ARTLESS

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Mein Vater is ’en Punker

2007 gab es ein neues Lebenszeichen von ARTLESS, jener semilegendären Punkband aus dem westlichen Ruhrgebiet, die 1981 eine Single mit dem programmatischen Titel „Mein Bruder is ’en Popper“ gemacht hatte. Teenage Rebel Records aus Düsseldorf legte das Gesamtwerk im CD-Format neu auf, es wurden auch Konzerte gespielt, doch dann wurde es wieder ruhig um die Band, bei der mit Hank Sinatra und Willi Solid noch zwei Originalmitglieder aktiv waren/sind. Nun erschien ein neues Album, wenn man will sogar das erste richtige, denn „Tanzparty Deutschland“ war ja einst nur ein Tape. Braucht das jemand, ein Album von Mittfünfzigern, die sich noch mal einen Hauch ihrer Jugend zurückholen wollen? Falscher Ansatz: Punk ist, sein Ding zu machen und auf die Meinung anderer zu scheißen. Entsprechend stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit nicht, erlaubt ist, was Spaß macht. Und Spaß hatten Hank und Willi nebst den „Neuen“ mit den 14 neuen Songs, das hört man. Ich stellte Hank, Pete und Willi ein paar Fragen.

ARTLESS werden immer als Duisburger Band angesehen, dabei kam und kommt keiner von euch von da. Wo fand eure musikalische Sozialisation statt?

Hank:
Niemand von ARTLESS kam aus Duisburg oder hat in Duisburg gewohnt. Damals war Willi Wucher unser „Manager“ und wir haben seine Adresse als Kontakt auf der ersten Single angegeben, woraus dann wahrscheinlich geschlussfolgert wurde, dass wir aus Duisburg kommen. Zum ersten Mal bin ich 1976 in London mit Punk in Berührung gekommen. Die Musik und die vielen Eindrücke dort haben mich einfach umgehauen. Zurück in Deutschland hab ich dann nach Gleichgesinnten und nach Lokalitäten gesucht, in denen man diese Musik hören konnte, aber nichts gefunden. Auf einem DR. FEELGOOD-Konzert in Dortmund habe ich Jürgen Krause getroffen, der damals Fanzines über Punkrock verkauft hat, und der gab mir den Tip – Düsseldorf, Ratinger Hof –, also bin ich hin. Der Hof war damals die Punk-Szene in NRW, überwiegend Leute aus Düsseldorf, aber auch einige aus dem Ruhrgebiet. Hier hat alles angefangen. Hier hab ich damals Willi Solid und Martin Marter kennen gelernt, die in Bilk in einem alten Bunker unter dem Marktplatz mit den BAZOOKAS geprobt haben. Martin hat mich irgendwann gefragt: „Kannst du singen? Hast du Bock, bei den BAZOOKAS einzusteigen?“ Na ja, ich hab nicht lange überlegt und ja gesagt. Die Besetzung der BAZOOKAS wechselte anfangs ständig, bis sich irgendwann der harte Kern aus Willi Solid, Gitarre, Martin Marter, Schlagzeug, und mir als Sänger herauskristallisierte. Irgendwann habe ich dann Dead Caruso aus Mülheim als Bassisten angeschleppt und später kam dann noch Guppi Nougat dazu. Am Wochenende waren wir meistens im Hof und haben dann nachts halb besoffen im Bunker bis morgens früh geprobt. Ungefähr 1980 änderte sich das Konzept des Ratinger Hofs durch einen Besitzerwechsel. Das Proben im Bunker war durch Auflagen der Stadt auch nicht mehr möglich. Wir sind dann irgendwann nach Oberhausen in den Helmholtz-Bunker umgezogen, da konnte man noch für wenig Kohle Proberäume kriegen. Die Punk-Szene hatte sich damals sowieso mehr im Ruhrgebiet verbreitet, Duisburg, Oberhausen, hauptsächlich in der damaligen Stratosphäre und ins Expresso in Duisburg-Hamborn. 1982 haben wir dann ARTLESS aufgelöst. Punk war nicht mehr angesagt, es wurde immer schwieriger, Auftritte zu kriegen. Die einzelnen Mitglieder haben sich dann anderen Bands angeschlossen wie BUSY BEES, MODERN DANCE, ANY AND THE BODIES. Ich hab danach noch mit dem Sänger von MODERN DANCE, Oliver F. das Demo „Die Zeiten der Schwäche sind vorbei“ aufgenommen, das allerdings nie veröffentlicht wurde.

Wie kamt ihr auf den programmatischen Namen ARTLESS, was soll oder sollte er ausdrücken? Viele frühe Punkbands hatten ja einen Kunst-Hintergrund.

Hank:
Irgendwann hat mal jemand zu mir gesagt: „Das, was ihr da macht, ist doch keine Kunst, Drei-Akkorde-Geschrammel!“ Wer dieser Jemand war, ist mir leider entfallen, aber irgendwie dachte ich mir, er hat Recht. So ist der Name „ARTLESS“ entstanden – kunstlos, schlicht.

2007 gab es schon mal eine Reunion, jetzt ein neues Album. Was treibt dich, Hank, zusammen mit Willi im gesetzteren Alter noch auf die Bühne und ins Studio? „Wenn SLIME 2012 ein neues Album machen dürfen, dann können wir das auch“ – oder war eure Motivation eine ganz andere?

Hank:
Ich hab immer losen Kontakt zu Willi gehabt und nachdem Rüdiger von Teenage Rebel Records uns gefragt hat, ob er unsere alten Sachen als CD rausbringen kann – die waren übrigens als CD und LP nach kurzer Zeit ausverkauft –, hat Willi mich gefragt: „Kannst du dir vorstellen, noch mal mit ARTLESS aufzutreten?“ Ehrlich gesagt habe ich am Anfang gezweifelt. Zwei Typen, Mitte 50, mit 30 Jahre alten Songs? Ich habe viele Revivals gesehen und mir danach immer gesagt: „Ich behalte euch lieber so in Erinnerung, wie ihr mal wart.“ Die Ermutigung von Micha Will vom Plastic Bomb hat dann irgendwann doch den Ausschlag gegeben, nach dem Motto: „Ist doch scheißegal!“. Willi hatte dann schnell Musiker aus dem Raum Grevenbroich zusammengetrommelt, die uns unterstützen wollten. Daraus sind dann die neuen ARTLESS entstanden. Ach so ... die Frage war, was uns antreibt. Ich hatte von Anfang an nicht vor, als Reunion-Band durchs Land zu tingeln und nur alte Sachen zu spielen. Als sich der Gedanke, mit ARTLESS weiter Musik zu machen, in meinem Kopf festgesetzt hatte, wollte ich unbedingt mit den Jungs neue Lieder schreiben und spielen. Was soll ich sagen, überall wo wir gespielt haben, haben uns die Leute angefeuert, mitgesungen und uns häufig erst nach Stunden von der Bühne gelassen. Diese Zustimmung war schon echt geil und hat maßgeblich dazu beigetragen, einfach weiterzumachen. Es ist einfach ein tolles Gefühl, durch ganz Deutschland zu fahren, die Leute zum Toben zu bringen, sich nach dem Gig zu unterhalten und neue Leute kennen zu lernen. Mit SLIME hatte das nix zu tun. Man munkelt ja, dass bei SLIME die Kohle ausschlaggebend war, aber eigentlich möchte ich denen das nicht unterstellen! Bei uns war es einfach pure Freude – und was kannst du mit fast 60 sonst noch machen? Fernseh’ gucken und auf den Sensenmann warten? Nein danke!

ARTLESS sind heute offenbar ein Mehrgenerationenprojekt. Das Bandkonzept der Zukunft? Wo sind die alten Mitglieder abgeblieben, wer die neuen?

Hank:
Also von Guppi wissen wir nur, dass er heute in den USA lebt, und Dead Caruso soll nach Australien ausgewandert sein, wir haben aber leider zu beiden keinen Kontakt mehr. Martin Marter lebt in Indonesien, er war vor Kurzem noch in Deutschland und hat bei einer Probe Schlagzeug gespielt. Hat Spaß gemacht, über alte Zeiten zu quatschen und wieder zusammen Musik zu machen. Die neuen Mitglieder bei ARTLESS sind: Steve Steak Schlagzeug, Holle Holmqvist Bass, Pete Pancake Gitarre/Gesang, Max Moron Gitarre, Willi Solid Keyboard/Gitarre/Gesang, Hank Sinatra Gesang. Ein Mehrgenerationenprojekt? Definitiv. Das Bandkonzept der Zukunft? Keine Ahnung, aber aus meiner Sicht wünschenswert. Zukunftspläne? Jetzt müsste kommen: Hauptsache gesund! Scheiße nee, wir sind ’ne Chaosband. Von jedem Einzelnen kommen so viele neue Ideen, soviel hat sich in den Jahren musikalisch geändert, vieles fließt davon in die neuen Stücke ein, es ist einfach toll, am Leben zu sein und mit den Jungs Musik zu machen.

Pete, was verbindet Vater und Sohn in Sachen Punk? Was reizt jemanden, der heute so jung ist wie sein Vater damals, als der die Band gründete, an Punk?

Pete:
Nun ja, man könnte jetzt sagen, es liegt am schlechten Einfluss. Spaß beiseite ... Aber ich denke es hat schon in erster Linie etwas damit zu tun, mit welcher Musik man aufwächst. Wenn man in den Neunzigern geboren ist, gab es da nur wenig Alternativen zu dem eintönigen Pop- und Technokram, der einem nach dem zweiten Lied zu den Ohren raushängt. Da sucht man sich nun mal Alternativen und greift auf das nicht gerade kleine Musikrepertoire seines Vaters zu. Dadurch erhält man viele verschiedene Einflüsse, die irgendwie alle zusammenkommen. Angefangen bei den BEATLES und THE WHO, über 999 und die ersten BUZZCOCKS-Platten, bis hin zur eigenen ersten Platte, die man sich holt, damals „Nevermind“ von NIRVANA. Man könnte also sagen, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Man teilt eine gewissen Musikgeschmack, wobei sich hier als größte Schnittmenge der Punk ergibt. Was sich aber vor allem in dieser Zeit entwickelt hat, ist die Begeisterung für laute und dreckige Gitarrensounds. So kam es dann auch, dass mit der ersten Gitarre die ersten Versuche in eigenen Bands gestartet wurden; leider nicht sehr erfolgreich. Eines Tages fiel mir dann die bis dato gut versteckte „Tanzparty Deutschland“-LP in die Hände und ich war echt begeistert. Ich mein’, der eigene Vater in einer Punkband! Ich hab einfach mal angefangen, die Sachen nachzuspielen. Irgendwann kamen ja dann die Pläne für ein Reunion-Konzert auf und ich durfte mal zum Proben mitfahren, was dann aufgrund der kumpelhaften Atmosphäre in der Band dazu führte, dass es zur Regelmäßigkeit wurde und ich beim Konzert im Druckluft in Oberhausen mitspielen sollte. Nachdem dann einige Auftritte folgten und man zusammen eingespielt war, kamen plötzlich Ideen für neue Stücke auf. Das Interessante an ARTLESS ist, dass jeder in der Band seine eigenen Ideen hat, natürlich bedingt durch die verschiedensten Musikgeschmäcker, und diese auch miteinfließen lässt, und dass das Ganze trotzdem funktioniert und unter einen Hut passt – nämlich Punk.

Würdet ihr ein paar Songs kommentieren? Los geht’s mit „Ich hab John Lennon nicht erschossen“.

Hank:
Die Geschichte eines Klassentreffens, wo du nach Jahren die „Helden“ deiner Jugend wieder triffst. Die Revoluzzer, die damals immer die Mao-Bibel und ein Buch von Trotzki dabei hatten. Du siehst, was aus ihnen geworden ist: Chef einer Leiharbeitsfirma, Hausfrau mit vier Kindern ... Konservativ bis in die fettigen Haarspitzen, erfolgreich. Und dann kommt die Frage: „Was hast du denn so gemacht?“ Und in ihren Gesichtern kannst du die Ablehnung sehen, es ist ihnen peinlich. Was soll ich antworten? Das Urteil „schuldig“ steht doch schon fest. Die einzige Antwort, die ich hatte, war: „Ich hab John Lennon nicht erschossen, ich hab Che Guevara nicht ermordet. Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“

„Alkohol löst keine Probleme“.

Hank:
Die erste Strophe handelt von Problemen der meisten Rockmusiker, zu viele Drogen, zu viel Alkohol. Irgendwann 2008 las ich dann vom Tod des österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider. Gerade dieser „rechtschaffene, saubere“ Schwulenhasser kommt besoffen aus ’ner Schwulenbar und knallt in eine Leitplanke. Sofort fiel mir die viel zitierte Zeile „Alkohol löst keine Probleme“ ein und ich dachte mir: Manchmal eben doch!

„Chaosband“.

Willi:
Der Song „Chaosband“ entstand nach dem ersten Auftritt nach 27 Jahren im Druckluft. Verstimmte Gitarren, gerissene Saiten, die Bühne voll mit textsicheren Punks – heute wie früher. „Chaotische Lieder für ein Chaospublikum“.

„Freitags Komasaufen“.

Willi:
Bei „Freitags Komasaufen“ wird eine beliebte Freizeitaktivität – nicht nur von Jugendlichen – besungen. Der Text spiegelt die Tristesse des Alltags wider, welche zwangsläufig im Refrain „Freitags Komasaufen / Keiner kann mehr laufen“ endet. Der Song mag, ebenso wie „Schamhaar Sarah“, vielleicht etwas pubertär klingen, man sollte sie aber nicht allzu sehr auf die Goldwaage legen.

„Schamhaarsong“.

Hank:
Der Text entstammt einem Gedicht von Jürgen Odenthal, einem Kleinkünstler aus Grevenbroich und engem Freund von Willi, der auch unter dem Pseudonym „Gegenpapst“ auftritt. Sehr witzig, solltet ihr euch mal ansehen. Willi brachte mal einen Gedichtband zur Probe mit und wir haben uns alle kaputt gelacht. Über alles wurde schon in der Musikgeschichte ein Lied geschrieben, gelbe U-Boote, Jeans, Autos, Schuhe – aber über Schamhaare? Wir dachten einfach, es wäre mal an der Zeit.

„Urlaubsgrüße aus Nirgendwo“.

Hank:
Beruht auf einer wahren Begebenheit und ist wirklich so passiert. Der schönste Urlaub mit meiner Familie.