GARY FLOYD

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Back Door Preacher Man

In Ox #106 unterhielt ich mich mit Gary über seine Zeit mit den DICKS und seine Erfahrungen als geouteter Schwuler in der Punk-Szene von Austin um 1980 herum. Von ernüchternden Erlebnissen als Hausmeister des Rusk State Hospitals, in dem er Zeuge von Elektroschock- und Aversionstherapie-Experimenten an homosexuellen Jugendlichen wurde, bis hin zu heitereren Storys vom Crossdresser Gary mit lebergefüllter Unterwäsche. Eine größtenteils DICKS-bezogene Unterhaltung, doch Gary hat neben den DICKS noch einiges mehr aufzuweisen. Seine Karriere mit SISTER DOUBLE HAPPINESS zum Beispiel oder seine Soloalben, die nur in Europa erschienen und deren Exemplare heutzutage nur schwer auffindbar sind (eine amerikanische Compilation – „Back Door Preacher Man“ – ist ebenfalls vergriffen). Aktuell plant Gary ein neues Soloalbum, das er höchstwahrscheinlich selbst herausbringen wird, allerdings stehen weder Titel noch Veröffentlichungsdatum bislang fest.

Gary, du hast die letzte Show der SEX PISTOLS 1978 in San Francisco gesehen, stimmt das?

Oh ja, das habe ich. Damals wohnte ich in San Francisco – ich bin aus Austin hier hingezogen, um ein wenig Distanz zwischen mich und eine hässliche Liebesaffäre zu bringen. Ich glaube, kurz bevor ich gegangen bin, habe ich sogar noch die RAMONES gesehen, aber ich bin mir nicht wirklich sicher, ich bin ein wenig verwirrt, weißt du, ich habe damals ein bisschen viel getrunken, haha. Denn je mehr Punk du bist, desto mehr säufst du und je mehr du säufst, desto weniger merkst du, was abgeht! Aber ich wohnte in Palo Alto, etwa eine Stunde von San Francisco weg, und die allmächtigen SEX PISTOLS sollten in San Francisco im Winterland spielen. Mein Kumpel und ich fuhren also dort hin und kauften uns Tickets von einem Typen auf dem Parkplatz, für fünf Dollar das Stück. Drinnen war es voll, erst spielten die NUNS, dann die AVENGERS mit Penelope Houston. Als die SEX PISTOLS schließlich auf die Bühne kamen, war das faszinierend. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Das hat was. Das ist nicht dieser alltägliche Kram.“

Du hast mal erwähnt, dass der Typ, der dich auf die SEX PISTOLS brachte, irgendwann in der Todeszelle landete.

Ja, er wurde später auch hingerichtet. Er war aus Austin, sein Name war David Lee Powell. Er war der Erste, der eine SEX PISTOLS-7“ hatte, von einem Freund aus England. Er stand ziemlich auf die RUNAWAYS, das weiß ich noch. Er hat damals viele solcher Bands gehört, wie MODERN LOVERS mit Jonathan Richman. Er hat mich da erst drauf gebracht. Ein ziemlich schräger Typ, er ist ziemlich auf Speed abgefahren und war einer von den Leuten, die sich sagten: „Das Zeug ist super. Statt es zu kaufen, könnte ich es auch genauso gut selber machen.“ Und das war eben sein Problem. Wir konnten dabei zusehen, wie er langsam vor unseren Augen durchdrehte. Irgendwann war er mit einer AK-47 unterwegs, kam in eine Kontrolle und hat den Cop erschossen. Er hat die letzten 25 oder dreißig Jahre im Knast verbracht, 2010 haben sie ihn dann hingerichtet.

Was für Musik hast du gehört, bevor du Punk entdeckt hast?

Davor habe ich mehr alten Blues gehört wie John Lee Hooker, Muddy Waters oder Lightnin’ Hopkins. Mit dem zusammen hatte Johnny Winter damals auch gerade ein Album herausgebracht, glaube ich.

Ich liebe deine Version von Johnny Winters „Dallas“.

Ich habe den Song schon immer geliebt und dachte mir, dass ich das vielleicht ein wenig anders machen könnte, um ihm so Tribut zu zollen. Später habe ich ihn den Song sowohl mit Band spielen sehen, als auch alleine nur mit seiner Gitarre. Ich glaube, als ich „Dallas“ das erste Mal hörte, habe ich mir eine kleine mentale Notiz gemacht: „Das würde ich gerne irgendwann covern, bevor ich sterbe.“

In dem Song geht es darum, Waffen zu tragen. Als ich das erste Mal hörte, habe ich mich gefragt, ob du jemals bewaffnet herumgelaufen bist.

Haha, nein, ich bin Pazifist. Ich bin Pazifist und ein Weichei, das geht Hand in Hand. Ich habe aber schon von waffentragenden Weicheiern gehört. „Pistol packin’ sissies“ – das wäre doch ein guter Bandname, oder?

Was hatte es eigentlich mit der Lone Star-Bar in San Francisco auf sich? Der Laden war für dich sehr wichtig, oder?

Ja, das war er für eine Weile. Es ist schon lustig, wie Bars – genau wie Liebhaber – so wichtig erscheinen können, und dann bedeuten sie einem nach einer Zeit überhaupt nichts mehr. Ich bin lange Zeit überhaupt nicht in Schwulenbars gegangen, eher in Musikkneipen. Mein bester Freund Philip, der mittlerweile verstorben ist, hat immer versucht, mich mit in irgendwelche Schwulenbars zu schleppen. Aber zu dieser Zeit wurdest du in den meisten Bars schief angeguckt, wenn du übergewichtig oder irgendwie alternativ aussahst. Denn die meisten Tucken verbrachten Stunden damit, sich herauszuputzen, was sie für „gutaussehend“ hielten. Ich passte da nicht rein und ich mochte diesen Look nicht, also ging ich da nicht häufig hin und wenn, dann hatte ich nicht wirklich viel Spaß. Dann erzählte mir jedoch ein Freund, dass es auch eine Bar gäbe, in der die schweren Jungs abhängen, das sei mehr eine Schwulen-Bar für die Arbeiterklasse. Also gingen wir dort hin und es war einfach wunderbar. Das ist schon ewig her, da hatten wir mit SISTER DOUBLE HAPPINESS gerade erst angefangen. Dort war das jedenfalls alles nicht so prätentiös. Da waren Kerle, die sich nicht fünf Stunden zurechtmachten, um auszugehen, die wollten einfach nur gemütlich was trinken. Das war also das Lone Star. Das war zu Beginn des „Bear“-Trends in der Schwulenszene – Bären sind kräftigere, haarigere Typen. Deshalb liebte ich diese Bar. Als SISTER DOUBLE HAPPINESS bekannter wurden und wir auf Magazincovern auftauchten, haben mich die Leute dann auch erkannt. Es war absolut ungewohnt für mich, plötzlich in einer Schwulenbar beliebt zu sein. Sonst war eigentlich immer das Gegenteil der Fall. Aber dort habe ich dann viele Freunde gefunden und interessante Leute getroffen und viel Unterstützung aus der Szene bekommen. Aber wie so viele Trends hat sich das irgendwann zu einer Parodie seiner selbst entwickelt. Manche haben Stunden damit zugebracht, so auszusehen, als wären sie noch nicht wirklich fertig. Es wurde etwas, was ich nicht mehr wirklich mochte, dennoch war es ein wichtiger Teil meines Lebens, dass es die Lone Star Bar gab. Sie spielten alternative Musik und die Leute waren sehr tolerant, was das Aussehen anging. Jeder war willkommen. Heute finde ich den Laden eher befremdlich, so was passiert eben, aber deswegen ist das, was ich dort erlebt habe, nicht weniger wichtig.

Es gibt ein Interview von dir mit dem American Bear-Magazin. Dort erzähltest du diese witzige Story, wie jemand in Panik geriet, weil Biker auf eine SISTER DOUBLE HAPPINESS-Show kamen ...

Wir haben damals mit SISTER DOUBLE HAPPINESS ein Live-Album aufgenommen, das veröffentlicht wurde, als wir uns schon aufgelöst hatten. Es hieß „Stone’s Throw From Love“ und wurde in der wunderschönen American Music Hall aufgenommen – Yoko Ono ist dort aufgetreten, genau so wie Johnny Cash. Sie ist nicht riesig, aber einer der angesehensten Auftrittsorte in der Stadt. Wir haben eine Akustik-Show gespielt vor ausverkauftem Haus, weil wir sehr populär waren. Die Leute im Lone Star waren total aus dem Häuschen, weil einer aus ihren Reihen diesen Laden füllte. Sie waren alle recht kräftig, und auch wenn sie nicht alle Leder trugen, sahen sie doch ziemlich „hart“ aus. Von denen waren mindestens dreißig gekommen und saßen alle relativ weit vorne. Einer von den Roadies kam backstage und meinte zu mir: „Hey, ich will dich ja nicht beunruhigen, aber da ist ein ganzer Haufen Biker im Publikum!“ Mir wurde langsam schon ein bisschen mulmig, also wagte ich einen Blick durch den Vorhang und musste sofort anfangen zu lachen, weil dort eben meine Kumpels saßen. „Das sind keine Biker, das sind Bears!“ Die Show war großartig und sie waren ein tolles Publikum.

Es gibt von dir eine ganze Reihe von Songs über Seeleute, „The sailor song“, „Off duty sailor“ ... Und auf einem deiner Soloalben ist in dieser Hinsicht „A better man“ mein schwuler Lieblingssong, in dem es offenbar darum geht, einem Soldaten einen zu blasen ...

Nun, das ist eben passiert! Benutz mal deine Fantasie, hahaha. Ich stand politisch immer links, aber ich habe wohl öfter Gefallen am Feind gefunden ...

Ich komme darauf, weil es vom kanadischen Künstler Attila Richard Lukacs, der diese ganzen nackten Skinheads gemalt hat, eben auch eine Militär-Serie gibt. Und er hat auch darüber gesprochen, wie erregend er diese Art von Leben findet.

Das ist wohl meinem Faible sehr nahe. Viel davon ist während des Golfkrieges passiert, als San Francisco ein großer Umschlagplatz für das Militär war. Es gab da diese heruntergekommene Gegend, darunter eine chinesische Absteige namens Mr. Bing’s, deren Barkeeper auf der „Broken Angels“-CD zu sehen ist. Auf jeden Fall hingen da eine Menge Soldaten herum und mein Kumpel und ich landeten dort oft völlig besoffen und sind dann mit denen um die Ecke verschwunden. Das war eine sehr interessante Zeit, hahaha. Ich bin froh, dass es so war, aber auch froh, dass es jetzt vorbei ist.

Und worum geht es in dem Song „San Diego“ auf dem SISTER DOUBLE HAPPINESS-Album „Uncut“? Ich verstehe die Anspielungen darin nicht ganz.

„San Diego“ ist eine Fortsetzung des Ganzen. Ich war von der Stadt fasziniert, weil sich dort immer unzählige Soldaten tummelten. Ich habe mich da so eigenartig gefühlt, denn wenngleich ich von ihnen fasziniert war, fanden sie mich wohl eher abstoßend, was vielleicht auch gut war. San Diego ist eine Stadt, wo du am Freeway Schilder siehst, die dich davor warnen sollen, dass illegale Einwanderer über die Straße rennen könnten. Also musstest du Ausschau halten wie in einem Naturpark, wo jederzeit ein Elch die Straße kreuzen könnte. Das fand ich zu dem Zeitpunkt verstörend, aber gleichzeitig auch interessant. Daher kommt der Text: „They had a dream that they could be part of it / So they ran from the snake pit / Headed straight for the bullshit.“ Diese Leute liefen also über den Freeway, um ihr Leben zu verbessern, und alles, was sie bekamen, war eine Fortsetzung des Irrsinns des Lebens. Die Zeilen „100 pounds of hair on a barber’s floor / Tomorrow there’s going to be a hundred more“ beziehen sich hingegen wieder auf Soldaten, weil die doch alle ihre Haare abrasiert bekommen.

Ein weiterer Text, den ich nicht wirklich verstehe, ist „Bobby Shannon“. Geht es darin um einen Hund namens Bobby Shannon?

Da kommen meine Hindu-Wurzeln durch. Das ist so eine Art LSD-Vision. Ich nehme kein LSD mehr, aber früher eben schon. Jedenfalls saß ich da so in der Ecke und halluzinierte das für mich zusammen: Ein Hund, der ein Verehrer von Haruman ist, dem Affengott, welcher ein großer Verehrer von Rama ist, der zur Meditation an Orte geht, an denen Feuerbestattungen durchgeführt werden, weil er dort durch die Parallelität von Leben und Tod am besten Erleuchtung finden kann. Das ist natürlich alles ausgedacht, aber, na ja, darum geht es in dem Song eben. Es war ein weiter Weg dahin von „Dicks hate the police“ ...

Wie kamst du zu Hinduismus und Buddhismus?

Ich war als Kind ziemlich religiös. Meine Eltern waren zwar nicht extrem religiös, aber sie nahmen uns mit in die Baptisten-Kirche, denn wir lebten immerhin im Süden der USA. Als wir dann umzogen, sagten sie, dass sie uns weiterhin in die Kirche bringen würden, aber selbst nicht mitkommen würden. Sie standen am Sonntag auf, um uns Frühstück zu machen, uns zur Kirche zu bringen und später abholen. Das endete damit, dass ich katholisch wurde, was meine Eltern ein wenig störte. Bei den Katholiken liebte ich die Statuen und die komischen Bilder, ich fand sie hübsch. Genauso die Verehrung des Weiblichen, die Anbetung von Maria. Später, als ich politischer wurde, habe ich mich um den Scheiß lange Zeit nicht mehr gekümmert.

Warum nicht?

Während des Vietnamkrieges, als Teenager, begann ich mein politisches Bewusstsein zu entwickeln – so wurde ich zum Kriegsdienstverweigerer, weil ich die Kriegstreiberei für fehlgeleitet hielt. Der Vietnamkrieg hat viele Amerikaner politisch aufgeweckt. Es handelte sich weder um einen Kampf gegen Kommunisten oder für Demokratie, wir waren im Krieg nur wegen angeblicher amerikanischen Interessen in dieser Region. All das wurde ganz offensichtlich in Vietnam, und Religion schien für mich das genaue Gegenteil von dem zu repräsentieren, was ich für richtig hielt. Zu jener Zeit ereignete sich auch der Militärputsch in Chile, und wenn du dich damit näher beschäftigst, erkennst du, dass das alles von einem sehr finsteren Teil unseres Regierungsapparates initialisiert wurde.

Du musstest damals noch zur Musterung ...

1972, ja. Ich habe mir jeden Abend die Nachrichten angesehen, und da war dieser endlose Krieg, der eben nicht 100.000 Meilen entfernt stattfand, sondern bis in unsere Wohnzimmer reichte. Mit 16 wurde mir bewusst, dass ich mich in zwei Jahren für diesen Scheiß würde registrieren lassen müssen. Also schnappte ich mir dieses Buch von den Quäkern, eine Art Handbuch für Wehrdienstverweigerer. Da waren die Fragen aufgelistet, die dir bei der Musterung gestellt werden würden, mit den passenden Antworten. Dank dieses Buches musste ich dann nur zwei Jahre „Ersatzdienst“ absolvieren, den ich dann im Krankenhaus in Houston ableistete.

War es das Rusk State Hospital?

Nein, da war ich nur in den letzten sechs Monaten. Die ersten anderthalb Jahre arbeitete ich in Houston. Als ich fertig war, zog ich nach Austin. Wie auch immer, all das bot keinen Anlass für religiöse Regungen. Tatsächlich unterstützten die Kirchen oft sogar die imperialistische Übernahme dieser Länder und die Zersetzung ihrer Regierungen.

Wie hast du dann zum Hinduismus gefunden?

Tief in mir drin gab es eben immer diesen Hunger nach Spiritualität. Ich wollte das nie aus meinem Leben verbannen, aber es wurde durch die ätzenden politischen Verhältnisse so gut wie unmöglich gemacht. Als wir dann mit der zweiten DICKS-Besetzung tourten, begann ich nachzudenken und zu suchen, und fand eben diese buddhistischen Bücher. Eines war „Autobiografie eines Yogi“ vom großen Lehrmeister Paramahansa Yogananda. Davon ausgehend schloss ich mich der Vedanta-Gemeinschaft an, einer undogmatischen, auf Hinduismus basierenden Philosophie, weniger eine Religion. Ich war auch in Indien, wo ich eine Weile in einem Ramakrishna-Kloster zubrachte. Wohlgemerkt: Ramakrishna, nicht Hare Krishna. Ich hatte eben dieses spirituelle Bedürfnis, und Hinduismus schien für mich am besten geeignet. Ich habe auch grundsätzlich nichts gegen das Christentum. Es gibt eine Menge wundervoller Christen, die Unglaubliches leisten, aber das ist nicht die Norm. Leider sind die Mehrheit dieser Leute Idioten ...

Ist Hinduismus offen gegenüber alternativen Lebensstilen? Soweit ich weiß, ist Tibetischer Buddhismus da nicht sonderlich tolerant ...

Wenn sie nicht tolerant sind, sag einfach: „Fuck you.“ Das ist meine Art, mit so was umzugehen. Christopher Isherwood, ein schwuler britisch-amerikanischer Autor, der zu einer Zeit lebte, als das Schwulsein noch illegal war, war auch Mitglied der Vedanta-Gemeinschaft. Er hat sogar einige der Hinduschriften übersetzt, zusammen mit seinem Guru Swami Prabhavananda, im Los Angeles der Vierziger. Deshalb ist Vedanta wohl so tolerant Homosexuellen gegenüber. Grundsätzlich glaubt man, dass Sex, als einziger wirklicher Reiz in deinem Leben, gefährlich sein kann. Egal ob du homo- oder heterosexuell bist, du musst musst die Kontrolle behalten. Das bedeutet dann auch, dass das Vögeln mit Soldaten nach einer Weile deinem spirituellen Leben ziemlich zusetzen kann. Gleiches gilt aber auch fürs Autofahren oder Essen. Ob du jetzt Sex hast oder dir einen Veggieburger reinhaust – wenn du etwas in den Mund nimmst, solltest du es mit Bedacht tun. Es ist eine undogmatische, befreiende Lebensphilosophie.

Du bist inzwischen Veganer. Inwiefern hat das etwas mit deinen spirituellen Ansichten zu tun?

Ich bin 1988 Vegetarier geworden. Mein Vater war total jagdbegeistert und es gab bei uns ziemlich viel Ärger, weil er mich immer mitnehmen wollte. Er kam aus einer armen Familie und während der damaligen Weltwirtschaftskrise haben sie von Jagdwild gelebt. Sie hätten sonst nichts zu essen gehabt. Aber als ich dann auf der Welt war, war das nicht mehr nötig, auch wenn wir auch nicht unbedingt reich waren. Für meinen Vater war die Jagd ein Sport und ich war da eine Enttäuschung für ihn. Bei einem der ersten gemeinsamen Jagdausflüge schoss er in ein Eichhörnchennest, die ganzen Eichhörnchenbabys fielen auf den Boden und ich begann hysterisch loszuheulen. Er musste mich heimfahren und wir mussten ein Eichhörnchenbegräbnis abhalten. Ich bin nie darauf abgefahren, Tiere zu töten, und eines Tages zählte ich eins und eins zusammen und merkte, dass all die Burger mal lebendig herumgelaufen sind. Was zwischen uns steht, ist nur dieses Monstrum namens Fabrik, das sie umbringt und in Stücke schneidet. Ich will das aber niemandem predigen, und wenn Menschen Tiere essen wollen, dann sollen sie das tun. Aber versuch nicht, Witze darüber zu machen, dass ich Vegetarier bin, dann bekommst du zu hören, was du für ein blutrünstiger Hurensohn bist. Es ist deine Entscheidung, so zu sein, und ich habe mich dafür entschieden, Vegetarier zu sein. Übrigens: Woran erkennt man einen Veganer?

Keine Ahnung, sag es mir.

Warte dreißig Sekunden und er erzählt es dir, hahaha! Leider ist es so. Wenn ich eines weniger leiden kann als Leute, die Fleisch essen, dann sind es aufdringliche Pflanzenfresser. Wie dem auch sei, ich glaube einfach nicht, dass Tiere töten und sie dann zu essen eine gute Sache ist. Aber das ist mein Ding, ich verurteile niemanden deswegen, das ist mir scheißegal. Vor ein paar Jahren begann ich dann, vegan zu leben, und musste feststellen, dass das viel härter ist, als Vegetarier sein, denn ich steh einfach auf Zeug wie Joghurt und so was. Wenn ich auf einer Farm leben würde, dann wäre ich sicher kein Veganer – ich würde meine Kühe melken und hätte meine eigenen süßen Hühner und würde auch ihre Eier essen. Aber da diese Sachen irgendwelchen Großmolkereien kommen, will ich das nicht, denn es ist widerlich, wie die Kühe dort behandelt werden. Und die meisten Leute, die ihr Glas Milch, ihren Joghurt und ihren Quark wollen, die wissen davon nichts, oder wollen davon nichts wissen. Das ist einfach nur abscheulich, was dort geschieht. Und nachdem wir die Tiere verkrüppelt und misshandelt haben, bringen wir sie in ein Schlachthaus und machen einen fetten Burger daraus. Deshalb wurde ich Veganer. Hättest du mich nicht explizit darauf angesprochen, hätte ich darüber aber eigentlich nicht geredet, denn ich will wirklich nicht predigen.

Denkst du, dass das auch etwas mit der Tabuisierung des Todes in unserer Kultur zu tun hat? In vielen deiner späteren Songs wie „Waiting for anyone“ oder „The loss“ geht es ja um den Tod und speziell auch um Aids ...

Ich habe noch nie richtig darüber nachgedacht, warum ich diese Songs geschrieben habe. Als Aids ein Thema wurde, war einer der ersten Songs darüber von mir „On the beach“. Darin prophezeite ich die Errichtung von Internierungslagern für Aids-Patienten: „Just ask the Japanese about the internment camps / And if you’re sick my friend they’re gonna open up again.“ Ich kann von Glück sagen, dass ich mich nie angesteckt habe, aber das heißt nicht, dass ich mir nicht ausmalen kann, wie furchtbar es sein muss. Besonders in der Anfangszeit war das ja ein Todesurteil. Natürlich ist es heutzutage besser geworden, auch wenn Aids weiter ein Thema bleibt. Die Leute sollten trotzdem vorsichtig sein. Man kann Aids zwar besser behandeln, aber es gibt immer noch Menschen die daran sterben.

Von deiner Spiritualität beeinflusst scheint auch der Name deiner Band BLACK KALI MA gewesen zu sein. Was hat es damit auf sich? Und warum „schwarze Kali Ma“?

Na, weil ihre Haut schwarz ist, haha. Aber vergiss alles, was du je über Kali gehört hast, und stell sie dir als liebevolle Mutter vor. Auf all diesen furchtbaren Bilder von Kali siehst du Sachen, vor denen sie dich beschützt, und nichts, womit sie dir drohen würde. Du willst sie auf deiner Seite haben, mit ihrem riesigen Schwert, dem Waffengürtel und dieser Halskette aus Köpfen. Diese Dinge repräsentieren Egoismus, Verlangen, Neid und so weiter, die sie uns abnimmt, wenn wir sie ihr geben. Es gibt eine Sekte, die sie verehrt, und ich habe mich seit einigen Jahren mit Kali beschäftigt und verehre sie auch. Irgendwo hat mir mal eine Frau irgendeinen Stuss erzählt, von wegen „Kali, die Göttin des Schreckens und des Todes“. Da wurde ich wütend und sagte ihr, dass sie offenbar keine Ahnung hat, wovon sie redet. Kali erschafft in gleichen Maße Neues, wie sie Altes zerstört.

Im direkten Vergleich zu SISTER DOUBLE HAPPINESS oder deinen oft akustischen Soloplatten finde ich das BLACK KALI MA-Album wirklich bemerkenswert, da es viel zorniger ist – so, als ob sich da der Kreis schließen würde. Wo kam der Drang her, wieder lautere, wütendere Musik zu machen?

Das war ja alles immer schon da. Als ich Punk gemacht habe, habe ich immer auch gleichzeitig alten Blues, Folk und Country gehört. Während der letzten SISTER DOUBLE HAPPINESS-Europatour schrieb ich zusammen mit Gitarrist Danny Roman einige Songs, die dann auf dem ersten GARY FLOYD BAND-Album landeten. Das war schon immer in mir drin, dieses folkige Element. Und mit dem GARY FLOYD BAND-Album von 1996, „In A Dark Room“, ging es dann wieder zurück in diese Rock-Richtung. Irgendwann danach jammten Danny und ich mal wieder zusammen, alles war relativ soft und auf einmal fragte ich ihn: „Hast du nicht auch mal wieder Lust, alles kurz und klein zu rocken?“ Und so gründeten wir BLACK KALI MA. Ich rief Matt Margolin an, der auch auf „In A Dark Room“ an der Gitarre zu hören ist. Er war begeistert von der Idee und zog sofort von Minneapolis wieder zurück hierher. Mit Bruce Ducheneaux fanden wir schnell einen Drummer und gingen sofort ins Studio. Leider hatten wir ein Problem mit unseren Bassisten und verschlissen so in einer kurzen Zeit gleich fünf. Irgendwann kamen dann auch noch persönliche Probleme dazu und so fiel die Band nach und nach auseinander. Als Matt dann starb, was wirklich hart für mich war, schloss sich diese Tür für immer, jegliche Chance auf eine Reunion ist ausgeschlossen. Aber so ist es eben: All diese verschiedenen Arten von Musik stecken in mir drin. Und wenn mich irgendein Punkrocker fragt, wie ich einen Song wie „Spirit on the wind“ machen könne – eben einfach so! Da steckt kein Masterplan dahinter oder so was, das entwickelt sich alles ganz natürlich. Wenn ich Tankwart wäre, müsste ich den ganzen Tag irgendwelchen Leuten die Karren volltanken, aber ich bin Musiker, also kann ich machen, was ich will.

Übersetzung: Julius Lensch