DEATH

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Hard drivin’ Detroit rock’n’roll

Bei DEATH denkt man unweigerlich an die Band des verstorbenen Chuck Schuldiner, an Death Metal. Allerdings war der Bandname streng genommen schon vergeben, als Schuldiner seine Band 1983 gründete, doch in Prä-Internet-Zeiten dürfte kein Mensch mehr gewusst haben, dass es ein paar Jahre zuvor in Detroit eine Band dieses Namens gegeben hatte. Hinter der steckten die drei Hackney-Brüder David, Bobby und Dannis, in den Fünfzigern geborene Söhne eines Baptisten-Predigers, die unter Einfluss von Motown, MC5, STOOGES, Alice Cooper und BLACK SABBATH ihre eigene Band gründeten und mit dieser den Sound jener Vorbilder aufgriffen.

An sich nichts Besonderes, mit dem Unterschied, dass es für drei schwarze Jugendliche in den Augen ihrer Umgebung damals wohl nichts Ungewöhnlicheres gab. Zusammen mit dem Produzenten Don Davis, der auch für FUNKADELIC arbeitete, nahmen sie Songs für ihr erstes und einziges Album auf, doch bevor irgendwas aus der ganzen Sache werden konnte, hatte ein gewisser Clive Davis, Präsident von Columbia Records, die Sache schon versiebt: Die Band sollte den Namen ändern, DEATH war wohl nicht glamourös genug, was David Hackney gegen den Strich ging – die Band war damit Geschichte, die einzige Single „Politicians In My Eyes/Keep On Knocking“ (Tryangle Records, 1976) wurde zum Sammlerfutter, und der Rest der an Protopunk interessierten Welt guckte in die Röhre. Mit „... For the Whole World To See“ erschien dann 2009 auf Drag City eine Zusammenstellung der Songs, die 1974 aus den United Sound-Sessions hervorgingen und die das erste Album hätten sein können.

Das Interesse an einer (vermeintlich) vergessenen Band war geweckt, und mit der 2012 veröffentlichten Doku „A Band Called Death“ der Filmemacher Mark Christopher Covino und Jeff Howlett wurde weiter an der Legende gesponnen. So ganz vergessen war die Band freilich nie, ähnlich wie bei Sixto Rodriguez aus „Searching For Sugarman“: Jeff Howlett hatte Bobby Hackney Sr. und Dannis Hackney schon in den Neunzigern auf einem Festival getroffen und ihre Geschichte aufgeschnappt. Die drei Brüder waren nach dem Ende des DEATH-Experiments 1977 nach Burlington im Ostküstenstaat Vermont gezogen, hatten ihre gemeinsame Musikerkarriere 1980 mit der Gospel-Rock-Band THE FOURTH MOVEMENT fortgesetzt, doch 1982 ging David zurück nach Detroit, machte aber unter dem Pseudonym Rough Francis weiter Musik. Er starb, alkoholkrank, 2000 an Lungenkrebs.

Bobby und Dannis wiederum blieben der Musik mit ihrer Reggae-Band LAMBSBREAD treu – ebenso wie Bobbys Nachwuchs: Bobby Jr., Julian und Urian Hackney. Die drei Brüder gründeten 2006 eine BAD BRAINS-Coverband, ohne von der Familiengeschichte zu wissen. Zur gleichen Zeit machte die einzige DEATH-Single via Internet die Runde und so stießen auch die Hackney-Juniors auf DEATH und erkannten die Stimme ihres Vaters. Mit ROUGH FRANCIS gründeten sie eine Tribute-Band, veröffentlichten 2010 eine EP und 2013 ein (Mini-)Album. Ihre Geschichte der Entdeckung der Familienhistorie ist in „A Band Called Death“ dokumentiert, und DEATH selbst sind seit dem Release von „... For the Whole World To See“ auch wieder aktiv: LAMBSBREAD-Gitarrist Bobbie Duncan nimmt seitdem die Rolle von David ein.

Mit „III“, einer Zusammenstellung von Aufnahmen aus den Jahren 1975, 1976, 1980 und 1992, als die drei Brüder zuletzt zusammen musizierten, erschien nun ein „Begleiter“ zum Film wie es das Label Drag City ausdrückt. Dort erschien 2011 mit „Spiritual | Mental | Physical“ auch eine Zusammenstellung mit Aufnahmen der Jahre 1974 bis 1976. Ich sprach mit Bobby und Dannis Hackney.

THE WHO und Alice Cooper werden immer wieder als Einflüsse für eure Band genannt. Welche Bands waren noch wichtig?


Dannis: Ich habe damals Alice Cooper live gesehen, und zu Hause erzählte ich völlig begeistert von diesem Konzert. Genauso war es mit THE WHO, die David live gesehen hatte, und so wendete sich unser musikalisches Interesse ab diesem Zeitpunkt dem Rock’n’Roll zu.

Dachtet ihr damals in Kategorien von „Black Music“, „Rock’n’Roll“ und so weiter?

Dannis: Überhaupt nicht! Für uns stand nach unserer Fusion-Rock-Phase mit ROCKFIRE FUNK EXPRESS klar der Rock’n’Roll im Vordergrund, wir wollten Musik machen, die direkter ist. Es zog uns zum Rock’n’Roll hin, und nachdem wir den gefunden hatten, war das direkt genug für uns.

Wenn man über Rockmusik, Detroit und die frühen Siebziger spricht, fallen sofort die Namen MC5 und THE STOOGES. Kannten ihr diese Bands damals?

Dannis: Also persönlich kannten wir die nicht, aber wir bekamen natürlich mit, dass die Konzerte spielten. Bobby und mich interessierten die weniger, aber David sah die oft live. Er war sehr vertraut mit der örtlichen Musikszene.

Waren DEATH, STOOGES und MC5 Teil einer „Bewegung“ oder war die örtliche Nähe Zufall?

Dannis: Ich bin sicher, dass es anfangs reiner Zufall war. Aber wenn man in einer Stadt wie Detroit lebt, die so voller Musik war damals, gibt es einfach bestimmte sich verstärkende Entwicklungen. Auf der einen Seite hattest du „Detroit Rock City“, auf der anderen Motown oder Blues. Es war ein Umfeld voll von Musik und man nahm seine Einflüsse überall auf.

Rückblickend ist es immer einfach, Musik zu kategorisieren. Euch steckt man immer in die Schublade „Protopunk“, ihr wart also angeblich Punk, bevor es Punk gab. Gab es für euch diesen Begriff, dachtet ihr in solchen Kategorien?

Bobby: Der Begriff „Punk“ im späteren Sinne war damals noch nicht erfunden. Wir spielten Rock’n’Roll, und wenn man jemanden als „Punk“ bezeichnete, gab es dafür eine blutige Nase oder ein blaues Auge. Wir nannten unsere Musik Detroit Rock’n’Roll. Wir wollten Musik spielen, wie wir sie von MC5 kannten, von GRAND FUNK RAILROAD, von Bob Seger – all die großen Detroit-Rockbands, deren Sound wir auch spielen wollten. Was Bob Seger spielte war wirklich heavy, der gab allen den Anstoß, die ihre Musik als „hard drivin’ Detroit rock’n’roll“ verstanden wissen wollten.

Was machte den besonderen Reiz von Detroit und seiner Musikszene aus? Es wird immer wieder behauptet, der rauhe Charme der Stadt, die wirtschaftlichen Probleme hätten auch die Musik beeinflusst.

Bobby: Detroit ist eine Industriestadt, der harte Rhythmus der Fabriken war immer spürbar, man klinkte sich ein in den Beat der Autofabriken, und so kam dieser pumpende, wuchtige Beat direkt aus dem Herzen von Detroit.

Dannis: Unser Vater arbeitet als Elektriker für eine Firma namens Allied Chemicals, und wir lebten in einer recht guten Wohngegend in einer Vorstadt. Man lebte da lange ganz gut. Den Niedergang von Detroit erlebten wir nicht mehr mit, das begann erst, als wir schon nach New England gezogen waren.

Bobby: So richtig schlimm wurde das ja auch erst in den Achtzigern. Als wir dort aufwuchsen, war es noch eine tolle, boomende Stadt. Unser Vater ging jeden Tag zur Arbeit wie alle anderen Väter auch, Mutter blieb zu Hause, kochte und kümmerte sich um die Familie. Das klingt heute alles wie ein Märchen, ich weiß.

Und wie kam es, dass ihr Musiker wurdet und nicht in einer Autofabrik am Fließband gelandet seid?

Bobby: Die pure Angst hat uns davor gerettet, hahahaha! Wir wollten um nichts in der Welt in so einer Fabrik landen! Man hatte nur drei Möglichkeiten: entweder man war gut in der Schule und schaffte es auf die Uni, oder man wurde Musiker oder Künstler – oder man landete in der Fabrik. Motown schafften es mit all ihren Hits und den Vibes, die sie über Detroit verbreiteten, dass jeder Musiker werden wollte. Jeder wollte in die Fußstapfen von Diana Ross, Smokey Robinson oder David Ruffin treten.

Und eure Eltern haben nichts unternommen, um euch von einer Musikerkarriere abzuhalten?

Dannis: Wir hatten damals natürlich immer irgendwelche Nebenjobs, aber unsere Mutter unterstützte uns, sie kaufte mir mein erstes Schlagzeug, Bobby seinen ersten Bass. Die stand absolut hinter uns, die half uns sogar, unser Zimmer leer zu räumen, damit unser ganzes Musikequipment darin Platz hatte. Wir probten dreimal die Woche bei uns zu Hause bei voller Lautstärke. Sie ertrug das, sie hat nie mit uns geschimpft. Sie war eine große Hilfe bei der Entwicklung unserer Musik. Und sie lieh uns sogar ihren Cadillac, um mit all unserem Equipment ins Studio zu fahren.

Ihr wart eine Spur zu früh dran mit eurem harten Sound, der von New York aus die USA eroberte. Habt ihr mitbekommen und verfolgt, was sich dann so ab 1976 mit den RAMONES und anderen Bands von New York ausbreitete?

Bobby: Nach DEATH gründeten Dannis und ich die Reggae-Band THE FOURTH MOVEMENT, nachdem wir noch ein paar Jahre versucht hatten, mit unserem Bruder zusammen was zu machen. Der ging aber letztlich nach Detroit zurück, was wir nicht wollten, und damals, Anfang der Achtziger, als Punk sich etabliert hatte, näherten sich Punk und Reggae vielfach an – wer das eine mochte, hörte oft auch das andere. Wir bekamen also recht viel mit von Punkrock, und außerdem war ich damals DJ bei einem College-Radiosender, von 1979 bis 1983 bekam ich also die ganzen Platten in die Hände, die damals erschienen. THE CLASH, SEX PISTOLS, Patti Smith und all so was erinnerte Dannis und mich natürlich an das, was wir damals in Detroit gemacht hatten, aber wir verspürten deshalb nie Groll, dass uns etwas verwehrt geblieben wäre. Wir verstehen es heute als Kompliment, wenn Rock-Historiker schreiben, wir hätten Punkrock fünf Jahre früher schon vorweggenommen.

Du erwähntest eben THE CLASH, die Reggae respektive Dub mit Punk vermischten – in Washington D.C. und später in New York machten das auch die BAD BRAINS. Mit Letzteren werden ihr immer wieder verglichen, wohl schon deshalb, weil sie eine der wenigen US-Punkbands mit afroamerikanischen Musikern sind. Seht ihr da eine Verbindung?

Bobby: Also ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung von den BAD BRAINS, bis ich durch meinen Sohn darauf kam, der mit 12, 13 anfing zu skaten, und mich dadurch auf die BAD BRAINS, BLACK FLAG, Henry Rollins, GORILLA BISCUITS, DEAD KENNEDYS und so weiter aufmerksam machte. Nur so entdeckten Dannis und ich, dass die damals schon Reggae und Rock zusammengebracht hatten. Wir probierten dann, ob man vielleicht die DEATH-Songs im Reggae-Style spielen könne, merkten aber schnell, dass wir davon die Finger lassen sollten.

Ihr habt den großartigen Song „Politicians in my eyes“ geschrieben. Was hatte der für einen Hintergrund?

Bobby: Ich war noch auf der Highschool, als ich den schrieb. Wir hatten einen Präsidenten, der den Krieg in Vietnam noch weiter eskalieren lassen wollte, wohingegen keiner in den USA diesen Krieg noch wollte. Überall im Land gab es Proteste, und wir bekamen mit, wie die älteren Brüder unserer Freunde in Leichensäcken nach Hause kamen – oder total verändert. Wir protestierten gegen diesen Krieg, wie alle anderen auch, und „Politicians in my eyes“ war unsere Antwort auf das, was um uns herum vor sich ging, auf die Angst eingezogen zu werden, darauf, dass die Politiker sich nicht um den Willen der Bevölkerung kümmerten.

Welche Erinnerung an die Wiederentdeckung von DEATH habt ihr, was war die Vorgeschichte von „... For The Whole World To See“, das 2009 auf Drag City erschien?

Bobby: Diese Platte war die Antwort auf das Feedback, das wir zuvor verstärkt aus aller Welt auf unsere Musik von damals bekommen hatten. Einer meiner Söhne war in den Semesterferien nach San Francisco geflogen und ging dort auf viele Partys. Und da wurden immer wieder „Politicians in my eyes“ und „Keep on knocking“ von unserer Single gespielt. Er hatte zuerst keine Ahnung, dass das sein Vater ist, aber die Stimme kam ihm bekannt vor, und so rief er mich an und meinte, die würden hier ständig unsere Musik spielen. Ich ging zuerst davon aus, dass er LAMBSBREAD meint, aber nein, er meinte DEATH, und da klappte mir echt der Unterkiefer runter. Ich war genauso überrascht wie er.

Das erinnert etwas an die Story von Rodriguez ...

Bobby: Es gibt da sicher Parallelen und es sind auch beides Geschichten aus Detroit, aber ich finde, sie sind schon sehr verschieden. Uns war die Rodriguez-Story bekannt, wir trafen den Regisseur von „Searching for Sugarman“.

Punk hat immer wieder klar antireligiöse Statements hervorgebracht, wohingegen ihr etwa mit THE FOURTH MOVEMENT eine Band mit durchaus religiösen Inhalten hattet. Wie geht ihr damit um?

Dannis: „Religiös“ ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, mein Bruder David verwendete immer den Begriff „spirituell“. Und sowieso hatte Rock’n’Roll immer schon eine spirituelle Komponente, schau dir seine Wurzeln an, ob nun Little Richard oder die DOOBIE BROTHERS. Da ist immer ein Hintergrund, in dem Gott eine Rolle spielt, ja, Musik hatte immer schon eine Verbindung zu Religion. Außerdem sind wir die Kinder eines Baptisten-Predigers, wir wuchsen in einer Umgebung auf, in der die Bibel immer präsent war. Wir hörten Marvin Gaye, wir hörten George Harrison und sein „My sweet lord“, und diese Tradition griffen wir auf.

Als Metalhead denkt man bei DEATH zunächst an eine Band aus Florida ...

Dannis: Wir haben uns mal mit deren Manager getroffen, ein echt netter Kerl namens Eric Greif, der sich heutzutage um deren musikalisches Erbe kümmert. Wir haben unsere verschiedenen Positionen diskutiert und uns darauf geeinigt, dass wir parallel existieren können. Wir haben keine Probleme miteinander und respektieren uns.

Also dürfte es auch keine Probleme mit eurem „neuen“ Album „III“ geben. Was hat es mit diesen Aufnahmen auf sich, und was kann man 2014 noch von euch erwarten?

Dannis: Also 2014 wird aufregend für uns. Auf „III“ finden sich Songs, die wir teils im Studio aufgenommen haben, teils Aufnahmen, die David gemacht hat, aber auch späte Aufnahmen aus Vermont, als wir gerade im Begriff waren, uns von DEATH in THE FOURTH MOVEMENT zu verwandeln. Als DEATH gab es uns von 1973 bis Ende 1980. Wir haben über die Jahre viel Musik aufgenommen und ich freue mich, dass wir die nun endlich mit anderen teilen dürfen. Außerdem arbeiten wir gerade an Aufnahmen mit einer neuen Version von DEATH, bestehend aus mir, Bobby und LAMBSBREAD-Gitarrist Bobbie Duncan. Wir hatten ja schon 2012 mit „Relief“ eine neue Single eingespielt, deren B-Seite „Story of the world“ war, ein alter Songs, den wir 1975 geschrieben hatten. Mit der neuen Band arbeiten wir an einigen nagelneuen Songs, die bislang noch keiner kennt und bei denen wir auf unser altes DEATH-Songwriting-Archiv zurückgegriffen haben. Da wird es in der zweiten Jahreshälfte eine Veröffentlichung geben. Und dann kommen wir hoffentlich auch nach Deutschland für ein paar Konzerte.