HOMESTORY MAGAZIN

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Geschichten über deutsche Szenepromis mittleren Alters

„Um 15 Uhr klingeln wir am Impact Records-Office. Andy springt vom Dach, mit einer Pimmelnasen-Brille und einem zu kleinen Regenschirm. ,Haha! Hehe!‘, ruft er, als er zu unseren Füßen landet. Er packt uns und schmeißt uns in den Matsch. ,Schlammpogo!‘, ruft er. Wir steigen voll drauf ein. Andy überschüttet uns mit Bier, während wir um ihn herumtanzen und ihm zujubeln. ,Wollt ihr Holzfäller sein?‘, schreit Andy. ,Ja!‘, rufen wir zurück. ,Du bist der Größte, Andy!‘ – ,Ich bin ein Holzfäller!‘, schreit er und zerschlägt eine Bierflasche an seinem Kopf. Wir schlagen uns auch eine Bierflasche auf den Kopf. Aber es tut schrecklich weh und zerbrechen tut sie auch nicht.“

Das üppig aufgemachte Homestory-Magazin gibt vor, zwanzig illustre Protagonisten der deutschsprachigen Punk- und Indie-Szene besucht zu haben. Ein leicht vertrottelt und naiv wirkendes Reporterteam besucht Szenepromis daheim, schaut mit ihnen fern, macht Ausflüge und erlebt allerhand teils triviale, teils fantastische Geschichten. Der Kreis der Besuchten erstreckt sich von Punkrock-Denkmal Dirk Jora (Slime) bis Diskursrocker Dirk von Lowtzow (Tocotronic), von Labelbetreiber Andy Kulosa (Impact Records) bis hin zu Nagel (Muff Potter), der als Multitalent sowohl Songs schreibt, Witzebücher herausbringt, Linoldrucke produziert, sich aber auch im Bereich Seidenmalerei weiterentwickelt. Man mampft gemeinsam Burger, holt Kinder von der Schule ab (mit Co von den Boxhamsters), es werden aber auch schwebende Planeten mit Keulen zerschlagen (mit Jensen von Oma Hans). Pascow begrüßen sich bei der Probe mit dem rhythmischen Gesang „Hey-Ho-Pascow“, während sie die Hände im Takt über dem Kopf schlagen. Es kommt heraus, dass die Hälfte der Texte der vorletzten Tocotronic-Platte vom „Fötzler“ geschrieben wurde – dem Bongreiniger des Sängers. Natürlich hat sich das alles leider so nicht zugetragen, aber es gibt nun diese zwanzig skurrilen Kurzgeschichten im Homestory Magazin. Dahinter stecken Roland van Oystern und Ferdinand Führer, die das Label Nebula Fünf Enterprises Int. betreiben und bei der Band Club Déjà-vu aktiv sind. Wer wünscht sich nicht, bei Markus Wiebusch mal zum Porno gucken eingeladen zu werden, auf seinem neuen 120-Hertz-3D-Fernseher? Hier wird der ganze Szenescheiß auf links gezogen, man geht dabei respektlos, aber immer liebevoll mit den Protagonisten um. Das Magazin ist witzig, überraschend und einfach gut gemacht. Beim Lesen musste ich laut lachen und es stellten sich mir etliche Fragen über das Vorgehen der Macher und deren tatsächliches Verhältnis zu den „Szenepromis“.

Wie kamt ihr auf die Idee, dieses Magazin zu machen?


Roland: Angefangen hat es mit dem Schlagzeuger von CLUB DÉJÀ-VU, der Band, in der Ferdinand und ich seit fast zehn Jahren spielen.

Ferdinand: Als es uns dann sechs Jahre gab, fiel uns auf, dass wir noch nie beim Schlagzeuger zu Hause waren. Wir haben damals ein Fanzine gemacht, das Großmasturbator, aber es hat sich irgendwie nie ergeben.

Roland: Es wollte einfach nicht zustande kommen, dass wir unseren langjährigen Schlagzeuger zu Hause besuchen dürfen. Da haben wir einfach eine Geschichte erfunden. Das war also die erste Homestory und die kam dann in unser Fanzine. Und weil es nett war, einfach so etwas zu erfinden, haben wir einfach noch eine drangehängt, über den Co von Boxhamsters. Dem haben wir die Story dann geschickt und dazu geschrieben: „Hey Co, es wäre doch nett, wenn du uns Bilder aus deinem Privatarchiv schickst, die wir verwenden können.“ Der fand das tatsächlich okay und hat uns ein paar Bilder geschickt, von sich und seiner Tochter. Da haben wir uns gedacht, das ist ja stark, da machen wir weiter.

Ferdinand: Dabei ist es aber auch erst mal geblieben. Die meisten Leute wollten uns keine Bilder schicken, Turbostaat haben geschrieben, sie gefallen sich nicht so in Fremddarstellungen, und die wollten eigentlich gar nicht so gerne drin sein. Da haben wir uns gedacht, dass es eh viel schöner ist, wenn man es illustriert, als mit irgendwelchen Schnappschüssen.

Wie seid ihr weiter vorgegangen?

Roland: Wir haben die Geschichten erst mal geschrieben und dann den Leuten geschickt. Manche haben sich daraufhin gemeldet, viele haben aber gar nichts von sich hören lassen und so haben wir das Verschicken irgendwann eingestellt und haben die einfach so geschrieben.

Ferdinand: Die meisten haben sich nicht drauf gemeldet und irgendwann hatten wir dann auch keinen Bock mehr, die zu verschicken.

Dann habt ihr also das Magazin geplant und das Konzept war vorzugeben, das seien echte Geschichten?

Ferdinand: Das dient ausschließlich dazu, die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben.

Gibt’s da wen, der jetzt nicht im Heft ist, weil er herumgezickt hat?

Roland: Na ja, wir haben nicht jeden gefragt. Manche haben erst durch den Erhalt des Belegexemplars vor zwei Wochen von der Geschichte erfahren. Haha. Zum Beispiel Dirk von Lowtzow, dem es gut gefällt, wie wir erfahren haben.

Gab es niemanden, der angepisst war?

Roland: Die einzige Band, die es im Vorfeld bekommen und gesagt hat „Hey, macht’s nicht rein.“, waren ZWEI TAGE: OHNE SCHNUPFTABAK. Da haben wir uns gedacht, jetzt so einfach eine Geschichte weglassen, unsere schöne, gute Geschichte? Nö!

Ferdinand: Es war echt ein langer Mailkontakt mit denen. Die wollten es nicht, weil sie gedacht haben, das schadet dem Ansehen der Band. Daher wollten sie unbedingt, dass wir es rauslassen. Die haben so dermaßen blöde Argumente gehabt, da dachten wir uns, machen wir es einfach rein. Ist ja auch eine nette Story für sich, hat uns etwas gewundert.

Wie war das mit Bela B.?

Ferdinand: Den haben wir nicht im Vorfeld kontaktiert. Der ist ja auch schwierig zu erreichen. Wir haben dem Stefano vom Pankerknacker-Zine das Heft geschickt und ihm gesagt, er soll es an Bela weiterleiten. Wir hoffen, dass er es mittlerweile gemacht hat. Gemeldet hat er sich noch nicht.

Wie kann man sich das vorstellen, habt ihr das zu zweit geschrieben?

Ferdinand: Ich war selber sehr verwundert, wie gut es zu zweit geklappt hat, weil ich vorher dachte, schreiben kann man nur alleine. Jede Geschichte ist gleich geschrieben worden: Roland saß vorm Computer und hat getippt und ich lag hinter ihm auf dem Bett. Einer sitzt, einer liegt. Ein sehr homogener Flow.

Roland: Jeder Satz ist gemeinsam formuliert worden. Wenn die Satzstellungen teilweise zu intelligent geworden sind, haben wir uns gegenseitig angehalten, um die Trottelsprache beizubehalten, damit kein Stilbruch zustande kommt.

Ferdinand: Einer sagt den Satz, der andere den nächsten, dann wird sich gegenseitig verbessert, das Niveau wird schön niedrig gehalten, fertig.

Roland: Die Texte sind jeweils ja nur eine Seite lang, wir saßen aber den ganzen Tag dran. Das war ganz schön und es gab viel zu lachen. Manchmal musste man etwas recherchieren, zum Beispiel was ein Kombuchapilz ist.

Das Heft sieht ja von der Aufmachung sehr professionell aus.

Ferdinand: Wir selbst hätten das Layout natürlich niemals so hinbekommen, aber wir haben Bekannte, die das beruflich machen. Die machen sonst Werbung und so was. Die fanden die Idee toll und haben das übernommen. Die Zeichnungen sind von meiner Freundin Lisbeth, die auch sonst Artworks macht und tätowiert.

Roland: Es war das Konzept, dass diese extrem dümmlichen Texte im krassest möglichen Kontrast stehen zum Hochglanz-Erscheinungsbild des Heftes. Wenn man es in die Hand bekommt, sieht es ein bisschen aus wie ein Kunstmagazin, und man soll etwas irritiert sein von diesen einfach gehaltenen Texten.

Wer sind diese beiden Reporter, die in euren Geschichten die Leute besuchen. Die sind ja fast wie siamesische Zwillinge, die alles gemeinsam machen und etwas naiv daherkommen. Seid ihr das selber in jungen Jahren?

Ferdinand: Könnte sein, dass wir das sind, aber nicht in jung. Vielleicht ist das aber eine schöne Richtung, in die man sich entwickeln könnte.

Roland: So wie der Typ, der „König Ubu“ geschrieben hat, der ist ja auch irgendwann zum Ubu geworden. Dieser Begriff „Reporterteam“ in Bezug auf uns hat sich irgendwann verselbstständigt.

Frauen kommen in eurem Magazin ja nicht vor. Konzept oder Zufall?

Ferdinand: Das ist uns irgendwann mal aufgefallen und wir fanden es selber ganz witzig. Wir hatten uns zwischenzeitig mal überlegt, ob wir nicht ein kleines Logo draufmachen, worauf dann steht „Verbund Deutscher Männer“.

Roland: Das sind ja nicht alles bloß Männer, sondern auch noch deutsche Männer. Ist uns aber erst spät aufgefallen.

Ferdinand: Das sind von der Auswahl auch alle Künstler oder Bands, die wir mehr oder weniger gut finden. Wir finden die jetzt nicht alle total geil.

Roland: Ich schon.

Ferdinand: Wir haben uns dann auch überlegt, welche Frau wir noch hätten nehmen können. Uns fiel da niemand so richtig ein. Wir haben halt nichts dafür oder dagegen getan. Die Auswahl ergab sich halt einfach so. Offensichtlich stehen wir auf Musik von deutschen Männern im mittleren Alter.