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Sex, Fiesta und HÉROES DEL SILENCIO

Schon die Debüt-EP der vier Katalanen im Jahre 2009 veranlasste so manchen gealterten Bootboy, Skinhead, Punkrocker, Mod oder Soul Boy dazu, mit zwei Fingern in der Luft über die heimische Tanzfläche zu springen, bis der Notarzt kommt und das Beatmungsgerät anwerfen muss. Angesichts der Vielfältigkeit des aktuellen Langspielers muss man sich nun gar fragen, ob die jungen Herren auf dem Cover vielleicht doch nur Coverboys im Sinne von MILLI VANILLI sind, im Hintergrund alte Helden agieren, sich gar die Genossen REDSKINS, SKIN DEEP und BURIAL die Villeroy & SLADE-Schüssel in die Hand drücken, COCK SPARRER wieder Haare und Geschmack für gute Kleidung haben, die UNDERTONES noch einmal zuschlagen wollen, und plötzlich Roller mit 120 verschiedenen Spiegelvarianten fahren oder unlängst Randale war in Brighton Beach. Doch tatsächlich, Videobeweise belegen es, wir haben es tatsächlich mit geschmackssicheren jungen Herren zu tun mit Stil und Format, die die Frische und den Ideenreichtum verkörpern, der ihre Vorbilder einst ausgezeichnet hat, ohne sich dabei auf die Phrasen, den Starrsinn und die chronische Verstopfung irgendeiner Szene einzulassen – womit sie dieser endlich einen schon lange nötigen Einlauf verpassen. Den Versuch, das Geheimnis hinter dieser Großtat zu lüften, unternahm ich mit Adri Ferrer, dem hyperaktiven Latin Lover hinter dem Mikrofon.

Zu eurem kürzlich veröffentlichten Debüt „Do It Cock“ habe ich bisher ausschließlich begeisterte Reviews gelesen. Seid ihr selbst auch zufrieden und wart ihr überrascht, dass so viele Leute sofort auf euch angesprungen sind?


Abgesehen davon, dass sich die Veröffentlichung etwas hingezogen hat und die Platte so etwas später, als eigentlich geplant, erschienen ist, sind wir absolut zufrieden und glücklich mit dem Ergebnis. Dass die Scheibe allerdings so gut ankommen würde, hätten wir nie im Leben erwartet, denn immerhin haben wir die Band eigentlich nur gegründet, um eine paar alte Punk-Songs zu spielen, und hätten nie gedacht, dass wir dafür eine derartige Aufmerksamkeit bekommen. Wir waren immer der Meinung, dass wir zwar genau den Sound spielen, den wir alle lieben und einfach spielen müssen, dass dieser allerdings überhaupt nicht dem entspricht, was gerade cool oder angesagt ist.

Ich habe schon viele Leute gehört, die sich fragen, wir ihr es als verhältnismäßig junge Band schafft, dermaßen vielfältige Einflüsse von Punk über Powerpop, Mod, Sixties, Pubrock, Glam, Ska bis hin zu Northern Soul in euren Sound zu integrieren und das Ganze dabei auch noch wie aus einem Guss klingen zu lassen.

Die Basis ist eigentlich immer Punk, aber wir lieben es, die verschiedenen Stile zu mischen, das kann dann Soul, Garage, Glam oder Powerpop sein. Man könnte vielleicht sagen, dass unser Sound zum größten Teil das musikalische Erbe der Siebziger verwaltet.

Denkt ihr manchmal daran, dass es mit einem Nachfolger schwer werden könnte, an den Erfolg von „Do It Cock“ anzuschließen oder sogar noch eins draufzusetzen?

Nein, es ist ja auch nicht alles perfekt gelaufen, die Aufnahme der Platte beispielsweise hat uns unheimlich Nerven gekostet und eine Menge Ärger bereitet. Wäre alles perfekt gelaufen, dann hätte die Platte bereits 2011 erscheinen sollen, doch wir mussten verschiedene Songs noch ein zweites Mal aufnehmen. Während dieser Zeit haben wir bereits drei Viertel der nächsten Platte aufgenommen, die eine deutlich bessere Aufnahmequalität haben wird, wir schwören es!

Mit Bands wie ESKORBUTO, LA POLLA RECORDS, ULTIMO RESORTE oder DECIBELIOS, die wie ihr aus Barcelona kommen, hat Spanien neben vielem anderen eine reichhaltige Geschichte legendärer Punkbands vorzuweisen. Welche war eurer Meinung nach die einflussreichste und wichtigste Band Spaniens?

Ich würde sagen LA BANDA TRAPERA DEL RÍO hatten den meisten Einfluss und müssen als die Pioniere des Punk in Spanien betrachtet werden, da sie sich bereits 1976 in Cornella, einem wirklich heruntergekommenen Vorort von Barcelona, gründeten. Sie hatten mit Tío Modes einen unglaublich guten Gitarristen und extrem provokante und kontroverse Texte bezüglich Sex und Drogen. Sie waren sozusagen der musikalische Arm der „Quinquis“, was eine typisch spanische und damals äußerst populäre Straftäterkultur der Siebziger und Achtziger Jahre in Spanien bezeichnet, die sich ihre Zeit mit Handtaschen- und Autodiebstahl, Banküberfällen und Drogen vertrieben. In den frühen Achtziger Jahren gab es dazu auch einige entsprechende„Quinqui“-Exploitationfilme wie „Navajeros“ oder „Perros Callejeros“, allesamt inspiriert von der alltäglichen Realität dieser Knastbrüder, die damals vor allem von Jugendlichen als eine Art Helden gesehen wurden. Ein wenig lassen sich diese Filme mit Christiane F. und „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ vergleichen, nur mit mehr Rasierklingen und Gewalt.

Wenn man sich ein wenig mit spanischer Geschichte auskennt, dann wird einem schnell klar, dass die frühe spanische Punk-Szene unter schwierigen Bedingungen entstand, denn als die Szene etwa um 1978 herum begann, größere Ausmaße anzunehmen, war Franco erst drei Jahre unter der Erde und die Nachwirkungen seiner faschistischen Diktatur noch allerorts spürbar.

Wie du schon sagst, obwohl Franco 1975 starb, waren auch die folgenden Jahre noch eine absolutes Durcheinander und weiterhin geprägt durch Repression, bis schließlich eine Art Semi-Demokratie entstand, die einen Neuanfang ermöglichte, in dessen Rahmen sich dann auch Dinge wie Punk entwickeln konnten. Der große Boom der spanischen Punk-Szene war in den Achtziger Jahren, die Szene war damals sehr unterschiedlich ausgeprägt und Politik spielte dabei, ausgehend von den entsprechenden politischen Umständen, schnell eine große Rolle, was bis heute anhält.

Wie stellten sich diese Unterschiede in den beiden großen Städten Madrid, als Zentrum der Diktatur Francos und der Falangistischen Partei, sowie Barcelona dar, das für Franco nur eine Randstellung einnahm und wo er die katalanische Sprache und Kultur unterdrückte? Sind diese Unterschiede heute noch spürbar?

In Madrid nahm eine neue kulturelle Bewegung namens „La Movida“ ihren Anfang, die eine Art Mixtur und Explosion aus allem darstellte, was neu war und nach Spanien kam, wie beispielsweise Popmusik, Punk, Kunst oder Gegenkultur. Diese Bewegung wurde allerdings von den neuen politischen Führern unterstützt, weshalb ich sie inhaltlich eher als leer und naiv bezeichnen würde, vor allem im Vergleich mit anderen kulturellen Explosionen im Rest Spaniens, die deutlich rauher und intensiver ausfielen. Heute ist es da eher das genaue Gegenteil, denn in Madrid gibt es viele politische Bands, die in einer ganz eigenen Szene leben, viele antifaschistische Bands, musikalisch stark von Hardcore beeinflusst, und leider sehr viel Gewalt. Vor einigen Jahren wurde beispielsweise ein Antifaschist in der U-Bahn von einem Nazi ermordet, was auch medial viel Aufsehen verursachte.

Würdest du uns erklären, inwiefern hier die unterschiedlichen kulturellen Gruppen wie Katalanen, Basken und Madrilenen, um nur die größten zu nennen, in den verschiedenen Teilen des Landes von Bedeutung sind?

Kurz gesagt gibt es einige Regionen in Spanien, die die Unabhängigkeit anstreben und sich durch eine eigene Kultur und Sprache unterschiedlichen Ursprungs auszeichnen, wobei aber zum Beispiel niemand den genauen Ursprung der baskischen Sprache kennt. Aus dieser Tatsache heraus besteht eine äußerst komplizierte politische Situation, die bis weit in die Vergangenheit zurückreicht und, wie bereits gesagt, sehr stark dadurch geprägt ist, dass wir sehr lange unter der massiven Repression seitens der diktatorischen Regime von Franco und Primo de Rivera zu leiden hatten. Sicher habt ihr in diesem Zusammenhang alle schon von einigen unabhängigen terroristischen Gruppen wie der ETA im Baskenland gehört, die allerdings vergangenes Jahr ihre Aktivität eingestellt hat. Auch hier in Katalonien gibt es einige terroristische Gruppen, die verglichen mit der ETA allerdings eher eine untergeordnete Rolle spielen.

Würdest du sagen, dass der Status einer Person in der spanischen Gesellschaft davon abhängig ist, welcher Gruppe sie sich zuordnet?

In einigen Teil Spaniens ist es definitiv so, dass du diskriminiert wirst, wenn du Katalane oder Baske bist, wozu besonders die rechten Parteien ihren Teil beigetragen haben, da sie ihre politische Macht gegen die Interessen Kataloniens und des Baskenlandes eingesetzt haben, weil sie wissen, dass man so mehr Wählerstimmen bekommt. Andererseits sind sie aber auch von uns abhängig, da die industrielle und somit ökonomische Bedeutung unserer Region enorm groß ist, sie uns also brauchen, um Geld

Wie verhält es sich aus eurer Sicht wirklich mit der schwierigen ökonomischen Situation in Spanien und dem Einfluss der dadurch für das alltägliche Leben entsteht, denkt ihr, es gibt dafür einen Ausweg?

Da wir keine Wirtschaftsexperten sind, wissen wir nicht genau, wie das alles enden wird, wobei eines jedoch sicher ist, nämlich dass die Situation für die Zukunft wirklich ziemlich düster ist, immerhin sind wir für manche ja schon jetzt so was wie der Arsch Europas. Unser Land wurde schon immer von Dieben regiert, die keinerlei Schamgefühl hatten, und Spanier zu sein, ist scheiße, richtig scheiße.

Interessant ist, dass man auf der anderen Seite von Bands, die in Spanien auf Tour waren, trotzdem immer unglaubliche Geschichten exzessiver Partys und durchgedrehter Musikverrückter hört, die sich völlig bei einer Band verausgaben. Ist es wirklich so großartig, wie es klingt, und durch welche Locations zeichnet sich Barcelona hier aus?

Yeah, bei uns sind wirklich viele Konzerte und Partys, was an der „Fiesta“ liegt, die einfach Teil unserer Kultur ist, ebenso wie Sex, Alkohol und Drogen. Haha, auf jeden Fall etwas, das wir uns nicht nehmen lassen. Eine bestimmte Location zu empfehlen ist schwierig, da diese eigentlich regelmäßig wechseln, nennen sollte man aber sicher The Underground, weshalb wir diesem Ort auch einen Song gewidmet haben, im Rocksound und Estraperlo finden auch viele gute Gigs statt. Wenn man aus Deutschland kommt und hier im Sommer Ferien machen möchte, sollte man auf jeden Fall an den Strand gehen, um auch wirklich einen vernünftigen Sonnenbrand zu bekommen und ekelhafte Paella für Touristen zu essen, haha.