MP3 - Bastard oder Zukunftsweiser

Sicher hat jeder schonmal davon gehört, von dem grossen Ding, das in der populären Presse zu gar mythenhafter Grösse stilisiert wurde und wird. Eine Bedrohung für die Musikindustrie, für die Freiheit, für die Butter auf unser aller Brot! MP3 heisst der Bastard, der vor allem den Majors großes Kopfzerbrechen bereitet.

"Diebe!!" brüllen sie den latent kriminellen Internet-Usern ins Gesicht in der Hoffnung, diese könnten irgendwie eines Besseren belehrt werden. Und weil das ja nun gar nicht fruchtet, wird jetzt auch der grosse Bruder bemüht, doch gegen diese ultrafiese Piraterie zu Felde zu ziehen. Doch ist nicht gerade das kostenfrei "Runterladen" bzw. zur Verfügung stellen von Musik in irgendeiner Weise "Punk" (was auch immer sich hinter dieser kryptischen Bezeichnung verbirgt...)? Denn nicht nur die Platten von grossen und allgemein angesagten Gruppen und Projekten ("Ich danke hiermit meinem Produzenten...") kursieren im Netz der Netze, nein, auch digital in handliche 010101-Ballen gepresste Songs und Alben von nicht so grossen, nicht so viel absetzenden Bands machen die Runde. Die neue GET UP KIDS? Ein Bootleg von AT THE DRIVE-IN? Oder doch was klassisches von DISCHARGE? Kein Problem da ranzukommen, das Internet bietet (fast) alles. Also - auch die Punk- und und jede andere Underground-Musikszene ist vom Phänomen MP3 betroffen. Doch von Anfang an.

Was ist das eigentlich, dieses MP3? MP3 ist die Abkürzung für MPEG Audio Layer-3 und MPEG steht wiederum für die Moving Picture Coding Experts Group. Gut, jetzt wissen alle mehr. Allzu tief will ich da gar nicht in die Materie eindringen, aber ein wenig Klärung ist an dieser Stelle sicher nicht falsch. Also, die Moving Picture Coding Experts Group arbeitet unter anderem unter der Schirmherrschaft der International Standards Organization (ISO - haben ja sicher schonmal alle gehört). Die Aufgabe der MPEG ist das Setzen von Standards für die Kodierung von Musik und bewegten Bildern, sprich für Festlegung von Datenkompressionsverfahren. Solche Standards sind sicher wichtig, vor allem je mehr Leute mit Computern zu tun haben. Da ist es wichtig, einen gemeinsame Nenner zu haben, ein Format, auf das sich alle einigen. Wer des Öfteren im Internet unterwegs ist, wird das kennen - man geht auf eine Website und muss sich erstmal ein bestimmtes "plug-in" - eine Funktionserweiterung für den Browser - runterladen, um eine Seite in ihrer vollen Pracht - mit Videos und Sounds - zu geniessen.

Es sind immer noch diverse Formate, die um die Vorherrschaft in den Bereichen von Ton- und Videoübertagung kämpfen. Die bekanntesten Plug-Ins dürften da der Real-Player, Quicktime und Shockwave sein. Und in MP3 haben die User einen gemeinsamen Nenner für Musik in ziemlich 100%iger CD-Qualität gefunden. Noch mal zwischendurch: Für Audiophile soll MP3 nix sein, da feine Ohren wohl die Auswirkungen der Datenreduktion raushören, aber für das normale Ohr ist kein Unterschied feststellbar. (Für rockzerstörte Ohren wie die von Cheffe, die auch das supernervende Piepen vom Abocompi nicht wahrnehmen, spielt die kleinste Nuance eh keine so grosse Rolle - als wenn es bei Punkrock darum ginge...)

Die Komprimierung selbst geschieht nun auf mehrere Weisen, von denen ich zwei mal kurz vorstelle. Beim einen Verfahren wird sich zu Nutze gemacht, dass bestimmte Töne von anderen überlagert werden, zum Beispiel Blätterrauschen oder das Fallen einer Stecknadel vom Geräusch einer startenden DC-10 oder einem Guinness-Buch-Versuch von MANOWAR. Die gesamte erfasste Bandbreite an Tönen (20Hz-20kHz) wird nun in 32 sogenannte "sub-bands" unterteilt, in denen jeweils alle nicht wahrgenommenen Töne herausgefiltert werden. Beim anderen Verfahren wird einfach der Platz für lange und häufig vorkommende Datenketten gespart und durch kürzere - aber den langen entsprechende - ersetzt. Das führt insgesamt dazu, dass die Datenmenge von Tönen auf ca. 1/11 reduziert wird. Zieht man unkomprimiert etwas von CD so beansprucht eine Minute rund 10,3 MB, nach Kompression in mp3 nur noch rund 1 MB. Aber MP3 ist nicht gleich MP3 - denn auch hier gibt es Abstufungen. Galt früher eine Kodierung in 128kbps (kilobyte/sekunde - eine Einheit, auf die "herunterkomprimiert" wird, an der man ablesen kann, wie sehr komprimiert wurde) als üblich und ok, so hat sich heute bei den Meisten 160kbps oder mehr als Standard etabliert. Die Tonqualität muss sich da nicht grossartig unterscheiden - kann aber. Es kommt halt auf das Kompressionsprogramm an.

Und da sind wir auch schon beim praktischen Teil des kleinen Exkurses in die Welt der Nullen und Einsen angelangt. Es gibt eine Vielzahl an Kompressionsprogrammen, zum Teil schon im Player mit eingebaut. Als Player gilt beim PC WinAmp als Standard, bei den Kompressionsprogrammen ist es nicht ganz so eindeutig: zwei beliebte dieser sogenannten "encoder" sind CDCopy und Audiocatalyst. Die meisten Player bieten die Möglichkeit, MP3-Dateien wieder in brennfähige Formate, z.B. .wav, abzuspeichern, d.h., dass so von den Musikstücken Audio-CDs gebrannt werden können. Neuere Brennprogramme lassen es sogar zu, Audio-CDs direkt von MP3s zu erstellen. Dazu kann man - bei flotten Anschluss und dem richtigen Programm - aus seinem Computer auch eine kleine Radiostation machen. Dabei werden - im Gegensatz zum gewöhnlichen herunterladen einer Datei und dem folgenden Abspielen - die MP3-Daten direkt an alle Empfänger geschickt und bei diesen direkt abgespielt, es bleiben keine Datenreste auf der Festplatte. Und wenn man MP3-Musik auch unterwegs geniessen will - kein Problem. Auch die Hersteller von Audio-Hardware sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen, und nachdem Diamond schon vor geraumer Zeit den ersten mobilen MP3-Player angeboten hat, sind schon weitere Komponenten zu kaufen: Neben den bekannten mobilen Playern gibt es nun schon die Audio-Komponente (z.B. von Terratec) für die heimische Stereoanlage, die neben MP3-CDs auch Songs von einer optionalen Festplatte abspielen kann und auch den Discman, der neben normalen CDs auch solche mit MP3-Tracks wiedergeben kann (von Pine/USA, ca. 580.- www.pineusa.com).

Wie kommt man denn nun an diese bösen MP3s? Grundsätzlich auf zwei Arten: Entweder von Seiten aus dem WWW oder von ftp-servern. WWW dürfte allen klar sein, eine typische und prima Seite mit vielen Links zu Labels und Bands ist ja z.B. www.punkrawk.com. Hier könnt ihr unter "Musik" auch MP3-Stücke finden. Viele Labels und Bands bieten auch Downloads von einigen Songs an, so zum Anfixen ("Der erste ist immer umsonst..."). www.some.com ist zum Beispiel die Seite des gleichnamigen Labels, wo man eben dies tun kann (und zwar von Labelbands wie HOT WATER MUSIC oder ERRORTYPE:11).

An Songs oder ganze Alben, die nicht vom Label oder den Bands freigegeben sind, heranzukommen ist nun nicht ganz so einfach. Aber auch nicht schwer... (Über die Fragwürdigkeit davon soll später eingegangen werden.) Gibt man "mp3" und "punk" in eine handelsübliche Suchmaschine ein, bekommt man eine ellenlange Liste von WWW-Seiten, die das eine oder andere MP3 enthalten, manchmal gar ganze Alben. Dem stehen nun mehrere Dinge entgegen: Zuerst einmal ist Platz auf WWW-Seiten, vor allem wenn es sich um mehrere dutzend MB handelt, immer noch recht teuer. Zweitens sehen es viele Anbieter von erschwinglichem Webspace gar nicht gern, wenn auf deren Seiten nicht gerade rechtmässig kopierte Musikdateien auftauchen. Das führt unter anderem schon dazu, dass die Dateibezeichnung einfach geändert wird, sodass diese manuell nach dem runterladen wieder geändert werden muss. Auf jeden Fall ist so eine Suche mühsam und wenig ergiebig im Vergleich zum Versuch, es via ftp zu probieren.

ftp (file transfer protocol) ist eine Form des Internets, die nur auf Übertragung von Programmen aus ist - ein alter Bruder der graphischen, im WWW verbreiteteten, Benutzeroberfläche unter http. Dabei bewegt man sich praktisch auf der Festplatte des andern Computers, wie auf der eigenen - von Ordner zu Ordner zur Datei, die man runterlädt. (Die Darstellung von ftp ist in allen Browsern möglich, es gibt hier aber komfortablere Programme, wie zum Beispiel "BulletProof" oder "CuteFTP", die vor allem das Runterladen erleichtern.) Das Tolle an ftp ist, dass einen ftp-server im Prinzip jeder betreiben kann. Man muss nur ein Serverprogramm (ganz easy: "Serv-U") konfigurieren, also freigegebene Dateien und Ordner, Benutzer und Passwort bestimmen, schon kann jeder, der die Adresse von einem weiss, auf eben diese Daten zugreifen, sobald der Compi online ist.

Und das machen auch viele. An die Adressen der jeweiligen Benutzer kommt man entweder über Suchmaschinen speziell für MP3-Dateien (z.B. mp3.lycos.com) oder in einem Chat. BUUUAAH! Hab´ ich gerade Chat gesagt? Ja, liebe Schäfchen, so ein Chat ist nicht nur Kontaktbörse für Daheimgebliebene und Mauerblümchen oder Tauschbörse für Pädophile, sondern auch Treffpunkt von MP3-Freunden. Man braucht einfach nur ein Chatprogramm (auch easy: "MIRC") und meldet sich z.B. im IRCnet im Kanal mp3.punk an. Vor allem in den Abendstunden tummelt sich dort eine Vielzahl Punkhörer zum gepflegten Abhängen und (ach nein!) zum Tauschen von MP3s. Denn die meisten dort haben einen ftp-server, von dem man was runterladen kann. Einfach nach Adresse, Benutzername und Passwort fragen oder nach der Musik, die man sucht, und im Normalfall wird einem geholfen. Oft haben die Leute in solchen Chats Kontakte ausserhalb des Chats, bekommen von wieder anderen neue oder alte MP3s usw., kennen Adressen von anderen Rechnern oder auch www-Adressen. Und so entsteht ein weit verzweigtes Netzwerk aus Menschen, Servern, Clienten und Musikdateien.

Einige User haben sich auch zu MP3-Groups zusammengeschlossen und veröffentlichen zum Teil brandneue Musik. So war schon Wochen vor der offiziellen Veröffentlichung die neuen RAGE AGAINST THE MACHINE oder NO USE FOR A NAME, um nur einige Beispiele zu nenne, im Netz "unter der Hand" erhältlich. Wichtig bei solchen groups sind die Beziehungen zu Stellen, die frühe oder Vorveröffentlichungen von Alben ermöglichen und auch eine schnelle und möglichst ständige Anbindung ans Internet. Über die Distributionswege bis zum "Encoder" kann man nur spekulierenen, bei der Internetanbindung kann man wohl sagen, dass es sich bei denen, die oft und lang online sind, sehr oft um Studenten in Wohnheimen oder an Uni-Rechnern handelt, die dafür keine müde Mark oder nur sehr wenig bezahlen müssen (die Glücklichen...). Mit immer schnelleren Leitungen und billigeren Anschlüssen wird s sowieso immer billiger, an MP3-Dateien zu kommen. Man kann sich das ja mal ausrechnen, wenn man zum Beispiel mit 20kb/s runterlädt, dann kostet ein 4minütiger Song bei ´nem Minutenpreis von 4 Pf rund 14 Pf (im Idealfall - bei konstantem Datenfluss, was nicht selbstverständlich ist).

Aber es wird in Zukunft sicher für alle schneller und billiger. Als kleines Beispiel für die Vorzüge eines Wohnheimanschlusses sei hier eine kleine Anekdote einer Party erwähnt, bei der die gesamte Musik vom Compi kam (Ja, das gibt´s!) und bei der die Musik zwischendurch direkt von einem Computer aus über 500 Kilometern Entfernung eingespeist wurde. Das ist natürlich noch weit von den Dimensionen eines Durchschnittsusers entfernt, zeigt aber, was möglich ist und wohin bezüglich der Geschwindigkeit der Trend in Zukunft sicher gehen wird: Es wird schneller, juhuu!

Und so wird "getradet" wie Sau, dass die Musikindustrie nur so weint. Erstmals wurde im letzten Jahr kein neuer Riesengewinn mit Tonträgern eingefahren und schon wird der Niedergang des gesamten Business prophezeit. Musiker schliessen sich zu grossen Vereinigungen zusammen und die FANTA 4 machen Promo-Tour gegen Musik-Piraterie. Das ganze nimmt schon komödiantische Züge an, wenn die Majors im Verbund sich in ihrer Krise(?) auf den finalen Todesstoss erwartend aufführend, im WOM-Magazin bei den Plattenreviews Anzeigen schalten - im Reviewlayout - "Hier hätte das Review einer neuen Band stehen können... blabla...". Jaja, da hätte das Review einer neuen, tollen Band stehen können, aber ob irgendwer noch so eine Band aus dem WOM-Journal braucht, steht woanders geschrieben. Trotzdem - man sollte das "Problem" nicht herunterspielen. Denn nicht nur Majors und die Charts werden als MP3 vertrieben, sondern im Prinzip jede Musik. Neben Kirmestechno, und - HipHop, Drum´n´Bass, Metal, Nazirock (es gibt alles!) und Jazz eben auch gitarrenorientierte Undergroundmusik. Und wem schadet man im Prinzip mehr - einem Major, der nur nach Gewinn kalkuliert, oder dem kleinen Label "von nebenan", dass nur kleinste Umsätze macht und keine Nobelbüros und Sekretärinnen unterhalten muss? Eben.

Natürlich sind kleine Labels und ihre Betreiber nicht so offensichtlich gewinnorientiert, aber umso mehr vom Verkauf der einzelnen Platte abhängig. Oder ist es doch auf eine verdrehte Art D.I.Y.? (Kleiner Einschub: Die Netzpioniere, also die, die das Internet am Anfang geprägt haben, bezeichneten das Copyright als überkommenes Konzept, da dieses nur den freien Austausch von Ideen behindere... Aber das nur am Rande.) Ist das illegale Runterladen von Musik jetzt cool, schädlich, ok - so wie Kassetten aufnehmen - oder doch der Untergang des Musikbiz? Was sagen denn die Betroffenen dazu?

Epitaph als eines der grossen Labels hat sich auf Anfrage leider nicht gemeldet, was sehr schade ist, aber einige andere. Frank Kozik/Man´s Ruin (sic!) geht das ganze zwar am Arsch vorbei (Ox: "Was würdest du sagen, wenn du Lieder oder ganze Alben der Bands von deinem Label im Netz finden würdest?" Kozik: "I don´t care."), kann aber nicht abstreiten, dass es auf lange Sicht doch um die Kohle, die dabei verloren wird, geht. (Kozik: "Auf lange Sicht wird dadurch jeder beschissen. Unsere Bands wollen auch bezahlt werden."). Damit steht er verständlicherweise nicht allein, so meint auch Darren Walters, der Co-Chef von Jade Tree: "Ich würde versuchen [MP3-Dateien mit Songs von Label-Bands], entfernen zu lassen. Jade Tree und die Bands versuchen, von dem Verkauf ihrer Kunst zu leben und wenn jemand das für umsonst oder gegen Gebühr weitergibt, ohne unsere Zustimmung, dann verletzen sie damit uns alle." Aber auch er muss die Vorzüge von MP3 anerkennen: "Es ist schwer zu sagen [ob MP3 eine Bedrohung für Labels und Bands ist]. Wenn deine Band nirgendwo unterschrieben hat, ist es offensichtlich, dass der eigenständige Vertrieb von Musik, die andere hören kann, eine mächtig aufregende Sache ist. Aber wenn die Band gesigned ist, sind MP3s eine Bedrohung, weil sie sie von der Band etwas von dem wenigen Geld nehmen, was sie auf einem guten Label machen."

Das kann Jeanette von Stickman Records nur unterstreichen. Erst unlängst wurde sie auf einen italienischen Anbieter von allen(!) Aufnahmen von MOTORPSYCHO auf einer MP3-CD aufmerksam, der dafür rund 15 Mark verlangte. Glücklicherweise liess sich bis jetzt alles wohl ohne das Einschalten der Justiz beheben. Um auf sich aufmerksam zu machen, ist ein Format wie MP3 sicher eine prima Sache, weil im Prinzip(!) jeder, der sich im Netz bewegt, die Musik runterladen kann. Das haben auch schon tonnenweise Bands kapiert und bieten auf ihren Homepages Soundfiles an und wer einen Blick auf www.mp3.com riskiert, wird schlicht erschlagen von der Masse an Musik von unbekannten Bands, die zum Download angeboten wird.

Gibt es nun auch eine Quelle, um an Punk-MP3s zu kommen? Bewegt man sich auf den Seiten von www.mp3punk.net wird man schnell fündig. Neben direkten Downloads ist hier eine Liste von ftp-Anbietern erhältlich, die zum Teil ansehnliche Archive ganzer Alben auf ihrer Festplatte liegen haben. Der Betreiber der Webseite, darauf angesprochen, weiss zwar um die Vorzüge von MP3 für unbekannte Bands und findet Bootlegs, die so vertrieben werden auch okay, kann sich jedoch nicht hinter die Praktik des Anbietens ganzer Longplayer stellen. Dass er sich damit in Wort und Tat selber widerspricht, scheint ihm dabei nicht ganz bewusst zu sein und ist sicher noch einiger Nachfragen wert.

Es ist jetzt auch nicht einfach, als Betroffener Stellung zu beziehen, ob MP3 jetzt eine gute oder schlechte Sache ist. Eine feine Sache ist es auf jeden Fall. Die Vorteile liegen auf der Hand, die Nachteile auch, jeder muss für sich entscheiden, ob er Musik lieber käuflich erwirbt oder sich im Internet besorgt. Eine weitere Frage ist natürlich auch, ob es Leuten nicht eben die Möglichkeit gibt, sich die Scheiben von "kleineren" Bands zu kaufen, wenn sie die von bekannteren über das Internet beziehen können... Natürlich fehlt bei den "entkörperlichten" MP3s jede Art von sinnlicher Beziehung zum Hörer ausserhalb der Klänge selbst. Den Wert, in den Laden zu gehen, etwas schickes, in einer ansehnlichen, vielleicht liebevollen Aufmachung zu kaufen, den Tonträger entnehmen, evtl. das Vinyl zu riechen (geben wir´s doch zu), allein schon das Gefühl, etwas in der Hand zu haben, etwas, was man gekauft und sich normalerweise verdient hat, ist etwas, was einem MP3 nicht geben kann. Man denke nur an die wunderbaren Plattencover von zum Beispiel EA80 - mit aufgeklebtem Photo! Das schafft doch auch eine weitere Beziehung zwischen Platte und "dir".

MP3 ist sicher nicht das Ende der Fahnenstange. Es ist nur das aktuelle Format bestmöglicher und in der Masse akzeptierter Musikkompression. Da wird sicher noch etwas kommen - MP4 gibt es nun auch schon geraume Zeit, nur konnte sich darauf bis dato nicht geeinigt werden. Wer weiss, was kommen wird? Klaus Silberstedt von Plattenmeister sieht sowieso eine grössere Gefahr im Kopieren von Audio-CDs. Aber das ist ein anderes Thema. Eines ist sicher: Die Plattenfirmen arbeiten mit Hochdruck an einer digitalen Signatur, an Möglichkeiten der Markierung von Audiodateien, bzw. einem Kopierschutz. Dabei mit von der Partie ist auch das Frauenhofer-Institut für integrierte Schaltungen, bei dem MP3 erfunden wurde; dazu noch der US-Branchenriese Recording Industry Association Of America (RIAA) und auch Diamond, der Hersteller des MP3-Porties Rio. Unter dem Namen Secure Digital Music Intiative (SDMI) haben diese sich zusammengeschlossen, um einen Musiksignaturstandard zu entwickeln. Aber egal, wie kompliziert er sein wird - er wird geknackt werden. So neulich schon geschehen, als ein solcher Kopierschutz vorgestellt wurde, dieser aber nur Stunden nach der Programmpräsentation schon geknackt und als Programm im Internet abrufbar war.

Doch die Planungen von SDMI gehen weiter: So sollen in Zukunft - wenn es nach ihnen geht - alle Daten in grossen Netzknoten nach nicht-kopiergeschützten Formaten gescannt werden. Auch sollen nur noch solche Player-Programme vertrieben werden, die ausschliesslich kopiergeschützte Stücke abspielen, d.h. die dem jeweiligen User legal zugänglichen Dateien. Das stärkste Stück ist allerdings die - sicher undurchsetzbare - Forderung, auch die Cache-Speicherung z.B. von Abbildungen von Kunstwerken, also das Ablegen im Zwischenspeicher des Browsers, das nur das Surfen beschleunigen soll, zu kriminalisieren. Ob, davon mal abgesehen, der Rest in die Tat umsetzbar ist, ist auch fraglich. Wie bereits angedeutet haben Cracker von Schutzcodes in der Vergangenheit so ziemlich jeden Code geknackt, was es sehr wahrscheinlich macht, dass auch der MP3-Code entschlüsselt wird.

Im Dezember ´99 wurde so auch der als sicher geltende Kopiercode von DVD-Discs (dem neuen, digitalen Videoformat auf CDs) geknackt und veranlasste die Hersteller von DVD-Playern, viele ihrer Modelle erst einmal einzumotten. Die Know-How-Kluft zwischen Codierern und Crackern ist denkbar gering. Doch schon das Umgehen von kryptographischen Massnahmen und Techniken, die Urheber zur Wahrnehmung ihrer Copyrights eingebaut haben, sollen bereits in diesem Jahr sowohl in den USA als auch Europa nach den WIPO-Richtlinien (eben dies besagende Richtlinien der World Intellectual Property Organization) für illegal erklärt werden. Was das genau heisst, was das für die MP3-Szene zu bedeuten hat, steht in den Sternen...

Es wird sich zeigen, ob die Aufruhr um handliche Musikdateiformate wie MP3 die Lautstärke verdient, mit der sie vorgetragen wird, oder ob es auch nur Schwarzseherei der Plattenindustrie ist, wie beim Aufkommen der Musikcassetten Anfang der 80er. Eines ist aber gewiss - es wird gekämpft werden. Erst Mitte Januar führte mp3.com ein System ein, das das Hören von eigenen CDs auf der ganzen Welt ermöglicht (vergleichbar mit eMail-Services wie gmx oder hotmail). Die RIAA konterte Tage darauf mit der Drohung auf Klage, falls der Service nicht eingeschränkt wird. Das heisst praktisch: pro Song soll mp3.com auf $700 - $150.000 verklagt werden, der "illegal" über das Netz gehört wird. Eine Forderung, die in die Milliarden geht. Es wird sich ebenso zeigen, wie im Internet-Underground, der bekanntlich ziemlich gross ist, auf eventuelle Strategien der Industrie und Rechtsprechung reagiert wird. Zum Beispiel auf die jetzt schon geschehene Ausstattung von CDs mit Kopierschutz, die blosses Abspielen auf CD-R-Geräten (aber auch auf älteren CD-Playern) unmöglich macht, wie unlängst bei den neuen CDs von HIM und PHILLIP BOA & THE VOODOO CLUB geschehen).

Was immer kommen mag, es bleibt spannend und wird sicher noch spannender. Fast jeden Tag gibt es Neues aus dem Land der Netzverwertung von Musik zu berichten.