BLOODTYPES

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Rhesusfaktor New Wave

Erinnert ihr euch noch an das erste Mal, als Debbie Harry „X offender“ in eure Ohrmuscheln hauchte und ihr umgehend eure Unschuld verloren habt, als ihr wie ein Süchtiger den Lippenbewegungen von Exene Cervenka/X gefolgt seid und euch sicher wart, den Hintergrund von „The world’s a mess, it’s in my kiss“ eines schönen Tages selber ergründen zu wollen? Dann solltet ihr jetzt in etwa eine Vorstellung von dem haben, was euch Schneck Tourniquet von den BLOODTYPES aus Portland, Oregon gesanglich zu bieten hat. Wie es dazu kommen konnte, ohne dass du bisher etwas davon mitbekommen hast, und warum wieder einmal Deutschland schuld ist, erläutern dir nun neben bereits genannter Frau Schneck, I.V. Frehley, Jesse B. Negative und Matt O’ Dermic.

Da selbst der stacheligste Nietenkaiser ab und an eine gute Liebesgeschichte als Balsam für seine Seele benötigt, beginnen wir doch einfach mit der euren, welche letztendlich auch den magischen Funken zur Gründung der BLOODTYPES entfachte.

Schneck: Ach ja, meine persönliche Bravo-Foto-Lovestory. Also, als ich noch in Deutschland gewohnt habe, war ich ein ziemlich großer EPOXIES-Fan und bin zu einem Konzert im Sonic Ballrooom in Köln gefahren. Es war großes Kino, wie immer. Während eines WIPERS-Covers, bei dem Jesse kein Keyboard gespielt hat, hat er mit seinem Bier in der Hand wild rumgetanzt und hat es dann prompt zum größten Teil über mich geschüttet. Er hat sich nach dem Konzert dann bei mir entschuldigt und nach meinem Namen gefragt. Ich dachte mir nur: komisch.

Jesse: Ich habe ihren Namen auch direkt vergessen, weil er für ein amerikanisches Hirn einfach zu schwierig ist.

Schneck: Verena ist für Amerikaner wirklich echt schwer, also habe ich nun meinen schon seit Ewigkeiten existierenden Spitznamen Schneck als meinen „Rocknamen“ angenommen. Es klingt zwar etwas albern und heißt wohl auch irgendwas entweder Versautes oder sonst wie Schlechtes auf Französisch, aber so ist es nun mal. Auf jeden Fall bin ich dann auch zum nächsten Konzert in Düsseldorf gefahren, das war auch schon fast das Ende der Tour. Ich habe also vor der Bühne in der Nähe der Keyboards abgerockt und dann hat Jesse diesen unglaublichen Move abgezogen, auf den ich immer noch irgendwie sauer bin. Lange Rede, kurzer Sinn, er hat ein Solo auf der Keytar gespielt und sich dann von der Bühne aus heruntergebeugt und auf seine Wange gezeigt. Ich bin voll drauf reingefallen und habe ihn geküsst, wobei er dann aber im letzten Moment seinen Kopf wandte, so dass ich ihn dann letzten Endes auf den Mund küsste. Ich habe mich wie ein Vollidiot gefühlt, extrem romantisch. Na ja, nach dem Konzert kamen wir ins Gespräch und „the rest is history“, wie man so schön sagt. Fast genau zwei Jahre später bin ich dann nach Portland, Oregon gezogen und wohne da jetzt seit Anfang 2009. Aber die Tatsache, dass Jesse bei den BLOODTYPES eingestiegen ist, war eher ein Zufall. Ich wollte eine Band gründen und wir konnten einfach keinen guten Bassisten finden. Jesse hat dann angeboten, uns auszuhelfen, bis wir einen finden.

Jesse: Vier Jahre später habt ihr immer noch keinen gefunden.

Schneck: Wir nehmen nur mit dir vorlieb, weil du nett ausschaust.

Wo du schon von den EPOXIES sprichst, mit denen ja nicht nur musikalische, sondern in Form von Jesse auch personelle Überschneidungen bestehen: Geht es euch nicht manchmal auf die Nerven, ständig mit denen verglichen zu werden?

Schneck: Klar, ich hatte mir natürlich schon gedacht, dass das passieren würde. Ganz ehrlich finde ich das schon schmeichelhaft, da die EPOXIES bis heute eine meiner Lieblingsbands sind. Aber eigentlich können wir dabei nur verlieren, denn falls wir zu sehr wie die EPOXIES klingen, dann sagt man uns nach, wir wären Nachahmer, und wenn wir anders klingen, dann sagt man eben, dass wir eben nicht die EPOXIES sind. Ich schenke diesen Vergleichen meistens nicht so viel Aufmerksamkeit. Musikschreiber brauchen nun mal Vergleiche, wir spielen ein Gemisch aus Punk und New Wave, also liegt es ja schon nahe, das ist für mich okay.

Jesse: Ich bin ja nur froh, dass die EPOXIES so eine große Inspiration für junge und aufstrebende Bands wie die BLOODTYPES darstellen, hahaha.

Worin genau bestehen nun die musikalischen Unterschiede?

Schneck: Es fällt natürlich direkt auf, dass wir nicht den vollen Keyboardsound der EPOXIES haben. Ich spiele Keyboard und bin zudem die Frontfrau und will mich halt nicht die ganze Zeit hinter den Tasten verstecken. Das ist ein Grund dafür, warum wir gitarrenlastiger sind.

Jesse: Mal abgesehen von dem altbekannten Punkrock-Kanon, den die meisten informierten Hörer sicherlich gleich erkennen, ist die Geheimsauce der BLOODTYPES eine Bereitschaft, auch einige extrem uncoole Musikgenres nicht außen vor zu lassen.

Schneck: Es ist schon interessant, wie oft bei uns im Proberaum THE WHO und BLACK SABBATH erwähnt werden.

Jesse: Die meisten Leute werden das vielleicht nicht raushören, aber in den Songs steckt auch ein gutes Stück Prog drin. Mein Ansatz für die BLOODTYPES ist anders als der für die EPOXIES. Beide Bands sind albern und theatralisch, aber die BLOODTYPES scheißen darauf, ob jemand sie cool findet. Hm, das ist jetzt aber auch nicht ganz fair den EPOXIES gegenüber, wir haben uns darum auch wenig gekümmert. Viele Leute haben uns eben für cool gehalten. Ich glaube, dass der Hauptunterschied darin besteht, dass ich in dieser Band Bass spiele.

Die Szene in Portland scheint schon seit vielen Jahren sehr vielfältig zu sein und hat viele großartige Bands von Post-Punk über 77er-Punk zu Powerpop und zurück zu bieten. Inwiefern hängen diese Szenen zusammen oder kocht jeder sein eigenes Süppchen?

Frehley: Ich denke, dass das, was du sagst, schon stimmt, nur dass jetzt im Gegensatz zu den Neunzigern einfach mehr geht. Vielleicht ist es qualitativ nicht so gut, aber es gibt definitiv mehr Bands und Clubs. Ich glaube, dass es innerhalb der Punk- und der Rockszene schon Überschneidungen bei Musikern und Publikum gibt. Aber es gibt eine große Lücke zwischen lokaler Folk-Neo-Americana, Elektro-Musik, Indiepop – was auch immer das heutzutage heißen mag – und der Szene, in der die BLOODTYPES existieren. Auch innerhalb der Punk-Szene im Allgemeinen haben wir eine komische Nische, da wir halt nicht direkt traditionellen Punk spielen. Es ist aber auch so, dass man in Portland nicht ganz so einfach ein Publikum zieht. Jeden Abend gibt es so viele Konzerte, wieder andere Leute kiffen und schauen Netflix, außerdem haben wir hier neun Monate im Jahr Scheißwetter. Es scheint halt immer eine Entschuldigung zu geben. Ich bin da keine Ausnahme. Aber wenn mehr Menschen ihren Arsch hochkriegen würden, dann würde Portland härter rocken.

Matt: Ich würde sagen, dass es definitiv viele verschiedene Szenen und Musikstile in Portland gibt und da gibt es natürlich stilistische Trennungen, aber es ist auch nicht so ungewöhnlich für Mitglieder einer Punkband, auch in einer Indierock oder Doom-Metal-Band zu sein. Die verschiedenen Sounds bleiben dann beieinander, aber es gibt so viele Bands in dieser kleinen Stadt, und eine Powerpop-Band spielt dann auch schon mal ein Konzert mit der befreundeten Metal-Band. Es ist eben alles nur Rock’n’Roll, Mann!

Ich hätte ja gewettet, das euer Debüt bei Dirtnap Records erscheint, gerade auch wegen der Verbindung zu den EPOXIES. Ist Ken nie auf euch zugekommen?

Jesse: Ich denke mal, dass unsere Chancen bei Dirtnap durch die Tatsache verringert wurden, dass wir am Anfang nicht besonders gut waren. Wir sind mit Ken befreundet, aber ich weiß genau, dass er von mehr großartigen Bands gefragt wird, als er Platten rausbringen kann. Außerdem versucht er, seinen Release-Plan zumindest etwas exklusiv zu halten. Wir wollten von Anfang an das Album auf typische D.I.Y.-Art und Weise machen und wir wurden erst später von jemandem angesprochen, der es veröffentlichen wollte.

Wie kam der Kontakt mit Peter von P.Trash zustande, wo euer Debüt kürzlich endlich auf Vinyl erschien?

Schneck: Er hat uns angeschrieben. Ein Freund von ihm hat ein Review im Ox gelesen, sich die Musik angehört und sie an Peter geschickt. Peter hat es direkt gefallen und er hat mir eine Mail geschickt. Er war überrascht, als ich auf Deutsch zurückschrieb, hahaha. Peter ist super und wir sind total begeistert, ein Teil der P.Trash-Familie zu sein. Außerdem sind wir alle große Vinylfans.

Welchen Stellenwert hat das Format des Tonträgers für euch?

Chris: CDs sind billiger, also macht man das, wenn man kein Geld hat und es selbst rausbringen muss, aber ich hatte nie den Eindruck, dass sie das geeignete Medium für uns sind. Es gab einige Leute, die unser Debütalbum kaufen wollten, aber eben nicht auf CD. Schon merkwürdig, sie mögen die Musik genug, um dafür Geld ausgeben zu wollen, können sich aber nicht dazu herablassen, eine CD zu kaufen und eine hart arbeitende Band zu unterstützen? Ich mag Vinyl auch lieber und ich würde mir wünschen, dass alle sich beeilen, endlich wieder Plattenspieler zu besitzen. So könnte man als Band dann einfach die Platten auf Vinyl mit Download-Code herausbringen. Größeres Coverartwork, fantastischer Sound und dazu ist es mit den mp3s noch praktisch zum Joggen, oder wozu auch immer Leute ihre winzigen Musikspieler verwenden.

Jesse: Ich versuche, es nicht so eng zu sehen, welches Format gerade cool ist. Ich verstehe, dass digitale Musik es Leuten ermöglicht, Musik für wenig Geld zu erwerben, meistens sogar für umsonst, aber auf der anderen Seite habe ich die Platte selbst aufgenommen und gemischt und kümmere mich schon darum, wie sie klingt. Und sie klingt natürlich besser auf Platte.

Peter hat ja für seine P.Trash-Clubmitglieder immer einige besonders spektakuläre Schmankerl zu bieten, was die Gestaltung von Platten angeht. Welchen feuchten Traum von euch könnte er diesbezüglich wahr werden lassen?

Matt: Ich bin mir sicher, dass die BLOODTYPES mit jedem talentierten Grafikdesigner zusammenarbeiten würden. Wir haben einfach so viele Ideen und viel zu viele Meinungen. Das kombiniert man dann mit der Tatsache, dass wir als D.I.Y.-Band ständig pleite sind und viele talentierte Freunde haben, die tolle Kunst machen. Wir suchen eben nach Designs, die den Sound einfangen, und auch das sind, was die Kids in ihre Hausaufgabenhefte kritzeln oder sich auf die Stirn tätowieren.

Schneck, du hast mal gesagt, dass du 2007, als du Jesse kennengelernt hast, absolut nichts über Punk wusstest und dass die EPOXIES überhaupt nicht in die Vorstellung, welche du von Punk hattest, gepasst haben. Wie genau sah diese Vorstellung aus und was hat dich letztendlich dann doch zum Punk getrieben?

Schneck: Die Aussage stammt aus dem Interview mit der wunderbaren Bianca von „Conversations with Punks“ aus Australien. Ich war sehr politischen und wütenden Deutschpunk gewöhnt, WIZO, SLIME und so weiter. Ich war und bin eben kein besonders politischer Mensch, mich interessieren eher die Konflikte auf persönlicher Ebene. Wobei ich jetzt nicht sagen will, dass Musik mit politischer Botschaft doof ist oder das Thema unwichtig ist, keinesfalls, aber es hat mich eben nicht berührt. Ich kannte mich mit britischem 77er-Punk oder New Wave kein bisschen aus. Von DEVO hatte ich noch nie was gehört. Da wundert es vermutlich wenig, dass die EPOXIES in ihrer stylishen Klebebandmontur, mit Anti-Konsum Botschaft und einer eher abgehärteten und ein wenig melancholischen Stimmung nicht ganz in mein Bild von Punk passten. Ich mag Weltschmerz und auch „skinny ties“, ebenso wie Synthesizer und Herzschmerz. Sobald ich mich dann in die STOOGES, BUZZCOCKS und UNDERTONES reingehört hatte, war ich direkt angefixt.

Hast du mit diesem Statement irgendwelche schlechten Erfahrungen gemacht, denn gerade innerhalb einer Szene, wo viele Wert auf ihre vermeintlich „lebenslange“ Zugehörigkeit legen, könnte ich mir vorstellen, dass es schwer ist, vom heiligen Kreis der ewigen Zweifler akzeptiert zu werden, so lächerlich es eigentlich auch sein mag?

Schneck: Zum Glück checken die meisten Leute nicht direkt meine Punkrock-Glaubwürdigkeit ab. „Und, in welchem Alter hast du deine erste BUZZCOCKS Platte gekauft?“ – „Äh, mit 31“, hahaha. Aber was heißt da überhaupt Glaubwürdigkeit? Sobald das Anti-Sein zum Dauerzustand wird, dann macht man ja auch nur das Gegenteil von dem, was alle anderen machen, und damit ist man genauso manipuliert wie jeder andere auch. Wenn es Menschen nicht passt, wie ich bin, wie ich mich anziehe oder wie ich singe, dann ist das in Ordnung. Ich mache das nicht, um akzeptiert zu werden, sondern lediglich aus etwas heraus, das ich nur als kreativen Drang bezeichnen kann.

Wird diese Situation aus der Tatsache heraus, eine Frau innerhalb einer männlich dominierten Szene zu sein, aus deiner Sicht noch verstärkt?

Schneck: Die Frage bekomme ich oft gestellt. Niemand respektiert mich weniger, weil ich eine Frau bin. Die Punk-Gemeinschaft ist sehr offen, was das angeht, und ich habe mich nie gefühlt, als würde ich nicht dazugehören. Ich denke, dass man es als Frau im Punk ziemlich gut hat. Ich habe die Band gegründet, schreibe die meisten Songs, buche die Touren und mache Promotion. Das wird respektiert. Wenn ich mal das Gefühl habe, ich müsste irgendwelche Erwartungen erfüllen, dann sind das gewöhnlich die in meinem eigenen Kopf.

Denkst du, dass es da überhaupt noch notwendig ist, ständig darauf herumzureiten, wie wichtig es ist, dass Frauen sich mehr in der Szene engagieren, in Bands spielen und selber Bands gründen? Würdest du sagen, dass diese Thematik zu oft als emanzipatorisches Statement überhöht wird, anstatt es einfach als die Normalität anzunehmen, die es eigentlich sein sollte?

Schneck: Auf der einen Seite nervt es mich, wenn wir als Band mit Frontfrau bezeichnet werden. Es ist ein bisschen so, als wenn man erwähnen muss, dass ein bestimmter Charakter in einem Roman schwarz ist, wobei das bei weißen Charakteren nicht erwähnt werden muss. Es sollte ja eigentlich ganz normal sein, ist es aber eben doch nicht. Auf der anderen Seite haben es Männer scheinbar einfacher, sich musikalisch auszudrücken. Daher können Dokus, Artikel und so weiter über Frauen in Bands dem wichtigen Zweck dienen, anderen Frauen das Selbstbewusstsein zu geben, das zu machen, was sie wollen. Ich sehe mich als Feministin, auch wenn ich da jetzt nicht ständig drüber reden muss.

Kommen wir mal auf das Thema, ein verheiratetes Paar in einer Band zu sein, wo liegen die potenziellen Probleme, wie wichtig ist es für euch, Privatleben und Band zu trennen?

Jesse: Es ist natürlich wichtig, beides zu trennen. Letzten Endes sind die BLOODTYPES eben nur eine dumme Band und werden vermutlich nicht sechzig Jahre lang zusammen bleiben, wir als Paar aber hoffentlich schon. Natürlich ist es stressig, mit anderen Leuten in einer Band zu sein, und das sollte die Ehe nicht negativ beeinflussen. Auf der anderen Seite sind schon viele Beziehungen an Eifersucht wegen Touren, Proben und so weiter kaputtgegangen. Wenn wir was zusammen machen, was Spaß bringt, dann stärken wir unsere Beziehung hoffentlich mehr, als dass wir sie belasten.