DR. RING DING SKA-VAGANZA

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Umtriebige Münsteraner Offbeat-Kompetenz

Kurzbiografie Dr. Ring Ding: Jahrgang 1970. Posaunist der mittlerweile reaktivierten EL BOSSO & DIE PINGS PONGS. Geschäftiger Solokünstler mit Faible für sämtliche jamaikanische Musikstile, die nicht bei drei auf den Bäumen sind, aber auch engagiert in zahlreichen Projekten, die über diesen Horizont hinausgehen. Ur- und Immernochmünsteraner und seit Kurzem wieder im Bereich des Traditional Ska umtriebig – der Ska-Spielart, mit der er 1995 seine „Solo-Karriere“ startete. Als Rückbesinnung im doppelten Sinne mag man das betrachten – die Rückbesinnung auf den Sound, den er Mitte der Neunziger mit SENIOR ALLSTARS auf „Dandimite“ konservierte und damit seine ersten Gehversuche aus dem Schatten der PING PONGS heraus wagte, aber auch auf den Sound, der zweifelsohne als Grundlage für sein gesamtes musikalisches Schaffen bezeichnet werden kann – Ska in seiner ursprünglichsten Form. „Piping Hot“ heißt das neueste Album des Doktors, erscheint sowohl auf CD als auch Vinyl über Pork Pie respektive Buenritmo und bietet Anlass, Richard A. Jung einige Fragen zu stellen – nach den überraschend althergebrachten Klängen seines aktuellen Projekts, den Auswirkungen des Lebens „on the roads“ auf seine Arbeit und dem Stellenwert jamaikanischer Ur-Musik im Gesamtschaffen des Doktors.

1995. Wir erinnern uns: Die deutsche Ska-Szene, in der Art, wie sie Mitte der Achtziger aufkam, zeigte zu diesem Zeitpunkt die ersten Verschleißerscheinungen – mit dem Wechsel der BUSTERS vom Weserlabel zum Sony-Sublabel Mambo und der gleichzeitigen Trennung von Sänger und Gitarristen verlor ein Schlachtschiff der hiesigen Ska-Landschaft in vielen Augen an Glaubwürdigkeit, BLECHREIZ hatten mit „Rude Gangsters“ ihr letztes Studioalbum veröffentlicht und auch die BUSTERS konnten „No Doubt“ und „Time Tunnel“ nicht mehr übertreffen. BRACES, NO SPORTS, FRITS etc. hatten einen Wirbel um deutschen Ska ausgelöst, der sich zunehmend legte; die am Sound der britischen Vorbilder orientierte deutsche Erfolgswelle verebbte langsam, aber sicher – umso mehr Aufmerksamkeit erzeugte das DR. RING DING & THE SENIOR ALLSTARS-Debüt „Dandimite“ zwischen all diesen 2Tone-inspirierten Bands mit seinem Soundgemisch aus Rocksteady, Ska und Jamaican R&B. Selten wurde zuvor dieser Sound von nicht-jamaikanischen Musikern so überzeugend eingefangen.

Doch war der Dr. zu diesem Zeitpunkt bereits kein unbeschriebenes Blatt mehr: EL BOSSO & DIE PING PONGS waren seine Ska-Sozialisation: vom Posaunenchor der Kirchengemeinde wechselte er in die Bläserfraktion der Münsteraner Offbeat-Institution, die sich rückblickend mit Fug und Recht einen „Kultstatus“ bescheinigen lassen darf, sich jedoch schon 1992 wieder auflöste. Richie gründete seine eigene Band, die bis 2002 unzählige Konzerte spielte, den halben Erdball betourte und fünf Studioalben nebst einer Best Of-Compilation veröffentlichte. Aber auch über sein Hauptprojekt hinaus widmete sich der Dr. stilistisch allen nur erdenklichen Spielarten jamaikanischer Populärmusik im Speziellen und karibischer Sounds im Allgemeinen – traditioneller Sixties-Ska, Reggae in seiner ganzen Breite von Roots und Dub bis hin zu moderneren Dancehall- und Raggamuffin-Songs. Durch handwerkliche Qualität, sein versiertes Posaunenspiel und gesangliches Können, mit einer Bandbreite vom schmalzigen Rocksteady-Crooner bis zu vertrackten Toasting-Parts, machte er sich schon bald bis in die letzten Ecken des Ska-Mikrokosmos einen Namen, und eine Zusammenarbeit mit Genre-Urgesteinen und Szenegrößen wie Laurel Aitken, Derrick Morgan, Victor Rice, Rico Rodriguez, Judge Dread oder Lord Tanamo war die logische Konsequenz und Ernte seines jahrelangen, kontinuierlichen Wirkens.

Die Energie und die Inspiration für Ring Dings vielseitigen und konstanten Output lag und liegt dabei oftmals am Wegesrand, denn wenn es eine Sache gibt, die den Doktor immer wieder antreibt, Songs zu schreiben und zu experimentieren, so ist es das Angetrieben sein an sich – das Reisen, das Unterwegssein, sowohl in der „Funktion“ als Musiker als auch im Privaten: „Was mich in meinen Anfangstagen wohl am meisten geprägt hat, war die Zeit ,on the road‘. Es liegt etwas Besonderes darin, von Konzert zu Konzert zu reisen, die vielen Festivals zu spielen, das Billing mit den ganzen Großen der Szene zu teilen, bekannte Gesichter wiederzutreffen – Ska war der Soundtrack meiner Sturm-und-Drang-Zeit und ist für mich auch eng mit dem Unterwegssein verbunden.“

Nichtsdestoweniger scheint der Herr Ring-Ding in den letzten Jahren etwas aus dem Fokus der Traditional-Ska-Gemeinde gerutscht zu sein, vielerorts fand man keinen Zugang zu seinem experimentierfreudigen Schaffen; sein großspuriges Bühnen-Ich trifft nicht immer auf Anklang, seine Zusammenarbeit mit den H-BLOCKX stellt für einige einen Treuebruch mit dem Subkultur-Kodex dar – aber darum ging es ihm nie. Szeneintegrität durch stilistische und kreative Selbstzensur? Da gibt er sich lieber voller Leidenschaft für Musik den unterschiedlichsten Gattungen hin, als sich der Szene-Engstirnigkeit zu unterwerfen, und ist in verschiedensten Projekten von Swing, Jazz bis Funk involviert, wirkt als Produzent und Studiomusiker überall dort mit, wofür er Zeit und Sympathie aufbringen kann, singt französische Chansons – eine sonore Rückblende auf seine in Frankreich verbrachte Kindheit.

Vor diesem Hintergrund scheint es umso überraschender, dass Dr. Ring Ding nun – 17 Jahre nach „Dandimite“ – mit seinem neuestem Projekt namens DR. RING DING SKA-VAGANZA mit „Piping Hot“ ein Album aufgenommen hat, das ähnlich wie sein „Solo“-Debüt daherkommt und damit für den umtriebigen Dr. beinahe schon eine stilistische Selbstbeschränkung darstellen sollte: „Ich konzentriere mich eigentlich nicht wirklich auf ein bestimmtes Genre“, erklärt er hierzu, „ich konzentriere mich natürlich auf das Projekt, an dem ich gerade arbeite, betrachte dies aber komplett getrennt von der Stilistik. In letzter Zeit habe ich mich mehr dem Reggae und Dancehall gewidmet – sowohl in den Aufnahmen als auch mit meinen Live-Aktivitäten. Wenn Leute meinen Namen eher mit Dancehall assoziieren, dann liegt das wohl vor allem daran, dass diese Szene um einiges größer ist als etwa die Ska-Szene.“ Zudem müsse er sich nicht auf einem neuen Album beweisen, was er sonst noch alles kennt und kann: „Mir war es wichtig, stiltreu zu bleiben, deswegen ist auch eines der Stücke, bei dem ich mehr im Oldschool-DJ-Style getoastet habe nicht mit aufs Album gekommen.“

Auch zuvor zeigte der Dr. mit KINGSTON KITCHEN und THE ROCKSTEADY REVUE einen Trend zum „handgemachten“ Ska und begab sich damit bedrohlich nahe in Rufweite des Tellerrandes der Traditionalisten-Szene, so dass ihn über kurz oder lang der Drang packte, ein reines Ska-Album im Dr. Ring Ding-Format aufzunehmen – vor allem nachdem er Ende letzten Jahres einige Shows mit dem BARTENDERS aus Warschau und SHOTS IN THE DARK aus Rom gespielt hatte. Als dann auch die katalanische FREEDOM STREET BAND sowie eine Vielzahl befreundeter Jazz- und Ska-Musiker mit ihm Boot waren, stand der Umsetzung nichts mehr im Weg, der zurück zum ursprünglichen Ska führen sollte; dorthin, wo Richie nach der Auflösung der PING PONGS einst begann.

Und tatsächlich: es sind diese fieberhaften Offbeat-Rhythmen, wie sie einst THE SKATALITES als Marschrichtung für das ganze Genre vorgaben, denen der Dr. auf diesem Album verfallen ist und die er nicht nur mit einem ausgezeichneten Gespür für eben diesen Sound sondern auch – um den Bogen zurück zu spannen – mit einem Duett mit Doreen Shaffer, der Sängerin eben dieser wegbereitenden Legende des Ska, eingefangen hat. Zwischen den Eigenkompositionen, zwei Instrumentalstücken (von denen vor allem die Transformation von „Die Gedanken sind frei“ in ein Son- und Mento-infiziertes Ska-Stück aufhorchen lässt) sticht das Duett mit der „Queen of Ska“ heraus, dass sich als Coverversion von Peter Gabriels 1986er Tearjerker „Don’t give up“ entpuppt: „Das Lied hat mich damals fasziniert, als es herauskam, und in einem anderen Programm habe ich es schon gesungen, als Jazz-Duett. Für das Album wollte ich auf jeden Fall auch ein Duett, und auf jeden Fall mit Doreen Shaffer. Und ungewöhnlich sollte es auch sein, daher fiel die Wahl auf das Stück. Auf dem gesamten Album geht es um Positivität, Liebe, Hilfe, etc., daher passte das auch. Der Gesang wurde in zwei verschiedenen Studios in Münster aufgenommen – ich habe sie nach einem SKATALITES-Konzert einfach entführt.“

Und so trifft der Titel „Piping Hot“ auf den brodelnden Trad-Ska seines neuesten Albums absolut zu, welches, vielleicht als Gegenpol, aber vor allem als stilistische Bereicherung zum derzeit angesagten Dirty-Reggae-Untergrund, den Offbeat an den Wurzeln packt. Doch wer denkt, dass Dr. Ring Ding sich im Revivalism suhlt, ist auf dem Holzweg; kaum ist seine aktuelle Scheibe erschienen, stehen weitere Veröffentlichungen in den Startlöchern, etwa ein Album mit den polnischen DREADSQUAD, mit denen er schon seit Längerem computerproduzierten Dancehall im Stil der Spätachtziger macht und bereits einige Singles veröffentlicht hat. Mit der SHARP AXE BAND, seiner deutschen Backing-Band, arbeitet er an einem Reggae-Album, über eine Kollaboration mir King Django wird gemunkelt, ein französisches Projekt nimmt auch langsam Gestalt an ... und das sind lediglich seine Pläne als Dr. Ring Ding. Wer weiß, wo überall auf der Welt schon bald seine Dienste als Studiomusiker, Produzent, Sänger oder eine seiner zahlreichen weiteren Seiten als umtriebige Offbeat-Kompetenz gefragt sein werden. Bis dahin aber serviert der Doktor der internationalen Ska-Community erst einmal mit hörbarer Begeisterung für eben diesen Sound eines der heißesten Ska-Alben der letzten Jahre – und das ist ganz im Sinne der Sixties-Genre-Archetypen nicht nur hot, sondern „piping hot“.