Kneipenführer - Berlin

Nun ist´s soweit. Die Bonner kommen und unterwandern die in jahrzehntelanger Kleinarbeit mühsam aufgezogene Infrastruktur des Club-Untergrunds. Ihnen zur Seite stehen einige übereifrige politische "Gastgeber", die meinen, dass das Strassenbild fortan nicht mehr durch Veranstaltungsorte verschmutzt werden darf, vor denen von Zeit zu Zeit zwielichtige Gestalten herumlungern oder sich eventuell dort sogar mittels "Zurhabenahme" der Räumlichkeiten einquartiert haben. Trotzdem ist noch nicht alles zu spät und ich möchte euch an dieser Stelle einmal zeigen, was ich in den Trümmern meiner geliebten Stadt so an Weggehmöglichkeiten gefunden habe.

Da die werte Ox-Leserschaft sich ja gerne mal vom schnöden, mondänen Punk abwendet und zunehmend dem ungleich glamouröseren, glitzernden Rock´n´Roll-Lifestyle zuspricht, möchte ich zunächst auf eine Örtlichkeit zu sprechen kommen, die dem Geneigten entgegenkommen dürfte. Im Herzen des (alten) Berliner Untergrunds, genauer gesagt im Kreuzberger Süd-Ost 36 (kurz SO 36) liegt die kleine aber feine Rock´n´Roll-Traumfabrik Wild At Heart. Hier finden seit 1995 in eher privater Atmosphäre grossartige Shows statt, die neben Rock´n´Roll, Punkrock, ein bisschen Hardcore (eher Amis) und ab und zu auch mal Pop oder, wie Mitbetreiberin Lea es formschön ausdrückte, Jodel-Metal, ihr Hauptaugenmerk auf Garagenpunkrock gelenkt haben. Der Club ist quasi erster Anlaufpunkt für in- und ausländische Bands dieses Genres und so sah das, wie überall in Berlin so auch hier eher schwer zu erwärmende, Publikum bereits eine ganze Latte hervorragender Konzerte, was nicht zuletzt auch an den Fähigkeiten des mischenden CHURCH OF CONFIDENCE-Ulli liegt, der es versteht, dass sich trotz verhältnismässig niedriger Lautstärken der Druck nicht verliert. Die Eintrittspreise bewegen sich immer zwischen sehr fairen 5 und 10 Märkern. Ausser Konzerte zu besuchen kann man hier auch einfach mal einkehren und sich das eine oder andere Bierchen gönnen. Die Nr.1-Adresse für Rock´n´Roll in Berlin ist und bleibt also die Wiener Str. 20, gut zu erreichen mit der U-Bahn (U 1 Görlitzer Bahnhof) oder mit dem Bus 129.

Wer hofft, auf einem Hauptstadt-Trip mal das eine oder andere bekannte Antlitz des internationalen Musik-Business zu Gesicht zu bekommen, der suche getrost den nach dem obig bereits erwähnten Stadtteil SO 36 benannten Veranstaltungsort in der Oranienstrasse auf, zahle seine 15 bis 30 oder so Mark und schau nach, wer es geschafft hat, aus seiner Kellerband richtig was zu machen. Hier tummeln sich Sternchen wie RANCID, RANTANPLAN, NOFX, SICK OF IT ALL, diverse Ska-"Acts" und auch solche abgefuckten Mode-Sell-Out-Rocker wie THE EXPLOITED. Aber es gibt auch zahlreiche andere Veranstaltungen wie die HC/Crossover+eigentlich-alles-Disse, Tanzkursabende und Gay-Feten. Schade nur, dass sich ein so geschichtsträchtiger Ort (fragt bitte nicht nach Jahreszahlen) keine gute Lüftung leisten kann und sich so zum gelegentlich nicht so prima Klang auch noch ein herber Dunst über die bis zu 800 (?) Körper legt. Hinkommen tut man ebenfalls mit der U1 bis Kottbusser Tor und läuft dann in die Adalbertstrasse, von wo aus man rechts(!) in die O-strasse abbiegt.

Ebenfalls ein äusserst geschichtsträchtiger Ort, jedoch nicht so ins Professionelle abgedriftet wie das SO, ist das auch in Kreuzberg gelegene Tommy-Weissbecker-Haus. 1973 besetzt, war und ist es ständigen Repressalien durch Senat und Schergen ausgesetzt, ist jedoch nicht totzukriegen und lässt in seinen Räumen die nachrückende Elite des internationalen Untergrundmusikgeschäfts sich austoben. Da die Tourbooker von Destiny hier ihre Finger im Spiel haben, finden sich des öfteren kalifornische Früchtchen la GOOD RIDDANCE und ähnliche fette GespielInnen hier ein, aber auch scheinbare oder echte Legenden wie D.O.A., die U.K.SUBS oder ELF geben sich hier die Klinke in die Hand. Alles in allem ein buntes Allerlei von Punkrockern der klassischeren oder melodischen Spielart, obwohl auch mal die eine oder andere HC-Band dabei ist. Die Eintrittspreise sind zwar in letzter Zeit angestiegen, aber hier wird eben auch international gespielt (Champions League in Punkrock) und bis zu 18 Mark dürfte einem das teilweise doch wert sein, zumal der Sound eigentlich immer recht prickelnd ist, die Bude mit schätzungsweise 200-300 (ich war NIE gut im Schätzen!) Leutchen überschaubar bleibt, der Hof mit anschliessendem Park entspannendes Plaudern im Grünen zwischendurch ermöglicht und die zum Haus gehörige Kneipe Linie 1 immer einen kühlen Schluck zum fairen Preis für einen bereit hält. Hier finden übrigens auch teilweise Kleinkonzerte statt. Alles in allem einer der besten Konzertorte schlechthin. Gut erreichbar mit der U1, Bahnhof Hallesches Tor und dann in die Wilhelmstrasse rein (Nummer 9 isses, nicht zu übersehen).

Deutschpunker ohne übersteigertes musikalisches Empfinden kehren bitt´schön in den Drugstore ein, wo das Bier billig und der Punk noch nicht tot ist. Auch dieser Ort hat oft und viel mit den Behörden zu kämpfen, hangelt sich von Jahresetat zu Jahresetat und schafft es doch immer wieder. Viel Raum für viele Leute, Hunde müssen draussen bleiben (was bei der durchschnittlichen Besoffenenquote auch zu empfehlen ist) und viel Engagement zeichnen die Etage und ihre Crew aus. Hier spielen viele Bands des oben genannten Genres, teilweise kostenlos und oft mit Soli-Zweck. Gefahren wird bis U Kurfürstenstrasse (ist auch U1, womit diese Linie sich eindeutig als die partytauglichste herausstellt), dann läuft man nach rechts (von Woolworth weg) in die Potsdamer Str.. Nummer 180 isses dann (2./3. Stock).

Wie lange noch ist eine andere Frage, aber die Køpi (Köpenicker Str. 137) muss bleiben! 1989 besetzt, droht dem Wohn- und Veranstaltungsprojekt in Mitte (U Heinrich-Heine-Str.) jetzt Versteigerung/Abriss und somit das Ende. Ende für die Wohnungen vieler Menschen, aber auch Ende für viele schöne Konzerte. Für Leute, die eher heftige Musike lieben und sich gerne in politisch ambitionierter Gesellschaft bewegen, ist die Køpi ein MUSS. Hier spielen nicht nur viele in- und ausländische (v.a. auch polnische) Crust-/Politpunk-Bands und feste Grössen wie OI POLLOI oder GRAUE ZELLEN, das Ganze steht einfach noch für Punk, wie er im politischen Kontext stehen sollte. Nun gut, Reinlichkeit kommt hier ab und zu mal zu kurz, aber wer keinen Fimmel hat, hält´s aus und die Atmosphäre stimmt! Der Saal fasst ca. 300 Leute und der Sound ist meistens Bombe. Inzwischen hat man das Repertoire übrigens auch auf Nicht-Knüppel-Bands erweitert, was den Laden nur noch liebenswerter macht. Eigentlich sollte hier jeder, der irgendwas mit Punkrock zu tun hat, mal vorbeischauen. Eintritt ist meistens 5+1 Soli-Mark. Wem es hier gefällt, der sollte auch mal das nahegelegene Potsdamer Archiv besuchen. Ist in der Leipziger Str. zu finden, fast direkt am S-Bhf. Potsdam Stadt.

Zu guter Letzt hoffe ich, dass diese kleine Info-Sammlung den Appetit auf Haupstadt-Tourismus gestiegert hat. Natürlich ist hier nur eine winzige Auswahl getroffen worden, aber wie ihr wisst, ist Berlin ja nicht die Kleenste. Die Genannten sind meiner Meinung nach die Wichtigsten und es müsste eigentlich für jeden was dabei sein. Wer Lust/Zeit auf mehr hat, der frage sich doch auch mal zu folgenden Adressen durch (der Berliner an sich ist äusserst hilfsbereit!!!): KvU (U Eberswalder Str.), Supamolly (U/S Frankfurter Allee), Eimer (U Rosenthaler Platz), Ex (U Mehringdamm), Tacheles (Oranienburger Tor), Pfefferberg (U Senefelder Platz).

Stephan Bothe