KOLLER

Foto

Je oller desto doller

Der Begriff „Generationsübergreifender Punkrock“ erhält bei der Berliner Band KOLLER eine völlig neue Bedeutung, denn in dieser Band treten mit Schlagzeuger Steve und Bassist Robin Vater und Sohn zum gemeinsamen Musizieren an. Sänger Stephan und Gitarrist Olli vervollständigen das Quartett und beantworteten nicht nur die Frage nach dieser besonderen Konstellation mit Eloquenz und Humor.

Zum Warmwerden: Was schlägt Google Autocomplete als Ergänzung vor, wenn man „KOLLER Berlin“ eingibt?

Olli: Da müsste „Inselgas Michael Koller“ kommen.

Das ist ernüchternd. Ich hätte jetzt eine Antwort wie „Sexgötter“ erwartet.

Stephan: Das braucht sicher noch ein bisschen Zeit. Wir arbeiten aber daran. Uns gibt es in dieser Formation auch erst seit gut einem Jahr.

Ihr seid ja keine Jungspunde mehr und habt mit Sicherheit schon einige Banderfahrung aufzuweisen

Stephan: Richtig. Ich war schon bei einigen Hamburger Underground-Bands aktiv, zum Beispiel bei DOPPELGENSCHER MIT PRESSESPRECHER, allerdings alles Bands ohne Plattenrelease.

Olli: Ich habe schon bei LOSONE, TELLY SKAVALAS und der RÜCKKEHR DER UNHEILBAREN KRANKHEIT Gitarre gespielt und bin noch bei den SCHNICKERS und den ILLIC PEOPLE aktiv.

Stephan: Und Steve war Schlagzeuger bei JINGO DE LUNCH und ist aktuell bei den BOTTROPS. Und ich glaube, er war früher auch noch bei VAN HALEN. Obwohl, schreib lieber, dass er bei AC/DC war, das freut ihn bestimmt mehr.

Olli: Und Robin hatte noch die Band FEELING LIKE A MILLION am Start.

Somit seid ihr alle keine Szene-Neulinge. Wie hilfreich sind die Kontakte und Netzwerke aus der Vergangenheit für KOLLER?

Stephan:Vieles ist einfacher, weil durch die alten Kontakte Prozesse beschleunigt werden. Man weiß, wen man in bestimmten Situationen ansprechen muss. Man kriegt aber trotzdem nichts geschenkt.

Da ihr euch schon lange in der Szene bewegt, gibt es mit Sicherheit auch zahlreiche musikalisch Inspirationsquellen für euch.

Olli: Die Einflüsse sind breit gefächert, darunter natürlich viele Neunziger-Hardcore-Legenden. Hauptsache laut und hart. Beispielhaft sind Bands wie LEATHERFACE, HELMET oder HÜSKER DÜ zu nennen.

Stephan:Da ich in den 90er Jahren musikalisch sozialisiert wurde, spielen bei mir aber auch noch die ganzen klassischen Rap-Bands eine Rolle.

Etwas an KOLLER ist überhaupt nicht alltäglich, schließlich spielen mit Steve und Robin Vater und Sohn in einer Band. Welche Auswirkungen hat das?

Stephan:Diese Zusammensetzung birgt durchaus Konfliktpotenzial in sich. Normalerweise hat man ja das Bild, dass in einer Band Kumpels miteinander Spaß haben. Mit Kumpels geht man im Regelfall großzügiger um als mit der eigenen Familie. Die beiden müssen sich manchmal echt zusammenraufen. Ich glaube aber, dass es schon eine Bereicherung für die beiden ist, zusammen in einer Band spielen zu können.

Olli: Das ist für uns manchmal wie Theater, bei dem wir staunend im Publikum sitzen. Aber Auseinandersetzungen enden immer kreativ und gut, es ist noch nie eskaliert, auch wenn wir KOLLER heißen. Wenn ich mir das vorstelle, mit meinem Alten in einer Band zu spielen, er hat früher BONEY M. und ABBA aufgedreht und ich habe mit INFERNO und CHAOS Z gegengehalten. Bei Steve und Robin ist die Ausgangssituation eine andere, beide sind einfach heiß auf die Band, und das ist es, worauf es letztlich ankommt.

Stephan:Punk ist über die letzten Jahre mit gealtert und hat dadurch an Möglichkeiten eingebüßt, damit gegen ältere Generationen zu rebellieren und zu provozieren. Ich mache mir schon manchmal Gedanken, wie das wohl auf junge Leute wirkt, wenn ich mal mit sechzig in einer Kneipe sitze und dann noch Punkrock höre. Andererseits finde ich es schon cool, wenn Iggy Pop mit über sechzig Jahren oben ohne auf der Bühne steht. Von so einer Engstirnigkeit, dass man ab dreißig nur noch Blues spielen darf, sind wir zum Glück weit entfernt.

Wer ist bei euch für die Texte verantwortlich und woher bezieht ihr die Themen für die Songs?

Stephan: Themen und Texte stammen von mir. In den Songs geht es prinzipiell um Dinge, die ich in meinem Umfeld beobachte und die mich in meinem Alltag betreffen.

Wie zum Beispiel einfach mal ein paar Raketen auf China abzufeuern, wie in eurem Song „China“?

Stephan: In diesem Song geht es eigentlich um die Frage, wie ich mit bestimmten Entwicklungen wie der Globalisierung umgehe. Akzeptiere ich es oder nicht, dass ich hier in Deutschland zu absoluten Niedrigpreisen Waren kaufen kann, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in Fernost produziert werden?

In eurem Song „Arschtritt“ beklagt ihr das Problem der Verdrängung im Kreuzberger Kiez durch Zugezogene. Und das, obwohl ihr alle selbst keine Ur-Berliner seid. Wie passt das zusammen?

Stephan: Der Song ist dahingehend urteilsfrei, da wir nicht alle Zugezogenen schlechtmachen. Tatsache ist aber, dass bestimmte Gegenden in Berlin absolut hip sind und durch den Zuzug von kaufkräftigem Publikum immer teurer und mittlerweile unerschwinglich werden. Olli und ich mussten inzwischen von Kreuzberg nach Neukölln umziehen. Dadurch geht auch in einigen Bezirken kreatives Potenzial verloren. Und wenn man sich darüber beklagt, wird man noch von Amerikanern, die von New York nach Berlin umgezogen sind, ausgelacht.

Kreatives Potenzial ist ein gutes Stichwort. Seit Kurzem habt ihr eure erste Single und euer erstes Video am Start. Beiden merkt man an, dass sie mit viel Herzblut produziert wurden.

Stephan: Danke. Die Vinyl-EP „Arschtritt“ mit drei Songs ist in 333er-Auflage mit dickem Cover und aufwändigem Beiheft bei XNO Records erschienen. Torsten und Natascha von XNO haben uns super unterstützt, uns aber auch reichlich Freiraum für die Gestaltung und Umsetzung gelassen. Das Video zum Song „Widerstand“ haben wir mit Martin Zillmann gedreht. Da es auf Freundschaftsbasis so zwischendurch entstanden ist, haben sich die Aufnahmen vom Sommer bis zum Spätherbst hingezogen.

Olli: Ja, das war echt hart. Im Spätherbst wurde ich im dünnen T-Shirt auf ein Autodach geschnallt und stundenlang durch Neukölln gefahren.

Stephan:Der Einsatz hat sich aber gelohnt. Das Video ist klasse geworden, so richtig mit Schwarzweißästhetik. Kürzlich kam Moses Schneider auf mich zu und hat das Video schwer gelobt. Das hat mich echt gefreut.

Was kann man von euch in Zukunft noch erwarten?

Stephan:Wir arbeiten zur Zeit an vielen neuen Songs. Im Herbst und Winter gibt es hoffentlich neue Aufnahmen, wenn uns nicht wieder Kehlkopfentzündungen, Drüsenfieber, Wurzelkanalprobleme und ähnliche Schweinereien einen Strich durch die Rechnung machen.

Olli:Und im Herbst gibt es wohl auch die ersten Konzerte außerhalb von Berlin. Und vielleicht verschaffe ich mir noch über die Crowdfunding-Aktion „Neue Zähne für deinen Star“ ein neues Gebiss.