ZWEI TAGE: OHNE SCHNUPFTABAK

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Zehn Jahre Deutschpunk als unpeinlicher Gegenentwurf

Jedes Jahr gibt es wieder mindestens eine neue durchgestylte deutschsprachige Punkband mit großem Label und Promo-Agentur im Rücken, die sich – meist für überschaubare Zeit – bei der breiten Masse anbiedert. Glücklicherweise, wenn auch sehr viel seltener gibt es den beharrlichen, unpeinlichen Gegenentwurf dazu. Die Regensburger ZWEI TAGE: OHNE SCHNUPFTABAK sind so eine Band, die seit zehn Jahren vom Aufnehmen über die Veröffentlichung und die so liebevolle wie außergewöhnliche Gestaltung ihrer Platten bis hin zum T-Shirt-Druck alles in Eigenarbeit machen. Zehn Jahre, in denen es schon viele Anlässe für ein Ox-Interview gegeben hätte, allen voran die Veröffentlichung des 2011 erschienenen zweiten Albums „In Anbetracht der Dinge“. Pünktlich zum diesjährigen Band-Jubiläum habe ich mich daher mit Sänger und Gitarrist Glufke in seinem Garten im Regensburger Norden getroffen, um inmitten von Obstbäumen und dem sprießendem Spitzwegerich ausführlich über seine und viele andere Bands zu sprechen.

Ein Jahrzehnt ZWEI TAGE: OHNE SCHNUPFTABAK – gehen wir doch mal an eure Anfänge zurück!

Die Idee für die Band hatten unser Gitarrist Chris und ich, und ursprünglich war als Schlagzeuger Musch geplant, der auch die letzte LEATHERFACE-Platte eingespielt hat. Der kommt aus Altötting, hat damals bei REVOLTE gespielt, ist dann aber wieder aus Regensburg weggezogen. Die erste „öffentliche Probe“, wie wir das genannt hatten, war dann in der Danz in Regensburg mit einem anderen Schlagzeuger, bevor Ludwig bis 2007 bei uns gespielt hat. Den hat unser heutiger Schlagzeuger Wiener dann abgelöst. Unser Bassist Sebi kam dazu, kurz nachdem wir festgestellt hatten, dass wir, beide aus der Passauer Gegend kommend, nur zehn Kilometer entfernt voneinander aufgewachsen sind. Wir haben 2004 ein Demo gemacht, die erste Platte 2006, zwischendurch ein paar Kleinformate, unter anderem die Split-7“ mit FORMER CELL MATES, und unsere letzte Platte „In Anbetracht der Dinge“ kam 2011. Vorher und nebenher waren wir alle schon in anderen Bands. Sebi bei JOHN DEERE, Chris bei ERADICATE, Wiener bei 1860 WUTENTBRANNT, Ludwig bei zig anderen, und ich hab mit Chris in der SLIME-Coverband SLEIM gespielt.

Wenn ich mir Reviews eurer Platten durchlese, fällt ganz oft der Name Jens Rachut. Das ist ja bei vielen Bands so, die weder in die Emo-Punk- noch in die Deutschpunk-Schiene passen. Nervt der ständige Rachut-Vergleich?

Es ist ja oft so, dass viele Bands aus einem bestimmten Spektrum auf einen wichtigen Einfluss reduziert werden. Zum Beispiel können so Sachen wie GLUECIFER oder HELLACOPTERS meiner Meinung nach alle auf AC/DC-Einflüsse zurück geführt werden. Klar haben viele deutschsprachige Bands diesen Rachut-Einschlag, wobei sich das jetzt in den letzten Jahren schon verändert hat, und die nachkommenden Bands schon wieder eher mit TURBOSTAAT verglichen werden. Wobei ich selbst bei Jens sagen muss: die letzte Platte, die ich wirklich Hammer fand, war „Trapperfieber“ von OMA HANS. Das, was danach kam, finde ich zwar alles gut, aber das reißt mich nicht mehr wirklich vom Hocker. Mich stört der Vergleich jetzt nicht, aber mich interessiert es auch nicht besonders. Es gibt ja schlimmere Vergleiche. Also es gibt schon Gemeinsamkeiten, aber musikalisch macht das ja nicht nur Jens aus, sondern auch was Andreas auf der Gitarre macht, und da unterscheiden wir uns schon von ihnen.

Vielleicht ist dieses „zwischen den Stühlen sitzen“ auch ein bisschen euer Problem?

Ja, wir sind nicht in dieser klassischen jungen TURBOSTAAT-Nachfolge-Generation, welche vielleicht auch unser Stuhl wäre. Es geht vielleicht in eine ähnliche Richtung, aber wir sind einfach nicht in diesem Haufen mit drin. Bei TURBOSTAAT ist es auch so, dass ich die Leute gerne mag, gerne auf deren Konzerte gehe oder selber welche mit ihnen mache, aber musikalisch fand ich das von den ersten Platten weg nicht total umwerfend. Das wissen die auch, und das ist auch okay. Die erste DACKELBLUT hingegen hat mich damals wirklich vom Hocker gehauen. Aber letztlich reduziert man das nicht auf die Musik, sondern man schätzt eben die Personen in der Band, sogar bei Jens. Es ist bei uns oft genug so, dass wir live mit irgendwelchen Bands spielen, und man versteht sich auf vielen Ebenen nicht, sei es der Humor oder typische Szene-Themen, die von uns meist keinen interessieren. Es ist mir im Zweifelsfall dann wichtiger, mich mit Bands zu umgeben, bei denen wir eher die Leute als deren Musik schätzen.

Textlich fällt mir bei dir auf, dass du sehr oft gegen dieses Cleane und Langweilige ansingst, auch im Punk. Ein Song wie „Die Krawallerie“ zum Beispiel. Liege ich da richtig?

Der Song geht eher gegen die Regensburger Wochenend-Situation. An manchen angesagten Studentenplätzen wie dem Bismarckplatz kann ich mich einfach nicht aufhalten. Wie im Hamburger Schanzenviertel, wo alle darüber schimpfen, wenn am Wochenende die Massen einfallen. Aber zum Langeweile-Motiv – ob nun im Punk oder nicht, das macht für mich eh keinen Unterscheid mehr –, dieses Motiv kommt ganz einfach daher, dass mir, wenn ich mich nicht ständig mit irgendwas beschäftige, einfach superschnell langweilig wird. Zum Beispiel auf Konzerten, wo alle nur dastehen und mit dem Takt mitnicken. Wenn ich da bin, muss ich zu trinken anfangen, sonst wird mir langweilig. Aber deshalb ziehe ich mich auch viel zurück. Also die Langeweile findet bei mir eher auswärts statt, zu Hause finde ich mir immer was, mit dem ich mich beschäftigen kann, da ich auch theaterinteressiert bin. Zu Hause höre ich wenig Punk, sondern auch gerne mal klassische Musik.

Ich kann mich an ein altes Tour-Video erinnern, da habt ihr den Satz „Ja, ich liebe Alkohol!“ gefilmt, den irgendwer an die Wand geschrieben hat. Trinkt ihr viel auf Tour?

Wir haben auf einer Tour drei oder vier Konzerte mit der slowenischen Band FREGATURA gespielt. Das waren extreme Schnapssäufer, die haben dann im Suff immer den Satz „Jawoll, jawoll, ich liebe Alkohol“ wiederholt und an die Wand geschrieben. Wir sind aber selbst keine totale Säufer-Band. Es hat sich bei den letzten Touren im Gegensatz zu früher schon sehr geändert, wo wir teilweise wochenlang unterwegs waren, viele Sachen passiert sind und man viel mehr getrunken hat. Heute kommt dann eher mal die Frustration hoch, wenn irgendwas nicht passt, man verzieht sich und dann hält sich das mit dem Trinken in Grenzen. Wobei es natürlich immer noch dazu gehört, deshalb bemühen wir uns auch immer um einen Tourfahrer.

Von denen einer ja kürzlich verstorben ist.

Mittlerweile sind sogar zwei unserer ehemaligen Tourfahrer verstorben, aber du meinst wahrscheinlich „Big Rock“, der uns damals bei den Konzerten mit FORMER CELL MATES gefahren hat. Der war so Anfang oder Mitte vierzig, hat diverse Bands gefahren, etwa LEATHERFACE und SCHEISSE MINNELLI. Ich kannte den, weil ich früher für LEATHERFACE Merch gedruckt habe, und der hat die dann immer bei mir in Regensburg abgeholt. Er ist Anfang 2013 ums Leben gekommen. Bei ihm zu Hause war wohl bei einem Gasboiler eine Leitung undicht, und da strömte Gas aus, das man allerdings nicht riecht. Daher hat er das natürlich nicht gemerkt, und als er dann nachts aufs Klo ging, hat er das Gas eingeatmet, ist davon ohnmächtig geworden und in Folge dessen an einer akuten Vergiftung gestorben. Gelinde gesagt, ein blöder Unfall. Das war ein super Typ.

Zu Erfreulicherem: Ihr habt mit Matula ein neues Label gefunden, macht aber scheinbar auch Pause, da Chris Vater geworden ist. Wann kommt was Neues?

Zum zehnjährigen Jubiläum wollen wir eine Single aufnehmen, und mit ein bisschen Glück kommt noch eine CD mit ein paar Songs dazu, und wahrscheinlich gibt es dann auch wieder irgendeine Art von Schnickschnack-Cover. Allerdings können wir jetzt bis zur Aufnahme noch gerade zweimal proben, und haben nur einen fertigen Song, ohne Text. Auf jeden Fall spielen wir aber noch ein paar Konzerte im September, ansonsten passiert nicht viel, da Chris eben Nachwuchs bekommen hat. Eine neue Platte ist erst wieder Anfang nächsten Jahres geplant. Bezüglich Matula weiß ich selbst gar nicht so genau, wie das zustande kam. Wir haben zufällig mal auf einem Labelfest von ihnen gespielt und die fanden uns wohl gut. Die Single macht Matula übrigens zusammen mit Kidnap Records, dem Label von den PASCOW-Jungs.

Ihr legt ja schon auch immer Wert auf eine spezielle Gestaltung, funktioniert das mit denen?

Ja, da reden wir momentan noch drüber. Es wird auf jeden Fall irgendeine Art von anderem Cover geben. Der Plan ist derzeit, dass es für die Leute, die vorbestellen, vielleicht ein Siebdruckcover und als Extra eine CD dazu geben soll. So spezielle Aufmachungen wie die limitierte Auflage der letzten LP kann man ja als kleine Band nicht bezahlen, wenn man es nicht selbst macht. Die ganzen Siebdrucke dafür haben wir alle einzeln selber gemacht, andernfalls hätten wir uns dumm und dämlich gezahlt. Solche Pläne können auch nur umgesetzt werden, wenn man Leute kennt, die so etwas Spezielles für einen machen können, sprich: Schreiner, Schlosser ... oder Plastikeimer-Hersteller, haha.

Ihr hattet mal einen Text über ein Buch von Haruki Murakami namens „Mister Aufziehvogel“. Welche Autoren und Bands haben euch sonst beeinflusst?

Das mit dem Murakami-Text dürfte ich ja eigentlich gar nicht sagen, weil das komplett geklaut ist. Ich wusste das aber nicht! Ein Kumpel hat mir damals einen Brief geschrieben mit einem Abschnitt aus dem Buch. Ich hatte keine Ahnung, was das war, fand das aber super, hab es in die Bandprobe mitgebracht und wir haben den dann einfach für einen Song verwendet. Dann lag ich einige Zeit später im Krankenhaus und derselbe Freund hat mir dann das Buch „Mister Aufziehvogel“ geschenkt. Erst als ich das gelesen hatte, und über das Kapitel stolperte, merkte ich, dass der Text aus dem Buch stammt. Da gab es den Song aber schon. Ansonsten beeinflussen mich literarisch die Üblichen: Fante, Bukowski, Thompson. Ich gebe natürlich zu, dass mich diese Rachutsche Art zu texten schon sehr beeinflusst hat. Aber textlich finde ich vor allem auch Rio Reiser oder komplett alles von DIE GOLDENEN ZITRONEN super. Bandmäßig ist es extrem unterschiedlich: Sebi hört viele Metal-Bands oder Instrumental-Sachen, mit denen ich rein gar nichts anfangen kann, unser Schlagzeuger hört viel Achtziger-Hardcore, oder kommt mit Sachen an, die von uns überhaupt keiner kennt. Weil dann teilweise jeder was Eigenes einbringen will, wird schon auch mal gestritten im Proberaum. Musikalisch ist unser kleinster gemeinsamer Nenner wahrscheinlich tatsächlich DACKELBLUT. Auf AC/DC können sich drei von uns einigen, weil wir einfach alle vom Land kommen, wo keine Party ohne „T.N.T.“ stattgefunden hat. Nur Chris versteht das gar nicht.

Wie ist dein Verhältnis zur Regensburger Punk-Szene? Momentan ist man ja zumindest mit Konzerten ganz gut versorgt.

Ja, es ist verdammt viel los. Ich bin ja beruflich in der Alten Mälzerei tätig, und bin dem daher eh ständig ausgesetzt und oft da. Ich finde es schon super, dass viel los ist, aber viele dieser Konzerte sind auch nicht so mein Ding, weil es mich musikalisch einfach langweilt. Oder wenn dann ständig Stagediving betrieben wird oder vom Tresen runtergespielt, weil es gerade in ist. Es gibt hier viele Bands und Leute, die was machen, und das ist natürlich auch die Szene, in der ich mich bewege, aber ich mache auch außerhalb dessen viel, und das bedeutet für mich keinen Unterschied, ob das nun Punk ist oder nicht. Das hat eben wieder speziell mit den Leuten und weniger mit der Musik zu tun. Wenn Leute, die ich schätze, was machen, dann gehe ich da eben hin und kann mich damit arrangieren, auch wenn es musikalisch nicht so mein Ding ist.

Letzte Frage: Kann durch Punk noch provoziert werden?

Ich glaube nicht. Ich meine, womit kann man groß provozieren? Klar, nackte Schwänze und Scheiße und so was, das war natürlich alles schon da. Ob man Provokation aber so an Punk festmachen sollte ... Mal als blödes Beispiel: ich finde, Hans Söllner schafft es, seit dreißig Jahren zu provozieren. Die Frage ist nur, auf welche Art und Weise das passiert. Im Punk ist oft die Gefahr, dass das dann als blankes Parolengegröle rüberkommt. Mittlerweile gibt es ja viele Anti-Parolen, so dass man nicht mehr direkt „Scheiß Bullen“ singt, sondern das eher metaphorisch ausdrückt, weil man von diesen Parolen weg wollte. Da jetzt diese Anti-Parole schon wieder eher zur Norm geworden und damit fast schon wieder abgedroschen ist, müsste man ja eigentlich schon wieder Parolen grölen, um dem entgegenzuwirken. Rio Reiser ist textlich ein Paradebeispiel: der hatte es raus, direkte und provokante Sachen so rüberzubringen, dass es eben nicht stumpf und lächerlich wirkt. Viele im deutschsprachigen Punk können es eben nicht, platte Sachen so zu umschreiben, dass es nicht komplett blöd wirkt. Im habe allerdings mittlerweile auch keinen Bezug zu solchen Bands mehr. Aber ich kann KACKSCHLACHT empfehlen, die werden mit uns am Jubiläums-Konzert in Regensburg spielen. Das sind zwei Altenpfleger, die sich ständig gegenseitig anpöbeln. Das ist eine super Deutschpunk-Band nur mit Gitarre und Schlagzeug, die komen aus Braunschweig und haben Anti-Kohl-Texte, haha.