Popkomm ´99 - Tuberkel vs. Musicbizz

Sternzeit 1999. Ich betrete das Raumschiff Popkomm., die "Messe für Popmusik und Entertainment", und zwar durch den Hangar der Messehallen zu Köln Deutz. Die Domstadt ist kurzfristig zur Musikhauptstadt der Welt mutiert! Was im Düsseldorfer Zak einst mit 8 oder 10 Ständen begann, ist heute unüberschaubarer denn je!

Ein Shuttle bringt mich zur Umkleide. Ich ziehe meinen Traumanzug an. Die SauerStoffZufuhr ist einwandfrei. Einchecken! Akkreditierungstresen der 11. Popkomm. - bei uns in Aachen steht die Elf für eine Jecken- oder Schnapszahl, hier hingegen scheint es ein hoffnungsvolles Zeichen für den Eintritt des unbekannt verzogenen Balgs in die Pubertät, obwohl alle daran beteiligten als Pädagogen reichlich neunmalklug erscheinen. Es haben sich um die 1.000 Aussteller angemeldet, ca. 20.000 Fachbesucher(!) wollen mal eben vorbei schauen, ein paar CDs, etwas Essenshäppchen und Alk absaugen, Kont(r)akte pflegen. Ein in sich geschlossener Kosmos pflegt seine Sternchen der Knilchstraße.

Anmelde: Arme Menschen hier, seufze ich! Haben wohl nur mit wichtigen Leuten zu tun, so wichtig, daß sie Traumanzüge als naiven Schwachsinn abtun. Sie gehen mit blanker Waffe hinein in den "respektablen Wirtschaftsfaktor" (Kölner)! Lachgas aus der Sause Darwin! Ich erhalte mein Ticket, one way. Rein kommst du, sagt die Praktikantin und lächelt, raus kann ich dir nicht versprechen. Bloß keine Bruchlandung! Immerhin bin ich nun Mitglied der Gemeinde, wenn auch sponsored@arbeitsamt.de.

Lechze nach Amüsement! MTViva und RTL Top of the pops geguckt. Vorrecherche nennen wir Journalisten dies ordnungsgemäß! Erkundige mich umgehend, wo denn... die Mädels... aus den Videoclips... aufreizend be- oder entkleidet... ebenso die gebärfreudigen Hüpfeinheiten schwingend... Ja, wo denn... wo sind denn die Kameras, das Set, die Erotik: Auf die Plätze, fertig, stoß...? Große Ereignisse werfen ihre Latten voraus, so der Arbeitstitel eines Gangbangers... Alle Kerle tragen blankes Perlgenoppt, die Dame des Hauses kreischt und kreischt: Süßer die Noppen nicht klingen...! Ernte 23 verständnislose Blicke. Muß etwas falsch verstanden haben! Greife zum Schweizer Taschenmesser. Messe die Taschen meines Traumanzuges. Eine ist viel zu groß. Realitätsverlust. Aha! Lese irgendwo den Spruch: Knuppertz, Sexist - Mädels auf Ringfest, hier nix! - Wer kann dazu schon Schwein sagen...? Nehme das mir angebotene Keuchländerwürstchen und trolle mich erbost. Erinnere mich eines Ralf Plaschkes, stellvertretender Geschäftsführer hier. Fühle mich an alte Tage erinnert! Will direkt nach ihm verlangen, mich beschweren, weil keine Girlies da sind. Nun ja, seufze ich innerlich. Hat sicher viel zu tun. Wer weiß, ob er sich noch an früher... Der Mann machte einst einen kleinen Tape- und Fanzineversand namens Euer Geld - Unser Geld. Gemeinsam mit Wolle Schröder, und zusammen musiZierten sie sich nicht, als R.A.F.GIER den Punkrock zu poltern und Hardcore-Einflüsse anzubieten, als andere, die glauben, als Christoph Kolumbus der Szene HC entdeckt zu haben, noch in die Inkohärentwindeln der Altenhorte geschissen haben. Alte Zeiten, durchzuckt es mich. Tapes und Zines getauscht. Heute ist der Stellvertreter hier... "Vielleicht sind wir jung genug / leidenschaftlich zu sein / vielleicht seid ihr schon stumpf genug / das beste für euch an uns zu tun".

Zeitreise: "Die Popkomm. ist für die Musikbranche mittlerweile ebenso selbstverständlich wie die CeBIT für die Computerindustrie. Ganz selbstverständlich werden sich auch dieses Jahr wieder fast 20.000 Besucher in den Messealltag stürzen, Termin abarbeiten, Kontakte sammeln, Bands anschauen und Partys feiern", so Thomas M. Stein (BMG Entertainment). Auch mein Spickzettel ist voll. Als Arbeitsloser kann man sich das leisten, nur meine Nerven kränkeln. Vielleicht den Wisch zum Teufel jagen und einfach so, unbedarft, schnuppern und so...? Aber, sind wir ehrlich: geht das überhaupt? Ein unüberschaubares Maß an Gigs, Parties am Abend, tagsüber allenthalben Pressekonferenzen, Workshops, Tagungen, Diskussionen oder alles, was sich ähnlich nennen könnte, baut sich unaufhaltsam wie ein großes Weltraummonster vor einem auf - trotz Traumanzug! Oftmals verpasse ich die Anmeldung, ohne die man fast nirgends mehr eingelassen wird, manchmal stehe ich dann auch noch vor der Tür, hinter der dann ganz was anderes stattfindet, weil die Termine verlegt wurden - Frust! Zeigt aber auch, daß es hier immer noch tief im Wahnsinn verdammt menschlich zugeht: Fehler werden gemacht!

Schlendere weiter. Überall droht Musik. Flohmarkt für Milliarden. Flohzirkus für Größenwahnsinnige! Bin ziemlich überwältigt, wie recht doch der römischer Kaiser Titus Flavius Vespasianus einst hatte: Es stinkt nicht! Gemeint hatte er Geld, ergo seine Latrinensteuer-Einnahmen. Aus Scheiße gewonnen... Kotausgang! Neben mir auffallende Moschustusse. Geruch erschlägt mich fast durch die SSZ. Atemmaskenbildnerin! Drücke Sprechtaste. Weise sie höflich, aber bestimmt darauf hin, daß der Geruch, der ihr mehr als nur anhaftet, ein wenig aufdringlich, will meinen: zu maskulin für sie ist. Schiebt mir ihre Handynummer rüber. Will direkt prüfen, ob ich überhaupt Kleingeld oder eine Telefonkarte habe. Sie grinst etwas fickrig, winkt mit der Doppelscherz-Flasche eines Schwitzbruders. Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll, also nehme ich mir mein Taschenmesser und schneide mir ein großes Loch in den Traumanzug. Durchatmen. Die Mieze verschwindet. Lara Croft? Was für eine VDA-GraFick-Karte...

Schwebe wie hypnotisiert auf den Stand zu, an dem die Messekataloge ausgegeben werden. Auch hier Menschen, die dazu angehalten wurden, freundlich zu der Prominenz zu sein. Erhalte ulkige Tasche mit viel Altpapier (Spex, musikexpress, Gaffa, Musik-Woche, Loop, Kultur-Spiegel, Feedback - letztere übrigens die sehr aufdringliche Variante, denn selbst auf der Messe nervten sie allenthalben mit ihren Handverteilern und verschenkten Hefte, die man schon dreimal aus Mitleid mitgenommen hatte). Der Messekatalog liegt auch im Popkomm.Bag. Ein kurzes Blättern ergibt, wie wichtig ich nun bin, denn ich bin zweimal mit Namen eingetragen. Mein neonpinker Traumanzug strahlt, wirkt etwas obskur, ähnlich einer rosaroten Sonnenfinsternisbrille, durch die das Geld gleich viel schicker aussieht...

Entdecke endlich, nachdem ich den halben Tascheninhalt ins Recycling geworfen habe, daß eine Parfümprobe beiliegt von der virtuelle Tyra, "der erste realtime Star aus der Welt des Computers, der seine eigene CD veröffentlicht." Auf ihrer Homepage kann man sich das Fräuleinwunder ansehen, dazu etwas am Parfüm schnuppern. Schnupperabo also! Werfe Packungsbeilage weg. (Das Parfüm selbst schütte ich Tage später in meinen Mülleimer daheim, der riecht nun besser.) Lese irgendwann im Internet aus dem Inhalt meines Postfachs, und zwar den neuen Computer-Newsletter vom Stern, den ich abonniert habe: "Virtuelles Model erstmals in deutscher Talk-Show". Und weiter: "Hürth (dpa) - Zum ersten Mal tritt am 17. September ein virtuelles Computerwesen in einer deutschen Fernseh-Talk-Show auf. [...] Das virtuelle Model Tyra werde [bei[ Jörg Pilawa zum Thema Die Frauen des nächsten Jahrtausends Stellung nehmen. Während der Aufzeichnung am 23. August soll das Computer-Model auch das Lied Dreamworld singen, das Tyra bei der Berliner Love Parade im Juli vorgestellt hatte. Tyra ist vergleichbar mit der virtuellen Kyoko Date aus Japan oder Lara Croft, die auch schon in einem Musikvideo auftrat. Nach Angaben von Vierte Art kann Tyra allerdings "live" agieren. "Der virtuelle Charakter wird auf einen Bildschirm übertragen. Hinter den Kulissen sorgt ein Mensch - wie ein Puppenspieler - für die Bewegungen, ein anderer für die Sprache. Tyras Aktionen werden durch einen Anzug - ausgestattet mit zahlreichen Sensoren - eins zu eins auf das Model auf dem Bildschirm übertragen."

Ich zitiere das hier, um zu dokumentieren, wo ich mich gerade aufhalte! Nämlich in einer intergalaktisch ausufernden Augsburger (Gummi-)Puppenkiste, wo alles funktioniert, wo alle Fäden der Marionetten halten, bis alle das tun, was ihnen schlecht zu Gesicht steht. "Es geht um ´sehen und gesehen werden´. Und deswegen gehen wir auch alle in diesem Jahr hin - denn wer weg bleibt ist ´out´," umschreibt es Ines Philipp in ihrer Einleitung des Popkomm.-Guides von Loop, möglicherweise voller Selbstironie, die sie freilich selbst nicht ernst nimmt in ihrem Bild-In/Out-Plagiat!

Suche nach Orientierung und finde... den CvD. Endlich! Die Erleichterung hält nicht lange an, er führt: Fachgespräche. Wach- und Fachgeschichten! Der Smalltalk explodiert, die Sendung mit der..., räusper, mit dem Supergau! Brot & Beispiele sind gefragt! Willkommen im Club!

((Zwischentöne, Rußnotenhaft: Irgendwann gelingt es den Vasallen dieses Zines hier, den sich seit Jahren mit einem eigenen Stand von den Fanzines abspalten wollenden Herren vom Trust mit List und Tücke eins auszuwischen. Es kommt zur feindlichen Übernahme des Standes, das Wort: In-Stand-besetzt! gewinnt eine neue Bedeutung! Es finden sich nur noch Ox-Tintenpinkler wieder, wer ankommt und Trust´ler sprechen will, wird per Hohngelächter vertrieben, der Kühlschrank hingegen geplündert, bis die 5 Kisten Bier weggesoffen sind. Irgendwer von Cargo kommt als Bittsteller, ich tausche mit ihm gegen Wasser vom Cargo-Stand, ansonsten gibt es da nur noch Kaffee. Derjenige, der das da hingestellt hat, scheint seine Mitarbeiter wie aus dem Effeff zu kennen... Hin und wieder schaut jemand vom Trust schüchtern vorbei, man gibt sich gelassen, tief unter der Oberfläche aber brodelt es. Als der Stand völlig verwüstet ist, der Kühlschrank leer gesoffen, Cargo sich kein Bier mehr holt und die von irgendwem geschnorrten Karamelbonbons in meinen Magen gelandet sind, erklären wir die feindliche Übernahme für beendet. Die Friedenspfeife lehnen alle Trustler ab. Abends fordern sie Revanche und sagen dem CvD, er müsse neues Bier kaufen. Hiller zeigt sich gewohnt geizig...))

Messerundgang: An den Ständen, wo die hehre Kultur herumlungert (Hörbücher, Kultur-Spiegel) geht kaum was ab, vergleichbar mit der Raumstation Mir also. Ansonsten hat man es mit einem wilden Sternsaufen von Satelliten ergo einem Bienenschwarm von Willi Wichtigs, Bienchen Na-jas, Primadonnern und einen Haufen Arbeitsbienen zu tun, die der Königin Popkomm. zuarbeiten. Alle nehmen ihren Job so wichtig und sind darin gefangen, daß die Zeit knapp wird und der Mut zu fehlen scheint, mal sich oder auch alles andere zu hinterfragen. Ein in sich geschlossener Kosmos; manche erkennen dies gar, ist aber nicht hinderlich, ähnlich wie am Fließband sagt niemand stopp...

Im überdrehten Bienenstock erscheint also hehre Kultur als fehlplaziert? Lediglich der mächtige Stand von WDR 3 und den wortlastigen Kumpelsendern der ARD-Radioanstalten lockt: hier kann man im Internet surfen und dabei auch gemütlich sitzen. An beiden Tagen ist das hier mein Zufluchtsort, ich erledige so viel Arbeit wie nur möglich und ernte irgendwann strenge Blicke der Ansprechpartnerin. Trolle mich dann fix zu den Trollen. Nicht, ohne vorher Sex- und Naziseiten zu schließen. Ich entdecke zudem, daß einige Menschen hier sind, die ihre Postfächer im Netz abrufen, sich danach freilich nicht ausloggen. So kann ich ihre Mails lesen und tue es auch. Nur die Frage nach ihrem Reifegrad gibt mir zu denken, immerhin sind sie wichtig, oftmals Medienvertreter, die an der Meinungsbildung unmittelbar teilhaben!

Drehe weiter meine Runden. Hie und da wummert es bombastisch. Sicherheitsprolls mit Lärmpegelmesser und -gabeln tragen T-Shirts mit dem Aufdruck: Soundpolice - dumm kommen sie sich nicht dabei vor! Ab und an laufen Stars auf, dann bleibt die Meute stehen, erhascht Blicke, will Kontakte oder auch nur gaffen. Der Alkoholkonsum dabei ist manchmal so hoch, daß ich mich frage, wie man hier noch geschäftlich arbeiten kann. Köln hat ein neues Karneval - seid ihr gut drauf, will ich rufen... Der Traumanzug verbietet es mir., bloß nicht unnötig auffallen. Die Multis haben sich die abenteuerlichsten Tricks ausgedacht, Aufsehen zu erregen. Halb bekleidete Frauen mit gewaltig anomal wirkenden Aktien auf der Sonnenbank schweben durch die mit Menschen gemästeten Gänge. Blickfanggleich. Manche von ihnen haben mächtig Zellulitis, da will ich gar nicht wissen, welche Qualität die Produkte der Auftraggeber haben. Man merkt den Girls an, daß sie sich wohl fühlen, wie sie sich produzieren, und doch nur den Arsch in den Wind eines Dritten halten. Ich bekenne mich schuldig: mir sind manche Leute suspekt, die sich für schön halten! Frauen, die Zellulitis haben, aber in Hot-pants rumrennen sowie Männer in Boxershirts mit Hängetitten sind mir ein Graus. Hier haben wir die volle Palette.

Lediglich WOM hat eine nette Mieze aufgefahren, mit einem Dragster, so scheint es. Der Stand hat an allen vier Ecken Edelmetallsäulen, gefüllt mit WOM-Mags, in der Mitte steht wie auf einer Automobilausstellung ein Flitzer, ein Mädel in bauchfreiem Top und knappen Shorts, halbwegs natürlich geröstet und gut geformt, beHerrscht die Absperrung, telefoniert mit dem Handy. So macht man heute also Geschäfte! Anders als bei den Zellulitismonstern scheint man im Pressezentrum bei den TV-Medien per Flüsterpropaganda hierauf zu verweisen. Fast immer, wenn ich vorbeikomme, steht ein Kamerateam da und filmt die Mieze, ganz dreiste lassen sie sich nach vorne beugen, schieben das Top etwas höher, zerren die Shorts etwas herunter bis zum Ansatz der Kimme: sie hat da ein Tattoo, angeblich will man nur das ablichten. Sie macht das so routiniert mit, daß Mann sich denken könnte, es passiert auch anderswo in Rotlicht, vielleicht auf Film gebannt mit mehr körperlichem Einsatz. Ich zweifle nun völlig am Betrieb.

Ein Stand hat eine Bühne, da spielen Newcomer, wahlweise auch solche, die sich zum Affen machen (müssen), denn sie wollen entdeckt werden. Es gibt noch die Popkomm.-Bühne, gediegenes Ambiente, steril, auch hier dürfen sich Bands oder Interpreten blamieren. Einigen gelingt das routiniert, anderen bereitet es etwas Mühe. Nichts zu verlieren hier, es lauert das lockere Scheckbuch, gilt nur, den Kugelschreiber aufzugeilen. Ich denke, keine der Kapellen wird das Unterschriftchen erhaschen. Der Betrieb feiert sich hier selbst, Zwangsverpflichtung der Künstler. Plattenmultis sind Arbeitgeber. Obwohl alles unter Kultur firmiert, man vom Kulturbetrieb nicht hören mag, ist es wie am Fließband: der Chef stellt ein, der Meister befehligt zum Arbeitsplatz, die Meute lungert herum, üble Nachrede, wie auch immer...

Der CvD kommt mit dem Herren von Streit angedackelt. Werde angeherrscht, ich sei hier zum arbeiten und nicht um den Orangenhautmonster sowie Mädels ohne derlei auf Po und Keule zu schielen. Wir seien eingetragen für eine Pressekonferenz von Copykillsmusic. Ich wende ein, ich wolle zur Journalistensause von Perry Rhodan, vergeblich. Loslos! Traumanzug abgeben, die erbarmungslose Realität soll uns schocken. Willkommen in der Alptraumfabrik!

Immer, wenn eine technische Neuerung per Kaisermilchschnitt auf die Welt kam (Tonkassette, Video, Computer, Internet) gab es von der Klientel, die darunter zu leiden hatte, eine kleine Bußprozession. Heute auch! Unter dem Deckmantel Popkomm. und den zahlreichen Medienvertretern und Multiplikatoren kriecht die Anti-Brenner-Kampagne des Bundesverbandes Phono zu Kreuze. Copykillsmusic will aufklären, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Ein weinerlicher Plattenmulti, der unwillkürlich an Jürgen seelische Hiebe erinnert, klärt auf. Der CD-Brenner, das Internet nebst MP3 seien ganz gehörig böse Buben, sie verführten die Kids zur Teilnahme am Spiel des Strebens. Raubkopiermafia und Schulhofpiraterie, kategorisiert Herr Zombik, Bundesverband Phono, weinerlich die Heranwachsenden per Mikrophon.

Statt einer Pressemappe gibt es Aufkleber und T-Shirts., wohl gedacht für Kids; sehen deshalb später reichlich albern aus bei Mittvierziger mit ordentlich Plauze. Dazu eine kopierte Schmähschrift, ein Blatt stark, und weil es so schön ist, Zitate: "In diesem Jahr wird in Deutschland auf über 60 Millionen bespielbaren CDs Musik kopiert. Über 10 Millionen davon werden schwarz- gebrannt [sic!] und illegal verkauft. Damit verliert die Musikbranche 1999 ein Umsatzvolumen von DM 220 Mio. DM [sic!]. Das entspricht dem Umsatz einer großen Record-Company. [...] Die Prognose ist dramatisch: Bis Ende 1998 waren erst 700.000 CD-Brenner für den privaten Gebrauch im deutschen Markt verkauft worden. In zwei Jahren werden es schon 3,4 Millionen sein. Damit ist ein Horror-Szenario schon im Jahr 2001 Realität: Es drohen Verluste in Milliardenhöhe für die Künstler, die Produzenten und die [...] Unternehmen der Musikbranche. [...] Wird der Trend [...] nicht gestoppt, sind kurzfristig 30.000 Jobs in Gefahr." Zählt es also wieder, das Schicksal des Einzelnen? Arbeitgeberpoker! Die Damen und Herren, denen es ersichtlich gut geht, zücken einen weiteren Stumpf: "Jede dritte Mark, die mit den Hits der Megastars erwirtschaftet wird, fließt heute in die Förderung junger Künstler. Für Newcomer entsteht ein existentielles Problem, wenn das Geld ausbleibt. 10.000 Kopien vernichten eine Nachwuchsband." Dank der Musikcaritas kommen wir uns nun vor wie aufgeklärte, mündige Würger! Üblicherweise jede Firma bildet Nachwuchs aus oder betreibt Forschung - nur die MusikinDurstrie mag die Extrawurst aus dem Naturdarm schellen?

Das Podium bevölkern scheinbar von den Firmen verpflichtete Künstler, Manager und Presseonkelz, die sich (angeblich) für diese Initiative engagieren. SS-Etlur dürfte den rhetorischen Orden EK 1 mit moralreichem Laub verdient haben: jede Rhetorikschule würde sie als Putzfrau anstellen - Streetcredibility aus der Luxuskarosse! Zweimal beklatscht sie die Meute der ca. 500 Zuhörer. Es sagt alles darüber, wie weise die Anwesenden sind. So also Macht man Kampagne! Ich ahne, morgen sind die Blätter reflektionsfrei voll vom gefühlvollen Spektakel: Wir sind zwar schweinereich, aber wir geben nix ab, und ihr könnt Bückling machen, dann schenken wir euch Anzeigengelder und Promomaterial!

Wird mal nicht gejammert, geht es zur Sache: "Schulhofkriminalität" und "Raubkopiermafia" sind Losungsworte. Alles erinnert am versteckten Zeigefinger, den man nicht heben will, wider die Kids, die kein moralisches Verständnis haben, wild kopieren und dealen, denn so kommt man bei denen nicht an. Statt dessen betet man die Werte des Abendlandes herbei, malt Gespensterkrimis im polemisch wehenden Wortgewand an die romantische Diawand. Fühle mich betroffen wie einst, als die, die Hasch spritzten, dargestellt wurden als solche, die später Heroin rauchen und dabei zugrunde gehen: Keinen interessiert, daß sie das tun, man sieht nur die Folgekosten für die Gesellschaft. Der CvD empört sich mehrmals, im Punk oder Underground fördere sich der Nachwuchs selbst. Ich lenke irgendwann ein: bis ihn die Multis aufsaugen. Außerdem arbeiten Horden von Menschen (Gigveranstalter, Bands, Ziner, bis hin zu Praktikanten bei Redaktionen, Labels, Vertriebe, Promoagenturen usw.) für umsonst, weswegen es gar nicht so weit entfernt wäre vom Kegelclub oder der FreiWilligen Feuerwehr, nur nenne man es da ehrenamtlich, im Punk/HC simpel: der Sache wegen. Zudem erinnere ich daran, daß es auch genug Labels gibt, die arg abzocken... Hiller will Dramen wissen, ich schweige lieber! Bloß nicht anecken! Erkläre ihm statt dessen, ich zeige dem Gerichtsvollzieher und Damenbesuchen lieber das Album mit den leeren Versprechungen der Szene, die ich reichlich seit ´82 gesammelt habe. Der CvD grinst. Aber ich kann so immerhin den Gerichtsvollzieher vertreiben und der Damenbesuch wird sentimental, bekommt Mitleid. Endlich einmal Liebe! Ein neues Album habe ich erst kürzlich begonnen, rasant wächst es. Geht um moralisierende Szenetypen, die auf gegenseitige Hilfe, Toleranz und Solidarität pochen - ich liste penibel auf, wie sie später vielen vor den Kopf stoßen, ihre Schulden nicht begleichen oder welche Art von moralischer Sexismusmeßlatte sie anlegten, wenn es um Authentizität ging, aber wie sie heute bei den wirklich harten Sachen kuschen... Die Revolution streßt ihre Kinder!

Schon vor der Popkomm. hatten die Phono Press News, hrsg. von Zombiks Vasallen, festgestellt: "...anhaltende Marktmüdigkeit und Marktverunsicherung, verursacht vom technologischen Umbruch in der Unterhaltungs-Medienlandschaft, wurden durch das umsichgreifende CD-Brennen und die Internet-Piraterie entschieden verschärft." Fein geknurrt, Siamkatze!

Zwei Dinge sind in dem gebetsmühlenArtigen Pressemeeting von enormer Realsatire:

1.) kündigt man an, daß die Stars die Schulhöfe betreten, um den Kids deren schändliches Handeln zu erklären, "natürlich nur in Medienbegleitung."

2.) klagt wer, Philips und BASF würden ja als Hersteller der CD-Rohlinge vom "geistigen Diebstahl" profitieren, diese Firmen seien große Umweltverschmutzer, man solle bedenken, wem man da sein Geld gibt... Daß sich nur der Geldfluß einer Asozialen Marktwirtschaft verlagert, von jeder verkauften CD sowieso Prozente an einen u.a. auch Waffen produzierenden Konzern gehen (siehe u.a. Umweltdesaster im Golfkrieg oder Ex-Jugoslawien) kehrt man unter das Deckmäntelchen der Seriosität.

Was da auf dem Podium abläuft, ist ekelerregend, man spielt die Klaviatur der Emotionen mit dem Schlagzeug der Polemik, dazwischen die weinerliche Stimme des Moderators, der in seinem bisherigen Leben sicher so gelitten hat, daß er sich selbst zum Fürsprecher der bedrohten Spezies Newcomer privileGiert. Noch unappetitlicher ist, wie die Meute diesen Heulkrampf bejubelt. Hiller hingegen mosert dauernd rum, ich mühe mich, ihm Sprechverbot zu erteilen, wir fallen schon auf, aber er motzt weiter. Egal!

Am Stand der Initiative (auch genannt: Das Ende vom Lied) verteilen sie Postkarten, u.a. mit dem Slogan: "Brenner machen Krebs", zitiert nach Petra Husemann. Meinen Traumanzug habe ich längst in den Müll geworfen, so will ich den Verantwortlichen sprechen. Der ist nicht da, er heißt Herr Moser. Gehe zweimal vorbei und will wissen, ob derlei Motto wissenschaftlich belegbar ist, nie ist er da. Als mir die Verteilerin dessen Handynummer notiert, erinnere ich mich an Presseberichte: Handy, Elektrosmog, Gehirntumor, Krebs... Entschließe mich, meine Gesundheit zu schonen. OffenBare Polemik braucht keine Nachfrage! Derlei ist lustig, alles Realsatire. Sind alle ´reingefallen, sicherlich.

((Später, daheim: Nachforschung per eMail, komme aber bei info@copykillsmusic.de nicht durch. Vermute, man hat gmx ausgesperrt, so daß alle Mails von gmx abgelehnt werden. Mein Fax kommt durch, Herr Moser will mich telefonisch sprechen - mit viel Mut greife ich zum Hörer, längst nicht mehr Herr meiner Paranoia, wegen Gehirntumor... Ich hatte darum gebeten, man möge mir die Quelle des Zitates sowie Veröffentlichungen der Autorin mitteilen, zwecks Recherche, naiv wie ich als pflichtbewußter Literaturredakteur bin. Die "Autorin" ist aber nur die Geschäftsführerin von Motor Music; sie machte ihre Aussage bei der ersten Vorstellung der Kampagne. Natürlich sei das eher überspitzt gemeint,, erklärt der Anrufer. Es sei also verziehen! Wer Menschen wie RAMMSTEIN eine Heimat gibt, die sich zwischen Speer-Architektur und Leni RiefenStahl ästhetisch inszenieren, der darf auch mal provokativ-polemisch losfegen. 33 gute Gründe dafür, 45 aber halte ich dagegen! Siegerlächeln!))

Nachdem ich dies alles dokumentierte, kann ich es mir nicht verkneifen, aus dem Grußwort der Verantwortlichen Uli Großmaas & Ralf Plaschke zu zitieren: "Andererseits scheint es in Mode gekommen zu sein, Krisenszenarios und schlechte Stimmung zu verbreiten. [...] Wir betrachten es als einen Teil unserer ´99er-Mission´ diesen larmoyanten Trend zu stoppen und das Kommende (ob mit oder ohne Netz) positiv zu besetzen. Wenn es [...] gelingt, die Energie und den Schwung zu präsentieren, die nach wie vor in vielschichtiger Form von der Popmusik ausgehen, [wäre] ein Klassenziel erreicht." Abseitsfalle? Je weiter ich im Katalog lesen, umso mehr Gefühlsduselei gibt es! Gerd Gebhardt, Warner Music Germany, mosert: "Wir wollen keine Subventionen aber Akzeptanz, denn eine Branche, die jährlich 100 Millionen DM aufbringt um neue Talente zu fördern, hat Respekt verdient." Wolf-D. Gramatke stellt fest: "Tatsache ist, daß bereits heute auf rund 500.000 illegalen [sic!] Internet Seiten Musik kostenlos zum ´Herunterladen´ steht." Und der Vorstandsvorsitzende der GEMA fordert gar ein "Bündnis für Musik [...] gegen Piraterie und Ausbeutung der Urheber durch die neuen digitalen Netze" - fast so, als arbeite die GEMA ehrenamtlich für die schönen Künste. Da freuen wir uns aber, wie einsichtig der Apparat ist und wie artig er alsbald an uns Kreative auszahlt.

Samstag, Ausgabe der Popkomm.Täglich, Haus- und Hofpostille, abhängig, parteiisch... Man fragt auf Seite 1: "Gut geschlafen?", will lustig sein, entblödet sich aber nicht, macht auf mit der Nummer 1 des Vortages, attestiert sich, wie man gemeinsam verpennt hat: "Copy Kills Music". Ein organisiertes Es geht los! wie auf einem CDU-Parteitag: "Alle packen mit an: Mit einer bislang beispiellosen Geschlossenheit will die Musikindustrie ab sofort gegen die Bedrohung durch illegales CD-Klonen vorgehen. Gestern fiel auf der Popkomm. der Startschuß [...], eine konzertierte Aktion des Bundesverbands Phono, der GEMA, des VUT sowie von VIVA und MTV." Man merkt, man hat es hier mit denen zu tun, die der Helmut Kohl-Aussage neuen Zimt einhauchen: Den Gürtel enger schnallen! Unerwähnt bleibt, daß man selber lieber noch etwas BüFett ansetzen will... "Als prominente Unterstützer holten sich die Macher Sabrina Setlur, Thomas Hofmann (3p), SMUDO und Sebastian Krumbiegel ins Boot." Erstaunlich, wieviele Sony-Angestellte im Dampfschiff Platz finden... "Hertha Däubler-Gmelin [...] zeigte Verständnis für die Interessen der Musikindustrie und bot Unterstützung durch die Bundesregierung an." Die Frage stellt sich, ob Frau Bückling für ihren Posten geeignet ist, so sie den Bückling vor allen Bittstellern tut! Zur Erinnerung, vor wem sie da kniet: Es sind Herren, die einst die relativ teuere (Produktion) aber eben auch günstige (für den Kunden) Vinylschallplatte völlig vom Markt drängen wollten, die darüber fachsimpelten, die super billige (Produktion) aber qualitativ hochwertige CD am liebsten für 50,- DM im Laden zu etablieren - das müfft eher nach Betrug, als im Sinne einer Sozialen Marktwirtschaft. Da muß man sich nicht wundern, wenn das gemeine Volk es an (Un)Rechtsbewußtsein vermissen läßt... Das Popkomm.Kongressteam stellt in seinem Katalogartikel "Supersonic Internet" fest: "Doch eine Branche, deren Faszination nicht unwesentlich von Freiheit und Abenteuer geprägt ist, steht Erstarrung durch Zukunftsangst nun mal doppelt schlecht zu Gesicht. [...] Es macht keinen Sinn, ein Schönwettergesicht aufzusetzen, wenn es draußen regnet und stürmt. Dennoch kann ein verstärktes Maß an Selbstbehauptungswillen zuweilen recht nützlich sein." Der weinerliche Ton bei der Pressekonferenz läßt vermuten, niemand von den Herren hat diesen Hinweis zur Kenntnis genommen!

Als ich schließlich die geheiligten Hallen verlasse, kommt mir Heike Makatsch oder eines ihrer Doubles entgegen gewackelt, natürlich auf modisch-unmodischen Plateuschlappen. Sie trägt das übliche, was Mann so an ihr gewohnt ist, aber keinen BH. Ihre Nippel sind hart und zeichnen sich deutlich unter dem Sommerkleid ab. Sie macht einen dummen, genervten Schmollmund, als sie meinen Blick bemerkt. Würde ich auch gern machen, aber mir ist alles vergangen, was nach einer emotionalen Gesichtsgestick ausschauen könnte.

Heimreise!

Nachtrag: Nein, ich werde zu keinem Clubkonzert, zu keiner Party, nichts zum Ringfest und nichts zu Bizarre schreiben. Nein, nein, nein... ich werde nicht sagen, welche Band mich unendlich enttäuscht hat, welcher Club trotzdem Eintritt nehmen wollte, ich werde nur sagen, daß Köln mit Ringfest und Auto die Hölle ist, aber man kann sie überstehen!