SEDITIUS

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Radical Blues

Irgendwann im Winter 2011 hatten ich mit meiner Band THE SPINES einen gemeinsamen Auftritt mit zwei Bands aus Italien in der wundervollen Clockwork Bar in Weimar. Klirrende Dezemberkälte und ein paralleles Konzert ließen den Laden leer bleiben. Bedauerlich war das vor allem für alle Leute, die an diesem Abend nicht da waren, denn diese beiden Bands waren überaus sehens- und hörenswert und bewiesen einmal mehr, dass Italien aktuell ein paar echt fantastische Acts zu bieten hat. Zum einen waren das die bekloppten ANTARES, die ich jedem ans Herz legen kann, der bei dem Wort „Speedrock“ zu geifern anfängt, und zum anderen SEDITIUS, die mich mit ihrer eigenwilligen Interpretation von Punk und Blues begeisterten. Der Abend entwickelte sich noch zu einer feucht-fröhlichen Sause und seit dieser Zeit verfolge ich die Aktivitäten der Band. Vor Kurzem nun haben SEDITIUS ihre neue Platte „Misplaced“ veröffentlicht, die über das bandeigene Label Rancore vertrieben wird und mit prägnanten, bluesig-jazzigen Gitarren und herrlich rotzigem Gesang besticht. Sänger Noodles gewährte mir ein paar Einblicke in das Leben auf Tour und den harten D.I.Y.-Alltag.

Wie würdest du Leuten, die euch nicht kennen, eure Musik beschreiben und was, glaubst du, macht SEDITIUS einzigartig?

Manche nennen es Soul-Punk, für andere wiederum ist es Hardcore-Punk mit stark bluesigem Rock. Ich habe Genrebezeichnungen nie gemocht, sie sind nutzlos und treffen es nie zu 100%. Wir kommen aus vier unterschiedlichen Szenen und wir schreiben unsere Songs mit unseren acht Händen. Es gibt keine Führungspersönlichkeiten und keine Blaupausen. Wir versuchen lediglich, ehrliche Musik zu machen.

Welche musikalischen Wurzeln habt ihr?

Ich komme aus der D.I.Y-Punk-Ecke und bin mit allem zwischen THE CLASH und CONVERGE großgeworden. Checco, unser neuer Bassist, steht mehr auf 70s- und 90s-Sound, während Abbo, unser Drummer, in einer Stoner-Band spielte, bevor er bei SEDITIUS eingestiegen ist. Und Teo, der von der Stunde Null an dabei ist, hat Jazz gelernt, seit er zwölf ist. Es klingt vielleicht komisch, dass es so eine Truppe nun schon seit acht Jahren gibt, aber wir sind seit der Oberstufe zusammen.

Wie laufen Punk-Shows in Italien ab? Unterscheiden sie sich von denen im Rest Europas?

Italien ist merkwürdig. Es gibt riesige Unterschiede von einer Stadt zur nächsten. Da sind welche, in denen klappt alles großartig; in einigen Städten erleben wir furchtbares Chaos und in anderen passiert einfach gar nichts. Aber ich denke, in Deutschland oder Frankreich zum Beispiel ist es dasselbe. Die letzten anderthalb Jahre sind wir über 18.000 Kilometer in Europa rumgefahren und meiner Ansicht nach ist es überall ähnlich. Es gibt viele coole und verrückte Orte und ein paar sterbenslangweilige. Aber noch ein Tip: Wenn jemand mit seiner Band wirklich nach Italien will, sollte er in den Süden fahren. Dort gibt es das bessere Essen und die verrückteren Nächte!

Ihr betreibt auch euer eigenes Label Rancore Records. Ihr habt 2008 als Webzine angefangen und dann 2010 mit der eigentlichen Labeltätigkeit begonnen. Was ist eure Mission und welche sind die coolsten Bands?

Es ist ein D.I.Y.-Kollektiv. Wir helfen Bands, die wir mögen; das ist unsere einzige Mission, denke ich. Es gibt viele coole Bands von tollen Leuten und sie brauchen Unterstützung. Wir haben zwar nicht viel Geld dafür, versuchen es aber trotzdem. ANTARES, eine der besten Bands, die wir bisher hatten, sind außerdem gute Kumpels. GORDO, ein Instrumentalduo, nehmen wir gerade auf, die Platte erscheint wahrscheinlich in limitierter Siebdruck-Holzschachtel. Cool sind außerdem GONZALES, BROKENDOLLS, CIBO, X KATE X MOSH X, GREEDY MISTRESS, MOTOSEGA, aber wir haben leider kein Geld, um sie alle zu produzieren.

Wie kommt man an eure Releases ran?

Wir versuchen es mit dem „Zahl, was du willst“-Prinzip. Streams und Downloads laufen gut, aber wir verkaufen nicht viele physische Tonträger, da fast alle an die Bands gehen. Und da es sich bei allen um tourende Bands handelt, sind die Platten für sie eine wichtige Einnahmequelle. Ihr könnt den Shop unter rancorerecords.bandcamp.com finden. Entdeckt neue Bands, zahlt für die Downloads, was ihr wollt, ihr könnt die Musik auch für umsonst haben.

Warum ist es für euch so viel besser, komplett D.I.Y. zu sein und eure Musik selbst zu veröffentlichen, als einen Deal mit einem größeren Label zu haben oder eure Shows von einer Booking-Agentur buchen zu lassen?

Ich weiß nicht, ob „besser“ der richtige Ausdruck ist. Wir hatten bis jetzt nicht die Wahl. Aber wir fahren auch nicht tausende Kilometer und machen Platten, weil wir denken, das könnte irgendwie profitabel für uns sein. Wir machen es einfach, weil es das ist, was wir brauchen. Aber du findest bestimmt auch gute Leute bei großen Plattenfirmen und Agenturen. Es ist ja so, dass das, was wir machen, nicht der einzig richtige Weg sein muss.

Wie du in einem anderen Interview erzählt hast, habt ihr alle normale Jobs. Wie managt ihr euer Leben mit Jobs, Label, dem Touren und euren Familien?

Es ist wirklich sehr anstrengend. Du lernst, was das Wort „Verzicht“ bedeutet. Du bist fast jede Nacht wach, verbringst die Zeit mit Proben, Shows buchen, Mails schreiben an Produzenten, Venues und Bands. Aber ich liebe das und ein anderes Leben kann ich mir nicht vorstellen.

Italien ist wegen der Finanzkrise momentan häufig in den Nachrichten. Ist das in eurem Umfeld auch ein Thema?

Es ist ganz schön übel. Unsere Politiker haben keinen wirklichen Plan B für die gegenwärtige Rezession und, als wäre das nicht schon schlimm genug, hatten wir auch noch zwanzig Jahre Berlusconi. Die ganzen jungen Leute hauen hier ab, so dass nur noch die alten hierbleiben; ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Allerdings habe ich während unserer Touren überall in Europa viele Leute kennen gelernt, die in vergleichbaren Situationen stecken. Italien ist also nicht bedeutend anders.

Was ist für die Zukunft geplant? Gibt es vielleicht einen großen Traum für euch als Band?

Wir möchten gerne weiter touren, am liebsten überall da, wo wir noch nicht waren. Es wäre schon sehr schön, wenn wir mit unserer Musik die Miete bezahlen könnten, aber möglicherweise verfliegt damit auch die Magie, die es jetzt hat. Und wir planen einige Gigs im Herbst, das ist eine gute Chance, auch Deutschland mitzunehmen. Wenn jemand, der das hier liest, uns helfen möchte, soll er uns einfach eine Mail schreiben.