MUDHONEY

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Fluchtpunkt Seattle

Fünf Jahre ist es her, seit mit „The Lucky Ones“ das letzte Album der „Godfathers of Grunge“ aus Seattle erschien, die seit Ende der Achtziger eine erfreulich konstante Erscheinung im alternativen Musikbereich geblieben sind. Zwar verließ Urmitglied Matt Lukin 2001 die Band, aber Mark Arm, Steve Turner und Dan Peters haben unbeeindruckt von der Schnelllebigkeit des Musikgeschäfts weiterhin ihr Ding gemacht und sich nirgendwo angebiedert, wofür natürlich popkulturelle Zirkel inzwischen nur noch ein Achselzucken übrig haben und was man vielleicht auch etwas konservativ finden mag. Rockstar wird man mit dieser Attitüde jedenfalls nicht beziehungsweise nicht mehr, aber kann zumindest morgens noch in den Spiegel schauen. Und so sind die verbliebenen MUDHONEYs bis heute trotz hart erarbeitendem Kultstatus angenehm auf dem Teppich geblieben, was ein sympathischer Mark Arm im folgenden Gespräch anlässlich ihres neuen Albums „Vanishing Point“ ein weiteres Mal deutlich unter Beweis stellt. Einer, der ja nicht nur auf seine Band bezogen ein Überlebender ist, denn Heroin hatte dem MUDHONEY-Frontmann bis zu seiner Abkehr von dem Teufelszeug im Jahr 1993 viermal eine Überdosis beschert.

Mark, als wir vor fünf Jahren mit dir sprachen, trafen wir dich bereits im Lager deines Arbeitgeber Sub Pop an. Es hat sich also seitdem offenbar nichts großartig verändert bei dir. Oder wie gestaltet sich die Situation gerade für Sub Pop in Bezug auf die generell wirtschaftlich nicht leichte Situation weltweit?


Ja, ich bin nach wie vor im Lager von Sub Pop beschäftigt. Und du wirst mich sicherlich auch in den nächsten Jahren noch hier erreichen können ... Na ja, durch die miese Wirtschaftslage Ende 2007 und 2008 sah alles eine ganze Weile ziemlich übel aus. Einige Plattenläden, die wir regelmäßig beliefert haben, gingen pleite, während andere, die bis dahin wirklich große Mengen Platten bestellt hatten, plötzlich nur noch geringe Stückzahlen abnahmen. Und wir dachten: Verdammte Scheiße, was ist da los? Aber diese Plattenläden sind jetzt im wieder gut Geschäft.

Kürzlich habe ich gelesen, dass inzwischen durch legale Downloads Gewinn erzielt würde, der tatsächlich der Rede wert ist. Wie sieht die Gewichtung bei Sub Pop aus, also was den Verkauf von CDs, LPs und Downloads angeht?

Das weiß ich gar nicht konkret, ich weiß nur aus eigener Erfahrung, dass Musik-Streaming-Dienste wie Spotify einen miserabel bezahlen. Als ich vor sieben Jahren hier im Sub Pop-Lager angefangen habe, fand definitiv ein Wechsel von CD zu LP statt. Es ist schon witzig, es gibt Läden, denen ich Sachen schicke und die Namen haben wie „CD Alley“, aber sie bestellen ausschließlich LPs, haha. Einem Großteil der Leute ist es wohl egal, wie sie Musik konsumieren, solange sie irgendwie Zugriff darauf haben. Deshalb sind Streaming-Dienste wahrscheinlich auch so beliebt. Aber es gibt natürlich immer eine Gruppe von Leuten, die eine tiefergehende Verbindung zu der Musik und den Bands haben. Sie wollen etwas haben, was mit der Musik verbunden ist, und eine CD ist das in geringerem Maße als eine LP. Ich bin froh, dass die Leute immer noch Vinyl kaufen, denn selbst noch in der CD-Ära habe ich Platten unterteilt in A- und B-Seite betrachtet.

Du bist also auch immer noch Plattensammler?

Nicht mehr so wie früher. Steve bestreitet allerdings seinen Lebensunterhalt damit, er kauft Platten billig an und verkauft sie wieder, er ist ständig auf der Suche danach, vor allem nach raren Punk-Singles. Aber eigentlich hat er schon mit allem möglichen gehandelt, etwa christlichem Hippie-Folk aus den Siebzigern, denn dafür gibt es offenbar ein Publikum. Und viele Leute suchen danach auf eBay und bezahlen dann viel Geld dafür.

Apropos Steve: Mir war völlig entfallen, dass ihr neben MUDHONEY in einer THE SONICS-Coverband spielt. Wie kam das zustande?

Vielleicht kennst du das „Experience Music Project“-Museum hier in Seattle. Dahinter steckt Paul Allen, der Mitbegründer von Microsoft, der inzwischen ja nicht mehr dort arbeitet. Ihm gehören ganze Sportteams, er ist ein irrsinnig wohlhabender Mensch. Er ist großer Jimi Hendrix-Fan und wollte an sich für ihn ein Museum gründen. Daraus wurde dann das Experience Music Project, denn Hendrix alleine wäre vielleicht ein zu begrenztes Thema gewesen. Es ist eine Art Version der „Rock and Roll Hall of Fame“, ohne dass jemand konkret dort aufgenommen würde, aber es gibt ständig wechselnde Ausstellungen. Ein fester Teil ist die Northwest-Ausstellung, die bis in die Fünfziger Jahre zurückgeht. Ich glaube, 2000 eröffnete das Museum und es gab deswegen einige Shows, überwiegend mit Bands aus dem Nordwesten, darunter PAUL REVERE & THE RAIDERS oder THE KINGSMEN. Man versuchte damals auch, THE SONICS zu einem Auftritt zu bewegen, aber die wollten nicht. Und so hatte Scott McCaughey von THE YOUNG FRESH FELLOWS, der ja auch bei R.E.M. gespielt hat, die Idee, eine SONICS-Tribute-Band zusammenzustellen, die zur Eröffnung auftreten sollte. Er kontaktierte mich dann, und am Ende waren er, Steve am Bass, Dan am Schlagzeug und ich in der Band. Neben Tom Price von GAS HUFFER und THE U-MEN, der jetzt eine neue Band namens THE TOM PRICE DESERT CLASSIC hat, und Bill „Kahuna“ Henderson von GIRL TROUBLE, zwei der fanatischsten SONICS-Fans, die ich kenne, was natürlich Sinn ergab. Und am Saxofon hatten wir noch Craig Flory mit dabei. Wir spielten einige Shows zusammen und aus irgendeinem Grund gingen wir dann ins Studio und nahmen als THE NEW ORIGINAL SONIC SOUNDS eine komplette Platte auf, die tatsächlich jemand veröffentlichte. Aber es ist wirklich nicht nötig, sich die zuzulegen, man sollte sich besser richtige SONICS-Platten kaufen, haha. Du hast sicher vom Hurricane „Sandy“ vor einigen Monaten gehört und was mit Norton Records passierte, die ja einige SONICS-Platten veröffentlicht haben. Jim Sangster von den THE YOUNG FRESH FELLOWS organisierte dann eine Benefiz-Show für Norton, und unsere SONICS-Tribute-Band kam zu diesem Zweck wieder zusammen und spielte vier Songs. Aber das ist keine beständige Sache und besitzt auch keine Priorität für mich.

Dafür sind ja die echten SONICS wieder unterwegs. Hast du sie mal gesehen?

Ja, wir haben sogar mit den SONICS im Februar zusammen in Seattle gespielt und das war ein wirklich toller Abend. Sie haben jetzt einen neuen Schlagzeuger. Ich habe sie vor ein paar Jahren schon mal gesehen und da hatten sie einen Schlagzeuger, der zu ihnen nicht wirklich passte. Der aktuelle Drummer spielt auch mit Dick Dale und weiß, was gefordert ist, und sie waren wirklich toll. Es gibt ja noch drei Originalmitglieder: Larry Parypa, der Gitarrist, der live den exakt gleichen Sound wie auf Platte hinbekommt. Dann Rob Lind, der Saxophon spielt und bei ein paar Songs singt. Und natürlich Keyboarder Gerry Roslie, der ja die Stimme der SONICS ist. Aber er kann nicht mehr die ganze Zeit singen, weil er schon eine Herztransplantation hinter sich hat und mit einer Krebserkrankung zu kämpfen hatte. Ihm geht schnell die Puste aus und singt deshalb Nummern wie „Cinderella“, wo er brüllen muss, auch nicht mehr. Aber sie haben Freddie Dennis als Bassisten, der bei FREDDIE AND THE SCREAMERS gespielt hat. Und der singt dann Stücke wie „Cinderella“. Sie haben auch eine Coverversion von „I don’t need no doctor“ von HUMBLE PIE gespielt, was richtig großartig war, aber ich war etwas verwundert, warum sie ausgerechnet das ausgewählt hatten, haha.

Bei Reunions solch legendärer Bands weiß man allerdings nie, ob nicht doch mehr pragmatische Gründe im Vordergrund stehen.

Ja, aber sie schreiben sogar neue Songs und haben auch welche davon gespielt, und die waren wirklich gut. Aber es geht wahrscheinlich auch ein wenig ums Geld, haha. Irgendwas muss sie ja dazu motiviert haben, wieder aufzutreten, nachdem sie das lange abgelehnt haben. Als ich mich mit ihnen unterhielt, hatte ich das Gefühl, dass es sehr eigenwillige Menschen sind, was sie wahrscheinlich lange davon abgehalten hat, wieder zusammen zu spielen, weil sie vielleicht dachten, dass sie es nicht mehr können. Aber sie haben es immer noch drauf.

Mein größtes Problem mit Reunions ist allerdings, wenn der ursprüngliche Sänger nicht mehr dabei ist, da gibt es ja genügend abschreckende Beispiele.

Dasselbe Problem hatte ich, bis ich mit DKT/MC5 auf Tour war, den verbliebenen Mitgliedern von MC5, wo ich zusammen mit Lisa Kekaula von den BELLRAYS sang. Das war 2004, ist also auch wieder ganz schön lange her. Aber in die Fußstapfen von Rob Tyner zu treten, war eine verdammt einschüchternde Aufgabe, etwas, dem ich eigentlich gar nicht gewachsen war. Ich habe auch mit Wayne Kramer darüber geredet und der meinte: „Wir erwarten gar nicht, dass du in Robs Fußstapfen trittst, mach das, was du sonst auch tust, und es wird schon funktionieren.“ Ich habe auch viel dabei gelernt, da ich ich mich außerhalb meines vertrauten Umfelds befand.

Wahrscheinlich hast du damals mit MC5 etwas Ähnliches erlebt wie Mike Watt gerade bei den STOOGES, oder?

Mit Sicherheit. Wir haben mit den STOOGES ja einige Male gespielt, zweimal in Seattle und einmal in Athen. Das war, als Ron Asheton noch lebte. Und dann haben wir mit ihnen in New York mit James Williamson gespielt, also in der „Raw Power“-Formation.

Gerade ist ja ein neues Album der STOOGES erschienen, wobei „The Weirdness“ 2007 für mich eine ziemliche Enttäuschung war. Ich muss gestehen, dass ich beim Hören von eurem neuen Album „Vanishing Point“ manchmal dachte, dass ich mir so einen Sound 2007 von den STOOGES gewünscht hätte.

Haha! Das ist natürlich ein großes Kompliment für mich. Ich meine, ich kann mir ihre alten Platten immer wieder anhören, es ist nach wie vor völlig elektrisierend und verblüffend. Aber du hast recht, „The Weirdness“ war ziemlicher Murks. Die Produktion ist schrecklich, und, ich sage es nur ungern, auch die Texte sind schrecklich. Ich meine, ich bin schon lange ein großer Fan von Iggy, aber ich hatte da wirklich etwas mehr erwartet.

Waren die STOOGES in den Anfangstagen von MUDHONEY so etwas wie eine Blaupause für euch?

Nun, zu der Zeit, als es mit MUDHONEY losging, war ich DJ bei einem College-Radiosender hier in Seattle. Und ich war wirklich genervt von den Sachen, die die meisten DJs auflegten und die viele Leute offenbar damals mochten. Das war so blöder Popkram, mit dem man möglichst unbeschwert viel Spaß haben sollte. Oder es gab andere Leute, für die Musik nur in England stattfand und die Moby oder ähnlichen Mist mochten, der überhaupt nicht rockte. Und ich fand, dass wirklich etwas Entscheidendes fehlte zu dieser Zeit, zumal ich auch keine echte Befriedigung im Hardrock und Metal dieser Ära fand. Es gab natürlich auch Bands, die ich mochte, wie die frühen METALLICA oder VENOM, aber das war nichts, was ich selbst machen wollte, also mich hinzustellen und über Satan zu singen, haha. Und ich fand, dass MC5, die STOOGES, WIPERS und tausend andere Bands in diesem Zusammenhang fehlten. Und das war dann etwas, was wir auch mit MUDHONEY versuchten umzusetzen, aber natürlich unsere eigene Version davon.

Bist du eigentlich sauer, wenn Leute über euch schreiben, dass ihr im Prinzip immer gleich klingt?

Haha! Na ja, wir tun einfach, was wir tun wollen, wir wollen es uns selbst recht machen. Ich meine, es war uns schon immer scheißegal, was gerade angesagt ist, und zwar vom ersten Tag an. Es gab einen seltsamen Moment in den frühen Neunzigern, als das, was wir taten, fast mal populär gewesen ist. Ich glaube zwar nicht, dass es wirklich so war, denn wir waren nie so bekannt wie NIRVANA, SOUNDGARDEN, PEARL JAM oder ALICE IN CHAINS, all diese Bands, die aus Seattle kamen. Wir standen ihnen zwar irgendwie nah, waren aber kaum mit ihnen vergleichbar. Das war nur einer diesen glücklichen Zufälle. Wir sind jetzt mehr als zwanzig Jahre dabei und seitdem hat das, was wir tun, nie etwas mit irgendeiner Form populärer Musik zu tun gehabt.

Willst du damit sagen, dass MUDHONEY schon damals nicht zeitgemäß waren und es heute erst recht nicht sind?

Hahaha! Das klingt ja so, als ob wir wie die verdammten SHA-NA-NA wären, irgendwelche bedauernswerten Rockabilly-Liebhaber mit ausgeprägter Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Ich habe ja schon über die STOOGES, WIPERS und MC5 geredet, das waren unsere Prüfsteine. Bands mit verrückten Typen und Spinnern. Und wenn man weitergeht in die Achtziger, waren wir Fans der BUTTHOLE SURFERS oder FEEDTIME, abgefuckte Außenseiter-Bands, die ihr eigenes Ding gemacht haben. Und hoffentlich haben auch wir unser eigenes Ding machen können. Wir haben natürlich unsere Einflüsse, und ab und an haben wir auch andere Sachen mit eingebracht, denn ich will ja nicht denselben blöden Song immer und immer wieder schreiben, das wäre witzlos. Aber wenn sich man unsere Platten anhört, merkt man sofort, dass das MUDHONEY sind.

Das fällt einem wirklich nicht schwer ... Gibt es für dich denn gerade Rock’n’Roll, der zeitgemäß und traditionsbewusst zugleich ist?

Ja, zum Beispiel THEE OH SEES auf In The Red. Und einige Bands auf Sub Pop, die ich sehr mag, wie PISSED JEANS, OBITS und METZ. Es gibt eigentlich immer etwas. Ich meine, ich habe meinen Finger auch nicht ständig am Puls der Zeit, denn ich gehe kaum noch auf Konzerte, das ist mir zu mühselig. Es gibt nichts Schlimmeres für mich, als eine miese Band sehen zu müssen, haha. Und selbst bei einer Band, die du kennst und sehen willst, musst du eine beschissene Vorband ertragen. Manchmal wird man überrascht und die Vorband ist richtig gut. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, was zeitgemäß ist. Ist es zeitgemäß, einen DJ in der Band zu haben? Nein, ich glaube, das war eher in den Neunzigern der Fall, haha.

Möglicherweise sind es R&B-Elemente oder Timbaland als Produzent.

Ach, du spielst auf die Zusammenarbeit von Timbaland und Chris Cornell bei dessen Soloalbum „Scream“ an. Was für ein Debakel, haha.

Wie sieht allgemein euer Verhältnis zu Produzenten aus?

Wir hatten eigentlich nur bei „Tomorrow Hit Today“ einen richtigen Produzenten und das war Jim Dickinson. In der Regel arbeiten wir lieber mit jemandem zusammen, der die Platte aufnimmt, also die Hände am Mischpult hat und an den Knöpfen dreht. Ich weiß auch nicht genau, was der Begriff Produzent wirklich bedeutet. Als wir mit Jim Dickinson aufgenommen haben, hatte er einen Tontechniker, der das alles gemacht hat, während er sich zurücklehnte und uns Input gab. Das war das einzige Mal, dass wir so eine Erfahrung gemacht haben.

Steckt da auch ein unterschwelliges Unbehagen dahinter, dass ein Außenstehender zu stark Einfluss nehmen könnte?

Gewöhnlich nehmen wir lieber mit Leuten auf, die wir kennen. Bei der letzten Platte war es Johnny Sangster, mit dem wir schon seit Jahren zusammenarbeiten. „Since We’ve Become Translucent“ und „Under A Billion Suns“, die ersten beiden Platten nach unserer Rückkehr zu Sub Pop, haben wir zum Beispiel in Etappen aufgenommen. Jedes Wochenende, als wir aufgenommen und abgemischt haben, haben wir das mit jemand anders gemacht. Drei Songs mit Scott Colburn, drei Songs mit Tucker Martine und drei andere mit Johnny Sangster. Und auf dem vorletzten Album „The Lucky Ones“ haben wir alles mit Tucker Martine aufgenommen, weil wir schon vorher gut mit ihm zusammengearbeitet hatten. Idealerweise holt so jemand den bestmöglichen Drumsound heraus, einen der nicht lächerlich klingt, sondern natürlich. Er nimmt die Instrumente eben so auf, wie sie aus den Verstärkern kommen.

Gibt es eine MUDHONEY-Platte, die in dieser Hinsicht für dich missglückt war?

„Piece Of Cake“ klingt für mich etwas dünn. Wir haben die Platte mit Conrad Uno aufgenommen, der mit uns auch an „Every Good Boy Deserves Fudge“ gearbeitet hat, die wiederum toll klingt. Aber er hatte zu dem Zeitpunkt einen neuen Mehrspurrekorder mit 16 Spuren bekommen – bei „Every Good Boy Deserves Fudge“ waren es nur acht Spuren. Vielleicht war das noch neu für ihn und er hatte die Sache nicht richtig im Griff, denn wir waren die erste Band, die er damit aufnahm. Aber das Schlimmste, was wir bisher erlebt haben, war der Song, den wir für den Film „PCU“ aufgenommen haben, eine echt beschissene Komödie mit David Spade. Der hatte auch die Idee, dass wir für den Film-Soundtrack eine Version von „Pump it up“ von Elvis Costello aufnehmen sollten. Wir gingen dann ins Bad Animals Studio, das den Typen von HEART gehört, das größte Studio zu dieser Zeit in Seattle. Am Ende reichte es dann nicht, dass wir mit 24 Spuren aufnahmen, er schloss noch einen anderen Rekorder mit 24 Spuren an, so dass wir 48 Spuren hatten. Es gibt bei dem Song ja Backgroundvocals, und er hat mich, Matt und Steve das sechsmal singen lassen, und das auf sechs verschiedenen Spuren, näher dran ans Mikro, weiter weg vom Mikro, und noch mal ... das war wirklich völlig lächerlich. Wir haben aber nichts großartig gesagt. Wir haben ihn einfach machen lassen, es klang eh alles scheiße. Das Studio hatte Kabelfernsehempfang und wir haben uns derweil lieber den Playboy Channel reingezogen und Bier getrunken, haha.

Dafür klingt „Vanishing Point“ auf jeden Fall sehr differenziert, ohne an dreckiger Energie einzubüßen.

Das freut mich zu hören, denn das hatten wir auch im Sinn. Gerade in den Neunzigern gab es ja viele dieser LoFi-Produktionen in der Garagerock-Szene, wo die Leute versuchten, Billy Childish noch zu unterbieten. Ich meine, die Platten von Billy Childish klingen toll, aber der macht das schon seit den Achtzigern. Aber andere Leute scheinen sich wohl zu sagen: „Hey, lasst uns den Sound richtig beschissen machen, das ist gut genug, denn wir wollen ja wie eine Garage-Band klingen.“ Nein, ist es nicht, denn es klingt scheiße! Wenn man die Technik hat, etwas gut klingen zu lassen, sollte man die auch einsetzen.

Ist „Vanishing Point“ das, was man sich gemeinhin unter einer analogen Produktion vorstellt?

Die Platte ist auf 2-Zoll-Magnetband aufgenommen worden, also die Basisspuren wie Schlagzeug, Bass und Gitarren, bis auf ein paar Overdubs. Denn Johnny ist der Meinung, dass das besser klingt, als wenn er es mit Pro Tools aufnimmt. Aber zum Abmischen jagt er dann doch alles durch Pro Tools, weil es einfacher ist, aber der Sound ist immer noch derselbe wie auf Band. Es klingt einfacher wärmer und knackiger. Meine Ohren sind aber in dieser Hinsicht nicht wirklich geschult und ich vertraue da seinem Urteil.

Euer letztes Album „The Lucky Ones“ erschien zum zwanzigjährigen Jubiläum, „Vanishing Point“ zum 25-jährigen. Was kommt als Nächstes, auf welches Jubiläum arbeitet ihr hin?

Die nächste Platte kommt dann zum dreißigjährigen, oder zählt man gar nichts mehr vor fünfzig? Haha, ich weiß auch nicht. Unglücklicherweise hat es diesmal so lange gedauert. Der Gedanke, dass schon wieder fünf Jahre vergangen sind, haut mich wirklich um, das fühlt sich gar nicht so an. Unser zwanzigjähriges Jubiläum fiel ja mit dem von Sub Pop zusammen und es gab deswegen eine zweitätige Veranstaltung in Marymoor Park außerhalb von Seattle. Es war toll, THE FLUID spielten und LES THUGS, viele alte Bands, die schon lange nicht mehr zusammen aufgetreten sind. In diesem Jahr gibt es das Silver Jubilee, das wird eine eintätige kostenlose Veranstaltung sein. Ich weiß gar nicht, wer da alles spielen wird, aber ich weiß, dass wir dabei sind. Es wird sicher lustig.

Passend zum 25-Jährigen sind MUDHONEY jetzt auch noch mit einer Band-Dokumentation namens „I’m Now“ geehrt worden. Solche Filme laufen häufig Gefahr, zu langweiliger Selbstbeweihräucherung zu verkommen, bei der sich jeder noch mal versichert, wie toll die betreffende Band doch ist oder war.

Haha, ja, das ist ganz bestimmt eine große Gefahr. Aber wieso sollte auch jemand eine Dokumentation machen, wo die involvierten Personen alle erzählen, wie scheiße die Band doch war und nie ihr wirkliches Potenzial ausgeschöpft hat?

Aber das kann doch sehr unterhaltsam sein, siehe „Anvil! The Story of Anvil“ ...

Ja, das ist ein witziger Film. Ich wünschte nur, die Band wäre besser gewesen, haha. Ich finde, dass „I’m Now“ gut funktioniert, aber für mich ist es schwer, da objektiv zu sein. Es ist auf jeden Fall seltsam, dass es einen Film über uns gibt. Aber es ergibt insofern Sinn, weil es jetzt billiger ist, solche Filme zu machen, da man nicht mehr auf Filmmaterial drehen muss. Inzwischen gibt es auch viel mehr Dokumentationen über Bands – sogar schrecklich viele. Es ist schon irgendwie toll, aber es fühlt sich nicht mehr so speziell an wie vielleicht noch vor zehn Jahren.

Was wäre deiner Meinung nach ein Beispiel für eine richtig gute Band-Dokumentation?

„MC5: A True Testimonial“ ist fantastisch. Ich hatte das Glück, sie in einem kleinen Kino in Seattle sehen zu können, bevor die Verhandlungen zwischen Filmemachern und Band abgeschlossen waren und alles schiefging, weshalb der Film nie offiziell veröffentlicht wurde. Eine der besten Musik-Dokumentationen für mich ist „Dig“ über THE BRIAN JONESTOWN MASSACRE. Die Band ist mir wirklich scheißegal, ich finde sie noch nicht mal besonders gut, aber die Dokumentation ist verblüffend und sehr fesselnd. Und nur wenige Dokumentionen über Bands erreichen diese Qualität.

Und wie sieht es in diesem Zusammenhang mit dem Thema „Grunge“ aus?

Die einzige „Grunge“-Dokumention, die ich gesehen habe und die mir auch gefallen hat, war „Hype!“. Das Ende war allerdings eine Enttäuschung, denn sie hätten den Film vor Kurts Tod beenden sollen, dann hätte er eine ganz andere Stimmung. Denn bis dahin gab es in der Musikszene hier keine echten Tragödien. Sicherlich sind ein paar Leute gestorben, aber das passiert nun mal, es ist eine große Stadt.

In der aktuellen Bandbio auf der Sub-Pop-Website kann man die folgenden beiden Fragen lesen: „What could the decades-old MUDHONEY have to offer? What could they possibly have left to say?“ Hast du eine Antwort darauf?

Haha! Nein, habe ich nicht. Ich meine, was soll ich denn machen, alles, was ich tue, irgendwie rechtfertigen? Das ist bestimmt Sub Pop-Sarkasmus. Außerdem steht es ja auch in der nächsten Zeile: „Eine Menge!“ Das ist die Antwort.

Eine letzte Frage: Bei „Vanishing Point“, dem Titel eurer Platte, muss ich unweigerlich an den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1971 denken, hierzulande hieß er „Fluchtpunkt San Francisco“. Gibt es da eine Verbindung?

In gewisser Weise ja, denn es ist ein Lieblingsfilm von mir. Aber eigentlich kommt der Plattentitel von der Abbildung auf dem Cover. Das Motiv mit den Tempeln stammt aus dem heutigen Syrien. Alles läuft da auf den Horizont zu und verschwindet quasi dort, und dadurch kam ich auf den Titel „Fluchtpunkt“.

Also kein Statement zur weiteren Zukunft der Band?

Oh nein, ich hoffe nicht, haha.