MATT MINER

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Hardcore, Comics und Veganismus

„Punk, hardcore and veganism – that’s me in a nutshell“, lautete die Antwort von Matt Miner auf meine Interviewanfrage. Matt ist 39, Wahl-New-Yorker, Tierrechtsaktivist und Comicautor. Sein gefeiertes Debüt ist die vierteilige „Liberator“-Reihe, deren Hauptfiguren keine gewöhnlichen Superhelden sind, sondern Aktivisten für Tierrechte, die das Gesetz selbst in die Hand nehmen, um gegen Tierquälerei und Ausbeutung vorzugehen. Interessant wie dieser Ansatz sind auch Matts Antworten, die sich um Parallelen zu seinem eigenen Leben, den Konflikt zwischen moralisch motiviertem Handeln und dem Gesetz sowie seine ungewöhnliche Zusammenarbeit mit EARTH CRISIS drehen.

Matt, ich habe gelesen, dass du nach deiner ersten Begegnung mit Comics schnell Fan von Antiheldengeschichten wie „Batman“, „V wie Vendetta“, „Punisher“ und „Wolverine“ geworden bist. Sie akzeptieren gesellschaftliche Ablehnung und die Verfolgung durch das Gesetz, führen ein mehr oder weniger isoliertes Leben und müssen sich auf wenige gleich gesinnte Unterstützer verlassen. War es wegen dieser Parallelen zu Tierrechtsaktivisten, dass du diese zu den Helden deiner Bücher gemacht hast?


Ich denke, das war der Grund. Nachdem ich von Leuten erfahren hatte, die im realen Leben eine Maske aufziehen und mitten in der Nacht mit drastischen Mitteln direkt handeln, um Tiere zu schützen, dachte ich sofort, dass es sich um ein großartiges Konzept für ein Comicalbum handeln würde. Menschen, die bereit sind, ins Gefängnis zu gehen, um Tiere zu retten, und die den Personen wirtschaftlichen Schaden zufügen wollen, die Tiere ausbeuten, verletzen, quälen und töten, sind meiner Meinung nach Menschen der heldenhaftesten Sorte. Sie rächen nicht Menschen, die für sich selbst sprechen können, sondern Tiere, die keine Stimme haben und in unserer verkorksten Gesellschaft in erster Linie als Eigentum betrachtet werden.

Die „Liberator“-Reihe richtet sich nicht nur an Menschen, die sich bereits für Tierrechte interessieren ...

Das ist richtig. Es war sehr wichtig für mich sicherzustellen, dass das Buch die unterschiedlichsten Personen ansprechen kann. Ich habe natürlich auch gehofft, dass die Tierrechtsszene, von der ich schon solange ein Teil bin, das Buch gut aufnehmen und das Projekt unterstützen würde. Vor allem sollte es aber ein Buch über die beiden Hauptcharaktere Jeanette und Damon werden, die im Untergrund der Tierbefreiung und Direct Action agieren. Es ist eine Geschichte über zwei junge Menschen mit guten Absichten, denen die Folgen ihres Handelns etwas über den Kopf wachsen – was nicht als Spitze gegen Tierrechtsaktivisten gemeint ist. Als Extra beinhaltet jede Ausgabe einen Essay eines Tierrechtlers. Das haben wir speziell deswegen gemacht, um interessierten Lesern etwas mehr Information anzubieten.

Stell uns die Charaktere doch mal vor.

Der Held der ersten Ausgabe ist Damon Guerrero, tagsüber Barista und nachts Tierbefreier. Manchmal gewinnt sein Temperament die Oberhand, aber seine Absichten sind immer gut. An seiner Seite ist Jeanette, die nüchterner und weniger impulsiv ist. Die EARTH CRISIS-Ausgabe führt eine neue Person ein, Sarah Mann. Sie beginnt in einem Tierversuchslabor zu arbeiten und ist angewidert von dem, was sie dort vorfindet. Inspiriert durch Jeanette und Damons kompromisslosen Einsatz für Tiere wird auch sie zu einer Tierbefreierin.

Inwieweit sind diese Charaktere durch reale Personen inspiriert?

Es gibt für jede eine ganze Reihe lebender Vorbilder. Die Konflikte mit dem Gesetz sind teilweise autobiografisch, die gefährlichen, illegalen Aktionen sind von denen der echten Helden inspiriert. Jeanettes Name ist ein Ausdruck des Respekts für Marie Jeanette Mason, eine Earth Liberation Front- und Animal Liberation Front-Aktivistin, die im Gefängnis sitzt. Sarah Manns Name geht zurück auf Sarah Whitehead, SHAC-Aktivistin und ebenfalls verurteilt, sowie auf den ALF-Aktivisten Keith Mann.

Kannst du den Weg von der Idee zum fertigen Comic beschreiben? Was waren die Höhe-, was die Tiefpunkte?

Da „Liberator“ mein erstes Comicbuchprojekt war und das Thema eine echte Herzensangelegenheit für mich ist, wollte ich sicherstellen, dass ich es richtig angehe und „Liberator“ am Ende wirklich in den Comicläden neben „Batman“ und „Spiderman“ liegt. Denn einerseits wollte ich Leute erreichen, die bisher nicht mit Comics in Berührung gekommen sind, andererseits auch Comicfans mit einer neuen Idee begeistern. Als Vorbereitung habe ich einen Kurs belegt beim berühmten „Batman“-Autor Scott Snyder und eine Menge Bücher über das Schreiben von Drehbüchern und Comics gelesen. Es ist nicht annähernd so einfach, wie man vielleicht vermuten würde. Es war ein Jahr sehr harte Arbeit vom ersten Entwurf bis zu dem Moment, als die erste Ausgabe im Laden lag. Einer der Höhepunkte war auf jeden Fall die Arbeit mit unfassbar talentierten Künstlern wie den Zeichnern Javier Sanchez Aranda und Joaquin Pereya, der für die Kolorierung zuständig war, und die nicht zu vergessen, die tollen Covermotive gestaltet habe. Ein Tiefpunkt war definitiv die Finanzierung. Wir hatten eine Kickstarter-Kampagne gestartet, die auch erfolgreich war, dabei allerdings vollkommen unterschätzt, wie hoch die internationalen Versandkosten sind. Dazu kamen noch unerwartete Ausgaben, so dass ich am Ende ein Darlehen aufnehmen musste, um das Buch zu beenden und unseren Unterstützern ihre Belohnungen zu schicken.

Du hast nicht nur durch Kickstarter Unterstützung erhalten, sondern auch Bands und Musikern wie BAD RELIGION, PROPAGANDHI, Neko Case oder DESCENDENTS.

„Liberator“ ist ein gutes Projekt und gute Projekte ziehen gute Leute an. Unser Verlag ist Black Mask Studios, ein Unternehmen, das von Steve Niles, dem Autor von „30 Days of Night“, Matt Pizzolo, „Godkiller“, und Brett Gurewitz von BAD RELIGION gegründet wurde. Brett hat uns geholfen, indem er den genannten Bands von unserem Projekt erzählt hat. Vor allem PROPAGANDHI haben uns sehr unterstützt.

EARTH CRISIS haben sogar ihr neues Album „Salvation Of Innocents“ thematisch mit „Liberator“ verknüpft. Wie verlief die Zusammenarbeit?

Gitarrist Scott Crouse hat mich über Twitter gefragt, ob ich ein Comicbuch mit ihnen zusammen machen würde. Ich habe sofort ja gesagt und Matt Pizzolo hat uns gleich grünes Licht für das Projekt gegeben. Das Album erzählt die Geschichte eines Tierversuchslabors und die Songs sind aus der Sicht der Tiere, der Wissenschaftler sowie der Befreier geschrieben. EARTH CRISIS wünschten sich ein Buch, das diese Geschichte visuell im Comicformat umsetzt. Also habe ich mich mit Sänger Karl Buechner zusammengesetzt und das Script dafür geschrieben. Die Zusammenarbeit war ein Traum, auch weil EARTH CRISIS eine meiner Lieblingsbands sind.

Du lebst vegan, engagierst dich seit über zehn Jahren bei Organisationen wie Win Animal Rights/WAR und setzt dich gemeinsam mit deiner Frau gegen die rechtliche Diskriminierung bestimmter Hunderassen ein. Wie hat sich das alles entwickelt, was macht ihr dort?

Ich kannte damals ein paar Veganer und habe irgendwann im Internet nach Tierquälerei-Videos gesucht, um zu sehen, ob es Tieren wirklich so schlecht ergeht, wie meine Freunde behaupteten. Der Horror, den ich da zu sehen bekam, war fast unmöglich zu begreifen, und nachdem ich die ganze Nacht Filme gesehen und eine Menge geweint hatte, wurde ich quasi über Nacht zum Veganer. Nachdem ich nach New York zog, fing ich an, eine Kampagne zu unterstützen gegen Huntingdon Life Sciences/HLS, einem der größten Auftragsforschungsinstitute und Tierversuchslabore mit Sitz in England und den USA. Außerdem habe ich an Antizirkus- und Antipelz-Demos teilgenommen, die von WAR organisiert werden. WAR ist ein kleines Kollektiv von Hardcore-Aktivisten, das zwei- bis dreimal die Woche verschiedene Aktionen durchführt – und zwar jede Woche, das ganze Jahr über und egal, bei welchem Wetter. Meine Frau Sloane habe ich kennen gelernt bei einer Demo vor dem Haus von Andrew Baker, dem Geschäftsführer von Huntingdon Life Sciences. Sloane und ich haben uns zuletzt auf die Rettung von Hunden spezialisiert. Wie sind in ein Viertel gezogen, in dem Hundekämpfe stattfinden, eine abscheuliche Tierquälerei, und haben begonnen, Pitbulls zu retten, zu versorgen, ihnen ein neues Heim zu geben. Auf unserer Website BSL News informieren wir über unsere Aktivitäten.

In einem anderen Interview sprachst du von den SHAC 7, Mitgliedern von Stop Huntingdon Animal Cruelty, die sich auch gegen HLS engagiert haben, und vom Animal Enterprise Terrorism Act/AETA. Worum geht es da?

SHAC 7 ist eine Gruppe von sieben Aktivisten, die man als Terroristen verhaftet und verurteilt hat. 2010 sind weitere 13 Aktivisten zu Strafen zwischen 15 Monaten und elf Jahren verurteilt worden, für nichts weiter als das Betreiben einer Website, auf der sie über die Gräueltaten von Huntingdon Life Sciences informiert und damit ihr von der Verfassung garantiertes Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt haben. AETA ist ein Gesetz, das dieses Recht für Tierrechtsaktivisten beschränkt und jede Form von Aktionen für Tiere rechtlich wie Terrorismus einstuft. Das Gesetz ist so weit gefasst, dass du schon als Terrorist verurteilt werden kannst, wenn du bloß bei einer Demonstration eine Maske trägst oder etwas mit Kreide auf den Gehweg schreibst.

Bei diesem gesetzlichen Status quo in den USA scheint es beinahe unmöglich zu sein, sich für Tierrechte einzusetzen, ohne mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen zu müssen. Deine Comic-Helden haben für sich erkannt, dass Recht und Gerechtigkeit hier nicht übereinstimmen und nehmen das Gesetz in die eigene Hand – aber das ist fiktionale Selbstjustiz. Welche Mittel erachtest du gerechtfertigt, wenn es um Tierrechte geht?

Ich denke, bei jeder Bewegung für soziale Gerechtigkeit bedarf es einer ganzen Reihe verschiedener Taktiken. Es ist mittlerweile derart riskant und leider auch aussichtslos zu demonstrieren, also vermute ich, dass mehr Leute zu nächtlichen Aktionen übergehen werden. Mit der gleichen Motivation wie bei Damon im Comic: „Wieso soll ich so viel riskieren, indem ich nur ein Schild hochhalte, wenn ich auch eine Maske überziehen und tatsächlich Tiere retten kann?“

Es heißt auch, dass du nicht wirklich ein Fan von PeTA bist ...

Ich habe da gemischte Gefühle. Ingrid Newkirk, die Präsidentin von PeTA, hat sich für die Tötung von Pitbulls ausgesprochen, da sie sie grundsätzlich für gefährlich und unberechenbar hält. Sie unterstützten rassenspezifische Gesetze und die Ächtung der Hunde, die ich rette und in meinem Haus versorge. Ich finde es auch fragwürdig, die Betreiber von Schlachthäuser mit Auszeichnungen für „humane“ Entwicklungen zu ehren. Dazu kommt, dass ich viele ihrer Kampagnen für sexistisch halte und sie allein im vorletzten Jahr 89% aller Tiere getötet haben, die zu ihnen gebracht wurden. Aber andererseits haben sie natürlich auch vielen Menschen die Augen geöffnet – in der Nacht, in der mir der ganze Horror bewusst wurde, war die PeTA-Produktion „Meet Your Meat“ das erste, was ich gesehen habe. Sie haben auch viele Tierfabriken und Versuchslabore bloßgestellt und beeindruckende Undercoverarbeit geleistet.

Nachdem die vierteilige Comic-Reihe nun abgeschlossen ist und du viel positives Feedback erhalten hast, wie sehen deine Pläne aus?

Die Serie ist gerade zusammengefasst im Taschenbuchformat erschienen und um fünfzig Extraseiten mit neuen Geschichten ergänzt worden. Die Charaktere, die wir lieben gelernt haben, werden bald in einer anderen Richtung weitermachen. Natürlich sind es immer noch Aktionen zum Wohl der Tiere, aber einige Dinge werden eine unangenehme Wendung nehmen, während die Charaktere sich immer größeren Risiken aussetzen.

Auch im Punk und Hardcore geht es oft um politische und soziale Themen. Was für eine Rolle spielt Musik in deinem Leben?

Es gibt einen Satz meines Freundes Fabian Rangel Jr. in den neuen Storys für das Taschenbuch, mit dem ich mich sehr stark identifizieren kann. Er schreibt: „Ich habe mehr über das Leben durch Punk und Hardcore gelernt, als ich es jemals in der Schule getan habe.“ Es gibt kaum einen Moment, in dem ich keine Musik höre, oder eine Woche, in der ich meiner Plattensammlung nicht etwas hinzufüge. Ich bin mit Punk und Hardcore aufgewachsen und liebe die Musik bis heute. Ich war ein aufgewecktes Kind, das sich für unpopuläre Dinge interessierte – man hat mich drangsaliert und ich galt als Nerd. Dann fand ich die Musik von anderen Kindern, die drangsaliert wurden und Nerds waren, aber einen Kanal gefunden haben, das alles auszudrücken, von Teenage Angst über Polizeibrutalität, Völkermorde bis hin zu Tierrechten. Es war wie das Finden meines eigenen Stammes.