BAD BRAINS

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In die Zukunft

2007 erschien mit „Build A Nation“ das letzte BAD BRAINS-Album, Ende November 2012 kam „Into The Future“. Erneut haben die 1977 in Washington, D.C. gegründeten und später nach New York übergesiedelten Erfinder des Reggae-Rasta-Hardcores im Line-up H.R., Darryl Jenifer, Dr. Know und Earl Hudson ein Album aufgenommen, das zwar nicht das Potenzial hat, ihre Klassikeralben „Bad Brains“ (1982) und „Rock For Light“ (1983) zu toppen – davon war auch nicht auszugehen –, das sich aber durchaus achtsam schlägt. Immer wieder hat man hier Déjà-vu-Erlebnisse, die BAD BRAINS zitieren sich einfach sehr gut selbst und konzentrieren sich dabei auf die zweite Hälfte der Achtziger, auf „I Against I“ (1986) und „Quickness“ (1989). Damals hatten sie den brutalen, rücksichtslosen Hardcore, der ihren legendären Ruf begründete, bereits in den Hintergrund gerückt und durch eine ureigene verschärfte Rock-Variante ersetzt, wobei der Sound in den Neunzigern dann immer weiter verwässert wurde – der Crossover-Hype jener Jahre hatte seine Miterfinder abgehängt. Wer kritisieren will, dass die BAD BRAINS eine religiöse Band sind und wir beim Ox doch sonst solche Bands zutiefst ablehnen, dem sei gesagt: ja, die BAD BRAINS sind Rastafarians, ja, diese religiöse Bewegung und Kultur ist seltsam und hat einige unschöne Auswüchse, aber die BAD BRAINS sind eben ein nicht wegzudenkender Teil der Hardcore-Bewegung und, den Unterschied muss man machen, in Auftreten und Message etwas ganz anderes als die christlich-evangelikalen „Hardcore“-Bands weißer jugendlicher Amerikaner, die sich seit den späten Neunzigern in die Szene eingeschlichen haben. Ich sprach mit Sänger HR.

HR, euer klassisches Artwork zeigt einen Blitz, der ins Capitol in Washington D.C. einschlägt. Würdet ihr das 2012, wo gerade ein Afroamerikaner erneut zum Präsidenten gewählt wurde, wieder so machen?


Hahaha, ach, das Cover war damals ja gar nicht so ernst gemeint, das war ein Scherz, das war nur Spaß.

Vor dreißig Jahren dachte auch niemand, dass mal ein Afroamerikaner US-Präsident sein würde. Hat sich seit der Gründung eurer Band, die ja immer schon politisch war, etwas zum Besseren hin verändert?

Ja, es gibt kleine Veränderungen hin zum Besseren, aber viele Veränderungen sind ja eher noch experimenteller Art und nicht Mainstream. Ich denke, dass die Regierung Obama in den ersten vier Jahren noch nicht viele ihrer Pläne umsetzen konnte, in den nächsten vier Jahren jetzt aber viel mehr von dem realisieren wird, was der Präsident an Vorstellungen hat. Ich glaube, der Präsident ist in den letzten Jahren oft mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen. Die Bevölkerung, die Bürger glauben an ihn, aber im Senat und im Repräsentantenhaus war es schwer für ihn, Unterstützung für seine Pläne zu finden. Doch jetzt, da die Wirtschaft anscheinend allmählich aus der Rezession herauskommt, wird ihm sicher mehr der im gebührende Respekt zuteil und er kann hoffentlich seine Pläne umsetzen.

Im Rahmen der Präsidentschaftswahlen fanden in einigen US-Bundesstaaten Volksabstimmungen statt, mit der Folge, dass jetzt in weiteren Staaten der Marihuanakonsum legalisiert wurde – dieses Entkriminalisierung des Kiffens dürfte euch doch sehr entgegenkommen, oder?

Oh ja, das ist wahr. Ich bin wirklich dankbar dafür, das ist eine eindeutige Verbesserung, weniger unserer Brüder werden in Zukunft wegen Drogenbesitzes ins Gefängnis müssen. Aber eigentlich kommt all das zu spät, das hätte schon vor zwanzig Jahren passieren müssen. Wir hoffen jetzt, dass es bald zu einer landesweiten Legalisierung von Marihuana kommt, auch im Staat New York, wo es zwar schon Reformen gab, Cannabis aber immer noch illegal ist.

Ihr habt nie einen Hehl aus eurer Vorliebe für Marihuana gemacht, musstet ihr dafür auch mal rechtliche Konsequenzen tragen?

Früher war das hin und wieder der Fall, aber ich enthalte mich seit fünf Jahren und es ist besser für mich.

John Joseph von den CRO-MAGS erzählt in seinem Buch „Meat is for Pussies“, dass er durch seinen Kontakt mit euch in jungen Jahren zum Vegetarismus und Veganismus gefunden hat. Wie kamst du auf das Thema?

Das kam über Besucher unserer Konzerte, mit denen ich mich anfreundete und die mich dann mit in ihre Kirche der „Twelve Tribes of Israel“ nahmen. Sie erzählten mir von ihren Vorstellungen und Ideen, und dazu zählt auch Vegetarismus. Ich machte mir dann selbst meine Gedanken zu und stellte für mich fest, dass eine vegetarische Ernährung viel mehr im Einklang mit Mutter Natur ist, dass sie das Leben vieler Tiere rettet, ihnen Leiden erspart. Das machte alles Sinn, und so gaben wir dieser Philosophie eine Chance und fanden, dass sie sehr positive Resultate hat. Ich lebe bis heute vegetarisch, esse nur hin und wieder etwas Fisch. Vegetarische Ernährung war für uns seinerzeit allein schon aus finanziellen Gründen hilfreich: Wir hatten Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, ohne Fleisch war das Leben billiger, und das gesparte Geld steckten wir in unsere Bildung. Das Wissen um die „Ital“-Küche – das kommt von „vital“ – habe ich von Freunden, aber ich habe mich auch vor Ort in Jamaika informiert.

Welche Aspekte des Vegetarismus liegen dir besonders am Herzen – gesellschaftliche, ethische, gesundheitliche oder spirituelle?

Für mich stehen die gesellschaftlichen und spirituellen Gründe im Vordergrund.

Das Cover eures neuen Albums „Into The Future“ stammt von Shepard Fairey, der auch schon Titelseiten für das Time Magazine oder Poster für den Wahlkampf von Obama 2008 designt hat. Man sieht da einen Planeten – die Erde? –, darauf ein Löwe, ein klassisches Rastafari-Symbol ...

Für mich steht das dafür, wie der Lion of Judah, der „Löwe Judas“, seine Macht über den ganzen Planeten ausübt. Und „Into The Future“ bringt zum Ausdruck, dass eine Zukunft unter seiner Führung eine angenehmere Welt verspricht als unsere heutige, wir dafür aber dramatische Veränderungen vornehmen müssen. Wir müssen uns von der Fähigkeit zur nuklearen Kriegsführung verabschieden, unsere Anstrengungen für eine bessere Bildung verstärken und uns viel mehr um Mutter Erde kümmern.

Auf dem Album findet sich als letztes Stück der Song „MCA Dub“, ein dem 2012 verstorbenen Adam Yauch von den BEASTIE BOYS gewidmetes Lied.

Ja, damit wollen wir ihm Tribut zollen, unseren Respekt zum Ausdruck bringen, einen letzten Gruß senden.

Was hat euch mit den BEASTIE BOYS verbunden? Ihr habt beide Verbindungen in die Hardcore-Szene, habt aber eine jeweils ganz eigene, ungewöhnliche Herangehensweise und wart beide in New York City aktiv.

Adam und seine Band waren schon in den frühen Tagen des Hardcore dabei, und über die Jahre sind wir uns immer wieder begegnet. Adam hat zudem unser 2007 erschienenes Album „Build A Nation“ produziert, zusammen mit Darryl Jenifer. Er machte uns mit vielen seiner Musikerfreunden bekannt, die dann auch mit uns spielten, und das war sehr schön.

So wie die BEASTIE BOYS die eigentlich fremden Welten Rap und Hardcore zusammenbrachten, hat ihr auf einzigartige Weise Reggae und Hardcore verbunden. Wie kam es einst zur Verbindung von dieser sehr entspannten Musik mit extrem aggressiven Klängen?

Mir kommen da Brüder wie Iggy Pop, Al Di Meola und Johnny Thunders in den Sinn. Das waren Menschen, die bereit waren, sich auf beide Welten einzulassen, und diese Musiker halfen uns mit ihren Einflüssen, ein tieferes Verständnis von Musik zu erlangen. Zusammen mit der Musik von Bob Marley ergab sich so unser Sound. Zu Beginn waren wir ja eine progressive Jazz-Band gewesen, spielten unter dem Namen MIND POWER. Ende der Siebziger beschlossen wir dann, Punkrock eine Chance zu geben, um unserer Musik einen Innovationsschub zu verpassen, um wirklich einzigartige, phänomenale Musik zu machen, die sonst keine andere Band jemals gemacht hatte. Also kombinierten wir Reggae, Jazz und Punkrock und probierten viele verschiedene Grooves aus, und das Ergebnis war unser einzigartiger Stil.

Wie empfindest du als Sänger diesen Wechsel zwischen sehr entspannten Passagen einerseits und sehr extremen andererseits? Was stellt diese Musik mit dir an?

Sie ist für mich eine direkte Verbindung mit dem Allmächtigen, mit dem Messias – und mit unserem Publikum.

Du hast immer wieder auch Soloalben gemacht, die klassische Reggae-Alben waren. Was treibt dich an, auch nach dreißig Jahren noch Musik mit den BAD BRAINS zu machen?

Wir wollen unsere Fans nicht enttäuschen, und wir hören immer wieder, dass wir auch heute noch als Band Bedeutung haben. Deshalb gibt es die Band bis heute. Ansonsten habe ich auch noch ein Leben außerhalb der Band, ich beschäftige mich mit der Bildhauerei, ich male, ich baue Kronen, einfach so zum Spaß. Ich lebe seit einigen Jahren schon in Baltimore, davor lebte ich fünfzehn Jahre in Los Angeles und in El Paso.

Mit „Bad Brains: A Band in DC“ wurde 2012 ein Dokumentarfilm über eure Band fertiggestellt, der schon auf einigen Filmfestivals zu sehen war.

Mandy Stein und Ben Logan haben diesen Film gemacht und ich denke, der ist wirklich gut geworden.

Willst du uns zum Schluss noch zwei Songs vom neuen Album nennen, die dir besonders am Herzen liegen?

Ja, der eine heißt „Fun“, der andere „Into the future“. Die machen mir großen Spaß und die kann ich nur schwerstens empfehlen.

HR, besten Dank für das Interview.

Ich danke dir – God bless you. Rastafari!