MARATHONMANN

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Wanderer zwischen den Welten

MARATHONMANN aus München sind die Shootingstars am deutschen Post-Hardcore-Himmel. Analog zu den Kölnern KMPFSPRT haben sie die deutsche Sprache als bessere Ausdrucksmöglichkeit für sich entdeckt und überzeugen nicht nur durch ihre Texte, sondern auch durch ihre Kompositionen. MARATHONMANN schreiben richtig gute Songs und das aktuelle Album „Holzschwert“ folgt einem Konzept, welches nicht nur filmische Motive benutzt, sondern auch traumwandlerisch-retrospektiv die Kindheit als solche glorifiziert, was sich prima auf die aktuelle Situation der Band übertragen lässt: Träume zulassen, Pläne schmieden und für deren Umsetzung kämpfen. So wie die ganze Band sich in ihrer Entwicklung treiben lässt, ihren Sound weiter formt und sich was traut, keine Angst hat, sondern alles zulässt, sind es die ruhigen, sphärischen Momente auf „Holzschwert“, die der Musik Tiefe und Wirkung geben.

MARATHONMANN gründen sich im Juni 2011 in München. Man kennt sich bereits aus anderen Bands, hat die gleichen musikalischen Erfahrungswerte und ist beheimatet im englischsprachigen Screamo. Mit bereits über 180 Konzerten auf dem Buckel, wagen sie nach einem kleinen Besetzungswechsel den Sprung zur Deutschsprachigkeit, um die Sache mit dem eigenen Traum noch mal anzugehen und sich nicht mit der erstickenden Alltagsroutine abzufinden. Im Februar 2012 taucht das Video „Die Stadt gehört den Besten“ im Internet auf und ebnet dem Quartett den Weg ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Die beim befreundeten Münchner Label Let it Burn veröffentlichte gleichnamige Single entwickelt sich zum Selbstläufer und findet viele begeisterte Hörer. Selbständig nimmt mit Century Media eines der größten Metal- und Hardcore-Plattenlabels Kontakt zur Band auf und bietet MARATHONMANN ganz neue Möglichkeiten.

Ab dem Sommer 2012 geht es richtig los für die vier Endzwanziger: Sie spielen als Opener für Casper, touren danach mit COMEBACK KID und im Oktober mit LIVING WITH LIONS. Das alles wird nur noch getoppt durch eine Einladung von DONOTS-Gitarrist Guido Knollmann, bei deren Jahresabschluss-Show zu spielen. Nicht schlecht für das erste Jahr! Bereits im Herbst hat man zwei Wochen lang mit Robin Völkert in der Tonmeisterei Oldenburg die zehn Songs für das Debüt aufgenommen, gemischt und gemastert. Seit dem 22. März kann man „Holzschwert“ als LP und CD kaufen, während die Band sofort wieder Konzerte spielt, unter anderem mit den Stuttgartern HEISSKALT und danach mehrmals mit ITCHY POOPZKID. Ein hohes Maß an Organisationstalent ist nötig, um die Promotermine, Konzerte und das eigene Berufsleben unter einen Hut zu kriegen. Zum Berlin-Konzert mit BOYSETSFIRE und FUNERAL FOR A FRIEND reist Drummer Marcel nach der Arbeit an, um mitten in der Nacht wieder nach München zurückzufahren, damit er morgens wieder pünktlich auf der Arbeit ist. Dennoch scheiden sich an dieser Band die Geister, was Sänger/Bassist Michi „Exotenstatus“ nennt, also nie so richtig irgendwo reinzupassen.


Michi, ich habe euch als Support für ITCHY POOPZKID in Köln gesehen. Ist deren Publikum ernsthaft eure typische Zielgruppe?

Also, ob junges oder altes Publikum, das ist uns total egal: Wir wollen einfach die Leute unterhalten und eine gute Show abliefern. Die zahlen deswegen ja auch den Eintritt. Wir sind natürlich im direkten Vergleich nicht so eine Partyband wie ITCHY POOPZKID, sondern deutlich ernster. Gerade deswegen freut es mich aber, zu sehen, dass wir so geil von den Leuten angenommen werden. Es kommt ja auch auf den Kontext an. Bei dem Converse-Konzert mit BOYSETSFIRE hatten wir ein älteres und auch zurückhaltenderes Publikum und das ist dann auch für uns deutlich entspannter, als zum Beispiel das Konzert, wo du warst. Aber auch die jungen Fans haben unsere CD gekauft und vielleicht werden die sich dann ja auch daheim mit den Texten befassen. Für uns eine sehr spannende Sache ...

Wo bleibt der Hardcore in eurem Post-Hardcore, oder ist das nicht eher so Emo/Screamo?

Du hast da vollkommen Recht. Post-Hardcore bezeichnet ja das, was sich aus dem ursprünglichen Hardcore entwickelt hat. Und da ich ja ein bisschen schreie und wir diese emotionalen Texte haben, bekommt es schon so einen Post-Hardcore-Bezug, deswegen werden wir in dem Kontext ja auch gebucht, zum Beispiel von Converse, was uns neben neuen Schuhen auch gut 450 Zuschauer beschert hat, was natürlich super ist.

Aber ich hab das Wilde vermisst, zumal die Live-Show komplett auf dich als Frontmann zugeschnitten ist. Du sprichst das Publikum direkt an und wirst auch nicht müde, die Leute zu animieren mitzumachen.

Wir wurden eingeladen und verhalten uns dann auch dankbar gegenüber dem Headliner. Wir animieren gerne und wollen unterhalten, passen die Playlist aber durchaus an die Location an. Wenn wir dann mit den ITCHY POOPZKID unterwegs sind, bekommen wir einfach auch mit, wie gut die das machen, auf und neben der Bühne, und dann steigt halt auch die Lust auf eine große Party. Es ist natürlich etwas anderes, als vor fünfzig Leuten in einem kleinen Laden zu spielen. Aber wir lassen uns da nicht zu etwas zwingen. Außerdem stehe ich einfach drauf, wenn die Leute mitklatschen und mitsingen. Wir spielen momentan Konzerte mit 500 bis 1.200 Zuschauern, da ist es einfach nur geil, wenn die ganze Halle mitspringt. Und ich fände es lächerlich, wenn wir so eine Nummer vor fünfzig älteren Hardcore-Fans abziehen würden, nach dem Motto: „Jetzt alle mitspringen!“ Die kämen bestimmt auf die Bühne und würden mich zusammenschlagen. Man muss schon die örtliche Atmosphäre wahrnehmen und die Kommunikation sowie die Playlist anpassen. „Schiffe versenken“ wäre in so einem Partykontext ein ungünstiger Opener.

Warum habt ihr ausgerechnet „Dein ist mein ganzes Herz“ von Heinz Rudolf Kunze gecovert?

Ich finde den Song einfach geil! Und als Songwriter finde ich Heinz Rudolf Kunze top. Während der Aufnahmen für „Holzschwert“ entstand diese Version als Non-Album-Track. Wir hatten einfach noch ein paar Minuten Studiozeit und ich habe zwischen den Einsätzen immer solche Musik im Radio gehört, und dann war die Idee einfach da: „Hey, lasst uns doch so als Spaß zum Valentinstag diese Nummer covern!“ Das war’s auch schon und wir haben dann das Video zum Valentinstag veröffentlicht, um die Wartezeit aufs Album zu verkürzen. Und die Nummer kam dann ja auch bei vielen ganz gut an. Aber der Song polarisiert natürlich auch, das ist uns schon klar, wer das Lied früher schon nicht mochte, wird kaum Freude an unserer Version haben.

An eurem Album sind mir Atmung/Luft, Wasser/Küste und Messer als meistbenutzte Schlüsselwörter aufgefallen, während es inhaltlich vor allem um Kindheitserinnerungen und Beziehungen geht, stimmt das?

Das ist richtig. Ich habe sogar „Der Trick ist zu atmen“ auf dem rechten Unterarm tätowiert. Eine supergute Band übrigens. Und ein schönes Motiv, das viele Parallelen zu meinen Texten besitzt. Natürlich geht es bei solchen Metaphern um Existenzielles: Wir brauchen die Luft zum Atmen und das Meer steht für Freiheit, die Wellen für Stärke und so weiter.

Wer ist für das sehr schöne „Holzschwert“-Artwork verantwortlich?

Das hat unser Gitarrist Tom gemacht, zusammen mit einem Freund und natürlich mit unserer Hilfe. Wir hatten schon mehrere Ideen, wie wir das Thema „Holzschwert“ visualisieren wollten und haben einfach alles selbstgemacht. Außer die Pressefotos natürlich ... Ursprünglich sollte das Foto mit dem verkleideten „Holzschwert“-Jungen, der sich seine Träume verwirklicht hat, auf das Cover. Die Fotos im Booklet erzählen ja die Geschichte, wie dieser Junge alles sauber plant und dann auch umsetzt. Diese Pläne schmieden, Zeichnungen anfertigen, Notizzettel schreiben, Ausrüstung besorgen, was dann irgendwann seinen Höhepunkt findet, wenn er nämlich das Haus verlässt und mit seinen Freunden spielen geht. Und vor allem ist diese Geschichte auch ein Spiegelbild unserer Entwicklung als Band: nicht aufgeben, seinen Weg gehen und sich nicht beirren lassen.

Konntest du deine Affinität für Kino und Film bei den Dreharbeiten zum aktuellen Video „Holzschwert“ ein Stück weit ausleben?

Nein, ich war da nur Darsteller, wie die anderen auch. Unser Management hat den Kontakt zu Ambitious Films hergestellt, die kennt man schon aus dem Hardcore-Bereich und die haben einen recht eigenen Stil. Carlo Oppermann lieferte uns einen wahnsinnig guten ersten Drehbuchentwurf und hat dann auch genau die richtigen Darsteller gefunden. Wir haben kaum etwas korrigiert, sondern fühlten uns total verstanden. Es war ein wirklich cooler Dreh, nicht nur wegen des Wetters.

Ich mag die Momente, wenn die Musik etwa beim Titelsong „Holzschwert“ zwischendurch diese spacigen Elemente hat. Vor allem die Delaygitarren in den ruhigeren Passagen höre ich total gerne. Ich würde mir für eure weitere Entwicklung wünschen, dass ihr euch da zukünftig mehr traut und nicht in die Befürchtung habt, es könne zu poppig werden.

Das sehe ich genauso, aber die musikalische Entwicklung hat nichts mit einer kommerziellen Anpassung zu tun. Ich weiß schon, was du meinst, aber in der Frühphase der Band hatten wir die Idee, trockene, harte Musik zu spielen, bekamen aber im Laufe der Monate mehr Lust auf Effekte und einen anderen Sound, und sind dadurch dann auch irgendwie etwas pop-punkiger geworden. Lieder wie „Brief von gestern“ und „Veränderungen“ haben zum Beispiel gar keine Gitarreneffekte, davon haben wir uns einfach wegentwickelt. Und keine Sorge: Das zweite Album wird auf jeden Fall diesem Stil treu sein, aber auch mutiger.

Marko Fellmann