TISCHLEREI LISCHITZKI

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Musik in Buchform

Im Lüneburger Infocafé Anna&Arthur trat TISCHLEREI LISCHITZKI-Sänger Ralf bereits Ende der Neunziger unter dem Namen BRÖCKELN auf, aber beim 2001er Konzert lieh er sich spontan fünf T-Shirts von einer ortsansässigen Tischlerei, um lautstark am Mikrofon zu verkünden: „Wir sind jetzt weg vom Underground! Ab jetzt werden wir von der Industrie gesponsort und sind ab sofort die TISCHLEREI LISCHITZKI!“ Was dann folgte war ein erstes Tape, eine erste Single, 2003 die erste LP „Treppenbau und Punkrock“ und der Kontakt zum Elfenart-Label, mit dessen Hilfe man unter anderem 2008 „Kommunikation ist der erste Schritt zum Abbau der eigenen Persönlichkeit“ veröffentlichte. Danach folgten Split-EPs mit GRIZOU und OPTION WEG, und zwischendurch gab es immer wieder auch kostenlose Downloads von Konzertmitschnitten und erneute Kollaborationen mit den oben genannten, aber auch anderen Bands. Tagespolitische Themen finden in den Texten nach wie vor eine bisweilen ironische Überhöhung, die unbequem ehrlich ist und sich die Neigung zum Protest bewahrt hat. Sänger Ralf und Gitarrist Andreas standen mir Rede und Antwort.

„Bedeutungsschwanger mit Zwillingen“, eure fünfte LP, erscheint diesmal ausschließlich als Vinyl, aber zusätzlich gibt es „Halt die Kladde“ in Buchform. Was hat es damit auf sich?


Ralf: Die Frage war, wie wir es abseits des Vinylverkaufs hinbekommen, dass die Leute, die keinen Plattenspieler haben, zum Beispiel einen Download-Code erwerben können. Daniel von Elfenart hatte dann die prima Idee, alle Texte der TISCHLEREI LISCHITZKI-Diskografie in einem achtzigseitigen DIN A6-Büchlein herauszubringen und auch alle dazu gehörigen mp3s als Download-Code beizulegen, natürlich inklusive der neuen Songs, sowie einiger bisher unveröffentlichter Lieder.

Und was soll uns in diesem Zusammenhang der Titel „Bedeutungsschwanger mit Zwillingen“ konkret sagen?

Ralf: Der Titel geisterte schon jahrelang in meinem Kopf herum und stand auf einem alten Metallspind, den ich vor einiger Zeit verschenkt habe. Das hatte für mich viel mit der Textanalyse der so genannten Hamburger Schule zu tun. Ich habe da einfach festgestellt, dass die zwar irgendwie bedeutungsschwanger, aber letztendlich nichtssagend sind. Weil die Geschichten, die in diesen Songs erzählt werden, zumeist total belanglos sind.

Welche musikalischen Einflüsse spielen für euch als Musiker eine Rolle?

Andreas: Wir haben 2001 mit deutschsprachigem Punk angefangen, aber haben uns natürlich über die Jahre nicht nur an den Instrumenten weiterentwickelt. Privat mag ich ziemlich viele verschiedene Bands und Stile: so Sachen wie OMA HANS und KOMMANDO SONNE-NMILCH, aber durchaus auch Hard- oder Mathcore, oder z.B. RADIOHEAD. Aber natürlich geben meine Mitmusiker auch ihre Einflüsse dazu und man ergänzt sich gegenseitig. Allerdings werden alle diese Ideen dann ab einem gewissen Punkt von Ralf rigoros zerstört, haha. Egal, wie der musikalische Unterbau vorher klang, sobald der Gesang einsetzt, entsteht da ein ganz anderer Zauber. Man könnte auch sagen, dass unser musikalisches Sammelsurium erst durch Ralf zu dem typischen TISCHLEREI LISCHITZKI-Sound wird.

Seid ihr wegen eurer Texte eine klassische Protestband?

Ralf: Ich finde den Zynismus und die Ironie der DEAD KENNEDYS ziemlich geil, überhaupt schreibt Jello Biafra immer super Texte. „Sex ist nicht Englisch“ z.B. ist die Fortsetzung eines Gedankenspiels, das ich auf Grund eines Artikels im Berliner Szenemagazin „Potsdamned“ angestellt habe: ich finde das schon krass, wie gesellschaftsfähig sexualisierte Gewalt vor allem in der Alltagssprache geworden ist und wie sprachlich mit Begriffen wie „Ficken“ z.B. umgegangen wird, also z.B. „Mutterficker“ oder „Fick das System“. Aber prinzipiell kann man sagen, dass ich es auch mag, Dinge durch die Blume anzusprechen: meistens sind das Gegebenheiten, die mir im Alltag passieren und die dann zu Texten führen. „Luki Luke“ etwa handelt vom jungen alternativen Leben, wie ich es hier in Lüneburg während der Hausbesetzungen und Straßenkämpfe um die Frommestraße erlebt habe. Da gab es eine große Clique von Leuten, die viel geredet, aber nichts gemacht haben. Ich finde es schade, dass ich ausgerechnet in einem solchen Kontext dann viele junge Leute sehe, die zwar total alternativ gekleidet sind, aber dennoch eine ganz andere Konsequenz mit diesem autonomen Leben verbinden, als ich es kennengelernt habe und verstehe: die lassen sich gerne für die Tageszeitung ablichten, sind aber bei der ersten Polizeisirene weg!

Andreas: Im Geiste haben wir uns alle einen Aktionismus erhalten, aber unser Gitarrist Michael und ich sind auch zwischenzeitlich Familienväter geworden, da muss man dann schon sagen, dass Ralf da die treibende Kraft ist: da fehlt uns anderen einfach die Zeit für.

Bei „Krieg ich Eis“ verwendet ihr das erste Sample der TISCHLEREI LISCHITZKI-Geschichte. Der Song handelt von den Bundeswehreinsätzen in Afghanistan.

Ralf: Ich habe im Deutschlandradio eine Sendung gehört, in welcher es um die Bundeswehr ging, wie die an die Schulen gehen, um junge Leute zu rekrutieren. Da gab es eine rassistische Bemerkung eines deutschen Soldaten, in dem er den typischen Afghanen vor der Schulklasse pauschalisiert und vorverurteilt hat, was ich unmöglich finde: jeder weiß, dass Soldaten Mörder sind, wieso dürfen sich solche Leute dann vor Schulklassen stellen?

Ralf, du bist seit Jahren Tonstudiomitbesitzer, das vereinfacht doch bestimmt den gesamten Aufnahmeprozess, oder?

Ralf: Ich habe zwar ein Tonstudio, aber das ist eher ein teures Hobby als echte Profession. Ich mache das nicht oft und bin deswegen auch froh, wenn uns dann jemand wir Olman Viper, der schon MATULA oder ZSK betreut hat, helfend zur Seite steht und zum Beispiel beim Mischen einspringt. Das könnte ich alleine gar nicht, da bin ich bei meiner eigenen Musik nicht distanziert genug. Und die sonstigen Studiosachen, die ich so mache, sind für befreundete Bands, total low budget und mal kurz an einem Wochenende oder so. Aber für eine TISCHLEREI LISCHITZKI-Produktion reglementieren wir uns ähnlich: Wir haben einen Punkrock-Etat und gönnen uns höchstens zehn Tage, natürlich nicht am Stück, das ginge gar nicht. Das Studio ist ja nicht mehr vor Ort in Lüneburg, sondern seit Ewigkeiten im Hamburger Norden, was von uns aus gut und gerne anderthalb Stunden entfernt ist.

Wie habt ihr aufgenommen und was war anders im Vergleich zu euren bisherigen Studioaufenthalten?

Ralf: Wir haben mit Pro-Tools über mein analoges ADT Juengling-Mischpult aufgenommen, quasi dem deutschen Äquivalent zu SSL und wir haben sogar mit alten Mikrofonen aus einem ZDF-Fundus gearbeitet, so Kondensator-Mikros aus den Sechziger Jahren. Das ist tatsächlich ein deutlicher Unterschied zu dem ganzen neuzeitlichen Equipment. So Vintage-Equipment hat einfach Seele.