P.O.X.

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Der Kinski des Psychobilly

Wer an Klaus Kinski denkt, hat schnell eigene Bilder im Kopf: „Fitzcarraldo“, schlechte Western, alte Edgar-Wallace-Verfilmungen, Publikumsbeschimpfungen, Schreiduelle oder seine Auftritte als Jesus-Rezitator. Wer an Psychobilly denkt, denkt nicht unbedingt an Kinski. Doch da gibt es einen, der behauptet von sich, er sei der „Klaus Kinski des Psychobilly“. Und er feiert gerade mit seiner Band THE P.O.X., der ersten und umstrittensten deutschen Psychoband, ein Comeback. Auf ihrem neuen Album „Insanity Is No Disgrace“ feiern THE P.O.X. den Wahnsinn, den Mord und die Musik. Beaker Pox, Sänger und Mastermind der Band, ist mit einigen Porträts von Kinski tätowiert und berichtet, warum Wahnsinn keine Schande ist und wie THE P.O.X. die Welt retten werden. Oder auch nicht.

Was bedeutet Klaus Kinski für dich?


Kinski hat mich schon seit meiner Kindheit begleitet, mich in meiner Jugend fasziniert und berührt mich heute – als erwachsener Künstler – intensiv auf den verschiedensten Kanälen. Kinski steht für Professionalität, für Arbeit bis zur Selbstvernichtung, für ein Leben für die Kunst. Kinski steht aber auch für Implosionen seiner selbst, Ausflippen und Wut und tiefe Abgründe in der Seele. Kinski ist „plus“ und „minus“, ist „Liebe“ und „Hass“, Kinski ist ein einzigartiger Narzisst gewesen, der sich mit der gleichen Intensität liebt, wie er sich gleichzeitig hasste. Diese Gegenpole, die einen Menschen entzweien, sind ein unglaubliches Potenzial zum künstlerischen Schaffen. Woher ich das weiß? Weil ich das jeden Tag selber so spüre, selber permanent zwischen zwei Polen hin- und hergeschleudert werde – in mir. Klaus Kinski ist nicht mein Vorbild – ich bin selber ein „Klaus Kinski der Psychomusik.“ Egal, was du jetzt denkst.

Was haben P.O.X. und Klaus Kinski für dich gemeinsam?

Ich sage es noch mal: Klaus Kinski ist für mich keine Name, den ich nenne, weil ich dadurch auffallen oder mich wichtig machen will. Es gibt nur eine Gemeinsamkeit zwischen P.O.X. und Klaus Kinski. Nämlich mich.

Ist Kinski für dich eher Pop- oder Subkultur?

Es gibt oder gab wenige Künstler, die so intensiv in die Kunst abgetaucht sind wie Kinski. Die sogar im Alltag ihre Rolle weitergespielt haben. Ich weiß genau, dass Kinski nicht anders konnte. Aber Schluss jetzt mit Kinski-Fragen ...

Na gut, dann zu Pop: Einige Musiker, wie etwa Matt Voodoo von MAD SIN zieht es ja ins Fernsehen. Wie ist es mit den P.O.X.: Seid ihr mit eurem neuem Album auch reif für „Voice of Germany“?

Absolut, ein unbedingtes Muss für die P.O.X. Also ehrlich gesagt, frage ich mich immer wieder, wie ich es bisher eigentlich ohne „The Voice“ geschafft habe. Darf ich eine persönliche Botschaft senden? Ja, also: „The Voice“, Danke, dass es euch gibt. Und bitte, helft auch uns!

Von der Originalbesetzung ist heute nicht mehr viel übrig. Wie kommt das?

Korrekt, sehr gute Frage. Nur falsch. P.O.X. haben zu dritt begonnen, davon sind heute noch zwei Mitglieder aktiv. Carl Pox und Beaker Pox. Ohne Carl Pox keine P.O.X. Ohne Beaker Pox keine P.O.X. Es ist also von der Originalbesetzung heute noch sehr viel über. Und damit du das das nächste Mal dann besser Bescheid weißt: Der Ur-Drummer Slin hat schon in unserer zweiten Schaffensperiode in den Neunzigern nicht mehr bei uns gespielt. Carl und ich sind seit 1983 P.O.X. und sind es noch heute. Wir schreiben alle Songs, nehmen diese auch zu zweit auf. Wir sind unzertrennlich – als Musiker, Künstler und vor allem als treue Freunde. Wenn du auf die heutige Live-Besetzung mit unserem „Live-Orchestra“ anspielst: Mad, Hellco und Borg, unsere tapferen Mitstreiter im Kampf gegen den Rest der Welt, ja, dann ist das natürlich anders als früher. Das sind fünf Leute und nicht mehr drei. Schließlich sind Carl und ich ja keine Freunde des künstlerischen Stillstands und deshalb ist diese Band in dieser Besetzung für unseren heutigen Stil absolut geil, das römmert richtig ab.

Was macht P.O.X aus?

P.O.X. ist keine klassische Psychobilly-Band, obgleich wir eine der ersten Bands des Genres überhaupt gewesen sind – damals gab es eigentlich nur eine Handvoll Bands aus England und noch weniger hier auf dem Festland. Carl und ich haben seit Anbeginn der P.O.X. unseren „eigenen“ Sound kreiert und haben in das „klassische Psychobilly-Schema“ andere Genres eingebaut. Danach haben mit der Instrumentierung experimentiert. Kurzum, wir komponieren Songs, die für uns „Psycho“ sind: Egal, ob „man das darf“ oder nicht. Egal, ob das nach Punkrock klingt oder nach RAMMSTEIN. Hauptsache, es entsteht eine echte Atmosphäre; so wie in einem Horrorfilm oder in einem Thriller. Auch was unsere Live-Appearance angeht, haben wir immer sehr extreme Sachen ausprobiert, wie in den Achtzigern literweise Schweineblut vergossen, oder ich habe mich auch schon mal auf der Bühne im Tim-Curry-Outfit gezeigt. Wer die Szene von früher kennt, kann sich denken, dass das heftige Reaktionen verursacht haben muss. Heute gibt es Schauspieleinlagen aus der Todeszelle. THE P.O.X. sind sicherlich deshalb eine der polarisierendsten Bands im Billy-Bereich. Geliebt oder gehasst, aber nix dazwischen.

Wie viel ist vom ursprünglichen Geist oder Ungeist der P.O.X noch geblieben?

Der Geist der P.O.X. ist heute noch viel deutlicher und stärker zu spüren, als zu unseren Anfängen. Wir sind inzwischen Menschen mit entsprechender Lebenserfahrung, jeder hat seine Lektion im Leben gelernt. Berührungsängste oder mentale Grenzen gibt es einfach nicht mehr für mich oder für Carl. Wir arbeiten sehr professionell auf relativ hohem Niveau. Jeder von uns weiß, was er zu tun hat, und es gibt keine internen Rangeleien. Es ist klar, wer was wann macht, und vor allem ist klar, wer der Chef ist. P.O.X. sind in dieser Schaffensperiode exakt die Band, die wir sein wollen. Ohne Wenn und Aber. Kein Kompromiss.

Warum geht es bei euch um Serienkiller? Gibt es nicht genug Gewalt?

Wir wollen ganz deutliche Stimmungen erzeugen – wir wollen mit unserer Musik eine Geschichte erzählen, die in dir als Hörer Emotionen auslöst und dir letztendlich zeigt, dass du lebst. Wenn du einen guten Thriller guckst, dann schnürt es dir ja auch den Hals zu, und wenn du dann später wieder in der Realität bist, dann denkst du: „Was für ein fieser Film, war das spannend und brutal.“ Diese Wahrnehmungen sind die eine Seite. Die andere Seite: du spürst gleichzeitig und intensiv, dass du selber lebst. Das Ganze ist also so eine Art Ausflug aus der eigenen Realität in eine andere Realität. Eine Realität, die es wirklich gibt, scheinbar weit weg von deiner eigenen, aber am Ende eine Realität, die doch ganz nah bei dir ist. Die Person, von der unsere Platte handelt, steckt nämlich in jedem von uns. Die Frage ist nur, ob und wann diese Seite deines Ichs sich zeigen wird? Wird dein Hirn jemals so unter Stress geraten, dass es dich zum Mörder werden lässt? Wir verstehen „Unterhaltung“ nicht als „Friede, Freude, Eierkuchen“. Entertainment und Kunst dürfen alle Mittel beinhalten, die dafür nützlich sind, dem Publikum einen Ausflug aus dem eigenen Leben zu ermöglichen, der beim Publikum eine deutliche Erinnerung hinterlässt. Wir sind definitiv nicht die Band, die eine große Party mit dem Publikum feiern will und sich über möglichst viele angetrunkene Fans freut. Das können andere Bands auch wirklich besser. Wir feiern mit unserem Publikum auf eine ganz eigene Art und Weise, sehr intensiv und ganz ganz nah.

Habt ihr es mal mit „Liebe und Vergebung“ versucht?

P.O.X. und ihre Musik sind so voller Hoffnung und voller wunderbarer Harmonie, mit Texten, die durch ihre bedingungslose Liebe Vergebung für jedes Individuum beinhalten. Diese Musik wird in den nächsten Jahren die Menschheit dahingehend beeinflussen, dass auf diesem Planeten alle Waffen niedergelegt werden und letztendlich Weltfrieden entstehen wird. So sei es.

Sind Serienkiller noch Punkrock?

Serienkiller sind Realität. Amokläufer sind Realität. Mörder sind Realität. Gewalt ist Realität. Auch du kannst zum Serienkiller werden. Das ist die Realität. Oder wo kommen die ganzen Typen her, die urplötzlich ihre Familien niedermetzeln und sich dann meist selber hinrichten? Serienkiller und die Abgründe des Menschen sind noch nie Punkrock gewesen. Sie sind schlichtweg fuckin’ reality.

Zurück zu euch als Band: Wie läuft euer Comeback an?

Wir haben unglaublich viel positives Feedback bekommen. So viel, wie wir es bisher noch nie bekommen haben. Da sind einerseits die Fans, die sich über diesen ganz eigenen Style der Band freuen; da sind Menschen von anderen Kontinenten, die das erste Mal die Band hören und teils überwältigendes Feedback geben. Und da sind auch die Musikerkollegen der Subkultur, von SKITZO bis PETER PAN SPEEDROCK, die uns wirklich wunderbares Lob aussprechen. Dann haben wir von euch, den Medien, durchweg die besten Kritiken erhalten, die man sich wünschen kann – es geht wirklich nicht besser. Mein Herz ist voller Stolz, dass wir – nach dem Kultalbum „VoodooPower“ von 1985 eine solche Scheibe produziert haben, die so viel Anklang findet. Das haben wir so nicht erwartet. Auch konnten wir mit Wolverine Records ein Label begeistern, das optimal arbeitet – ganz realistisch und ohne viel Tamtam. Du brauchst einfach gute Mitstreiter, die ihre Sache mit dem Herzen machen. Hier geht es erst mal nicht um Geld. Welches Geld ? Wir alle machen das, weil wir die Musik und die Kunst lieben.

Was soll auf deinem Grabstein stehen?

Seltsame Frage. Ich tendiere zu Bescheidenheit: „Hier ruht der beste, tollste, schönste, geilste, unvergessliche, intelligenteste und größte Künstler aller Zeiten. Sein Lebenswerk hat die Welt verändert.“ Und niemals vergessen: Wahnsinn ist keine Schande!