HAUST

Foto

Schneeflocken aus Hass

Alle Welt feiert KVELERTAK, da übersieht man leicht, dass sich rund um das Fysisk Format-Label aus Oslo eine sehr kreative Bandfamilie entwickelt hat, zu der neben ARABROT und OKKULTOKRATI auch HAUST zählen. Deren letztes Album „Powers Of Horror“ erschien tatsächlich schon 2010, mit „No“ kam nun die „3. LP“, wie auf dem Cover vermerkt ist. Und das ist kein Album für nebenher, sondern bedeutet Maximallast für die mit der auditiven Wahrnehmung beschäftigten Hirnregionen. Die Stimme von Frontmann Vebjørn strapaziert: ein wütendes, genervtes, angestrengtes Knurren, Brüllen und Fauchen. Nicht so virtuos wie ein Mike Patton, aber mit hörbarem Spaß daran, Worte im Mund rundzulutschen und dann mit großer Geste auszuspucken – und das zum Lärm von ultrabösem, depressivem Noisecore. Vebjørn beantwortete meine Fragen.

Du spielst als Sänger gerne mit Worten und Tönen. Das erinnert mich an Mike Patton. Wie hast du deinen Gesangsstil gefunden?

Ich mag Mike Patton eigentlich nicht, aber als ich ein Teenager war, wollte ich unbedingt lernen, wie ein Black-Metal-Sänger zu shouten. Ich konnte allerdings nicht herausfinden, wie das genau geht, und so habe ich meinen eigenen Stil entwickelt. Da ich ein riesiger Fan von Horrorfilmen bin, kommt vieles von Vincent Price, den „Geschichten aus der Gruft“, Monster-Filmen etc. Und ich habe angefangen, das R zu rollen, damit ich wie ein exzentrischer Norweger klinge, der Englisch spricht, anstatt einfach einen englischen oder amerikanischen Akzent zu imitieren. Ich experimentiere in meinen Texten auch gerne mit Alliterationen, weil ich finde, dass das gut zu meinem Stil passt. Es klingt dann, als würde ein Instrument ein Gedicht vortragen.

Manche Musik ist einfach zu hören, wie zum Beispiel die eurer norwegischen Kollegen THE YUM YUMS. Eure bedarf allerdings die volle Aufmerksamkeit, ist das eure Absicht?

Wir wollten nie Fahrstuhlmusik machen, wenn du das meinst. Aber dennoch sind einige unserer Lieder super geeignet zum Feiern, fürs Autoradio oder um sie bei der Arbeit zu hören. Wir wollen, dass unsere Songs komplex, aber auch gleichzeitig simpel sind. So wie Rock’n’Roll eben sein sollte.

Norwegen hat in den letzten Jahren viele neue und kreative Metal- und Hardcore-Bands hervorgebracht, die aber auch einige Schritte weiter gehen. Was sind eure musikalischen Wurzeln und habt ihr eine spezielle Vision, was eure Band betrifft?

Wir fühlen uns im Punkrock zu Hause, haben aber schon immer auch – guten – Black Metal gehört, wie EMPEROR und DARKTHRONE. Unsere Vision ist es, der Rockmusik wieder ihre primitive Härte zurückzugeben. Wir sind wohl eher mit DIE KREUZEN oder THE GERMS vergleichbar als mit DARKTHRONE.

Seid ihr Teil einer bestimmten Szene und aus welcher Stadt kommt ihr?

Wir gehören zu der Black Hole Crew, zusammen mit OKKULTOKRATI, DARK TIMES und anderen. Aber das ist eher eine Anti-Szene. Drei von uns sind aus Notodden, Telemark und einer ist aus Nannestad, Rommeriket. Das sind zwar eher Vorstadt-Käffer als richtige Städte, aber es sind gute Inspirationsquellen für misanthropischen Punk.

Auf eurem letzten Album bin ich bei „Anti-reproductive“ über die Zeile „Snowflakes of hate, social democratic hate“ gestolpert. Dazu gibt es doch bestimmt eine Story ...

Die Norweger sagen gerne, dass es bei der Sozialdemokratie um Gemeinschaft und Solidarität geht, und dass jeder Bürger eine einzigartige Schneeflocke sei, auf die man aufpassen muss. Das ist scheinheilige Scheiße! In „Anti-reproductive“ geht es darum, eine Schneeflocke zu sein, die „zu einzigartig“ ist wegen ihres „pervertierten“ Geschlechts oder kulturellen Hintergrunds und daher nicht in die sogenannte Gemeinschaft passt.

Was beeinflusst dich beim Songschreiben, was für Geschichten erzählst du?

„Ride the relapse“ wurde von dem klaustrophobischen Gefühl beeinflusst, dass man erwachsen wird und ein Außenseiter in seinem Dorf ist. Manchmal sind es auch Trashfilme, wie etwa John Waters’ „Desperate Living“, nach dem wir einen unserer Songs benannt haben. „Powers of horror“ entstand durch Horrorfilme und den alltäglichen Horror, den Julia Kristeva in ihrer gleichnamigen Abhandlung beschreibt. „No“ ist auf die Härte des Punks und die Selbstzerstörung, die diese mit sich bringt, zurückzuführen.

Ihr habt zwei neue Bandmitglieder. Wer seid ihr, was macht ihr, wie habt ihr euch gefunden?

Hendrik war früher in Hardcore-Bands wie PROBLEMS und ENVOLVE. Er ist der Jüngste von uns und tourte schon durch Europa, als er gerade mal 16 war. Er arbeitet in einem Biomarkt und ist der Gesundheitsguru in der Band. Øystein spielte vorher in kleinen Rock’n’Roll-Bands hier in der Gegend und ist bildender Künstler, der ritualistische Installationen im Kontext von Büroräumen entwirft. Ich bin auch im Bereich Kunst tätig, Videokunst, und beschäftige mich mit sexueller Identität vor dem Hintergrund romantischer norwegischer Landschaften. Pål schreibt mit mir die Texte für HAUST, außerdem ist der Riffmaster bei OKKULTOKRATI und arbeitet als Produzent und Tontechniker. Er hat auch zusammen mit unserem Freund Jørn Tore Egseth, der einige Klavier-, Synth- und Orgelparts eingespielt hat, unser Album „No“ gemischt und produziert.