COCK SPARRER

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Working Class und Freundschaft

Nein, sie haben kein neues Album am Start. Sie touren derzeit auch nicht durch die Weltgeschichte. Schon aus Prinzip nicht. Aber sie haben ein Genre begründet und gelten auch nach 42 Jahren auf der Bühne noch nicht als Rock-Opas, sondern als Oi!-Punk-Ikonen: COCK SPARRER. Und sie tun all das vollkommen zu Recht, wie ihr Auftritt beim diesjährigen Ruhrpott Rodeo bewies: Der war einmal mehr allererste Sahne – und ein Schlag ins Gesicht von so mancher Jungspundband. Eine gute Stunde, bevor die Engländer die Bühne in Hünxe enterten, luden Sänger Collin und Gitarrist Daryl uns zum Gespräch in den Backstage-Container ein, wo es bei Obst und Gemüse unter anderem um die typischen Oi!-Klischees Working Class und Freundschaft ging – und darum, warum diese Ideale gar nicht so verkehrt sind.

COCK SPARRER existieren seit unglaublichen 42 Jahren. Das macht euch quasi zur ältesten Punkrock-Band der Welt. Habt ihr darüber mal nachgedacht?


Collin: Nein. Noch nie.

Daryl: Wir müssen ja auch ehrlich sein: COCK SPARRER wurden zwar 1972 gegründet, aber damals gab es noch keinen Punkrock. Damals waren COCK SPARRER eine Schülerband, die in Jugendclubs Rock’n’Roll gespielt hat. Erst danach kam Punk auf.

Wie bleibt man so lange zusammen?

Collin: Wir sind Freunde. Sonst hätte das nicht funktioniert. Wir wären auch noch Freunde, wenn es die Band nicht mehr geben würde, und wir würden auch noch zusammen im Pub Bier trinken, die Familien der anderen besuchen und uns an Weihnachten zusammensetzen. Wir existieren nicht für die Band. Die ist für uns eigentlich nur ein Bonus. Was wirklich zählt, das ist unsere Freundschaft.

Daryl: Und die ist schon eine Seltenheit im Punk. Gerade in dieser Szene ist viel von Zusammenhalt die Rede. Aber zahlreiche Bands haben diesen Zusammenhalt doch gar nicht. Schau dir nur die RAMONES an. Als ich jung war und sie bekannt wurden, da dachte ich, dass sie eine eingeschworene Gemeinschaft, eine Gang von Gleichgesinnten und Brüdern wären. Später habe ich dann erst gemerkt: Die Musiker hassen sich gegenseitig. Und die RAMONES sind kein Einzelfall. Bei uns dagegen hat es so etwas zum Glück noch nie gegeben. Bei uns sind alle – die Männer, die Frauen und die Kinder – seit jeher miteinander befreundet.

Collin: Hinzu kommt, dass wir niemals Druck von außen hatten. Wir standen nie bei einem großen Label unter Vertrag und wurden nie von irgendeinem Management genervt, das uns vorschrieb, wann und wie lange wir auf Tour zu gehen haben. Auch das unterscheidet uns von anderen Bands. Wir tun nur Dinge, die uns Spaß machen.

Daryl: Und sobald du aufhörst, Spaß zu haben, ist es vorbei. Zu viele Bands machen Musik, um Geld zu verdienen und denken sich: „Okay, diese eine Show noch. Und die auch noch. Das gibt noch ein ordentliches Sümmchen auf dem Scheck.“ Wir machen Musik, weil wir das wollen. Nicht, weil wir es müssen.

Ihr sagt einerseits, ihr hättet keinen Druck. Aber andererseits seid ihr Ikonen und Initiatoren einer ganzen Szene – der Oi!-Punk-Szene. Das bringt doch auch Verantwortung mit sich, oder?

Collin: Wir haben das nie gesagt, haha.

Ihr nicht. Aber zig Leute, die zu euren Konzerten kommen und die sich dieser Szene zugehörig fühlen.

Collin: Ich denke, die Leute sehen uns doch überhaupt nur deshalb so, weil wir eben frei und unabhängig sind. Sie goutieren, dass wir uns nicht verbiegen lassen. Dass wir sehr ehrlich und authentisch sind.

Daryl: Natürlich ist uns bewusst, dass wir auch eine große Verantwortung tragen. Deshalb proben wir ja auch vor jedem Auftritt. Auch wenn wir seit Jahrzehnten dieselben Songs spielen, haha. Wir wollen keine schlechte Show abliefern und niemanden enttäuschen. Diesen Druck machen wir uns natürlich!

Wie läuft das bei euch: Einmal die Woche Probe, Kasten Bier, Punkrock – und wenn einer sagt: „Lasst uns mal eine Tour machen“, dann legt ihr los?

Daryl: Haha, nein. Es muss zwingend gut organisiert sein, denn wir sind keine Rockstars. Wir haben Familie und Jobs, weil wir von COCK SPARRER nicht leben können. Deshalb machen wir auch keine Tourneen im klassischen Sinne. Wir machen immer nur einzelne Shows am Wochenende. Das hat auch damit zu tun, dass wir immer hundertprozentig gut drauf sein und auf der Bühne alles geben wollen. Und das könnten wir nicht, wenn wir auf Tournee gehen würden. Bei einer Tour geben die Fans viel Geld aus, um die vielleicht 18. Show der Reihe zu sehen – und erleben dann womöglich eine Band, deren Musiker müde und genervt sind und deren Sänger eine Stimme hat, die nur noch Schrott ist. Wir können maximal drei Konzerte am Stück spielen – danach kannst du uns vergessen, haha. Das hat vielleicht mit unserem Alter zu tun.

Apropos Alter: Was denkt ihr so über die junge Generation von Punkbands – eine Generation, die ihr ja mitunter geprägt habt?

Collin: Die hören wir uns natürlich an. Es ist immer unglaublich motivierend und schön, wenn man einen Haufen 17-, oder 18-Jähriger sieht, die Punkrock machen – und dabei vielleicht auch noch unsere Songs spielen.

Wie sieht es mit euren eigenen Kindern aus?

Collin: Meine Kinder halten mir regelmäßig Platten unter die Nase und sagen: „Das musst du dir unbedingt mal anhören.“

Daryl: Und unsere Kinder – die fast alle so um die zwanzig sind – haben durchweg einen hervorragenden Musikgeschmack. Sie haben ihre jungen Helden. Aber sie wissen auch um die Historie und kennen sich da aus. Wir haben schon viele gute Bands durch unsere Kinder entdeckt. Viele Bands, deren Musik sich viel, viel besser anhört als die Musik, die früher aufkam in der Punk- und Oi!-Szene.

Die heutigen Bands des Genres haben Gruppen wie COCK SPARRER als Vorbilder und können sich an diesem Sound orientieren. Ihr habt eben gesagt, dass es zu eurer Anfangszeit noch gar keinen Punk gab. An wen oder an was habt ihr euch orientiert?

Collin: Bei uns ging es rein um Attitüde und Einstellung, nicht um eine spezielle Musik oder eine spezielle Band.

War das die Attitüde des „Spirit of 69“, der ihr ja offensichtlich heute noch frönt, wenn man sich so die Szeneklamotten anschaut, die ihr tragt?

Collin: Durchaus. Aber: Es geht nicht um Klamotten. Wir haben uns noch nie auf eine bestimmte Art angezogen, weil die Leute das von uns erwartet haben. Die Klamotten, die ich anhabe, trage ich, weil ich mich in ihnen ganz einfach wohlfühle.

Und was hat es mit Daryls RANCID-Pulli auf sich, den er gerade trägt – da geht es doch auch in gewisser Hinsicht um ein Statement, oder?

Daryl: Nein, haha. Den habe ich mir eben am Merchstand gekauft, weil mir kalt war und ich keine Pullover dabeihatte.

Ihr habt den Punk gestartet. Das nächste große Ding aus England nach dem Punk war in den Neunzigern die Britpop-Welle mit OASIS, BLUR und Co. Hat euch das als britische Musiker je interessiert?

Collin: In gewisser Hinsicht schon. Natürlich war Punk von Grund auf etwas anderes. Und diese Britpop-Bands haben auch nicht unbedingt die Musik gemacht, die ich mir ständig anhöre. Aber sie waren ein Phänomen und haben zu Recht Millionen von Platten verkauft. Das muss man respektieren und anerkennen.

Was könnt ihr von jüngeren Bands lernen?

Collin: Viel! Wenn du aufhörst, anderen Bands zuzuhören, dann hörst du auf zu lernen. Und das ist nicht gut. Wir hören uns fast alles an, Musik und Meinungen.

Ihr macht seit Jahrzehnten Punkrock, tragt Fred Perry und Co. und beweist damit, dass ihr auf gewisse Weise jung geblieben seid. Wie würdet ihr euch letztlich selber beschreiben: als Künstler oder als Freaks?

Daryl: Haha, als ganz, ganz miese und üble Künstler. Wir sind ein Haufen Trinker, die nur aufhören mit dem Trinken, um für eine Stunde Musik zu machen.

Collin: Du hast schon recht, wir sind schon alle irgendwie Freaks: 42 Jahre dieselbe Masche, dieselbe Musik und dieselben Freunde – das ist definitiv schräg.

Euer bislang letztes Album „Back In SF“ habt ihr vor drei Jahren veröffentlicht. Davor hatte es auch schon vier Jahre gedauert, bis „Here We Stand“ herauskam. Wann gibt es das nächste Mal neue Musik von euch?

Daryl: Hoffentlich im Oktober 2014. Unser Problem ist: Wenn es keine Deadline gibt, kein richtiges Ziel, dann schieben wir so etwas immer gerne auf, so nach dem Motto: Ach, wir machen das nächste Woche. Oder in der Woche danach. Oder in der Woche danach, haha.

Collin: Und wir haben ja, wie erwähnt, kein Management, das uns Druck macht. Manchmal wäre das gar nicht so schlecht ...

Daryl: Wir wollen allerdings auch keinen Schnellschuss landen. Denn darunter würde die Qualität leiden. Bislang sind wir sehr stolz auf alle unsere Alben. Und das soll so bleiben.

Ich hatte vor einiger Zeit eine Diskussion mit einem Freund über Oi!-Punkrock. Er kritisierte das Klischee, das dieser Musik anhaftet: Es ginge da ja immer wieder um die gleichen Themen wie Zusammenhalt, „Wir gegen die“, „Unsere Szene ist die beste, weil sie so authentisch ist – und alles andere ist Kinderkram“. Was sagt ihr dazu?

Collin: Klar, auch wir haben einige Songs im Programm, die sich um diese Themen drehen. Aber nicht nur. Man muss sich schon auf der ganzen Welt umsehen, Themen entdecken und darüber singen. Aber Oi! ist seit jeher eng mit der Working Class verknüpft. Es ging im Oi! immer schon um jene Leute, die hart arbeiten, um zu leben, und die das Leben generell besser machen wollen. Und das ist eine gute Sache.

Daryl: Oi! war für mich immer Musik von Menschen, die aus meinem Umfeld kamen: Sie besuchten die gleiche Schule, lebten in der gleichen Straße. Punk an sich hatte meiner Meinung nach dagegen manchmal zu oft mit Kunst zu tun. Es war eine Musik, die in den Künstlerklassen der Schulen und Unis entstand – vor allem der Punk, der aus den USA kam. Der Punk des arbeitenden Mannes, wenn ich es mal so nennen darf, erschien mir da immer wichtiger und ehrlicher. Punk war ganz zu Anfang eine gute Sache. Wenn du keinen Bock mehr auf die Musik im Radio hast, gründe eine Punkband. Wenn du ein Plattenlabel gründen willst, dann gründe eben ein Plattenlabel. Und wenn du die Musikmagazine scheiße findest, dann starte ein Fanzine. Irgendwann wurde Punk kommerziell. Und er wurde sehr negativ. Oi! dagegen hat sich meines Erachtens nach immer sein Stückchen Stolz und Unabhängigkeit bewahrt. Nach dem Motto: Wir wollen nichts schlecht reden. Wir wollen unsere Szene, unsere Gemeinschaft besser machen.