DINOSAUR JR.

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Es werde Lärm

Noch ein Interview mit J Mascis? Lieber nicht. Der Gandalf des Indierock ist notorisch maulfaul, was man nicht persönlich nehmen darf, und so entschied ich mich, mit Lou Barlow zu reden, der genau das auch gerne und viel tut. Der Anlass: das neue Album „I Bet On Sky“.

Im Sommer 2005 hatte ich ein Interview mit dir geführt, es ging um die anstehenden Reunion-Konzerte, und auf meine Frage, ob die Band darüber hinaus eine Zukunft habe, antwortetest du: „Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Was ist passiert?


Nun, ich sagte ja nur, ich könne mir das nicht vorstellen. Es kam dann eben anders, die Tour lief gut, und wir wollten einfach nicht wieder aufhören. Und J fing an, neue Stücke zu schreiben.

Damals war die Reunion eine Sensation, heute und drei neue Alben später ist Routine eingekehrt. Wie geht es dir heute mit der Band?

Es war erst mal ein gutes Gefühl, und wie du schon sagst, ist jetzt eine gewisse, gute Routine eingekehrt. Und es macht mir immer noch Spaß.

Was hattest du damals vermisst? Du hattest gelungene, erfolgreiche Platten gemacht seit deinem Rauswurf 1988, solo und mit SEBADOH.

Es gibt einfach nichts, was man damit vergleichen kann, bei DINOSAUR JR. zu spielen. Es ist die schiere Lautstärke, und DINOSAUR JR. funktionieren sogar auf der großen Bühne eines Festivals. Das habe ich mit meinen anderen Bands nie geschafft, da habe ich mich auf großen Bühnen immer unwohl gefühlt. Es ist ein gutes Gefühl, auf 30.000 Menschen zu blicken und dabei nicht nervös zu sein, weil man weiß, dass alles gut sein wird. DINOSAUR JR. vermitteln mir diese Sicherheit.

Trotz der Konflikte, die es lange Zeit zwischen dir und J gab, stellt die Band heute also eine Art „Komfortzone“ dar?

Wir spielten ja in sehr jungen Jahren schon zusammen, damals, als der Sound der Band geprägt wurde. Und ja, wir haben etwas geschaffen, was mir heute ein angenehmes Gefühl bereitet. Mit DINOSAUR JR. zu spielen ist, wie in Sound zu baden, er umspült mich.

Was macht eure Musik mit dir?

Das hat viel mit dem Zusammenspiel von mir und Murph zu tun, mit Schlagzeug und Bass. Ich spiele meinen Bass sehr laut, der Verstärker ist so weit aufgedreht, dass meine Hosenbeine flattern, dass alles vibriert, und dabei spielen Murph und ich so synchron, dass sich Bass und Schlagzeug wie eine Einheit anfühlen. Das macht die belebende Wirkung aus. Murph hat eine Drum-Monitorbox, und die steht immer so, dass sie auf mich gerichtet ist. Die Kickdrum spüre ich in meiner Brust, ich bekomme das Schlagzeug in voller Lautstärke ab. Ich habe immer den besten Sound auf der Bühne, ich höre Bass, Schlagzeug, Gitarre und Gesang. Es gibt immer wieder Konzerte, wo ich glaube, dass außer mir eigentlich niemand alles so gut hört, also die Leuten im Publikum. Es ist der ideale Platz und ein gutes Gefühl.

Hast du einen Hörschaden?

Ich war mir sicher, dass ich einen habe. Ich habe schon lange Tinnitus, und letztes Jahr ging ich endlich mal zum Hörtest, ich wollte endlich wissen, was nicht stimmt mit meinen Ohren. Der Test dauerte eine Stunde, und das überraschende Ergebnis war, dass mein Gehör in allen Bereichen normal gut oder besser ist. Im Bereich der Gitarrenfrequenzen gibt es ein paar Schwächen, aber auch das ist noch nicht im Bereich einer Gehörschwäche. Ich benutze aber auch schon ewig Ohrstöpsel, und damals, als ich noch keine trug, erlitt ich offensichtlich keine bleibenden Schäden. Ich war echt erstaunt über dieses Ergebnis. Ich möchte jungen Musikern wirklich empfehlen, Ohrstöpsel zu benutzen.

Es gibt in manchen Ländern Vorschriften, die Clubs exakte Lautstärkelevels vorgeben, die nicht überschritten werden dürfen. Das dürfte für Konflikte sorgen mit euren traditionell sehr lauten Konzerten.

J dreht seinen Verstärker niemals leiser. Auch wenn es klare Lautstärkebegrenzungen gibt. Die Schweiz ist da mittlerweile sehr streng, Frankreich auch. Aber irgendwie können uns die Vorgaben nicht stoppen, haha. J weigert sich einfach. Was genau dann unser Soundmann macht, das weiß ich nicht.

Im Kern ist diese Lautstärkebegrenzung Zensur künstlerischen Ausdrucks, gerade dann, wenn der Lärm Teil des künstlerischen Konzepts ist.

Ja, das ist seltsam. Wenn wir auf solch ein Problem stoßen, bin ich allerdings nie frustriert, sondern im Gegenteil neugierig darauf, was passieren wird. Hätte ich das Sagen, würde ich mich wohl fügen, wir würden die Verstärker leiser drehen, um sicherzustellen, dass der Auftritt reibungslos verläuft. Aber J ist da anders, in so einer Situation muss ich ihn nur anschauen und weiß sofort, was Sache ist. Der Soundmann kommt und sagt: „J, heute haben wir ein db-Limit, drehst du vielleicht etwas leiser?“ J hat dann einen bestimmten Gesichtsausdruck, so als würde er nicht im Geringsten verstehen, was man ihm da überhaupt sagt. Und das heißt, dass er unter keinen Umständen etwas an seiner Lautstärke ändern wird. Als unbeteiligter Außenstehender finde ich das immer wieder unglaublich unterhaltsam. Und so spielen wir dann unser Konzert, und eigentlich immer endet das dann in dem Lautstärkebereich, den wir gewohnt sind. Ist es mal etwas leiser, ist das okay für mich, ich mag das. Ich denke, wir sind gut genug, um auch mal etwas leiser zu spielen, dass unsere Musik auch ohne diese extreme Lautstärke funktioniert. Leise zu spielen halte ich für eine gute Herausforderung an DINOSAUR JR. Und was nun den politischen Aspekt von Lautstärkebegrenzungen betrifft, ist das lächerlich, denn die geforderten Levels sind sehr niedrig, da ist es an jeder Bahnstrecke doppelt so laut.

Oder in der Nähe von Flughäfen, wo es Politikern egal ist, wenn die Flugzeuge 24 Stunden am Tag lärmen.

Wir haben mal in der Schweiz auf einem Festival gespielt, da war irgendein Fest in der Stadt, und während wir eine Lautstärkebegrenzung verordnet bekamen, flogen Kampfflugzeuge über die Stadt. Das war verrückt! Wir leben in einer sehr lauten Welt, und denen fällt nichts Besseres ein, als Rock-Konzerte zu kontrollieren. Außerdem gibt es ja Gehörschutz, und ich bin ein gutes Beispiel dafür, wie man auch mit 46 noch gut hören kann, auch wenn man sich über die Jahre einer enormen Bandbreite an Lärm ausgesetzt hat, sowohl auf der Bühne wie im Studio.

Kannst du dich erinnern, wie und wann deine Begeisterung für Lärm ihren Ausgang nahm? Als Kind hat ja jeder Spaß an Lärm, etwa beim Aneinanderschlagen von Topfdeckeln.

Meine Eltern hatten einen tragbaren Kassettenrekorder, mit dem nahmen wir auf Kassette „Audiobriefe“ für unsere Oma auf, die weit weg wohnte. Mit dem Rekorder spielte ich gerne herum, und mit 13, 14 fand ich dann heraus, dass das Gerät einen Ausgang hat, und so besorgte ich mir bei Radio Shack ein entsprechendes Kabel, mit dem ich es an die Stereoanlage meiner Eltern anschließen konnte. Außerdem gab es einen Mikrofoneingang, und da konnte man eine Gitarre anschließen. Und so lernte ich die Welt des Feedbacks kennen. Nach der Schule, wenn meine Eltern noch bei der Arbeit waren, war ich allein zu Hause mit der Stereoanlage und stellte fest, was für Stürme an Lärm und Feedback man erzeugen kann. Ich hatte gar nicht das Bedürfnis, ein neuer Jimi Hendrix zu sein, ich hatte einfach nur Spaß an diesem heulenden Feedback, das ich erzeugte. All das nahm ich auf, spielte es immer wieder ab. Parallel dazu entdeckte ich dann Bands wie DEAD KENNEDYS, RAMONES, CIRCLE JERKS und BLACK FLAG.

Hast du deine Lärm-Entdeckungen für dich behalten oder auch Freunden vorgeführt?

Ich habe das lange für mich behalten, nur ein alter Freund – aus der Zeit, bevor wir nach Massachusetts umgezogen waren – wusste davon, denn wir schickten uns Kassetten mit der neu entdeckten Musik hin und her. Zwischen den Songs spielte ich DJ, packte zwischen DEAD KENNEDYS und JOY DIVISON irgendwelche seltsamen Geräusche oder Aufnahmen von Telefonstreichen. Daraus entstanden auch mal Mini-Songs, einer hieß „Why do you cut off your sleeves?“, und der bestand aus Gitarrenlärm von mir und dem Geschrei meiner kleinen Schwester. Von da an entwickelte sich das weiter. Es gab eine Sendung beim örtlichen Radiosender, Sonntagabend um elf, und die baten um „crazy music from local people“, und so schickte ich denen meine Tapes unter dem Künstlernamen Loubie. Ich war da 15, 16, und die spielten sogar einen Song namens „I love me“. Kurz darauf traf ich J und wir starteten unsere Band DEEP WOUND. J hatte bei diesem Sender übrigens zusammen mit seinem Freund Charlie eine Sendung, Sonntagmorgens nach der Polka-Sendung. Charlie war später der Sänger unserer Hardcore-Band, und J hatte damals eine beeindruckende Plattensammlung mit Hardcore, Punkrock und Oi!, all diese Importsachen wie DISCHARGE. Ich kannte J und Charlie also aus dem Radio, als ich sie erstmals traf.

Was hielten deine Eltern von deinen Lärm-Experimenten, gab es da eine musikalische oder künstlerische Tradition?

Meine Familie hat keine entsprechende Tradition, keine Musiker in der Familie, aber meine Eltern hatten mich gern und ließen mich machen, nahmen mir auch nicht gleich weg, woran ich Spaß hatte. Die förderten mein Interesse an Musik, ich bekam Unterricht, auch wenn ich alle Arten von Unterricht ablehnte. Die Gitarre allerdings gab ich nicht wieder her, und ich hatte Spaß am Singen. Es war sicher nicht einfach für sie mit mir, aber sie waren sehr tolerant.

Und verstehen sie heute, was du die letzten 25 Jahre so getrieben hast?

Nachdem ich mit 17 die Highschool abgeschlossen hatte und dann drei Jahre mit verschiedenen Bands und Jobs verbrachte, waren sie etwas besorgt, ich schien keine Zukunft zu haben. Mit 20 waren DINOSAUR JR. dann schon dabei, sich zu etablieren, und als ich 21 war, fingen wir an, in Europa zu touren, und meine Eltern merkten, dass da mehr hinter der Band steckt. Außerdem war J ein guter Anführer, es war leicht, ihm zu folgen, er ist sowohl talentiert als auch ehrgeizig. Mit 21 verdiente ich also Geld mit der Band, und ich kam in der Welt herum. Kaum jemand aus meinem Highschool-Jahrgang hatte die Möglichkeit, so viel zu reisen wie ich. Ein Monat in Deutschland, das war etwas Besonderes! Das Geld war für meine Eltern nicht so wichtig. Damals interessierte mich aber natürlich nicht, was meine Eltern von meinem Leben hielten.

Ich habe explizit danach verlangt, dieses Interview mit dir zu führen, denn ich weiß ja, dass J nicht gerade eine Plaudertasche ist. War der schon immer so, und geht der mit dir auch so wortkarg um? Kommuniziert ihr, erklärt er?

Nein, hahaha. Das hat er noch nie getan. J denkt, glaube ich, dass sowieso immer alles klar ist. Und in gewisser Weise stimmt es ja auch. Ich habe mich schon oft aufgeregt, warum wir nicht einfach über etwas diskutieren können, und er sagte einfach nur: „Weißt du was? Das ist nicht so wichtig, das wird sich schon fügen.“ Ich bevorzuge es, in meinem Leben außerhalb von DINOSAUR JR. viel und ausgiebig zu kommunizieren, aber in der Band und weil ich J schon so lange kenne und ihm vertraue, wird nicht viel kommuniziert. Was wir getan haben, hat meinem Leben Richtung gegeben, mich geprägt. Schon in jungen Jahren mit J arbeiten zu können, ihn zu beobachten, das war für mich sehr inspirierend. Als ich damals aus der Band gekickt wurde, erkannte ich, dass ich die Stärke habe, mein eigenes Ding zu machen. Allerdings ist J wirklich eine sehr spezielle Persönlichkeit. J hat aber auch Glück gehabt, schon sehr früh auf Menschen zu treffen, die ihm geholfen haben. In letzter Zeit hat sich J allerdings verändert, er ist offener geworden, er redet mehr, er taucht in Filmen und Fernsehsendungen auf, er blüht geradezu auf, so empfinde ich es zumindest. Und es ist schön, das zu sehen. Und zumindest dann, wenn er sein Gegenüber mag, ist er jetzt sogar bereit zu reden. Um auf deine Frage zurückzukommen: Ja, J war schon immer so, und ja, er hat Schwierigkeiten damit, zu kommunizieren. Nicht mit jemandem zu reden, ist also keine Sonderbehandlung für Journalisten, hahaha.

Du bist zum Glück anders.

Vielleicht bin ich ja eitel und rede einfach nur gerne über mich. Es kommt aber in der Tat selten vor, dass ich bei einem Interview den Wunsch verspüre, dass das jetzt bitte gleich vorbei ist.

Dann zum Schluss noch eine „historische“ Frage: DINOSAUR JR. werden neben SONIC YOUTH und HÜSKER DÜ zu den Urvätern des Indierock gezählt. Allerdings kam dieser Genrebegriff erst später, als ich in den Achtzigern auf diese Bands stieß, hatte niemand für diese neue Musik, die irgendwie Punk war, aber doch anders, einen besonderen Namen. Wie war das für euch, hattet ihr das Gefühl etwas Neues zu machen?

Puh ... Es war vielleicht die Verwendung von Lärm, dieser fauchende Noise, der neu war. Das machten aber auch schon THE JESUS AND MARY CHAIN oder die SWANS, es gab THROBBING GRISTLE und EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN. Und ich wusste schon, dass wir da aus verschiedenen Elementen etwas bauten, das neu war. „Confusion Is Sex“ von SONIC YOUTH hat mich schon beeinflusst, bevor ich es überhaupt gehört hatte. Ich hatte nur davon gehört, dass es da eine Band in New York gibt, die spielt nur mit drei Saiten auf der Gitarre, die machen ganz wilde Sachen, und das klang nach der besten Band der Welt, ich war neugierig darauf, sie zu hören. Und als ich sie dann hörte, waren sie noch viel besser, als ich mir sie vorgestellt hatte. Und HÜSKER DÜ, das war die Band, die mir meinen Tinnitus bescherte, als ich vor Bob Moulds Verstärker stand. Für mich war Noise Rock, und bei unserer zweiten Platte arbeiteten wir dann ganz bewusst mit Noise, J setzte ihn gezielt ein, und ich spürte, dass da etwas richtig Gutes entsteht.