TERRA TENEBROSA

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Hinter der Maske

Das lateinische Wort „personare“ lässt sich mit „hindurchtönen“ übersetzen. Mit dem daraus abgeleiteten Substantiv „Persona“ wurden im antiken Griechenland Theatermasken bezeichnet. C. G. Jung definierte die Persona in seiner Theorie der Tiefenpsychologie als denjenigen Teil des Ichs, der zu Ungunsten der Individualität für ein sozialverträgliches Verhalten sorgt. TERRA TENEBROSA tönen nicht nur gewaltig, in ihre Musik fließen neben mythologischen Gedanken auch die Theorien Jungs mit ein, wie uns The Cuckoo, Kopf der Band, im Folgenden erklärt. Im Sommer 2013 erschien mit „The Purging“ auf Trust No One das zweite Album der Schweden, die ihre Härte mittlerweile aus tiefschwarzer Ambience ziehen statt aus breiten Riffs.

Warum verbirgt deine Band konsequent ihre Individualität hinter Masken?


Ursprünglich wollten wir nicht live auftreten und die Fotografien visuell mit der Stimmung der Musik korrelieren lassen. Das Visuelle stellt bei uns die Verlängerung der Musik dar. In Alltagsklamotten vor der Kamera zu stehen, hätte der Musik einiges an Glamour genommen. In Hinsicht auf die experimentelle Natur des Projekts betrachte ich TERRA TENEBROSA eher als Kunstprojekt denn als Band, weshalb wir nicht als solche aufzutreten brauchen. Durch das Tragen von Masken werden auch die Klarnamen hinfällig. Es geht nicht darum, mystisch rüberzukommen. Die Individuen hinter dem Projekt sind einfach nicht von Interesse.

Arbeitet ihr als Band mit fest verteilten Rollen?

Die einzige Konstante ist, dass ich die Vocals übernehme. Wir tauschen ständig die Instrumente und wenn jemand eine Idee hat, nimmt er sie auf. Ich schreibe den Hauptteil und manchmal ganze Songs allein. Ich glaube nicht an Demokratie, wenn es um Musikmachen geht. Ich habe die Vision, und die Ideen der anderen werden durch mich gefiltert.

Was symbolisieren eure Masken?

Die Maske des Cuckoo hat für mich eine persönliche Bedeutung. Es ist das Abbild von etwas, das mir in meiner Kindheit große Angst eingeflößt hat, was ich in meinen Träumen gesehen habe und nun als Wegweiser oder im Sinne C. G. Jungs als Archetypus des kollektiven Unbewussten betrachte. Die erste Maske habe ich noch selbst aus Pappmaché hergestellt. Als wir uns dazu entschieden, live aufzutreten, brauchten wir eine, mit der ich tatsächlich singen konnte. Ein Freund, der in Theater- und Filmproduktionen arbeitet, hat mir eine aus Latex hergestellt. Die Kapuzen, die die anderen auf dem Cover von „The Purging“ tragen, habe ich selbst genäht. Sie sollten uns wie Erdgeister aussehen lassen, in diesem Falle einer dunklen Erde. Dunkel wie die obskuren Pfade unserer Psyche.

Warum habt ihr euch überhaupt dazu entschieden, doch live aufzutreten? So konfrontiert ihr das Publikum doch mit den Menschen hinter der Musik.

Es sind ja nicht wir, sondern die Charaktere, die für unsere Musik stehen, die da auftreten. Live zu spielen macht Spaß und erlaubt uns, diese Charaktere zum Leben zu erwecken. Aber wir sind noch weit von dem entfernt, was ich mit der Band vorhabe. Ich musste widerwillig einsehen, dass TERRA TENEBROSA auf Platte und live aufgrund der von uns verwendeten Effekte zwei verschiedene Dinge sind. Wir könnten Backing-Tracks einsetzen, aber dann könnten wir auch gleich mit Playback spielen. Die sich überlappenden Vocals sind schwer zu reproduzieren, aber ich glaube, wir können die essentiellen Teile in der Performance einsetzen.

Ist es nicht furchtbar heiß unter den Dingern?

Es ist schon heiß unter der Maske, aber nicht wirklich schlimm. Das Schlimmste ist der Geruch. Latex riecht scheußlich und da ich unter der Maske den Mund nicht schließen kann, rinnt mir der Speichel das Kinn herunter. Dazu kommt der Schweiß. Aber wenn ich die Maske aufsetze, werde ich von dem Charakter gänzlich eingenommen.

Ähnliches passiert mit deiner Stimme, sie wird stark verfremdet und klingt zeitweise kaum noch menschlich. Was paradox wirkt, da eure Texte zwar sehr allgemein gehalten sind, andererseits aber sehr menschliche Themen anzuschneiden scheinen.

Ich wollte, dass es wie der Gesang eines Besessenen klingt oder wie etwas Nichtmenschliches, das versucht, menschlich zu klingen – hässlich und unheimlich. The Cuckoo stellt eine Mischung aus all den Dingen dar, die sich in den dunklen und unterdrückten Teilen der Seele verstecken. Was die Texte angeht, so weiß ich das nicht. Oft dreht es sich um Dinge, von denen ich gelesen habe, und die diese Welt und die Seele reflektieren. Worüber ich viel nachdenke, sind diejenigen Bereiche der Seele, die vernachlässigt werden, und wie die dort verborgenen Schätze wieder eingegliedert werden können. Also die Anstrengungen, die du unternimmst, um dich selbst zu verwirklichen.

Die einander überlappenden Vocals erzeugen eine unheimliche Atmosphäre. Fast klingt es, als wolltest du eine dissoziative Persönlichkeitsstörung vertonen.

Die durcheinander plappernden Stimmen sollen das Gefühl von Verlorenheit in den Tunneln der Tiefe deiner Seele erzeugen. Wenn wir alle den Deckel heben und tief in uns hineinschauen würden, hätten wir alle eine dissoziative Persönlichkeit, denke ich. Wir haben Sicherheitssperren, die uns davor bewahren, ins Chaos abzurutschen. In uns existieren Welten, gleichermaßen dunkel wie schön. Ich wollte außerdem ein Gefühl von Horror und Drama transportieren, weil uns diese Dunkelheit zuerst Angst einflößen kann, aber wirf ein Licht darauf und du wirst Wunder jenseits des Vorstellbaren ebenso finden wie negative Elemente, die es zu sublimieren oder zu bekämpfen gilt, um uns selbst zu verwirklichen.

Einige Songs eures neuen Albums sind bereits 2011 zu Zeiten eures Debüts „The Tunnels“ aufgenommen worden. Trotzdem wirken die beiden Platten sehr homogen. Nach welchen Kriterien habt ihr entschieden, welcher Song auf welchem Album landet?

„Black pearl in a crystalline shell“ und „The nucleus turbine“ waren bereits aufgenommen, aber ich wollte den Hörer mit „The Tunnels“ in einen Zustand der Trance versetzen. Da das meiste Material aus Variationen ein und desselben Themas bestand und „Black pearl ...“ nicht, entschied ich, dass es den Ton für das folgende Album angeben sollte. Es sollte gewalttätiger und vielleicht in kompositorischer Hinsicht etwas traditioneller werden. „The nucleus turbine“ hätte auf „The Tunnels“ funktioniert, aber das brauchte nicht noch mehr Songs. Es ist sehr monoton und umfasst 45 Minuten, ein weiterer Song hätte die Reise nur unerträglich gemacht.

Anders als bei „The Tunnels“ sind auf „The Purging“ die Metal-Elemente spärlicher gesät, ihr scheint es mit dem Album viel eher darauf angelegt zu haben, eine möglichst dichte Atmosphäre schaffen.

Ich denke, mit „The Tunnels“ haben wir mehr Atmosphäre geschaffen. Zumindest war das das Ziel. Meiner Ansicht nach weist „The Purging“ im Vergleich aber mehr Metal-Elemente auf. Die Absicht war, sich am traditionellen Schema von Verse und Chorus zu orientieren. Da wir schon am nächsten Album arbeiteten, ging es darum zu entscheiden, welcher Song auf welchem Album landet. Wir hätten leicht zwei Alben aufnehmen können, die ungefähr gleich klingen, aber ich will, dass jeder Release aufregend und unerwartet ist. Es hat auch keinen Sinn, dasselbe Album wieder und wieder zu schreiben.

Neben einer ganzen Bandbreite von musikalischen Strömungen und Stilen bezieht ihr eure Einflüsse offenkundig aus außermusikalischen Quellen wie beispielsweise mythologischen und religiösen Schriften. Welche Ideen beeinflussen das Gesamtkonzept von TERRA TENEBROSA?

Mythologische und religiöse Schriften spielen eine große Rolle in meinem Leben. Das wirkt sich natürlich auf TERRA TENEBROSA aus. Die Worte kommen entweder vom Lesen über die Exkursionen des Geistes oder aus erster Hand. Ich versuche ständig, die Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem zu durchbrechen, sei es durch Meditation, psychoaktive Drogen oder auf anderem Wege. In solchen Momenten kommen mir die meisten Ideen und Gefühle, die ich durch die Texte kommuniziere oder in Musik umsetze. Außerdem bin ich großer Fan von Horrorfilmen und -literatur. Unsere Musik soll klingen, als seist du in einem Albtraum gefangen oder kurz davor, deinen Verstand zu verlieren. Das will ich mit dem Gefühl von Schönheit und der Dramatik kombinieren, die ich oft in klassischer Musik finde.

„The Purging“ erschien einerseits bei Trust No One Recordings auf CD, andererseits veröffentliche Apocaplexy Records auch eine Vinylversion. Welches Medium ist am besten dafür geeignet, eure Musik zu hören?

Ich persönlich bevorzuge Vinyl. Das Artwork kommt besser zur Geltung, aber eine CD musst du nicht umdrehen. Am besten wäre es wohl, unsere Alben ohne Unterbrechung von Anfang bis Ende und am besten über Kopfhörer zu hören.

Du hast eben erwähnt, dass ihr bereits neues Material fertig habt. Was können wir konkret davon erwarten? Und werdet ihr, nach eurer recht kurzen Sommertour, demnächst wieder unterwegs sein?

Wir planen eine Tour für den Winter, wissen aber noch nicht, durch welche Städte und wie lange sie dauern wird. Wir haben aber durch die wenigen Gigs definitiv Blut geleckt, weshalb ich hoffe, dass es eine ausgedehnte Tour wird. Außerdem sind wir bereits dabei, das nächste Album aufzunehmen. Nach dem ersten Material zu urteilen, wird es diesmal deutlich schneller – aber wer weiß, vielleicht entscheide ich mich schon morgen dafür, eine gänzlich andere Richtung einzuschlagen. So ist das eben: Erst in dem Moment, wenn wir uns zusammensetzen und entscheiden, was es auf das Album schaffen wird, wissen wir auch, wie dieses klingen wird. Wir haben noch ein Stück, das eigentlich für „The Purging“ bestimmt war, das wir aber aufgrund seiner Länge von 18 Minuten nicht verwendet haben. Zum Wegwerfen ist es aber zu gut, wir werden es daher vielleicht digital veröffentlichen. Nicht meine bevorzugte Art, Musik zu veröffentlichen, aber andere Optionen wie beispielsweise Split-Releases mag ich ebenso wenig. Auf dem neuen Album wird es jedenfalls nicht landen, denn es war der letzte Track, den wir in unserem alten Studio aufnahmen, bevor wir es abfackelten. Inzwischen haben wir ein neues Studio und ich wollte deshalb komplett von vorne beginnen.