SLOWBOY

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Wenn Vinyl für erhöhten Puls sorgt

Günter Herke und Andreas Ziegler haben einen Job, um den sie jeder Plattensammler und Musikfan beneidet: Sie besitzen einen Plattenladen, Slowboy, an einer lauten Einfallstraße in Düsseldorf, unweit der Philipshalle. Sie betreiben ein eigenes Label. Und sie siebdrucken Plattencover und Bandposter. Die Plattensammlung der beiden ist jeweils riesig. Und selbstverständlich kann einer wie Günter anlässlich der Fortsetzung unseres Vinylspecials viel erzählen über den romantischen, leidenschaftlichen Umgang mit Vinyl – und über den eher schnöden geschäftlichen. Ein Blick aufs schwarze Gold von zwei Seiten.

Günter, wie wird man zum – nennen wir es mal so – Dealer von Sammlerware wie Schallplatten?


Das ging bei mir in mehreren Abschnitten: Ganz am Anfang stand die Phase, in der ich jede Band live sehen wollte und mir nach dem Konzert am Merchandise-Stand oder im Plattenladen auch noch jede Platte gekauft habe. Mit 19 kam die Zeit des „Ich brauche Geld“, in der ich mich auf den Trödelmarkt gestellt und meine alten Platten verkauft habe. Und mit 23 kam das große Bereuen und ich wollte die wichtigsten Platten wiederhaben. Also bin ich erstmals zu einer Plattenbörse gefahren und war total geflasht: Da gab es fast alles! Von zehn Platten, die ich suchte, fand ich sieben – und jede davon zum Preis von unter zehn Euro. Das waren ja Platten, die für mich ideell viel mehr wert waren! Solche Börsen kannte ich vorher gar nicht. Ich kannte nur die Plattenläden in der Umgebung und konnte mich immer nur an deren Regel orientieren, die da hieß: „Diese Platte haben wir. Die andere haben wir nicht.“ Da hat man eben auch mal ein Album drei Jahre lang vergeblich gesucht. Als Nächstes fing dann das mit den Listen an: Das waren Zettel, auf denen Plattenhändler mit Schreibmaschine die Titel der Platten tippten, die sie im Angebot hatten, und an Interessierte verschickten. Man schaute drauf, rief an und erkundigte sich, was noch auf Lager war – und bestellte. Da war man natürlich sehr dankbar für Kontakte. Mir hat damals, in den Neunzigern, mein heutiger Ladenpartner Andreas häufig Platten von Händlern mitgebracht.

Wahrscheinlich auch, weil es auf dem Postwege noch nicht so sicher war wie heute, oder?

Genau. Damals war es wirklich riskant, Platten zu verschicken. Manchmal kamen sie gar nicht an. Oder sie hatten überall Macken. Da war es ganz gut, wenn man auf anderem Wege an sie herankam. Und dieser andere Weg war bei mir eben Andreas. Er war damals schon seit etlichen Jahren Sammler und kannte das Problem, Geld in ein Kuvert zu stecken, in die USA zu schicken und darauf zu hoffen, dass drüben einer auch etwas zurückschickte. Ich fing also an, immer intensiver nach Platten zu suchen – und stellte fest, dass viele davon – zum Beispiel die erste Single von INFEST – fünfzig, sechzig Dollar kosteten. Weil sie sehr selten und nur als Import zu beziehen waren. Da lag ich dann nachts schlaflos im Bett und entschied mich irgendwann, dass ich das Ding haben muss. Also ließ ich mir Listen aus allen Teilen Deutschlands schicken, lernte dadurch wiederum immer mehr Händler kennen. Ich bekam noch mehr Listen in die Hand gedrückt und hielt plötzlich auch nach den richtig teuren Platten Ausschau. Und irgendwann rief mich Burkhard von Green Hell in Münster an und meinte, er löse seine Plattensammlung auf und ich könne gerne mal bei ihm vorbeikommen: Zwei Räume voller Platten, Preise auf Zuruf.

Du hast dich wahrscheinlich nicht lange bitten lassen ...

Nein, haha. Ich kratzte alle Kohle zusammen, die ich seinerzeit hatte, fuhr mit 500 Mark per Anhalter zu ihm – und kam ohne Geld, aber mit vier Singles wieder nach heim: den ersten beiden Singles von MINOR THREAT, der ersten von NEGATIVE APPROACH und der ersten von den DESCENDENTS. Als ich wieder zu Hause war, war mir immer noch total schlecht. Meiner damaligen Freundin sagte ich auch nichts. Der hätte ich das nicht erklären können.

Da ging es dir also wie einem Kind, das ganz genau weiß, dass es sich von seinem Taschengeld gerade totalen Unfug gekauft hat – und das auf einmal große Angst vor der Reaktion der Eltern hat.

Ganz genau. Aber der Wahnsinn fing nach diesem Erlebnis ja erst an. Denn plötzlich fehlten einem ja auch Platten, von denen man vorher gar nicht wusste, dass sie fehlen. Das wurde zum Fass ohne Boden. Manchmal bestellte ich mir jede Menge Mist – das Internet gab es noch nicht. Entsprechend kaufte ich Platten auf gut Glück und ohne zu wissen, wie gut sie sind. Manchmal entdeckte ich aber auch Sachen wie die BIG BOYS. Rein nach der Beschreibung hätten die mich gar nicht interessieren dürfen. Aber als ich die Platte hörte, war ich begeistert. So sehr, dass ich mit Andreas unser Label Slowboy gegründet und das BIG BOYS-Debüt – ein ausverkauftes Sammlerstück, das als Erstpressung zwischen 250 und 500 Dollar kostet – wieder als Neupressung rausgebracht habe.

Wie bemisst du eigentlich den Wert einer Platte – und damit das Geld, das du bereit bist, dafür auszugeben?

Es gibt für mich im Grunde keine Fremdurteile. Ich akzeptiere weder Preisvorgaben noch irgendwelche Wertigkeiten. Das liegt daran, dass ich den Laden habe und im Internet sehr umtriebig unterwegs bin. Ich habe mir alles, was ich haben wollte, mittlerweile zusammengekauft – bis auf die richtig teuren Sachen, bei denen ich immer noch schlucken muss. Das sind die Sachen ab 250, 300 Dollar in meinen Lieblings-Sammelgebieten US-Punk und US-Hardcore. Da sehe ich den Wert entweder als gerechtfertigt an – oder eben nicht. Wenn eine Platte beispielsweise nur alle paar Jahre auftaucht, dann kaufe ich sie mir irgendwann – zumindest wenn die Qualität in Ordnung ist. Außerdem spielt bei mir als gelerntem Siebdrucker auch die Gestaltung des Covers eine Rolle: Korrespondiert die Kunst darauf mit der Musik? Wie ist das Cover generell aufgemacht?

Trotzdem: Wer legt den Preis einer Platte fest?

Das hat mit Angebot und Nachfrage zu tun. Mit der Entscheidung des Kunden, wie viel er bereit ist, dafür auszugeben. Und natürlich mit der Zeit, in der eine Platte rausgekommen ist. Nehmen wir heutige Klassiker von MELVINS, SONIC YOUTH oder MUDHONEY, die in den Neunzigern veröffentlicht wurden – und damit zu einer Zeit, in der die Vinylkrise groß war und in der die Majors nur noch CDs produzierten: Da wurden von einem Album 250.000 CDs gepresst – aber eben nur 2.000 LPs. Ein „Houdini“-Vinyl von den MELVINS stand damals wie Blei bei Saturn im Regal. Heute gibt es sie für 250 Euro – wenn man sie denn findet.

Doof gefragt: Was macht die Erstpressung etwa einer POISON IDEA-Single wertvoller als den gleichen Song, der später auf einer neu aufgelegten Compilation erscheint?

Wertvoller ist das zunächst nicht, denn ich muss erst einmal die Musik haben. Das ist wichtig. Aber man kauft bei solchen Platten eben auch ein Stück Musikgeschichte, weil Bands wie POISON IDEA damals, in den Achtzigern, eben niemand kannte und weil die ersten Singles nur bei Konzerten verkauft wurden. Das Cover ist noch anders gestaltet als zwanzig Jahre später. Die Beiblätter sind noch handgetackert und mitunter von der Band unterschrieben. Und in einem solchen Fall sage ich mir: Scheiß auf alle Regeln und alle Leute, die das nicht verstehen! Ich kaufe mir das Ding jetzt für 200 Euro! Das ist es mir wert. Dafür muss ich zwar echt hart arbeiten. Aber ich brauche eben auch keinen neuen Apple-Computer und kein neues, hochmodernes Fahrrad. Außerdem gebe ich das Geld wirklich nur dann aus, wenn ich es habe. Ich würde keine Schulden mehr machen – so wie früher, während der Ausbildung etwa. Diese Zeiten sind vorbei.

Legst du dir regelmäßig ein festes Budget für Plattenkäufe zur Seite?

Nein. Es passiert eben.

Verkaufst du privat alte Platten auch wieder?

Ja, manchmal schon. Ich „bereinige“ meine Plattensammlung regelmäßig. Ein Beispiel: Von EA80 muss ich wirklich alles haben: jede Platte, jedes Tape. Aber bei den BOXHAMSTERS – die für meine musikalische Sozialisation letztlich genauso wichtig waren – reicht es mir, wenn ich die Platten auf CD habe. Da habe ich schon viele alte Platten verkauft.

Und nach welchen Kriterien ist deine Sammlung sortiert?

Ich habe Indie-Punk, Alternative, Hardcore, Black Metal gemeinsam alphabetisiert und den Rest – Krautrock, Jazz, Elektronik, Weltmusik – ebenso. Außerdem habe ich die allerwichtigsten und teuersten Singles immer in einer separaten Notfallkiste liegen, die am Zimmereingang steht und die man sich im Brandfall sofort schnappen und in Sicherheit bringen kann, haha. Meine Freundin weiß, was zu tun ist, wenn es passiert: „Rette dich! Rette mich! Und rette meine Notfallkiste beim Rauslaufen!“

Wie wichtig ist dir der Zustand einer Platte?

Der war mir lange nicht wichtig, weil ich diese oder jene Platte einfach möglichst schnell haben wollte. Aber irgendwann stellt sich da schon eine gewisse Ruhe ein, wenn man schon so viel gesammelt hat. Ich warte heute lieber länger, bis ich mir eine Platte kaufe, wenn ich sie dafür nur in einem guten Zustand bekomme. Überhaupt nicht mag ich Preisschild-Abrisse.Und ich mag keine durchschnittenen Cover. Ich mag keine vom Besitzer beschrifteten Cover. Und eigentlich mag ich auch keine vom Künstler signierten Cover. Dazu gibt es übrigens eine lustige Geschichte: Ich habe meine erste BLACK-FLAG-Single bei Ebay von einem gewissen Herrn Morris gekauft ... Keith Morris behauptete zwar, als ich ihn später mal bei einem Festival darauf ansprach, er sei das nicht gewesen. Aber ich bin vom Gegenteil überzeugt. Ich hatte nämlich mit dem Ebay-Morris lange Mail-Kontakt und er wollte die Platte unbedingt signieren. Am Ende war ich heilfroh, als sie unbeschriftet bei mir ankam. Im Beiblatt ist das ja okay, von mir aus. Aber nicht vorne drauf!

Irgendwann hast du dein Hobby zum Beruf gemacht: Ihr handelt bei Slowboy mit neuen und gebrauchten Platten, ihr macht Siebdruck-Cover und -Poster und habt ein eigenes Label. Wie hat sich das entwickelt?

Zunächst gab es vor 13 Jahren das Label mit den ersten Releases BIG BOYS und DROPDEAD. Da war es uns eigentlich klar, dass die Cover zu diesen Platten schon eine hohe Qualität haben mussten. Anfangs haben wir die in der Siebdruckerei hergestellt, in der Andy damals tätig war. Das lief alles nebenberuflich – ich selber habe im sozialen Bereich als Heilerziehungspfleger gearbeitet. Dann aber machte ich eine Ausbildung zum Siebdrucker und wir entschieden uns dazu, das Label hauptberuflich zu betreiben. Und da man von einem Label allein nicht leben kann und ich nichts anderes konnte, lag es auf der Hand, zu sagen: Okay, ich kenne mich aus mit dem Wert von Platten. Also das alte Spiel: Wir kaufen Platten ein – und verkaufen sie etwas teuer weiter. So entstand der Plattenladen, der gleichzeitig auch unser Lager für den Internethandel bei Discogs oder Ebay ist.

Plattenladen und Internet: Könnte das auch beides für sich allein funktionieren?

Nein. Beides zusammen ist unabdingbar. Nur mit dem Laden oder nur mit dem Internet könnten wir nicht überleben. Da ist jede Sparte zu schwach, gerade weil wir uns zu knapp 70% auf eine Nische – Punk, Hardcore und Indie – konzentrieren. Am Monatsende gilt nunmal immer: Miete zahlen, Steuern zahlen, weitermachen! So kam es ja auch, dass wir das irgendwann professionell betrieben haben.

Was genau bedeutet „professionell“ in diesem Kontext?

Professionell bedeutet: Es ist einfach ein Job. Man arbeitet von morgens bis abends. Man überlegt es sich zweimal, ob man am Wochenende den Laden zumacht. Und nach Feierabend kümmert man sich noch ums Internetgeschäft. Mit einer normalen 38-Stunden-Woche kommt man da nicht hin. Weißt du, wir haben montags zu. Und da höre ich von Kunden auch mal: „Mensch! Habt ihr es gut!“ – von wegen langes Wochenende und so. Dem kann ich nur entgegnen: Wir müssen Platten einkaufen. Wir müssen Platten waschen. Wie müssen den Laden aufräumen. Wir müssen die Steuer machen. Wir müssen zu Messen und Festivals fahren, weil wir auch da verkaufen. Wir müssen das Label am Laufen halten. Da sind schnell mal fünfzig Stunden in der Woche, die da anfallen.

Apropos Platten einkaufen: Wie kommt ihr an gebrauchte Scheiben ran?

Das ist das Schwierigste an allem. Diesbezüglich kommt uns erstens zugute, dass wir beide – vor allem Andreas – seit so vielen Jahren auf Konzerte und Plattenbörsen laufen und viele Leute kennen. Zweitens geht es um Sympathie: Ohne uns selbst zu sehr zu loben: Wir beraten die Leute immer gut und ehrlich. Denn es ist für diejenigen, die uns ihre Sammlung anbieten, ja meist eine hochemotionale Entscheidung. Wir sagen jedem, der zu uns kommt: „Pass auf, wenn du diese Platten jetzt verkaufst, dann sind sie in zwei Wochen wirklich weg und du wirst sie kaum je wiederbekommen!“ Da ist uns Transparenz sehr wichtig. Ich kenne das selber noch von früher: Ich gehe in den Plattenladen, der Besitzer gibt mir zwei Mark für eine Single und sagt: „Die ist eh nix mehr wert“ – und ein paar Tage später steht sie für 15 Mark im Schaufenster und er will nichts mehr davon wissen. Wir sagen den Leuten dagegen, wie viel eine Platte wert ist, was wir dafür im Verkauf bekommen und wie viel wir ihnen dafür geben können. Das setzt natürlich auch voraus, dass wir ihm ganz genau erklären, wo die ganze Marge dazwischen steckenbleibt.

Wenn du das den Kunden erklärst, dann kannst du das doch sicher auch uns erklären.

Klar. Nehmen wir an, ein Kunde kommt rein mit einer Platte, die er verkaufen möchte. Im Internet hat er gesehen, dass sie so um die 22 Euro wert ist. Wenn ich dann zu ihm sage: „Okay. Ich gebe dir jetzt acht bis zehn Euro sofort und bar auf die Hand“, dann müsste er – wenn er kurz darüber nachdenkt – zum Schluss kommen, dass das ein sehr guter Preis ist. Manchmal sagt er aber auch sagt: „Moment, wo sind denn die 12 bis 14 Euro dazwischen.“ Und das erkläre ich ihm dann gerne: 19% gehen für die Mehrwertsteuer drauf, bleiben 18,50. Ich zahle an alle Plattformen, bei denen ich im Internet verkaufe, Gebühren. Ich muss Ladenmiete zahlen. Und ich zahle mir selber ein regelmäßiges Gehalt aus. Daher kommt der Preis also. Im Übrigen können die Leute später bei Discogs im Internet problemlos Preise vergleichen und sehen: Wir verarschen niemanden.

Es wird aus Käufersicht hin und wieder kritisiert, speziell Discogs mache die Preise kaputt, weil jeder Händler weltweit sich an diesen Preisen orientiert. Schnäppchen? Vergiss es.

Nein, ich sehe das nicht so. Und um das zu erklären, muss ich wieder zurückgehen in meine Teenagerzeit: Damals war man dem Plattenhändler seines Vertrauens ja vollkommen ausgeliefert und musste das bezahlen, was er haben wollte. „Friss oder stirb!“ eben. Durch Plattformen wie Discogs oder Ebay dagegen orientieren sich die Preise über kurz oder lang an der Nachfrage. Was haben die Händler davon, wenn sie Fantasiepreise ansetzen? Da wird eine gewisse Transparenz geschaffen, weil man vergleichen kann. Deshalb bin ich auch ein ganz großer Fan dieser Plattformen und verurteile das in keiner Form. Außerdem: Was ich natürlich besonders gut finde an Discogs und Co. ist die Tatsache, dass man dadurch an Platten gelangt, die man früher niemals bekommen hätte.

Wer gehört zu euren Kunden – junge Punks, alte Punks, Studenten, Leute mit Geld, Leute ohne Geld?

Mittlerweile wieder alle. Wir haben hier Fünf-Euro-Kisten im Laden, aus denen gekauft wird. Wir haben Klassiker in schlechterem Zustand für wenig Geld, die weggehen wie warme Semmeln. Aber ich verkaufe genauso gut die englische Originalpressung der SEX PISTOLS. Der kleine Straßenpunker kommt ebenso rein wie Geschäftsleute mit den Taschen voller Geld, die hier im dicken Wagen vorfahren und sich Originale von David Bowie kaufen. Ich glaube, es sind alle wieder im Boot und sehen, dass die CD ihren Zweck nicht mehr erfüllt.

Gibt es bei diesem neuen Hunger auf Vinyl auch mal Ärger mit den Kunden, wenn es zu teuer wird?

Ja, natürlich. Musik ist eben eine hochemotionale Geschichte. Und bei vielen Kunden – gerade wenn sie zu unseren Stammkunden gehören und regelmäßig nach Platten suchen – ist dieser Hunger nach neuem Vinyl mitunter größer als die Summe Geld, die sie zur Verfügung haben. Das führt schon mal zu Verstimmungen. Da heißt es dann häufiger: „Mensch, die Platte da drüben suche ich doch schon so lange. Und jetzt soll sie fünfzig Euro kosten. Was soll das? Ihr seid immer so teuer!“ Ich kann dann immer nur entgegen, dass wir uns – um selber zu überleben – an den marktüblichen Preisen im Internet orientieren. Natürlich: Ich lege Leuten, die ich kenne, gerne mal eine Platte für einen Monat zurück oder gebe ihnen die Möglichkeit, sie abzubezahlen. Aber es ist doch so: Ich muss ja selber auch, wenn ich mir Platten aus dem Laden mit nach Hause nehme, die Kröten dafür auf den Tisch legen. Also müssen das auch die Kunden.

Lasst ihr beim Preis mit euch handeln?

Ja, klar. Mit uns kann man immer reden. Gerade bei Stammkunden ist das der Fall. Bei denen weiß ich ja mitunter: Die haben uns schon so oft über schlechte Monate geholfen, wenn sie mal wieder 200 Euro hier gelassen haben – da sind wir die Letzten, die nicht mit sich handeln lassen. Und natürlich spielt auch mal die Stimmung eine Rolle.

So wie im Film „High Fidelity“, nach dem Motto: „Deine Fresse gefällt mir nicht und außerdem hast du einen beschissenen Musikgeschmack – also gibt’s für dich nix billiger“?

Ich glaube, davon kann sich niemand frei machen. Leute, die den ganzen Tag mit Musik zu tun haben, sind mitunter ja schon seltsame Charaktere, haha. Aber ernsthaft: Wenn mir einer dumm kommt, dann habe ich keinen Bock, nett zu sein. Es gibt ja auch Leute, die unfreundlich sind. Da habe ich keine Lust, zu handeln. Oder Leute, bei denen ich sehe: Die verknicken beim Durchblättern der Platten die Cover. Die werden dann auch gebeten, ihre Platten woanders zu kaufen. Aber der Geschmack der Leute spielt bei mir überhaupt keine Rolle! Darüber zu urteilen, das maße ich mir nicht an. Ich höre ja selber Sachen, bei denen andere vielleicht denken: Der Typ ist echt krank! Jeder hat eben andere Hörgewohnheiten.

Wie schafft man es, beim Ankauf einer Sammlung nicht selbst zuzugreifen und viel Geld auszugeben?

Gar nicht. Das ist unser größtes Problem. Es könnte uns richtig gut gehen, wenn wir nicht jeden Monat die Hälfte der Kohle, die wir einnehmen, selber im Laden lassen würden. Das ist immer das Gleiche: Andy und ich kaufen eine Sammlung an und sagen erstmal: „Du zehn Platten, ich zehn Platten“ – und hinterher hören wir die noch mal durch und jeder nimmt nimmt noch mal zehn mit. Zugegeben, ich bin ja auch jemand, der in seiner Freizeit nichts Besseres zu tun hat, als in Plattenläden zu rennen. Andy und ich brennen da wirklich noch für. Auch nach so langer Zeit noch. Mir geht nach wie vor einer ab, wenn ich ein geiles Lied entdecke. Da stellen sich mir die Nackenhaare auf. Das ist so, als hörte ich mit 17 zum ersten Mal BOXHAMSTERS. Andere müssen für so was Drogen nehmen oder Extremsport machen. Ich bekomme das durch Vinyl hin.

Bislang haben wir von alten Platten geredet. Inwiefern haben auch neue Vinylpressungen schon einen relevanten Wert?

Das kommt darauf an. Das meiste, das wir ankaufen, ist ja neu. Aber mein Ding ist es nicht. Es wäre auch eine Wissenschaft für sich herauszufinden, was kommt heute raus und ist morgen schon jede Menge wert? Dann hätte man ja ausgesorgt. Ich halte es selber so: Gefällt mir das? Brauche ich das? Falls ja, schlage ich zu. Aber es geht mir nicht um den Wert. Denn im Endeffekt gebe ich mein Geld ja für Platten aus – und verkaufe sie nicht, um Geld reinzukriegen. Natürlich freue ich mich, wenn ich dann doch mal eine loswerden will und sie hat einen gewissen Wert. Aber ich stelle meine Sammlung nicht so zusammen, indem ich überlege: Was ist diese oder jene Platte wert? Habe ich da jetzt eine Eigentumswohnung oder einen Neuwagen im Regal stehen? Ich höre auch eine 300-Euro-Platte an. Wenn sie gut ist, auch zehnmal. Da habe ich kein Reissue nebenan im Regal stehen, um das Original zu schonen. Ich bin auch kein Komplettist, sondern lege auf einzelne Platten wert. Es gibt letztlich nur wenige Gründe, weswegen ich meine Sammlung verkaufen würde: Wenn ich die Miete nicht mehr zahlen könnte. Wenn ich nichts mehr zu essen kaufen könnte. Oder wenn ich eine teure Operation bezahlen müsste. Ums Spekulieren sollte es beim Plattensammeln nicht gehen. Dann kann man besser Briefmarken sammeln.

Interessieren dich auch neuartige Vinyl-Sonderpressungen, wie sie etwa beim Record Store Day veröffentlicht werden?

Nein. Ich lebe natürlich auch davon. Leider. Aber Fakt ist doch: Das ist eine künstliche Limitierung. Da bringen THE CURE eine Single in 1.000er-Auflage raus. Alle schreien: „Die muss ich unbedingt haben!“ Aber keiner hat sie im Laden stehen. Keiner kriegt sie – bis auf diese so genannten Record-Flipper, die sie bei Ebay reinsetzen. Das sind Händler, die diese Platte über Vitamin B bekommen und damit Kohle machen. Das mache ich nicht mit. Davon bin ich ein totaler Gegner. Das interessiert mich als Sammler überhaupt nicht. Was soll ich mit dem dritten Take eines Liedes, das es schon in fünfzig Versionen gibt? Da ist mir eine Platte, die fünfzig Jahre alt ist, lieber.