plattenproduzenten Brad Wood am Bass, sowie dem Percussionisten Sebastian Sheehan Visconti. Wir befinden uns gerade etwa in der Mitte der Produktion unseres ersten Albums.

Vor Kurzem ist mit Barney McKenna das letzte Gründungsmitglied der legendären DUBLINERS gestorben. Kanntet ihr euch gut? Kannst du mir was über ihn erzählen?

Ich mochte alle DUBLINERS, die ich getroffen habe, sehr. Leider habe ich Luke Kelly und Ciaran Bourke nicht kennen gelernt. Und wir alle waren sehr angetan von Ronnie Drew. Sein Tod war ein großer Verlust für uns alle. Barney war ein sehr liebenswerter Mensch – exzentrisch, vergesslich und oft wirkte er sogar geistesabwesend. Es war sehr traurig zu sehen, wie sehr er gealtert ist seit unserer ersten Zusammenarbeit 1987, viel mehr als es bei Ronnie Drew oder John Sheehan der Fall war. Ich kann dir nicht die Story von Barney erzählen, aber soweit ich weiß, mochte er uns auch sehr gerne. Er konnte sich nie einen Namen merken und musste ständig von hier nach da geführt werden, weil er sich immer so leicht ablenken ließ. Irgendwann dann habe ich mich gefragt, wie er es immer noch schafft, Banjo zu spielen. Doch wenn er seinen Arsch auf einen Stuhl gehievt und sein Banjo in die Hand genommen hatte, dann war er auf einmal wieder so geschickt und fingerfertig wie eh und je, dann hat er das Banjo unter seinen Fingern zum Leben erweckt.