BLANK

Foto

Punkrock mit Rumgeschreie

Es gibt Städte, die sind auf der musikalischen Landkarte präsent, andere überhaupt nicht. Was fällt einem zu Ulm ein? Zu Braunschweig? Zu Magdeburg? Nichts! Solingen hingegen hat(te) einen gewissen Ruf, in den Neunzigern schien sich hier was zu bewegen, und mit LOCKJAW und FORCED TO DECAY sind im Hardcore-Gedächtnis doch mindestens zwei Namen abgespeichert, die mit der Stadt irgendwo bei Köln und Düsseldorf in Verbindung gebracht werden. Mit BLANK ist seit drei Jahren eine weitere Band aktiv, die sich nach und nach Geheimtip-Status erarbeiten konnte und nach der ersten LP Anfang 2012 („Calix“) kürzlich die 12“-EP „Suspiria“ auf This Charming Man Records veröffentlichte. BLANK sind schwer, metallisch, crustig, düster und laut – und damit genau das Gegenteil der Atmosphäre, in der das abendliche Interview am Esszimmertisch im Ox-HQ in Solingen-Ohligs ablief, begleitet von Bier (Daniel), Weißwein (Carsten) und Rotwein (Joachim). Denn: man kennt sich natürlich, wohnt quasi in Rufweite. Schalten wir nun also von Privat- auf Profi-Modus.

Ihr seid beide gebürtige Solinger?

Carsten:
Ohligser! Das ist ein Unterschied. Wir kennen uns schon seit Mitte der Neunziger, haben uns über die Solinger Musikszene kennen gelernt.

Daniel: Wir hatten damals zusammen so ein Coverband-Spaßprojekt namens IDIOBLAST.

Damals gab es hier mal so was wie eine „Szene“, jemand verpasste den Ortsschildern sogar gelbe Zusatzaufkleber mit „Rock City“.

Carsten:
Solingen hatte damals eine recht bekannte Punkrock-und Sixties-Szene, Bands wie JET BUMPERS, EMBRYONICS und so weiter, damals machten die beiden Brüder Jens und Jörg Stuhldreier hier viele Konzerte, unter anderem das legendäre TURBONEGRO-Konzert im Kotten. Unsere Szene war das allerdings nicht.

Daniel: Es ist hier alles recht provinziell, wirklich abgeschottet war hier keine Szene. Ich spielte damals in einer Reggae-Skacore-Band, Carsten machte Knüppel-Hardcore, aber das trennte uns nicht. In einer kleinen Szene trennen einen Stilrichtungen nicht, und eine richtige Hardcore-Szene gab es hier in den Neunzigern auch nicht. Ich fand das aber durchaus angenehm.

Carsten: Und es gab szeneübergreifende Konzerte, die Solinger Bands taten sich zusammen, von Sixties bis Crossover. Dass sich alles in einzelne Szenen aufspaltete, das passierte erst in den Zweitausendern. Damals war die Musikszene auch einfach größer, es gab mehr Konzertorte, etwa das Haus der Jugend in Gräfrath, im Em Kotten, in der Cobra, in Kneipen. Außer Cobra und Waldmeister gibt es heute nichts mehr.

Warum hat die Szene damals besser funktioniert? Das ist ja kein reines Solinger Phänomen und du sprichst da auch aus deiner Erfahrung in der Konzertinitiative Cow Club.

Carsten:
Die Leute aus der Szene waren aktiver darin, selbst etwas zu organisieren, und es waren mehr Menschen, die das taten. Das sehe ich heute nicht mehr, platt gesagt sind die jüngeren Musiker eher so drauf, dass die erwarten, dass jemand was für sie klarmacht. Ich bin dagegen damals in die verschiedensten Läden gegangen und habe einfach gefragt, was ich tun muss, um hier ein Konzert veranstalten zu können. Dieses Engagement ist wichtig, denn nur so bekommt man Konzerte voll. Bands gibt es hier in der Stadt sicher genauso viele wie damals, nur kommen die nicht aus ihren Probekellern raus, weil sie selbst nichts organisieren.

Wie vernetzt wart ihr damals mit FORCED TO DECAY mit den umliegenden Städten wie Köln, Düsseldorf, Leverkusen, Wermelskirchen oder Wuppertal?

Carsten:
Da gab es sehr viele Kontakte, aber es gab auch nicht wirklich viele Konzertlocations: im AJZ Bahndamm in Wermelskirchen war immer was, in Köln gab es damals nichts, das AK47 in Düsseldorf, das KAW in Leverkusen, das AZ Mülheim ... Damals fuhren aber auch noch Leute aus anderen Städten in andere Städte, anders als heute! Solingen ist nur eine halbe Stunde von Köln weg, aber eine Band, die dort vor hundert Leuten spielt, spielt in Solingen vor zehn – und aus Köln kommt keiner. Gleiches gilt für die Düsseldorfer und Leverkusener. Keine Ahnung, woran das liegt.

Carsten, deine damalige Band FORCED TO DECAY war in den Neunzigern bundesweit bekannt. Wie hat sich damals alles so entwickelt?

Carsten:
Nach meinem Abitur kam ich Anfang der Neunziger in die Hardcore-Szene. Wichtig war damals die Diskothek Exit unter der Müngstener Brücke. Dort fand am Sonntagabend zwischen acht und zehn erst die Gruftie-Disko statt, und danach war Hardcore angesagt. Da kamen dann alle Hardcore-Fans der Region zusammen, aus Wuppertal, Solingen, Remscheid, Leverkusen, Langenfeld ...

Daniel: Im Getaway, der anderen Solinger Disko, war mittwochs Hardcore-Tag, da lief das ähnlich. Der Laden, eine Großraumdisko, war da voll!

Carsten: Diese Abende waren wichtig, es gab das Internet noch nicht, da bekam man mit, wo Konzerte sind, und so rutschte ich da rein, fing an auf Konzerten Platten zu kaufen, und irgendwann hatte ich dann selbst eine Band. Ich hab mir die Gitarre ausgesucht. Damals lernte ich über einen Freund Thorsten Wilms kennen, der aus dem Ohligser Nachbarort Leichlingen kommt ...

... und den man heute von THE OTHER und Fiendforce Records kennt.

Carsten:
Thorsten war damals sehr aktiv für die Band, hat unsere Demos fleißig verschickt, und so kamen wir dann mit Markus von Per Koro in Kontakt, der unsere erste Single veröffentlichte, was wiederum dazu führte, dass wir Auftritte außerhalb der Region bekamen. Unseren ersten Auftritt überhaupt hatten wir Ende 1992. Die Band existierte bis 2001, nachdem wir kurz zuvor noch eine Platte aufgenommen hatten. In den siebeneinhalb Jahren haben wir an die 450 Shows gespielt, wir waren echt viel unterwegs, aber wir hatten auch die Zeit dafür – wir waren alle Studenten. Wir hatten einfach richtig Spaß am Live-Spielen. Die Band bestand aus mir und Thorsten Wilms an der Gitarre, meinem Kindergartenfreund Daniel Fuhr als Sänger, Christian Dietrich als Bassist und Hanno Beckert am Schlagzeug, der eher aus der Sixties-Szene kam. Außerdem war noch Götz Wever dabei, der kümmerte sich um Licht und Samples. Zum Ende hin stieg Hanno aus und für den kam mein alter Freund und Nachbar Mark Wassermann. Außer Thorsten und mir sind die heute alle raus, machen keine Musik mehr. Familie, Job ...

Und warum machst du bis heute weiter?

Carsten:
Weil es mir Spaß macht!

Daniel: Und weil er nicht verheiratet ist und keine Kinder hat, hahaha.

Carsten: Ich habe eine ganze Weile versucht, keine Musik zu machen, aber das hat nicht hingehauen. Man ist ja trotzdem weiterhin unterwegs, trifft diesen und jenen auf Konzerten, wird gefragt, was man denn so bandmäßig macht, und irgendwie habe ich ja auch nach FORCED TO DECAY immer mal in einer Band gespielt.

FORCED TO DECAY waren neben S.Y.P.H., EMBRYONICS und JET BUMPERS ...

Carsten:
... und ACCEPT!

... eine der wenigen überregional bekannten Solinger Bands. Wen haben wir vergessen?

Daniel:
RAUSCH haben wir vergessen!

Und ACCEPT ist ein gutes Stichwort. Du hast mit Udo Dirkschneider ja mal eine ganz besondere Begegnung gehabt ...

Carsten:
Udo Dirkschneider wohnte damals in Ohligs, und ein guter Freund war riesiger ACCEPT-Fan. Wir waren 14, 15, ich hatte ein paar Jahre vorher über den Konfirmandenunterricht zu Metal gefunden, und später ging es dann über DIE TOTEN HOSEN und NAPALM DEATH zu Hardcore. Jedenfalls meinte mein Kumpel, wir sollten doch zu Udo gehen und ihn nach einem Autogramm fragen. ACCEPT fand ich aber damals schon Scheiße, das war so Schwanzrock für mich, IRON MAIDEN und so Zeug, das war mir alles nicht hart genug. Jedenfalls standen wir dann also morgens bei Udo vor der Haustür und klingelten, der machte im Bademantel auf, schaute missmutig und rückte dann doch eine Autogrammkarte raus. Die Autogrammkarte habe ich leider nicht mehr ... Immerhin huldige ich ihm heute mit meiner Metal-Coverband METALLION STALLIONS, da spielen wir – natürlich – „Balls to the wall“.

Seit 2010 gibt es nun BLANK, die sich so ganz allmählich in meine Wahrnehmung geschlichen haben: plötzlich habt ihr gefühlt ständig irgendwo gespielt.

Daniel:
Es gibt da eine direkte Linie von FORCED TO DECAY über IDEOBLAST zu BLANK, denn mit IDEOBLAST hatten wir uns irgendwann überlegt, nicht nur zu covern, sondern auch eigene Songs zu schreiben, und dazu gründeten wir ONCE A DEMON, das war eigentlich die gleiche Band.

Und bei denen sang eine Weile lang ein gewisser Christoph Parkinson, der den Ox-Lesern ja ein Begriff sein sollte.

Daniel:
So ist es. BLANK sind im Kern heute noch ONCE A DEMON, also Carsten, Christian und ich. Wir haben aber einfach mal einen Break gemacht und die Band unter anderem Namen neu gestartet. Wir hatten Sänger und Schlagzeuger verloren und wir brauchten was Stabileres.

Carsten: Wir drei haben erstmal Songs geschrieben und uns dann Schlagzeuger und Sänger gesucht, das war Ende 2010. Wir fanden dann Florian als Drummer und Martin als Sänger, und damit stand im April 2011 die Besetzung. Das funktionierte auf Anhieb, denn alle Beteiligten haben einschlägige Banderfahrung, Martin unter anderem von THE CRANE, Florian war bei SHIMETSU. Alle in der Band hatten also schon Kontakte, da war es recht einfach, mit der neuen Band an Konzerte zu kommen. Und uns war auch klar, dass wir möglichst schnell Aufnahmen machen wollen. Zuerst kam das Demo, und im Januar 2012 nahmen wir das Debüt auf, das wir im Frühjahr 2012 selbst veröffentlichten. 300 LPs hatten wir gepresst, die sind ausverkauft, und die wird jetzt in einer Hunderter-Auflage nochmal aufgelegt.

Daniel: Wir wollten mit der Band raus aus Solingen, nicht endlos im Proberaum rumspielen, darüber waren und sind sich alle in der Band einig. Wir sind alle berufstätig und über dreißig, wir haben nur die Wochenenden, wochenlange Touren kommen nicht in Frage, das ist auch allen klar.

Was bedeutet euch das, rauszukommen und zu spielen? Man hat ja durchaus auch anderes zu tun, als die Wochenenden im Auto zu verbringen, vor drei Leuten zu spielen und im Zweifelsfall in Bierlachen zu pennen.

Carsten:
Ich finde das geil!

Daniel: Ich finde das auch super! Allerdings nicht so super, dass ich das wie irgendwelche jungen Bands aus den USA vier Monate lang machen wollte, haha. Aber so eine kleine Tour, zehn Tage oder so, das macht Spaß. Man ist jeden Tag woanders, lernt Leute kennen, und mit etwas Glück kommt man damit null/null raus.

Carsten: Am schönsten finde ich es, neue Leute kennen zu lernen und alte Freunde zu treffen. In Leipzig traf ich mal einen, der mich von FORCED TO DECAY kannte – der hatte noch das Tourplakat von damals! Und immer, wenn sich einer nach dem Konzert die Platte kauft, ist das eine super Bestätigung. Dass wir mit der Band nie Geld verdienen werden oder auch draufzahlen, das ist uns völlig klar. Andere sind eben im Schützenverein.

Stand von vornherein fest, was ihr musikalisch machen wollt?

Carsten:
Ja, so im Groben stand die Richtung fest. Hardcore eben. Wir sind keine Probenband, proben eher selten, stehen nicht darauf zu jammen und auszuprobieren. Wir arbeiten eher so, dass jemand zu Hause was vorbereitet. Was ich mitbringe, ist schon stark davon beeinflusst, was ich gerade so höre. Jeden Song haben wir zehnmal umgeschmissen, da kauen wir oft ein halbes Jahre dran herum.

Daniel: Das ist ein ziemlich anarchischer Prozess, jeder bringt ein, was er will. Wir sind fünf ganz verschiedene Charaktere. Dadurch ist das Songwriting manchmal recht langwierig, aber es birgt auch eine Menge Potenzial.

Carsten: Ich sammle auf meiner Festplatte alle Riffs, die mir mal so einfallen, und die sortiere ich immer wieder mal und schaue, was sich verwenden lässt. Wir sind uns bewusst, dass wir den Hardcore nicht neu erfinden werden – das war bei FORCED TO DECAY noch anders, da hatten wir den Anspruch, was Unvergleichbares erfinden zu müssen. Ich habe neulich die alten Sachen digitalisiert und mir alles nochmal angehört, und da fiel mir ein, dass die Hardcore-Szene das damals zu metallisch fand, und die Metaller hielten es für Hardcore. Das war aber okay, wir wollten uns nicht auf eine Szene festlegen. Heute ist das auch noch so, jeder von uns hat eine andere Definition. Wenn meine Mutter mich fragen würde, was wir für Musik machen, würde ich nur antworten: „Laute.“ Diese ganze Szenepuperei war in den Neunzigern schon scheiße.

Euer Label schreibt im Presseinfo, ihr würdet „blackened crust“ machen. Was ist das denn für eine bescheuerte neue Schublade?

Daniel:
Das habe ich auch gelesen – interessant, hahaha. Crustige Elemente haben wir ja, aber sonst ...? Ich spreche, wenn überhaupt, von „Dunkel-Hardcore“.

Carsten: Um Musik zu verkaufen, muss man der Sache einen Namen geben. Wenn ich so was wie „blackened crust“ lese, kann ich mir zumindest annähernd vorstellen, worum es geht. Ich habe den Begriff auch erstmal googlen müssen und hab mir ein paar Bands angehört, die so was angeblich spielen, und da passen wir schon irgendwie dazu. Auf jeden Fall machen wir nicht Achtziger-Hardcore, wo man sofort weiß, worum es geht, wenn man das liest.

Daniel: Martin hat uns mal als „Ü30 Negative Hardcore“ bezeichnet, hahaha. Ich nenne es „Punkrock mit Rumgeschreie“.

Wie man es auch nennt, es ist sehr düstere, intensive, nicht gerade fröhliche Musik.

Carsten:
Ja, und davon kommen wir auch nicht weg.

Daniel: So „dunkel“, wie sie manche Leute empfinden, finde ich unsere Musik gar nicht. Sie ist düster, wütend, melancholisch und vielschichtig, nicht einfach nur böse.

Wie wichtig sind euch die Texte?

Daniel:
Man müsste Martin nach der Bedeutung der Texte fragen, aber das ist auch irgendwie bescheuert, wenn man die erklären soll. Natürlich steckt da eine Haltung dahinter, aber die kann man sich ja selbst erschließen.

Carsten: Ehrlich gesagt, befasse ich mich mit denen gar nicht ... Martin schreibt die, wir lesen die, und wenn das kein Schrott ist, dann nehmen wir die. Zum Teil sind die auf Deutsch, zum Teil auf Englisch. Gerade in Kombination mit den Samples empfinden das immer wieder Leute als Neunziger-mäßig.

Apropos Samples: Als Opener ist da eine schöne Sequenz zu hören, wo jemand bei Satan anruft. Aus welchem Film ist das denn?

Carsten:
Aus keinem, das ist aus einer Radio-Talkshow aus den USA, das haben wir bei YouTube gefunden: da ruft einer an und glaubt, er sei Satan ...