MATULA

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Endlich mal die Maske abnehmen

Deutschsprachiger Indie-Punk boomt seit Jahren, aber für viele Punk-Fans sind MATULA weder Fisch, noch Fleisch, weil zu poppig, zu melodisch, zu Indie-Schrammel-Gitarren-lastig. Das wird sich mit dem neuen Album „Auf allen Festen“ kaum ändern. Aber wieso auch? Nach einer ersten Single 2004 veröffentlichten MATULA 2007 ihr Debüt „Kuddel“, gefolgt von mehreren Splitproduktionen, unter anderem mit ihren Proberaumnachbarn CAPTAIN PLANET. 2010 erschien die hervorragende „Blinker“-LP, welche aktuell bereits in der vierten Auflage verkauft wird. Gebürtig aus Neumünster, seit 2005 in Hamburg und Kiel lebend, definieren Thorben (Gesang/Gitarre), Basti (Gitarre), Robert (Schlagzeug) und Stefan (Bass) einen prägnanten Deutsch-Indie-Punk, der seitdem einen Haufen jüngerer Bands zu Zitaten und Nachahmungsversuchen inspiriert hat.

Was ist das zentrale Thema von „Auf allen Festen“?


Thorben: Das zentrale Thema ist, auf allen Festen tanzen zu wollen. Wir meinen damit allerdings nicht zwingend unsere Band, mit der sortieren wir sehr genau aus, auf welchen Festen wir tanzen wollen, sondern wir meinen die öffentliche Selbstdarstellung, dieses „Ich will mehr sein“- und dieses „Guck mal, was ich alles bin“-Lebensgefühl, wo Leute dann 20.000 Fotos bei Facebook posten, die ganzen Urlaubsfotos und so weiter. Andererseits bezieht es sich auch auf die Entwicklung im deutschsprachigen Indie-Punk, wo sich einfach seit einigen Jahren wahnsinnig viele neue Bands platzieren wollen und wir so manches Mal den Eindruck bekamen, dass es denen nur noch um so ein „Gib mir Aufmerksamkeit“-Ding geht, egal wie, Hauptsache Beachtung.

Visuell habt ihr das Thema mit dem Hochglanz-Cover gut umgesetzt.

Stefan: Die Idee zu dem LP-Cover hatte Antje Schröder, die das gesamte Artwork für uns gemacht hat. Es ist eine Disco-Klo-Szene, in der eine junge Frau vor dem Spiegel steht und sich für die nächste Party beziehungsweise den nächsten Club frischmacht und sich noch mal eindieselt. Allerdings sind das auf ihrem Arm keine Tattoos, die zur Schau gestellt werden, sondern die gesammelten Eintrittsstempel. Übrigens ist der Typ auf dem Cover der CD-Variante unser Labelchef Renke, der arbeitet ja auch noch bei Grand Hotel van Cleef und kannte Antje von Grace Helly Graphics, weil die im selben Büro sitzen.

Geht es bei der neuen Platte um eure Selbstreflexion als Band oder um einen gesellschaftlichen Zustand, der in gewissen Ausprägungen alles etwas beliebiger erscheinen lässt?

Thorben: Die Frage, die die Platte prägt, ist eher, wie viel man selber davon angenommen hat und wie stark man das anderen vorwerfen kann, wenn man doch selbst jeden Tag bei Facebook eingeloggt ist. In unserer Generation ist alles sehr exaltiert, nach außen gekehrt. Und wie soll man wissen, wer man ist, wenn man nie rausgekommen ist und nichts von der Welt gesehen hat? Ich lebe jetzt seit acht Jahren in Hamburg und war aber noch nie für zwölf Monate im Ausland oder hätte mal die Zeit für einen Selbsterfahrungstrip gehabt oder eine Auszeit ganz allgemein. Deswegen war es für uns immer das Tollste, uns von zu Hause aus zu positionieren, diese Band am Start zu haben und Konzerte zu spielen, unterwegs zu sein.

Stefan: Bei vielen Menschen beobachten wir einfach dieses Selbstdarstellerische: Ich war hier, ich war da, das sind meine neuesten, hipsten Lieblingsbands. Ich vermute einfach mal, dass es hinter der Fassade bei Weitem nicht so spektakulär aussieht. Das ist so eine Web-2.0-Identität, die heutzutage einfach enorm wichtig ist. Der Schein ist wichtiger als das Sein. Die Kernaussage der Platte wäre dementsprechend, die Maske mal abzulegen, sich nicht in Oberflächlichkeiten zu verlieren, sondern zurück zum eigenen Selbst zu finden.

Ihr seid seit eurer ersten LP „Kuddel“ bei Zeitstrafe Records. Habt ihr nie daran gedacht, mal das Label zu wechseln?

Stefan: Für uns hat sich die Frage nach einem anderen Label nie gestellt. Renke und wir kommen aus derselben Kleinstadt und wir haben uns über das AJZ Neumünster kennen gelernt. Und wenn du also einen Kumpel hast, der deine Platten rausbringt, ist es das Beste, was es eigentlich gibt, weil da ein riesiger Vertrauensvorschuss existiert.

Thorben: Wir wüssten auch nicht, was ein anderes Label für uns besser machen könnte.

Seht ihr bei eurem Sound eine wesentliche Weiterentwicklung über die Jahre?

Thorben: Definitiv, ja. Wir haben bewusst Wert auf Spannungsbögen beim Songwriting gelegt. Wir haben nicht versucht, extra schrammelig zu klingen, sondern eher den passenden Sound zum Artwork zu liefern: brillant, klar und eindeutig. Wir haben versucht, die Sachen eindeutiger zu machen, klarere Strukturen im Arrangement zu entwickeln, etwa bei der Aufteilung der Gitarren. Ich habe mir „Blinker“ neulich noch mal angehört, die Platte läuft ja auf einem Level relativ gerade durch, und genau das haben wir dieses Mal umgangen, in dem wir die Instrumente klarer strukturiert haben, auch mal Lücken gelassen haben, damit die Songs sich dynamisch aufbauen und die ganze Platte insgesamt mehr Spannungsbögen hat.

Habt ihr euch deswegen mit „Tapete“ für eine Ballade als Opener entschieden?

Stefan: Ja, das spielt da auch mit rein. Also, ich kann mich erinnern, dass wir zu „Blinker“-Zeiten gesagt haben, dass wir die bei Rock üblichen Strukturen, etwa ruhige Strophe/lauter Refrain, aufbrechen wollen, weswegen die Dynamik vor allem über die Gitarrenarrangements definiert wurde. Das brachte allerdings mit sich, dass die Platte, so wie von Thorben gerade beschrieben, insgesamt auf einem Level durchlief, ohne große ups and downs. Bei früheren Songs war es oft so, dass an sich jeder einen richtig geilen Part hatte, wir den aber nur ein paar Takte gespielt haben, weil die Songstruktur dann einen ganz anderen Part verlangte, was die Sache etwas fahrig gemacht hat. Wir dachten, das wäre sonst zu langweilig. Und dieses Mal haben wir uns einfach gesagt: Okay, wenn wir hier so einen geilen Part haben, dann sollten wir den auch mal abmelken, ausdehnen und länger spielen.

Euer Leben, euer Umfeld und eure Wahrnehmung als Band hat sich dementsprechend in den letzten Jahren geändert, oder? Nur warum habt ihr 2013 kaum Konzerte gespielt?

Thorben: Wir wollten es eben richtig gut machen und haben uns die Wochenenden nicht für Auftritte, sondern zum Komponieren reserviert. Wir haben uns den Sommer im Bunker eingeschlossen, haben vormittags angefangen und wirklich viel Zeit investiert, letztendlich ein gutes halbes Jahr. Aber wir lieben natürlich die Konzerte und wollen 2014 gerne wieder die Vierziger-Marke knacken.

Stefan: Wir sind nicht die Sorte von Band, die mal locker nebenbei so ein Album schreiben kann, während sie, wie wir in den Jahren zuvor, fast jedes Wochenende irgendwo Konzerte spielt. Wir müssen so was am Stück machen und wollten uns auch ganz bewusst die Zeit nehmen, die es nun mal braucht, ein gutes Album zu schreiben, aufzunehmen und zu veröffentlichen. Mit einem guten Gewissen und ohne Stress und mit dem Mut zur Veränderung: Wir wollten uns was trauen!

Inwiefern habt ihr diesen Mut bei den Aufnahmen aufgebracht, was habt ihr euch beim Recording (zu)getraut?

Thorben: Oh, wir haben wirklich ziemlich viel anders gemacht und zum Beispiel jeden Song komplett auseinandergenommen und stundenlang durchgekaut, aufgenommen, gegengehört, nach Bedarf die Arrangements verschoben und angepasst. Und wir haben uns diesmal viel Zeit gelassen, die Sachen auch mal in Ruhe zu Hause durchzuhören. Hinzu kam bereits im Vorfeld die Idee, unseren Stammproduzenten Hauke Albrecht mal außen vor zu lassen und aus unserem regionalen Umfeld auszubrechen. Als ich Renke deswegen um Rat bat, saß der gerade mit unserem gemeinsamen Kumpel Basti von TRIP FOUNTAIN zusammen, der empfahl uns Raphael Rasmus. Dessen Studio läge zwar im hessischen Offenbach, und eigentlich sei er als Produzent auch eher im HipHop-Bereich beheimatet, aber genau das erschien uns als das Richtige für uns, einfach weil es interessant, spannend und neu klang. Raphael kam dann zum Beispiel in unseren Proberaum, um sich die Musik mal vorab eins zu eins anzuhören und wir haben im Vorgespräch ganz klar unsere Wünsche geäußert: dass wir uns von ihm nämlich neue Impulse erhoffen, bei so Dingen, auf die man selber einfach nicht kommt, wenn man sich erst mal im Aufnahmeprozess befindet. Und er hat sich auch voll eingebracht und die Songstrukturen mit uns variiert, Abläufe geändert, Passagen neu gestaltet, was für uns total wertvoll war. Und wir haben uns dann auch Dinge getraut wie das Keyboard bei „Für ein Leben“ oder die Handclaps, die man gelegentlich hört.

Wie lange habt ihr aufgenommen?

Stefan: Fünf Tage Drum-Recording in Frankfurt, zehn Tage Gitarren und Bass und drei Tage Gesang in Offenbach. Raphael hatte gerade die Renovierung seines neuen Studios im Gartenhäuschen seiner Eltern abgeschlossen. Wegen der räumlichen Situation konnten wir die Songs allerdings nicht live einspielen, das war klar.

Thorben: Bei „Blinker“ hatten wir uns 2010 für alles insgesamt nur zehn Tage genommen ... Aber für uns war es jetzt einfach enorm wichtig, mal aus Hamburg rauszukommen, damit wir uns wirklich voll auf die Platte konzentrieren konnten.

Geht es in „Der Makler“ um den beschriebenen Hausverkauf oder um ein Beziehungsdrama?

Stefan: Von beidem etwas, hehe ... Aber ich hab es extra kryptisch gehalten, damit es auch auf andere Situationen übertragbar bleibt, auf den D.I.Y.-Bereich zum Beispiel, wo mir seit einiger Zeit auffällt, dass es da einen enormen Branding- und Selbstproduktionstrieb gibt, der sich dadurch äußert, das jeder der größte Allesmacher ist. Man blickt schon gar nicht mehr durch, ob man es mit einem Label, einer Band, einem Mailorder oder sonst irgendeiner Marke zu tun hat.

Thorben: Die benutzen Musik, um sich selbst zu produzieren und um ihre Persönlichkeit zu definieren. Dadurch entsteht so eine Scheinöffentlichkeit, wo alles und jeder bis zum Letzten gehypet wird, nach dem Motto: Wer am lautesten brüllt, hat recht.