LOMA PRIETA

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Mehr als eine Tasse Kaffee braucht man nicht

Die Bay Area, also die Bucht um San Francisco, ist die Heimat unzähliger Punk- und Hardcore-Bands. Dieser Region machen auch LOMA PRIETA alle Ehre. Allein im letzten Jahr spielte die 2005 gegründete Screamo-Band mehr als hundert Konzerte. Endlose, größtenteils selbst gebuchte Touren rund um den Globus verschafften der Band nicht nur stetig wachsende Aufmerksamkeit, sondern auch einen Deal mit Deathwish Records, wo ihr aktuelles Album „I.V.“ veröffentlicht wurde. LOMA PRIETA sind Sean Leary (guitar, vocals), Brian Kanagaki (guitar, vocals) und Val Saucedo (drums).

Ihr habt mit LOMA PRIETA einen recht eigenwilligen Sound entwickelt. Neben einem Hauch Chaos sind vor allem viele Noise-Elemente zu hören.

Sean:
Bands wie SONIC YOUTH, die diesen sehr noisigen Sound prägten, faszinierten mich schon immer. Damit meine ich nicht experimentelle Noise-Bands, die mit unzähligen Pedalen irgendwelchen Lärm erzeugen – damit konnte ich nie etwas anfangen – sondern Noise-Rock. Dieses Subgenre des Punk empfand ich immer als das progressivste und somit interessanteste.

Brian: Wir sind auf jeden Fall eine Band, die sich kreative Freiräume lässt und gerne experimentiert, vor allem live. Auf Tour spielst du jeden Abend deine Setlist runter, da bleibt wenig Spielraum. Der größte Reiz an der Musik ist für mich jedoch die Möglichkeit, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen, und diesen Freiraum nehmen wir uns. Das angesprochene Chaos ist nicht einstudiert. Es sind spontane, kreative Momente, die nicht reproduziert werden können, sich aber im Laufe eines Jahres oder einer Tour fast organisch in unseren Sound einfügen und diesen definieren. Diese sporadischen Lichtblitze sind meiner Ansicht nach der progressive Motor unserer Band. Auf Platte versuchen wir, diese Intensität, die Emotionen und den Sound unserer Shows einzufangen, damit die Leute nicht komplett vor den Kopf gestoßen sind, wenn sie zu unseren Konzerten kommen.

Experimente und Tüfteleien finden meist im Proberaum statt, seltener auf der Bühne. Nun seid ihr fast immer auf Tour, verlagert sich der kreative Prozess deswegen vielleicht zwangsläufig auf die Konzerte?

Val:
Ja, das ist ziemlich treffend. Wir gehen nicht in den Proberaum, um unser Set einzustudieren, sondern ausschließlich, um neue Songs zu schreiben. Das neue Material wird dann auch nicht unbedingt mit Noise-Elementen vollgepackt. Erst live entfalten die Songs ihr Potenzial. Klar, alle Stücke haben eine gewisse Struktur, uns macht es jedoch Spaß, diese Strukturen wieder aufzubrechen, zu improvisieren, Details zu ändern und neue Soundelemente einzufügen. Vor allem Klänge, die traditionell nicht ins Spektrum der Musik fallen.

Wie schafft ihr es, neue Platten aufzunehmen, wenn ihr kaum probt und ständig auf Tour seid?

Val:
Das Wichtigste beim Schreiben von Musik ist, Ideen und Vorstellungen zu kommunizieren. Auf Tour, und somit immer auf einem Haufen zu hocken, ist unserer Arbeitsweise förderlich, weil ein ständiger Austausch stattfinden kann. Kreative Geistesblitze, sei es ein Riff oder Referenzen zu Songs anderer Bands, gehen nicht verloren, sondern können von uns als Band unmittelbar festgehalten werden. Früher, als wir noch nicht unentwegt unterwegs waren, verbrachten wir Ewigkeiten damit zu jammen, was auch eine Möglichkeit ist, Musik zu machen. Mittlerweile gehen wir jedoch mit ziemlich ausgereiften Vorstellungen von unseren neuen Songs ins Studio, was wiederum Zeit spart.

Brian: Oft habe ich im Kopf bereits sehr konkrete Vorstellungen von meiner Kunst, sei es Musik oder auch Fotografie. Das Schöne am Touren ist, dass du viel Zeit hast nachzudenken. Ich kann mir stundenlang Gedanken machen über einen neuen Song oder ein Foto, so dass ich bei der Umsetzung handfeste Konzepte realisiere. Wir alle teilen einen Konsens, was den Sound der Band angeht. Schreibe ich ein Riff, weiß ich, was Sean und Val auf dieser Grundlage tun werden. Nicht im Sinne einer Formel oder eines Korsetts, aber wir wissen ,was für LOMA PRIETA funktioniert und was nicht, und je intensiver wir uns gemeinsam damit auseinandersetzen, desto geschmeidiger läuft das Songwriting.

Welcher Stellenwert haben der Gesang und die Texte bei LOMA PRIETA? Dienen sie nur dem Zweck, eure Musik intensiver und atmosphärischer wirken zu lassen? Wirklich verstehen kann ja niemand, was ihr da schreit.

Sean:
Unsere Texte sind keineswegs bloß aneinandergereihte Worte, die wir schreien. Die Inhalte sind uns als Band sehr wichtig. Das heißt nicht, dass ihre Bedeutung offensichtlich sein muss. Meine Texte sind abstrakt. Beim Schreiben habe ich ein großes Ganzes vor Augen, das sich auf den ersten Blick nur schwer erschließen lässt.

Brian: Wir sind eine intensive Live-Band. Wir schreien, weil unsere Songs wütend und leidenschaftlich sind. Das ist sozusagen die oberflächliche Ebene unserer Texte. Setzt man sich mit ihnen auseinander, finden sich weitere, tiefgründige Bedeutungen. Fügt man alles zusammen, also Texte und Musik, erschließt sich einem auch das Gesamtbild. Es kommt also darauf an, auf welchem Niveau sich der Hörer mit der Band auseinandersetzten will. Vielen ist es wahrscheinlich egal, was wir „singen“. Viele denken bestimmt nur, dass wir eine verrückte Band sind, und das ist in Ordnung. Andere beschäftigen sich eingehender mit der Musik, interessieren sich für jedes kleine Detail. Ich finde es klasse, dass LOMA PRIETA auf diesen verschiedenen Ebenen funktioniert.

Wie begegnet ihr als Band, die fast das ganze Jahr unterwegs ist, der Herausforderung, ein halbwegs normales Leben zu führen? Wie ist euer Verhältnis zu Freundschaften, Partnerschaften oder einem Zuhause?

Brian:
Es ist definitiv schwer, Freundschaften zu erhalten. Die meisten meiner Freunde haben keine Ahnung, was ich auf Tour treibe, und es kümmert sie auch nicht. Bin ich zu Hause, vermeide ich den Kontakt, weil ich nicht gefragt werden will, wie es auf Tour war. Es interessiert sie nicht wirklich und letztendlich tische ich ihnen immer die gleichen Geschichten auf. Beziehungen geben Menschen Halt. Für manche ist das die Familie, ihr Beruf oder ein Hund. Uns geben andere Dinge Sicherheit und bewahren uns vorm Durchdrehen. Meinem Leben geben ganz simple Dinge Struktur. Eine Tasse Kaffee ist im Grunde alles, was ich brauche. Kann ich dieses Verlangen jedoch nicht befriedigen, flippe ich aus, weil es eine der wenigen Konstanten in meinem Leben ist. Das mag für manche eine Kleinigkeit sein, ist für mich aber eins der wenigen Dinge, die mir Wohlbefinden verschaffen. Ich habe kein eigenes Bett, keine Privatsphäre, kann nicht bei meiner Frau sein oder meine Familie sehen.

Sean: Wir haben gelernt, auf persönliche Gewohnheiten Rücksicht zu nehmen, wenn wir auf Tour sind, weil es oft die einzigen Möglichkeit ist, sich auf sich selbst zu besinnen. Eine Tasse Kaffee, wie Brian sagte, ist der einzige Komfort, den wir haben. Ich wiederum bemühe mich täglich, ein wenig Obst und Gemüse zu essen. Wir achten darauf, unsere Körper nicht zu Grunde zu richten. Geht es nämlich physisch bergab, lässt der Geist nicht lange auf sich warten, und dann fangen die Probleme erst richtig an. In den USA und Europa können wir diese Gewohnheiten pflegen, inwiefern wir dem auch in Ländern wie Russland nachkommen können, wird interessant werden. Andererseits geht es bei dem, was wir machen, auch um Grenzerfahrungen, darum seine gewohnte Umgebung zu verlassen.

Brian: Vor Kurzen bin ich zu der Einsicht gekommen, dass es am besten ist, jedem seine Freiheit zu lassen und sich Bedürfnissen anderer nicht in den Weg zu stellen. Menschen sollten nicht gezwungen werden, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollen. Oder umgekehrt: Wenn ich jede Stunde anhalten will, um eine Tasse Kaffee zu trinken, dann machen wir das. Es ist wichtig, Rücksicht aufeinander zu nehmen, insbesondere wenn man 24 Stunden am Tag miteinander rumhängt.

Val: Wir versuchen, ein möglichst normales Leben zu führen, selbst wenn wir auf Tour sind. Warum sollten wir einem von uns seine Bedürfnisse verwehren?

Werdet ihr in fünf Jahren weiterhin mit LOMA PRIETA aktiv sein? Wo seht ihr Grenzen für die Band, gerade auf Grund der eher sperrigen Musik?

Brian:
Schwer zu sagen. Liebend gerne würde ich die nächsten fünf oder mehr Jahre weitermachen. Allerdings werden sich meine Bedürfnisse sicherlich ändern. Eine gewisse Weiterentwicklung und Veränderungen wären also notwendig, um uns das Interesse und den Reiz der Band zu erhalten. Ich habe auch das Gefühl, dass es auf Grund unserer Musik ziemlich mühsam ist, Vollzeit zu touren. Daran wollen wir aber nichts ändern. Es wäre ja sinnlos, andere Musik zu spielen, nur um mehr touren zu können, weil es schließlich nur um die Musik geht.

Sean: Wenn sich in den nächsten fünf Jahren so viel ändert wie in den vergangenen fünf, bin ich glücklich und zufrieden. Wir haben eine ganze Menge erlebt.

Bleiben wir bei Veränderungen. Eure ersten Platten wurden quasi von euch selbst über Discos Huelga veröffentlicht. 2012 erschien euer viertes Album „I.V.“ bei Deathwish. Wie habt ihr das gestiegene Interesse an der Band seit der Veröffentlichung wahrgenommen?

Val:
Ich bin immer davon ausgegangen, dass Bands, die viel unterwegs sind, dadurch auch stärker wahrgenommen werden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „I.V.“ tourten wir verdammt viel. Das gesteigerte Interesse an uns ist meiner Meinung nach also eher auf unser ausgiebiges Touren zurückzuführen und weniger auf das Label, das unsere Platten veröffentlicht. Meine andere Band, LIVING EYES, ist auch auf Deathwish und ich denke, dass LIVING EYES eine richtig gute Band sind. Allerdings können wir überhaupt nicht touren, weil die anderen Mitglieder wirklich ernsthaft ihrem Beruf nachgehen. Obwohl zwei unserer Platten bei Deathwish rauskamen, rennen der Band keine Scharen hinterher. Deswegen gewichte ich unsere Konzerte stärker als Veröffentlichungen auf irgendeinem Label. Nun pressen Deathwish nicht nur unsere Platten, sondern unterstützen uns auch, indem sie unsere Touren und Konzerte auf allen möglichen Kanälen bewerben. So kommen wiederum mehr Leute zu unseren Shows und das ist ziemlich cool.