Körperwelten

Pressfleischballett unter Gummibäumen

Was bleibt von dir, kleines Menschlein, wenn du erst den Weg aller Kreatur gegangen bist? Verbuddelter Kompost, versetzt mit Rückständen aus Zahnfüllungen, Raucherlunge und Medikamentenablagerungen in den vergammelnden Organen? Ein Haufen Knochen und Asche plus Aufstieg in Richtung Atmosphäre durch ein Arsenal von Filtern in Schloten und dann via Kehrblech in die Urne? Oder lieber ein handfestes Nachleben als durchgestylter, hochgetunter Popstar für die gruselgeilen Massen?

Letzteres scheint durchaus eine Option für eine ganze Anzahl von Leuten zu sein, nimmt man die Liste der Interessenten zum Maßstab, die sich dem Heidelberger Pathologen und Kadaverdesigner Gunther von Hagens als Menschmaterial für seine Ausstellung unter dem Titel Körperwelten zur Verfügung stellen wollen. Ist Splatter jetzt Mainstream? Die neue Mitte ein Haufen morbider Nekrophiler mit der Sehnsucht nach wenigstens pothumen Ruhm, wenn es zu Lebzeiten schon nicht klappen wollte mit der Inszenierung der eigenen Individualität? Oder ist es einfach die "Faszination des Echten", wie die Werbung der Ausstellung es so platt wie treffend nennt?

"Echt" dürfte ein Schlüsselwort für den Erfolg der Leichenparade sein, denn bei allem Interesse an biologischen und anatomischen Sachverhalten würde wohl nur ein Bruchteil der unablässig strömenden Besucher die extravagant aufbereiteten Körper heimsuchen, ohne das Wissen, dass der Typ dort, der seine Haut lässig über den Arm trägt, wie eine Schleppe, tatsächlich einmal gelebt hat. Im Berliner Postbahnhof, wo die Ausstellung noch bis mindestens Juli zu sehen ist und ob der regen Nachfrage höchstwahrscheinlich verlängert wird, ist das nicht anders als zuvor in Köln, Basel oder Tokyo.

The real thing eben und dementsprechend um ein vielfaches gruseliger und publikumswirksamer, als es beispielsweise Statuen im selben Look jemals sein könnten. Es hat ganz unbestritten seine Faszination, das Innere des Menschen in einer Form sehen zu können, wie es sonst, wenn überhaupt, nur am Modell möglich ist oder am Seziertisch. Und der Lerneffekt ist durch den Thrill, einen echten Toten vor sich zu wissen sicher höher, als im Bio-Unterricht. Was einen bewegt, behält man nun einmal besser.

Irritierend allerdings ist die Präsentation der sogenannten Plastinate, die so perfekt konserviert und präpariert sind, dass kaum jemand sie ohne entsprechendes Vorwissen für ehemals lebendig halten würde. Nicht wenige der Exponate erinnern an Figuren aus dem Frühwerk Clive Barkers und wirken wie die Cenobites in "Hellraiser", denen irgendjemand die Lederklamotten weggenommen hat. Und gerade in dieser künstlich anmutenden Erscheinung des Echten sehe ich die Gefahr einer Verkitschung, die dem verhandelten Gegenstand, dem toten Menschen nämlich, nicht angemessen ist.

Der Schachspieler mit offen liegendem Gehirn und der Reiter auf einem ebenso aufgemotzten Pferd wirken bestenfalls fragwürdig in ihrer Zurschaustellung als knifflig zerbastelte Schubladenwesen, die in pathetisch arrangierter Pose ihre organischen Geheimnisse preisgeben, wie die Gore-Versionen anatomischer Puzzlemodelle. Spätestens die Schwangere aber, in deren geöffnetem Bauch ihr Fötus zu sehen ist, macht mit der absolut unpassenden Laszivität ihrer Positur den Anspruch des selbsternannten Aufklärers von Hagens zunichte.

Das Eingeständnis, es auf Sensation und Spektakel anzulegen, um den Erfolg sicherzustellen, kommt freilich nicht über die Lippen dieses Mannes, dessen ganzer Habitus und vor allem die komplett idiotische Verkleidung als Joseph Beuys-Lookalike einem entgegen schreien: "Seht ihr denn nicht den großen Künstler, der ich bin?"

Da trifft dann wohl Profilneurose auf Kalkül und der Rubel rollt im Dienste des hehren Anliegens, die Pathologie von ihrem Ruch des Leichenschnippelns zu befreien und das Wunderbare und Rätselhafte des menschlichen Körpers auf ästhetische Weise heraus zu stellen. Das Ganze dann allerdings zum angeblichen Kunstereignis hochzujazzen, zeigt wohl das Dilemma, in dem sich jemand wie von Hagens befinden muss, denn absolut niemand dürfte in ihm jemals etwas anderes sehen, als einen Pathologen mit kreativer Ader und einer Nase für publicityträchtige Präsentationen seines Danse Macabre in Form eines Crossovers Riefenstahlscher Heroisierung und halbvergorener Francis Bacon-Reminiszenzen.

Das eines klar ist: Ich will hier nicht moralisieren, denn jeder plastinierte und ummodellierte Mensch, der in den Körperwelten zu sehen ist, hat zumindest nach Aussagen von Hagens, vorab sein Einverständnis hierfür abgegeben, ebenso, wie jeder es mit sich selbst abmachen muss, warum er sich ausgerechnet diese Ausstellung ansieht und was das für ihn bedeutet.

Doch gerade diese Art von Reflexion, die meiner Meinung nach absolut unabdingbar ist, wenn ich mir Leichen anschaue, die ganz eindeutig zum Zwecke einer möglichst spektakulären und erfolgsorientierten Darstellung als Material für eine Art Kunstwerk dienen, fehlt beim überwiegenden Teil des Publikums, wenn man die Aussagen von BesucherInnen in der Presse betrachtet, die sich, wenn es an eine Bewertung des Gesehenen geht, fast ausschließlich darauf beschränken, dass man so was ja sonst nicht zu sehen bekomme. So gruselt´s sich natürlich prima ungeniert zwischen nett arrangierten Palmen und Gummibäumen, links der Papa, der alles mit Trompetenstimme kommentiert, rechts die Landjugend Lankwitz und mittendrin Tante Grethe aus Visselhövede, die quiekt wie ein junges Fohlen, wenn vor ihr ein verstorbenes, besonders pfiffig hergerichtetes Exemplar der Gattung steht, der sie selbst angehört: Mensch.

Soll man das jetzt verurteilen? Gar als Niedergang einer angeblichen Zivilisation bewerten, wie es die meisten GegnerInnen der Ausstellung, und hier vor allem die Kirche, unter Berufung auf die Menschenwürde tun?

Ich glaube irgendwie, das enorme Interesse am Betrachten einer derartigen Ausstellung ist ganz einfach ein Indiz unserer auf Sensation geeichten Mediengesellschaft und somit eine weitere Facette im Reigen von Reality TV, adrett inszeniertem Elend und Millionengewinnen für alle. Prinzipiell faszinierend und als Ansatz einer alternativen Betrachtung der Themen Tod und Körper unter Umständen sinnvoll, in der Präsentation und Rezeption jedoch von ebenso strategischer Planung auf der einen Seite, dumpfem Konsum und der Suche nach dem nächsten krassen Knaller auf der anderen geprägt, wie der neueste heiße Scheiß in der Glotze.

Apokalypse Wow! Passt schon, wenn Abertausende von Tieren für die Gier des Menschen mit ihrem Leben bezahlen müssen und auf dem Scheiterhaufen der Marktbereinigung und des Verbraucherschutzes enden, wenn sich Leute wegen wenig mehr als Herrschaftsstreben einander ermorden und das Beglotzen von Containerbewohnern auch langsam langweilt, sich dem nächsten Level zuzuwenden. Brot und Spiele eben - und wenn die Mettwurstskulpturen des Heidelberger Pansen-Michelangelo irgendwann auch nur noch allgemeines, müdes Achselzucken hervorrufen, gibt es dann Liveschaltungen aus seiner Metzgerei.

Bin ja nur gespannt, wie der Meister seine eigene Verherrlichung als Prunk-Aas für den Fall seines Ablebens geplant hat. Die Bronchien zu einem Lorbeerkranz um seine vor lauter brillantem Gehirn sich wie eine Blume öffnende Stirn geschlungen, die Haut zu einem verwegenen Mantel drappiert, wie er eines Künstlers und Magiers geziemt ? In der Hand seinen geliebten Hut, dieses tröstliche Surrogat von visionärer Größe und zu seinen Füßen lodert die nie verlöschende promethische Flamme der Aufklärung, in feuriger Schrift ein Clive Barker-Zitat nachbildend, dass von Hagens sicher gerne selbst ersonnen hätte : Blutbücher sind wir Leiber alle; wo man uns aufschlägt: lesbar rot.