PERSONA NON GRATA

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77 Ausgaben kulturelle Trotzigkeit

Ein themengebundenes Fanzine mit verhältnismäßig hohem literarischen Anspruch und dem Schwerpunkt Musik, kann das funktionieren? Es kann beziehungsweise konnte. Einige bloggen zwar noch unermüdlich auf der Persona Non Grata-eigenen Homepage weiter, die Printausgabe #78 lässt aber seit 2009 auf sich warten. War’s das jetzt oder kommt doch noch was? „Wir müssen das Thema aufnehmen, bald“, sagen Jörg Nicolaus und PNG-Mitgründer Tom Weber. Für Jana Klaus, die letzte Chefredakteurin, ist die PNG dagegen ganz klar eine abgeschlossene Sache. Man gibt Auskunft über alte Zeiten und bastelt eifrig weiter am eigenen Mythos.

„Jedes neue Heft ein Sieg“, das war der Titel der „Persona Non Grata“-Ausstellung vor einigen Jahren. Was ist davon geblieben?

Jana: Das hat natürlich einen gewissen Kampfgeist in sich, da es besonders finanziell immer ziemlich schwierig war, PNG zu stemmen. Das Problem war ja, dass das alle mehr oder weniger hobbymäßig gemacht haben und fast alle von uns Vollzeitjobs und Familie hatten und dann nebenbei versucht haben, noch ein Heft fertig zu bekommen. Außerdem wurde es finanziell schwierig, weil wir uns komplett durch Anzeigen finanziert hatten und es mit den Labels eigentlich immer mehr bergab ging. Immer weniger Leute wollten noch in uns investieren, weil sie selbst kein Geld mehr zur Verfügung hatten. Dadurch haben wir uns wirklich von einem Heft zum anderen hangeln müssen, das hat ja eigentlich noch relativ lange gut geklappt.

Nr. 77 wird also die letzte Ausgabe bleiben ...

Jana: Es war ja nicht offiziell so angepeilt, dass das ein Abschlussheft ist. Es war ein ganz normales Heft. Deswegen hat das für uns eigentlich weniger einen großen mythischen Gehalt gehabt.

Im Editorial der letzten Ausgabe zitierst du Jensors Aussage „Die PNG ist tot“, die Gedanken an das Ende scheinen ja durchaus schon da gewesen zu sein.

Jana: Ja, die gab es definitiv schon. Es gab immer die Überlegung, ob es überhaupt noch etwas bringt, ein Magazin zu machen. Es gibt sowieso alles im Internet, niemand will mehr für so etwas bezahlen. Niemand hat Zeit, wir sind alle irgendwie völlig ausgelaugt. „Die PNG ist tot“ ist natürlich sehr polemisch, eigentlich gibt es sie ja nach wie vor im Netz. Problematisch wurde es auch, weil wir versucht haben, einen Teil der PNG-Redaktion in Berlin neu zu rekrutieren, das hat nicht richtig funktioniert. Der alte Kreis konnte oder wollte nicht mehr recht und es kam nicht genügend Nachwuchs nach, um diese Lücke zu füllen. Vielleicht war es die beste Lösung, das alles erst mal ruhen zu lassen, anstatt irgendwelche halbwertigen Hefte herauszubringen.

Wie sah das in den Anfangsjahren aus?

Tom: Gegründet wurde die PNG wirklich als basisdemokratisches Presseprojekt, dass daraus dann ein Fanzine geworden ist, hat sich eigentlich erst im Laufe des Prozesses, als sich diese Gruppe gebildet hat, ergeben. Das war 1990, also zu Beginn der Wendezeit, noch in der DDR. Das war auch einfach ein Ergreifen der Möglichkeiten, die die gerade entstandene Pressefreiheit bietet, einfach völlig naiv irgendwas machen. Wir waren auch noch sehr jung, muss ich dazusagen. Es entstand aus diesem Umfeld heraus, in dem wir uns bewegten, also der Punk/Wave-Szene in Leipzig, die da im Underground existierte und so gut wie kein Sprachrohr hatte. Das war dann die Suche nach einer Form, die wir selber bedienen und auch nutzen können. Wir haben völlig naiv damit begonnen zu fragen, wie drucken wir das, wie vervielfältigt man das jetzt? Wir haben dann einen alten DDR-Drucker benutzt. So fing das an.

Ihr seid da schon mehr oder weniger in einen leeren Raum hineingestoßen. Da gab es nichts Vergleichbares, oder?

Tom: Natürlich gab es schon Vergleichbares, es gab DDR-Untergrundliteratur, die ich auch kannte, ein paar Kontakte aus dem Kunstbereich hatte ich auch schon. Die kamen teilweise aus dem bürgerbewegten oder auch aus dem anarchistischen Bereich. Das waren zum Teil wirklich verbotene Zeitschriften, da war ich total beeindruckt, was die Leute illegal machten mit Offset, Siebdruck und so. Das hat mich schon beeinflusst und mich auch mit dazu animiert, selbst in der Richtung aktiv zu werden. Dann gab es da natürlich das nicht zu unterschätzende Messitsch-Fanzine in Leipzig, das eine sehr große Bedeutung für die Szene hatte. Die Kollegen von der Messitsch waren vier, fünf Jahre älter als wir und hatten ihre Erfahrungen in der Punk-Szene der DDR gemacht und auch schon eine ganz andere Sprache gefunden. Die sind schließlich Anfang 1990 nach Berlin gezogen, um in Berlin ein großes Presseprojekt aufzuziehen, um eine große Musikzeitschrift zu gründen, und das war eigentlich – gemein gesagt – unsere Chance. Deswegen hatten wir auch eine Fläche und zumindest ein paar Interessenten, weil es die Messitsch in Leipzig nun nicht mehr gab. Wir wurden auch lange Zeit, bestimmt fünf, sechs Jahre noch an ihr gemessen. Und das war für uns natürlich auch ein Ansporn, wenn die das so machen können, ist unser Ziel auch, mit der Zeit professioneller zu werden. Das war unser Anspruch und auch der von Jörg, und das ist dann auch zunehmend professionalisiert worden, sofern das im Rahmen eines Fanzines möglich ist.

Jörg: Ich bin Mitte der Neunziger über Ralf Donis, der eine Leipziger Lokalikone ist, zur PNG gekommen. Ich kam aus Frankfurt/Oder und weil es wirklich zu der Zeit nichts Vergleichbares gab, kannte ich die PNG natürlich auch schon vorher. Als ich dann nach Leipzig zog, bot sich die Möglichkeit, für PNG zu schreiben, und nach drei Ausgaben war ich auch schon Chefredakteur. Tom war übrigens zu der Zeit im Ausland, haha. Manche haben eben was gemacht, andere haben einfach nur herumgesessen und zu allem eine Meinung gehabt, aber nichts gemacht. Das war auch das Problem dieser basisdemokratischen Struktur. Der harte Kern hatte schon einen professionellen Anspruch, das war nicht nur ein Hobby, das war eine Einstellung. Man wollte, dass das Ding wächst, dass es bekannter wird. Dafür steht auch die Phase, die ich ganz entscheidend geprägt habe, die „haptische Phase“ zwischen #50 und etwa #63 oder #64, in der auch die Tonträger eingeführt wurden, die dann in verschiedenen Formaten beilagen, als Siebenfach-Vinyl oder als Würfel und so weiter.

Tom: Das war irgendwie eine Suche nach der Form. Wir haben gesagt, wir lösen die Form Magazin auf. Es geht darum, einfach zu zeigen, dass wir uns ständig zwischen den Formen hin und her bewegen. Weil alle anderen ja gesagt haben, das muss ein ganz bestimmtes Format haben, damit die Leute das auch am Kiosk kaufen. Da fingen wir dann wirklich konsequent damit an und haben gesagt, wir verweigern uns dem und machen jedes Mal komplett was anderes und entscheiden das erst vor jeder Einzelausgabe neu, und alle hielten uns für verrückt. Die abgefahrenste Sache – die ja völlig schiefgegangen ist – fand ich persönlich die Boxversion, in der die PNG gerollt kam.

Jörg: Das hat sich aber auch noch relativ gut verkauft.

Tom: Vor jeder Ausgabe gab es dann auch immer die Überlegung, das wir jetzt was ganz Krasses machen müssen. Diese Sieben-Vinyl-Sache, sieben Labels auf sieben 7“s vorzustellen, fand ich in Sachen Format schon den Höhepunkt. Das war auch am konsequentesten.

Jörg: Ich glaube, das war extrem zuträglich für den Status der PNG, die vorher auch schon bekannt war und geschätzt wurde. Aber das war noch mal so ein Aufmerksamkeitsboost, das war einfach geil. Und der nächste konsequente Schritt kam unter Andreas Richter, zu der Zeit war ich im Ausland. Da waren alle ziemlich genervt, die Leute wollten eine Musikzeitschrift machen, sich nicht mit dieser Konfektionierung auseinandersetzen, wollten mit der PNG an den Kiosk gehen und das ist ihnen ab der #65 auch geglückt. Wegen der höheren Auflage war das schon gut und alle waren stolz wie Bolle. Aber es hat sich tatsächlich auch auf den Inhalt ausgewirkt, es wurde immer professioneller. Wir hatten uns ja vorher eher auf das Haptische konzentriert und die PNG ist ja eigentlich ein „Inhaltsmagazin“. Tatsächlich aber war der Inhalt in der haptischen Phase anspruchsvoller, das war ab den Siebziger-Nummern immer austauschbarer.

Tom: Das ist ein kritischer Aspekt. Fakt ist aber auch, es kamen immer mehr Leute dazu, wir hatten eine Redaktion verteilt auf drei verschiedene Städte, Berlin, Leipzig und Hamburg. Das hat eigentlich auch zu dem großen Bruch geführt, weil man das ja in irgendeiner Form koordinieren muss.

Jörg: Ein großer Fehler war auch mein Versuch, ein Internetforum als Ersatz für die Redaktionssitzung, an der ja nun nicht mehr alle teilnehmen konnten, zu etablieren. Dort konnte jeder gleichberechtigt kommunizieren und die Texte der anderen kommentieren. Da kamen Beschimpfungen wie „Bild-Autor“ oder „Geh doch zur Brigitte“. Schlimm. Weil auch niemand sagen konnte: Schluss, aus jetzt, ich bin der Chef. Aber ich war zu der Zeit schon in Berlin und in Leipzig kam einfach kaum Nachwuchs nach. Als Musikmagazin war man in einer Sackgasse. Die Verkaufszahlen von Musik gingen zurück, man musste immer mehr Kompromisse für CD-Kompilationen machen. Man war in einer ganz schlimmen finanziellen Situation und es hat überhaupt keinen Spaß mehr gemacht. Also wurde ein Schlussstrich gezogen. Zwei Unentwegte bloggen online immer noch weiter. Ich weiß aber nicht, ob PNG jemals in einer anderen Form zurückkehren wird.

Tom: PNG ist vor drei Jahren als Printprojekt komplett eingestellt worden. Ich habe das mal „Sprachlosigkeit“ genannt, weil im Laufe der Zeit immer weniger Leute die Zeit und die Euphorie mitbringen, da was auf die Beine zu stellen. Musik ist ja immer auch ein Stück Jugendkultur und mit einem bestimmten Lebensabschnitt intensiv verknüpft, auch rein zeitlich. Wenn man beruflich anderes zu tun hat, werden solche Projekte auch schnell zu Feierabendgeschichten und dann kannst du nicht mehr mit den wirklich meinungsführenden Dingen konkurrieren, wie das Internet beispielsweise. Das haben wir mit PNG zwar immer bedient, seit etwa 1994, glaube ich, aber dadurch, dass das eher feierabendmäßig betrieben wurde, war das nicht wirklich konkurrenzfähig. Das große Problem von PNG ist auch gewesen, dass wir uns immer innerhalb eines Spannungsfelds bewegt haben – Indie, wir lassen uns nicht kaufen, Geld darf keine Rolle spielen, das darf nicht erwerbsmäßig betrieben werden. Im Nachhinein gesehen war das konsequent. Um das zu professionalisieren, hätte man ganz andere Kompromisse machen müssen, die der Vision der PNG entgegengestanden hätten. Also ich bereue nichts. Bei den relativ geringen Auflagen waren die Stückkosten extrem hoch. Da konnte ja nicht mal im Ansatz Geld da sein, wir haben viel privates Geld reingeschossen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Geld Jörg und ich da versenkt haben. Das ist aber auch egal, sonst hätte man das ganz anders aufziehen müssen. Man hätte wahrscheinlich nicht mit diesem Konzept und mit dieser Frechheit, dieser Rotzigkeit und diesem „Wir schreiben, was wir denken“ rangehen können. Das war ja auch so ein bisschen das Gemeine an PNG, es war unberechenbar für die Musikindustrie. Seit 1997 habe ich selbst in der Musikindustrie gearbeitet und ich wusste genau, wie die ticken: Alle sind käuflich, das ist nur eine Frage des Preises. Deswegen wurden wir Ende der Neunziger eigentlich radikaler, auch mit dieser Suche nach der Form, um die Verweigerungshaltung zu manifestieren. Im Nachhinein betrachtet, war das wahrscheinlich unsere Hochphase.

Wurde euch auch deswegen oft Arroganz vorgeworfen?

Jörg: Sicherlich. Wir haben eine Meinung gehabt. Wenn man das arrogant nennen will – und das passiert leider häufiger –, gilt das durchaus auch als Lob. Als Kritiker ist man doch per se arrogant, weil man sich über die Platte stellt. Und als Rezensent muss ich auch sagen können, diese Platte kann vor meinen selbst gestrickten Kriterien nicht bestehen und dann ist man eben dieser arrogante Arsch. Ärgerlich für den Künstler, der die Platte herausgebracht hat. Kann ich verstehen. Aber man muss halt lernen, damit zu leben.

Tom: Wobei das natürlich schwierig ist. Gerade, wenn man die Produktion selber finanziert hat, sein eigenes Label hat, dann die Platte an die Idioten von PNG schickt und nur Häme erntet. Das ist manchmal bitter. Ich glaube auch, dass wir uns in dieser Zeit oft Feinde gemacht haben, aber das ist eine wirklich unvoreingenommene Sicht auf Musik.

Könnte ein Printmagazin im Stil von PNG heute noch entstehen?

Jörg:[/b] Es kann wieder entstehen, aber unter anderen Vorzeichen. Es gibt genügend Leute, die mit einem gewissen Anspruch an eine solche Sache herangehen. Mir sind im Netz auch viele Leute begegnet, die zwar prima zu PNG gepasst hätten, die aber lieber ihren eigenen Blog gefahren haben, bis sie nach zwei Jahren festgestellt haben, das interessiert überhaupt keinen und dann total frustriert das Schreiben wieder aufgegeben haben.

Tom: Ich glaube auch, dass es Printmagazine weiterhin geben wird. Aber diese Form der Meinungsabgabe, wie wir es machen konnten, wird nicht mehr möglich sein, weil bereits andere Medien vorhanden sind, die Leute basisdemokratisch bespielen können, Facebook etwa. Da gibt es ja für junge Leute gar nicht mehr den Anreiz, sich in so ein Projekt zu stürzen. Das hatte bei uns sicherlich auch damit zu tun, dass wir uns in einer Umgebung geäußert haben, die sehr kulturfeindlich war. PNG war ja auch Teil unseres Erwachsenwerdens, das hat jetzt andere Foren.