Dave Hause

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All you need is love

Dave Hause war in den vergangenen zwei Jahren mit seinem Debütalbum „Resolutions“ im Gepäck in den Clubs und Hallen dauerpräsent: als Teil der Revival Tour 2011, auf der gemeinsamen Tour mit THE BOUNCING SOULS oder im Vorprogramm von SOCIAL DISTORTION, FLOGGING MOLLY und THE GASLIGHT ANTHEM. Als Publikumsliebling mit Working-Class-Ambitionen sammelte der bis über beide Ohren tätowierte Singer/Songwriter Sympathiepunkte und erntete positive Kritiken. Auf seinem zweiten Album „Devour“ (engl.: verschlingen, vertilgen) stellt Dave aus persönlicher Sicht die amerikanische Lebensweise in Frage. Ich sprach mit Dave über die vergangenen zwei Jahre seiner Solokarriere und die Arbeit an „Devour“.

Als wir das letzte Mal miteinander sprachen, hattest du gerade „Resolutions“ in Europa veröffentlicht und befandest dich auf der Revival Tour. THE LOVED ONES schienen aber noch ein Thema zu sein, deine Soloveröffentlichung machte eher den Eindruck eines Seitenprojektes. Mit der Veröffentlichung deines zweiten Soloalbums scheint deine Band in weite Ferne gerückt zu sein. Wie fühlt es sich an, nun auf eigenen Füßen zu stehen?

Großartig fühlt es sich an. Wie du schon sagtest, mit meiner ersten Soloplatte lief das Ganze anfangs eher als Seitenprojekt an. Als eine Chance, herauszufinden, wie man als Solomusiker klar kommt. Auf eine natürliche Art und Weise nahm es dann Fahrt auf. Besonders die Revival Tour mit ihrem riesigen Publikum war ausschlaggebend und ein entscheidender Dreh- und Angelpunkt. Letztendlich hatte ich diesen Haufen Songs für „Devour“ im Kopf, die in erster Linie für das dritte THE LOVED ONES-Album gedacht waren. Ich glaubte, ich würde zu meiner Band zurückkehren, aber schlussendlich legten mir die Jungs auf der Revival Tour und einige meiner Freunde nahe, ich solle bei meinem Soloprojekt am Ball bleiben. Das war ein guter Ratschlag.

Aber es war schon ein gewaltiger Sprung von den kleineren Clubs zu den Shows im Vorprogramm von unter anderem SOCIAL DISTORTION, wo du vor hunderten, tausenden Menschen standest, oder?

Glücklicherweise konnte ich mit „Resolutions“ zuerst einige kleinere Konzerte spielen, tourte durch Kanada und entlang der Ostküste Amerikas. Ich hatte bereits jahrelang Erfahrungen gesammelt, nicht nur mit THE LOVED ONES, aber bisher niemals allein. Nun konnte ich es in einem kleineren Rahmen ausprobieren, so dass es nicht mehr ganz so einschüchternd war, alleine vor unzähligen Menschen aufzutreten. Das verlief recht organisch und ich wurde immer selbstbewusster. Aber es ist immer noch angsteinflößend, wenn man die Bühne betritt und die ganzen Leute sieht. Doch man entwickelt ein paar Hilfsmittel, um das zu bewältigen.

„Resolutions“ basierte auf Songs, die du eigentlich für THE LOVED ONES geschrieben hattest. Inwieweit hat sich deine Herangehensweise bei „Devour“ verändert?

Ich habe das gesamte Album alleine geschrieben. Es gab keine Unterstützung – weder in Bezug auf die Texte noch in Bezug auf die Musik. Das Songwriting selbst war eine sehr persönliche Angelegenheit, welche sich zwar als schwierig herausstellte und mir mehr Zeit abverlangte, aber gleichzeitig eine sehr befriedigende Erfahrung war. Das Dasein als Solomusiker ist manchmal einsam und mühsam, denn du hast keine Band, die dir Gesellschaft leistet oder Ideen mit dir diskutiert, aber ist umso dankbarer, sobald man seine Arbeit veröffentlicht. Für „Devour“ hatte ich die Idee, über die von Natur aus große amerikanische Gier zu schreiben und wie die den Menschen verderben kann. Das hat sich zweifellos auf mein Leben ausgewirkt und damit hatte ich zu kämpfen, denn es war ein schmerzhafter Prozess.

Was ist der grundlegende Unterschied zwischen „Resolutions“ und „Devour“?

„Resolutions“ war ein vom Thema her zugänglicheres Album, es besitzt nicht dieses tiefgehende, bedrückende Konzept. Mit „Devour“ konnte ich genau das verfolgen. Weißt du, wenn man zum dritten Akt des Albums kommt – bestehend aus „The shine“, „Bricks“ und „Benediction“ – erkennt man, dass es abseits der Selbstreflexion und des Schmerzes Hoffnung gibt, sozusagen einen Lichtblick.

Du gehörst einer Generation an, die geprägt wurde von einem schwierigen politischen Klima, dem beinahe eskalierenden Kalten Krieg und der Wirtschaftspolitik Reagans. Wie hast du in dieser Zeit den American Dream wahrgenommen?

Für mich persönlich war der American Dream sehr eng verflochten mit den Arbeiterklasse-Verhältnissen, aus denen ich stamme, und dem Christentum. Als ich anfing, für mich selbst zu denken, befreite ich mich von vielen dieser falschen Versprechen: Wenn du diesen Gott verehrst, dann kommst du in den Himmel. Wenn du zur Schule gehst, dann wirst du auf das College gehen und kannst später viel Geld verdienen. All diese Dinge waren für die Menschen, die in den Achtzigern aufwuchsen, fest in der Kultur verankert. Das war lange vor dem Zusammenbruch des Finanzsystems oder der AIDS-Epidemie der Achtziger. Die Wahrnehmung vieler Amerikaner war, sie seien bereits auf der Himmelsleiter. Wenn man diese Sachen als Kind von allen Seiten gesagt bekommt, egal, ob es nun die Regierung, die Schule oder die Kirche ist, dann ist es schwierig, sie einfach abzustreifen, wenn man älter wird. Ich musste mir als Teenager und Heranwachsender erst einen kritischen Blick antrainieren. Das war ein Denkprozess, mit dem ich herausfinden konnte, wie die Welt wirklich funktioniert. Genau das hängt dann auch direkt mit meinem Leben als tourender Musiker zusammen. Das war ein lange, interessante Reise und ich denke, dass ich eine ziemlich gute Vorstellung davon besitze, was in Amerika vor sich ging.

Wie muss man sich diese Abkehr von dieser uramerikanischen Denkweise vorstellen?

Ich erkannte schon früh, wie verrückt das alles war und wie unwohl ich mich mit Religion und Kapitalismus fühlte. Aber erst später wurde es für mich ersichtlich, wie sehr mich diese Gier nach immer mehr als Amerikaner beherrscht, obwohl ich mir der negativen Seite bewusst bin. Ich erkannte, wie tief dieses Denken in so vielen Menschen verankert ist und wie sehr diese treibende Kraft des Kapitalismus die ganze Welt beeinträchtigt. Es ist eine Krankheit, die jeder ganz einfach bekommen kann. Eine Figur der gegenwärtigen Populärkultur, die mich diesbezüglich besonders verblüfft hat, war die Figur des Tony Soprano aus der amerikanischen TV-Serie „The Sopranos“. Der trägt diesen Blutdurst in sich, will immer mehr, als man überhaupt braucht. Mit dem kann sich jeder identifizieren. Das ist wirklich interessant, denn Tony ist ein Typ, der ungezügelt, gewalttätig und machtgierig ist, ein Gangsterboss, ein Soziopath. Das ist wirklich skurril, er ist eine Art moderner Ikone in der Pop-Kultur. Und ich glaube, dass so etwas niemals gesund ist.

Wie du eben sagtest, findest du Spuren dieser Art zu denken aber auch in dir. Woran machst du das fest?

Wenn du eine ehrgeizige Person bist, ist diese Gier ein Teil von dir. Ich arbeite hart. Der Drang, niemals still stehen zu wollen, existiert, aber den musst du im Zaum halten. Weißt du, man sieht es bei seinen eigenen Gewohnheiten, wenn es um Alkohol, Schnaps, Drogen und Essen geht. Ich glaube, dass diese Veranlagung in jedem vorhanden ist. Aber in Amerika wird so eine Lebensweise begünstigt und es ist in Ordnung, ständig mehr zu wollen. Ziel sollte aber ein Gleichgewicht sein.

Kannst du dich denn nach wie vor mit der amerikanischen Kultur identifizieren oder gibt es zu viel, was du verachtest?

Natürlich kann ich das, ich bin Amerikaner. Deutsche können das wahrscheinlich genau nachvollziehen. Es gibt viel Verachtenswertes, das in den letzten 100 Jahren in der deutschen Kultur geschehen ist. Genau das gilt auch für Amerika. Ich glaube, dass es insgesamt mehr Gemeinsamkeiten als Unterscheide zwischen beiden Kulturen gibt. Die vorherrschende Gier nach Macht ist ein Bestandteil der westlichen Kultur, der von Anfang an da war. Als Amerikaner sieht man das nun in aller Klarheit, denn das ganze Konstrukt beginnt auseinanderzubrechen. Ich liebe das Land, in dem ich lebe. Ich denke, Liebe und Leidenschaft für seine eigene Kultur sind letzten Endes Grund dafür, warum man das Geschehen mit einem kritischen Auge betrachtet. Denn du willst nicht, dass die furchtbaren Seiten begünstigt werden, sondern die Menschen sollen die wundervollen Dinge über ein Land erfahren: Rock’n’Roll, Filmkultur und Kunst, Poesie und die Anstrengungen der Arbeiter. Deswegen singe ich diese Songs.

Bereits im Jahr 1972 erschien die Studie „Die Grenzen des Wachstums“, das die Konsequenzen des menschlichen Handelns in Bezug auf die Erde und ihre Ressourcen untersucht. Lässt sich „Devour“ auch in dieser Hinsicht verstehen?

Ich würde sagen, dass es eine Grenze gibt bei dem, was eine Gesellschaft wirklich benötigt. Braucht man ein großes Auto, ein großes Haus, so viele Klamotten? Menschen, die rein gar nichts besitzen, verhungern unter Schmerzen. Es sollte nicht nur einen Mindestlohn, sondern auch einen Höchstlohn geben. Aber ich habe mich dem Ganzen eher auf einem individuellen Level genähert. Denn es ist schwierig, einen möglichst umfassenden Eindruck von einer Gesellschaft zu bekommen. So oder so, man sollte über ein ausgeglichenes Leben nachdenken. Aber ja, es stellt eine Kritik an der Gesellschaft dar, ein Blick auf das Leben in den Achtzigern in Amerika. Es ist eine Auseinandersetzung mit meiner Herkunft und wo ich hin will. Für einige Leute sind es einfach eingängige Songs, und das ist okay, denn genau dieses Bedürfnis kann Musik erfüllen.

Du ziehst am Ende von „Devour“ die Schlussfolgerung, dass zwischenmenschliche Liebe und die zur Musik eine Antwort sein kann, um eine Krise zu überstehen. Ist letztlich jeder seines Glückes Schmied?

Es war eine schwierige Zeit, bis ich endlich den Überbau für das Album hatte. Ich hatte bereits all die bedrückenden Entwürfe und ich durchlebte eine dunkle Phase. Als ich dann auf Tour in Liverpool war, ging ich in das BEATLES-Museum. Als ich es gerade verlassen wollte, entdeckte ich noch eine zusätzliche Ausstellung über John Lennon mit seinem Flügel, seiner Gitarre, seinen Texten zu „Imagine“. Seine einfache Botschaft war gleichzeitig so universell und wunderschön: „All you need is love“ – das war wie ein Lichtblick. Ich weiß, dass es eine oft verwendete Phrase ist, aber ich glaube, dass genau da das Mitgefühl der Menschheit durchschimmert. Ab dem Zeitpunkt konnte ich dann das Album zu Ende schreiben und für mich zu einem positiven Ende durchringen.