DENIZ TEK

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Radio Birdman weiter auf Sendung

Deniz Tek wuchs in Ann Arbor nahe Detroit auf, reiste als Jugendlicher 1967 mit seinen Eltern nach Sydney, Australien – und kam als junger Medizinstudent Anfang der Siebziger dorthin zurück. Bald war er Gitarrist von TV JONES, doch als er 1974 dort, wie es heißt, rausgeschmissen wurde, gründete er mit seinem Freund Rob Younger RADIO BIRDMAN – und der Rest ist Legende, wurde die Band doch zur kultisch verehrten Ikone australischer Rockmusik, gleichauf mit THE SAINTS, AC/DC und ROSE TATTOO. Auch als RADIO BIRDMAN schon 1978 wieder am Ende waren, hängte Tek seine Gitarre nicht an den Nagel, sondern blieb der Musik genauso treu wie seinem Beruf als Arzt. Mit THE VISITORS und NEW RACE (zusammen mit Younger sowie Ron Asheton und Dennis Thompson von MC5) hatte er bald darauf neue Bands am Start, erst die Achtziger brachten eine längere Pause, als Tek sich unter anderem bei der Navy seiner Berufsausbildung in Notfall- und Flugmedizin widmete – zu jener Zeit entstand auch das „Helmfoto“, sein Funkname Iceman hat angeblich die Macher von „Top Gun“ für die Rolle des Val Kilmer inspiriert. Ab 1991 war Tek dann mit der DENIZ TEK GROUP aktiv, 1996 kam es zur RADIO BIRDMAN-Reunion, und da deren sporadische Aktivitäten ihn offensichtlich nicht auslasten, ist er bis heute weiterhin in verschiedensten Konstellationen aktiv. Mit „Detroit“ ist im Frühsommer 2013 nun ein neues Solo-Album erschienen, das ich zum Anlass nahm, Deniz ein paar Fragen über vorgestern, gestern und heute zu stellen.

Deniz, es heißt, dass Seymour Stein, der Gründer von Sire Records, der auch die RAMONES signte, 1978 versucht hat, dich davon zu überzeugen, dein Medizinstudium aufzugeben, um dich stattdessen einer Musikerkarriere zu widmen. Stimmt das – und hast du deine Entscheidung je bereut?

Ende 1977 verbrachte ich einige Zeit bei Sire in New York. Ich verhandelte mit dem Label und abends ging ich mir ein paar Bands anschauen. Pip Hoyle und ich waren beide mit unserem Studium fertig und hatten das Referendariat auf unbestimmte Zeit verschoben. Für uns war klar, dass wir so lange wie möglich Vollzeitmusiker bleiben wollten. Nach unserer Tour in Großbritannien im Frühling 1978 mit den FLAMIN’ GROOVIES sollten wir mit den RAMONES auf Amerikatour gehen. Allerdings feuerte uns Sire nach nur sechs Monaten, deshalb kam die Tour mit den RAMONES nie zustande und dann lösten sich RADIO BIRDMAN auf. Danach gingen Pip und ich wieder zurück nach Australien, um dort unser praktisches Jahr zu absolvieren, damit wir Arbeit hatten.

Du kamst 1971/72 nach Australien. Zu dieser Zeit wurden andere Jungs in deinem Alter vom Militär einberufen und wurden nach Vietnam geschickt.

Es gab damals ein Losverfahren für die Einberufung, und meine Losnummer war sehr niedrig, deshalb musste ich nicht befürchten, eingezogen zu werden. Ich war 18, als ich 1971 Ann Arbour verließ. Ich hatte einige Jahre an der Universität von Michigan studiert und ein paar Monate bei einem Autohersteller gearbeitet, damit ich Geld zum Reisen hatte. Ich mochte die Musikszene zu Hause, aber ich wollte Neues kennen lernen. Als Erstes flog ich nach Großbritannien und Europa, später ging es über Südafrika nach Australien. Als ich in London ankam, ging ich in den legendären Marquee Club, denn ich hatte gelesen, dass die ROLLING STONES und THE WHO dort schon gespielt hatten. An diesem Abend spielten zufällig die THE PINK FAIRIES, sie brachten eine beeindruckende 45-minütige Version von „Walk don’t run“. Ihre Energie auf der Bühne war beeindruckend und so stellte ich fest, dass es solche Musik was nicht nur im Südosten Michigans gab.

RADIO BIRDMAN gelten heute als Legende der australischen Musikszene. Interessanterweise ist dieser Status auch deinem von Detroit-Bands beeinflussten Gitarrenstil zu verdanken. Um historisch korrekt zu sein, sind RADIO BIRDMAN also gar kein ausschließlich australisches Phänomen. Welche Bedeutung hatte beziehungsweise hat der „Detroit“-Stil für dich?

Mein Stil wurde von vielem beeinflusst, nicht nur von Detroit. Als ich 1964 anfing, Gitarre zu spielen, hörte ich viel Surfmusik, „British Invasion“-Bands und Motown – ich kopierte Leute wie Keith Richards und Pete Townshend. Die erste richtige Rock’n’Roll-Band, die ich live gesehen hatte, waren die RATIONALS, als sie in meiner Schule spielten. Wir hatten in Ann Arbour eine sehr aktive Musikszene. Neben vielen lokalen Bands spielten einige große Bands von außerhalb dort, etwa Johnny Winter und Hendrix. Und es hat mich beinahe weggeblasen, als ich 1969 die ROLLING STONES gesehen habe, mit Mick Taylor an der Gitarre. Ich lernte von Ron Asheton, Fred Smith, Dick Wagner, Ted Nugent und anderen großartigen Gitarristen. Ich denke, bei dem „Detroit“-Einfluss geht es mehr um eine Haltung, als um einen bestimmte Stil. Es ist die Art, wie man seine Musik spielt, nämlich mit Leidenschaft, Energie und Hingabe.

Dein neues Album trägt den Titel „Detroit“, auf dem Cover trägst du sogar ein Detroit-Shirt. Deine Herkunft – Ann Arbour ist ja nicht weit – muss dir viel bedeuten.

Ich trug das T-Shirt zufällig bei der Fotosession und als wir davon ein Bild für das Cover ausgesucht hatten, lag es irgendwie nahe, das Album „Detroit“ zu nennen ... und zu den Songs passt das auch.

Wo lebst du heute ... in Detroit?

Eigentlich lebe ich nirgends wirklich. Letztes Jahr wohnte ich eine Weile in einem Ferienhaus südlich von Sydney. Um zu schreiben und aufzunehmen, fahre ich nach Montana. Meine Mutter lebt auf Hawaii, dort verbringe ich jedes Jahr ein paar Monate. Außerdem bin ich regelmäßig in Ann Arbour und Detroit – erst letztens habe ich dort einige Konzerte gespielt, als ich auf Tour war. Ich bin also viel unterwegs, ohne feste Adresse.

Früher stand Detroit für das „alte Amerika“, es war die „Motor City“. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte steht es aber symbolhaft für den Verfall. Welche Gefühle löst das bei dir aus?

Es verändert sich eben alles. Verfall, Niedergang und Tod sind der Gegenpart von von Geburt, Kreativität und Wachstum. Es ist schade um das alte Detroit, sehr traurig. Aber das ist nun mal der Gang der Dinge, nicht? Entropie.

Du wurdest später, ich zitiere Wikipedia, „staatlich anerkannter Arzt, der sich auf Notfall- und Luft- und Raumfahrtmedizin spezialisiert hat“. Kannst du mir mehr über deinen Job erzählen, der ja in gewissem Widerspruch steht zu dem lockeren Rock’n’Roll-Lifestyle, dem sich, schätze ich mal, einige deiner Bandkollegen hingegeben haben?

Man soll nicht alles glauben, was bei Wikipedia steht, doch dieses Detail stimmt. Aber Rock’n’Roll-Lifestyle bedeutet nicht zwingend, den ganzen Tag auf der Couch zu sitzen, fernzusehen und sich Heroin zu spritzen, auch wenn manche das tun. Leute, die überhaupt keinen Halt haben, sind selbst beim Rock’n’Roll nicht lange dabei. Johnny Thunders war so einer, das hat ihn früh umgebracht. Meistens war er so zu, er konnte nicht mal spielen, es war eine Verschwendung seines Talents. Sein Lebensstil entwickelte sich leider zu einer Art Vorbild für viele Leute in Europa. Manche ändern sich allerdings auch. Ich habe vor einer Weile mal mit Iggy geredet. Er ist heute total professionell, straight und nüchtern und geht auf seinen Konzerten ab wie eine Rakete. Jedes Detail wird berücksichtigt und die Organisation ist beeindruckend. Natürlich ist die Show an sich noch chaotisch und unglaublich aufregend, aber so etwas würdest du niemals erwarten, wenn du die STOOGES 1969 erlebt hättest. Sogar Keith ist heute – mehr oder weniger – clean! Bei mir kommt es immer auf das Umfeld an. Wenn ich arbeite, ist da kein Platz für ein Lotterleben. In der Notfallmedizin bedeutet Lässigkeit, dass jemand sterben kann, und in der Luftfahrt, dass du stirbst. Wenn ich Musik mache, kann es, muss es sogar lockerer zugehen. Aber ich bestehe darauf, dass die Bandmitglieder pünktlich kommen und bereit und in der Lage sind, ihr Bestes zu geben. Was sie außerhalb der Band tun, ist ihre Sache.

Wie nah fühlst du dich dem Punkrock-Phänomen? Es wird ja oft als etwas verstanden, das einem sehr disziplinierten Leben widerspricht, für das auch die Arbeit als Arzt und in der Army/Navy steht.

Punk hat uns einerseits geholfen, andererseits war es hinderlich. Wir hatten eine Zeit lang ziemlich wilden und eigenwilligen Kram gemacht und wurden von der Musikindustrie als absolute Außenseiter behandelt. Es war schwer, an Konzerte zu kommen, uns waren wegen unserer aggressiven und schrägen Auftritte alle größeren Veranstaltungsorte verschlossen. Wir mussten unsere eigenen Shows veranstalten und Platten rausbringen. Wir waren komplett unabhängig. Als Punk dann 1976 eine weltweite Bewegung wurde und versprach, kommerziell verwertbar zu sein, öffneten sich uns alle Türen ... dieselben Türen, die man uns ein Jahr vorher noch vor der Nase zugeschlagen hatte. Es machte unser Leben einfacher, aber wir konnten uns damit nicht identifizieren. Wir verkörperten zwar einige Aspekte des Punks in unserer Haltung, etwa das Kompromisslose, Direkte, aber musikalisch war es eindeutig kein Punk. Wir waren ziemlich gute Musiker, hatten melodische Arrangements, Keyboard-Soli und so weiter. Vieles, das als Punk verkauft wurde, war kein Punk. Die RAMONES machten puren Pop, keinen Punk, und wir sahen ein bisschen aus wie sie ... wir hatten die kaputten Jeans und Lederjacken schon Jahre früher. Die DEAD BOYS waren mehr eine aufpolierte Version der STOOGES und die VIBRATORS waren mehr wie wir, ältere Typen, die gut spielen konnten. THE SEX PISTOLS, Richard Hell, das war Punk.Wir fuhren ab auf die Pistols. Punk gab es ungefähr zwei Jahre, von 1976 bis ’78. Als wir 1978 nach England kamen, hat man uns kritisiert, weil wir lange Haare hatten und keine Piercings. In England war Punk mehr Mode als Musik. Es ging dem Ende entgegen. Wir spielten im Vortex, am letzten Abend, den der Club existierte. Das Publikum war extrem modebewusst. Die meisten hassten uns. Es erinnerte mich an „Metallic K.O.“, dieses Live-Album von den STOOGES. Der Abend endete in einem schrecklichen Krawall mit etlichen Verletzten sowie einem unangenehmen Umbruch innerhalb der Band. RADIO BIRDMAN werden bis heute als Punkband bezeichnet. Es gibt nichts, was weniger der Wahrheit entspricht.

Auf deiner Website ist ein Foto von einem Typ im Cockpit eines Kampfflugzeugs. Das bist du, oder? Ich schätze, das ist ein Verweis auf deine Zeit bei der Navy. Wann war das und was hast du dort gemacht?

Das bin ich ungefähr 1985. Ich habe getan, wonach es aussieht ... fliegen.

Sprechen wir über dein neues Album: Wie war der Aufnahme- und Schreibprozess, wer war dabei, wie viel Band steckt darin – oder ist es hauptsächlich ein Soloalbum, es erscheint ja unter deinen Namen?

Es ist ein Soloalbum, ich habe alles selbst geschrieben. Zuerst habe ich im Studio einige Rhythmusspuren mit dem Schlagzeuger Ric Parnell eigespielt. Ric war bei ATOMIC ROOSTER, THE DEVIANTS, in der Band von Wayne Kramer, BLUE CHEER, und vielen anderen. Nachdem Ric und ich die Basis geschaffen hatten, kamen noch ein paar andere dazu. Bassist Bob Brown war früher Mitglied meiner Tourband und hat jetzt ein Studio in Montana, wo ich zum Teil die Gitarre und den Gesang aufgenommen habe. Ebenfalls am Bass dabei war Andy Newman aus Sydney, früher ME262 und VISITORS. Ron Sanchez von DONOVAN’S BRAIN, Tom Morrison spielte Keyboard und Daddy Long Legs, ein legendärer Blues-Musiker aus New York, Mundharmonika. Die Gitarrenparts sind alle von mir.

Gibt es Pläne, mit dem neuen Album auf Europa- oder Deutschlandtour zu gehen? Oder gibt es einen Job, der dich davon abhält, ein paar Wochen herumzureisen?

Ich war gerade zwei Monate in Australien, Kanada und Amerika auf Tour und habe zuletzt ein Konzert in Paris gespielt. Jetzt habe ich zwei Wochen Pause und dann spiele ich noch einige Shows in den Staaten. Im Herbst toure ich wahrscheinlich durch Japan und habe dann noch einige Gigs in Australien. Normalerweise bin ich jedes Jahr in Europa, aber dieses Jahr war es schwierig, denn die Veranstalter meinten, dass wir nur Geld verlieren würden. Ich würde super gerne nach Europa zurückkommen, aber ich brauche ein gutes Festival oder etwas Ähnliches, worauf wir die aufbauen können. Zeit ist kein Problem.

Bist du also momentan „nur“ ein tourender Musiker oder arbeitest du als Arzt oder etwas anderes?

Momentan arbeite ich in einem Krankenhaus in Sydney als Spezialist für Notfallmedizin, unterrichte, behandle Patienten und beaufsichtige Ärzte im Praktikum. Ich arbeite generell drei oder vier Monate und gehe dann entweder auf Tour oder ins Studio. Als Freiberufler kann ich meine Zeit selbst einteilen.

Und was ist die aktuelle Situation bei RADIO BIRDMAN? Gibt es Pläne, vielleicht für eine weitere Tour durch Europa?

2004 haben wir mal den von 1967 stammenden Song „Buried and dead“ der bekannten australischen Band THE MASTER APPRENTICES gecovert, was die aktuelle Situation bei RADIO BIRDMAN gut beschreibt. Aber dieses Jahr kommt eine RADIO BIRDMAN-Box heraus, die viel unveröffentlichtes Material enthält. Ich denke, das könnte für die Fans sehr interessant sein.