PUKE MUSIC

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Ein großes Herz für alte Punkhelden

Im April diesen Jahres feierte Puke Music aus Berlin-Friedrichshain im Club K 17 mit mit 18 Bands sein zehnjähriges Jubiläum. Was passiert in der und um die bekannte Samariterstraße? Einstmals und jetzt. Wie sieht Inhaber Bernd die grassierende Reunionwelle des deutschen Punk? Bernd offenbarte im Gespräch schon ein großes Herz für alte Punkhelden. Auch die Erinnerungen an seinen Werdegang als Punk in der alten DDR waren nicht rein freudig-nostalgische, wenngleich sich im Nachhinein auch Dinge offenbaren, die junge Hüpfer ruhig wissen dürfen.


Dein bürgerlicher Name ist Bernd Böhm. Das klingt süddeutsch ...


Ich bin richtiger Berliner, Urberliner, Köpenicker.

Am Anfang war der Laden. Schildere doch mal den Sprung ins kalte Wasser damals. Welcher Bausparvertrag lief aus?

Ich war mit meiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann passenderweise fertig und arbeitete zunächst für ein halbes Jahr voll. Ich merkte aber, dass es nicht das war, was ich suchte, und schraubte dieses Pensum auf drei Tage pro Woche herunter. Ich verdiente für drei Tage ganz ordentlich, doch dann kam mein Kumpel Knoifel zu mir, ein Iro-Punk, der seine Ausbildung als technischer Zeichner soeben beendet hatte. Der wollte eigentlich zum Arbeitsamt, stieß mich aber an, den Traum eines jeden Punkers zu realisieren, nämlich gemeinsam einen eigenen Plattenladen zu eröffnen. Da ich ja noch im Job war, habe ich einen kleinen Privatkredit aufnehmen können. Wir arbeiteten also dann nebenbei in einem kleinen Laden und dann hat sich das Ganze entwickelt.

War der Laden da schon in der Samariterstraße in Friedrichshain?

Ja, er war aber etwas kleiner. Wir teilten ihn mit zwei HipHoppern, die ständig bekifft waren und uns ständig Geld aus der Kasse nahmen, weil die ja ihr Dope benötigten.

Wie bist du überhaupt zur Musik gekommen? Klar, der Fan mag einen Plattenladen machen, aber wo lag die Initialzündung?

Dieses Jahr werde ich ja 39 Jahre alt und mit 13, also noch zu DDR-Zeiten, hat mich ein Kumpel namens Lama zu einem Punk-Konzert mitgenommen, und zwar zu DIE SKEPTIKER in die Wabe, wo ich natürlich total begeistert von allem war. Und das nächste Konzert war dann schon ein Geheimkonzert von DIE TOTEN HOSEN im Haus der jungen Talente in der Klosterstraße nahe des Alexanderplatzes. Das war erst mein zweites Konzert. Wir erfuhren, dass die Hosen in Adlershof für die Sendung „Elf 99“ ein TV-Interview geben sollten, und standen dann echt stundenlang vor dem Tor des Senders um auf die Band zu warten. Dann kam auch irgendwann ein bunter Kleinbus, Trini stieg aus und wurde direkt um Autogramme gebeten. Die Hosen reisten natürlich einzeln nach Ostberlin ein und nicht mit den üblichen bunten Haaren. Der Eintritt betrug übrigens 8,05 Mark der DDR, die fünf Pfennige waren der obligate Kulturbeitrag. Eigentlich wäre es interessant zu wissen, wohin das Geld ging und wer der Träger war, denn so geheim kann es ja dann nicht gewesen sein, haha. Als die Mauer fiel, hatte ich schon einen Personalausweis und konnte direkt alles im Westen anschauen.

An die Sendung erinnere ich mich als „Wessi“ aber auch noch. Auch bei uns in Westberlin war es fast ein Naturereignis, nachts Sachen wie KREATOR ohne das übliche Hereinsprechen des Moderators zu vernehmen.

Stimmt. Bei uns gingen ja in Punk-Kreisen vor allem die überspielten Kassetten herum. Eine Eisenkassette kostete 15, eine Chromkassette sogar 25 Mark. „Elf 99“ wurde ja dann wegen des Abspielens der Songs von BMG verklagt, aber sie unterlagen. Der Grund: Der Sender war im Recht, weil es die jeweiligen Platten oder CDs in der DDR ja nicht zu kaufen gab.

Das mit den Hosen war bestimmt aus Fansicht kaum zu toppen, oder?

Weit gefehlt, ich habe noch etwas viel Cooleres erlebt. Vor etwa acht Jahren gab Billy Idol vier Gigs in Deutschland, einer davon war in Hamburg, im Stadtpark, wenn ich mich recht entsinne. Wir reisten also mit zwei Autos an die Alster. Mein Ziel war es immer, während des Auftritts auf die Bühne zu gelangen, um ihm nahe zu sein. Aber der erste Versuch ging durch die anwesende Security natürlich schief. Ich ging dann rechts an der Bühne entlang und einer der Ordner verwechselte mich – was ich sonst wirklich wenig schmeichelhaft finde, was aber dennoch häufig vorkommt – mit Campino! In diesem Moment war’s ein glücklicher Zufall. In jedem Falle war ich nun oben, neben mir stand eine Frau wie in Trance, die auch ständig etwas mitteilte. Es war beinahe filmreif, ich stand da mit meiner OXO86-Kapuzenjacke und mit roter Jeansweste. Plötzlich geht Billy Idol auf diese Frau zu und küsst sie, offenbar war es seine Freundin. Dann sah er mich an und sagte: „Hey, nice jacket!“ Er bot mir einen Tausch an, wobei ich in meinem schwachen Englisch noch entgegnete: „But I am friering ...“ Doch er rannte in den Backstagebereich und brachte mir eine Jacke, ein T-Shirt und ein Top mit. Ich war natürlich völlig außer mir vor Freude. Dann rannte er sogar noch ein weiteres Mal nach hinten, um mir einen von ihm signierten Aschenbecher zu schenken. Ich erwähnte dann noch Puke Music und dass ich Gigs organisiere, doch beim Wort Puke zog er wieder sein bekanntes Grimassengesicht. Als dann alles vorbei war, meckerten meine Leute: „Meine Güte, wo warst du denn, wir wollen fahren.“ Im Auto sah ich dann, dass Billy Idol auch auf die Rückseite des Aschers noch etwas geschrieben hatte, das war aber durch meinen Schweiß bereits verschmiert.

Wie fühlt er sich an, der vermeintliche Kontrast zwischen Punk-Leben und Geschäft? Als Geschäftsmann hat man ja Druck, und die nicht immer zahlungskräftige Kundschaft sagt bestimmt des Öfteren: „Kannst du das nicht billiger machen?“ Ist es da schwierig, einer Linie zu folgen?

Am schwierigsten ist es bei den eigenen Freunden. Am Anfang ist man da gnädig, checkt dann aber, dass man ja die Kohle reinkriegen muss. Gerade mit Punk wirst du ohnehin nicht reich, aber du kannst das Punk-Ding leben, was wiederum ganz schön ist. An Sprüchen, die einen gewissermaßen als „Kapitalisten“ schmähen, gewöhnt man sich auch schnell.

Gab es im Laden eine abgefahrene Episode, an die du dich spontan erinnerst?

Wir verkaufen ja auch Handschellen und einmal kam ein Mann mit verschlossenen Schellen um die Handgelenke zu uns. Der wollte die geöffnet haben. Er hatte Sex mit einer Frau gehabt, aber die hatte ihm wohl das Aufschließen verweigert. Ansonsten sind wir hier eben in Friedrichshain und da kommen schon mal Freaks ins Geschäft ...

Der Bezirk erlangte ja traurige Berühmtheit durch den von Rechten ermordeten Punk Silvio Meier, nach dem jüngst auch eine Straße in Berlin benannt wurde. Wie war das für euch, gab es verbale oder körperliche Attacken aus dieser Ecke?

Ja, das passierte sehr oft, Silvio Meier ist nur der der traurigste Vorfall von vielen. Ich selbst stamme aus Berlin-Schöneweide und das war in den Neunziger Jahren schon eine Hochburg von Rechten, und der Treffpunkt war auch noch der S-Bahnhof! Also da habe ich selbst etliche Male auf die Fresse gekriegt. Da hieß es häufig: schnell laufen und nüchtern werden. Es gab ja beim Weserlabel diese „Gegen Nazis“-Aufnäher im Zehner-Pack. Zuerst habe ich sie noch aufgenäht, aber später befestigte ich sie nur noch mit Sicherheitsnadeln, weil die mir ja sowieso wieder abgerissen wurden. Am Anfang hatten wir massive Probleme, weil die Rechten Flaschen gegen den Laden schleuderten, da lagen eben häufig Scherben vor dem Geschäft.

Wie erlebst du generell die Verwandlung des nun „hippen“ Kiezes im Vergleich zu den Anfangsjahren. Ist das eine negative Entwicklung?

Ja, klar. Wir haben zum Beispiel zur Eröffnung des Ladens ein Konzert hier mit etlichen Bands gemacht, unter anderem DRITTE WAHL. Da waren 400 bis 500 Leute anwesend, der Laden war rappelvoll, die Leute haben in die Eingänge gepisst und Briefkästen abgerissen und wir dachten bereits, da bekämen wir nun richtig Ärger. Aber nein, da kamen die anderen Leute und Anwohner und haben gesagt: „Hey wie geil ist das denn, Live-Musik und Action.“ Bei meiner letzten Aktion dann vor vier Jahren sah es in dieser Hinsicht schon völlig anders aus. Ich machte eine Radioshow und in diesem Zusammenhang ließ ich hier ab 18 Uhr eine Band unplugged vor meinem Laden spielen. Aber nach nicht mal einer halben Stunde meldete sich die Polizei und sagte mir, dass bereits vier bis fünf Anzeigen vorliegen würden und die Band sofort aufhören müsse. Ich durfte sogar noch 200 Euro Strafe zahlen. Das hat sich schon krass geändert, es ist eben die aktuelle Großstadtentwicklung. Schau dir New York an, da werden alle nach außen gedrängt, in der City kann irgendwann kein Normalsterblicher mehr leben. Auch in Friedrichshain selbst kannst du nicht mehr umziehen, du musst in deiner Wohnung bleiben, weil die Mieten so gestiegen sind.

Die erste veröffentlichte Scheibe 2004 von dir war ...?

Das waren BGS, Kumpels von uns.

War das mit der Labelgründung als zweites Standbein gedacht oder erst mal nur die Verwirklichung eines Traumes? So was ist ja doch mit gewissen Risiken verbunden.

Ursprünglich kamen wir auf die Idee, weil die Platten im Einkauf zu teuer waren, denn wir wollten ja Punkrock-Preise machen. Da war es gut, dass es möglich war, seine Produkte unter den Labels zu tauschen. Zugute kam uns natürlich, dass ich das Merchandise für einige Bands gemacht und deren T-Shirts gedruckt habe und so weiter. So war also schon mal Kontakt, Freundschaft und so weiter vorhanden. Wie zu NO EXIT als Beispiel. Dadurch wuchs der Wunsch in uns, Sachen selbst herauszubringen. CRUSHING CASPARS kamen auf uns zu, das war krass im ersten Augenblick, weil die kannte man ja vom Force Attack Festival. Oder auch der Deal mit COR war eine runde Sache, die waren uns unbekannt und gastierten in Berlin im Tommy-Weisbecker-Haus. Da gingen wir hin mit der Prämisse: „Gut, Tag sagen und nach dem zweiten Lied gehen wir wieder.“ Aber dann waren die wirklich geil.

Bist du jetzt alleine bei Puke?

Ich bin jetzt alleine. Wir waren mal fast pleite und da haben wir die Sachen so ein bisschen getrennt, Knoifel macht aber noch die Druckerei, die befand sich früher mal hier unten im Keller.

Breit gefächert sind oder waren eure Releases: ANTICOPS – Hardcore, NO EXIT – Deutschpunk, POKES – Folkpunk, HÖRINFARKT – schlagerähnlicher Ska ... Wie ist da die Labelpolitik oder gibt es gar keine?

Die Labelpolitik ist Freundschaft – mit den Leuten auch privat klarkommen, Bierchen trinken, aber eben auch Geschäfte machen. Die Zusammenarbeit mit ANTICOPS entstand über Micha vom Kugelphone Studio, der beispielsweise OXO86 aufgenommen hat. Ich lernte Micha erst im Studio kennen und war dann fast erschrocken, wie derb seine Band ANTICOPS klingt, aber so entsteht eben auch mal zufällig eine Zusammenarbeit.

Zum Thema Vinyl versus CD. Die Preise für Vinyl sind ja schon heftig geworden.

Das Problem ist aber auch, dass es das Dreifache in der Herstellung kostet, eine Vinylplatte zu machen im Vergleich zur CD.

Jetzt reden alle die CD schlecht, bist du da dennoch weiter unerschrocken und bringst auch wieder was heraus?

Es ist abzusehen, dass die CD immer mehr zum Beiwerk wird. Download heißt das neue Zauberwort und möglichst auch nur noch einzelne Titel, nicht mal mehr die ganzen Alben, und E-Book statt realer Bücher und so weiter. Die Entwicklung bei den Kids ist nun einmal leider so. Mir ist das eigentlich auch manchmal too much. Bei meinem ersten Smartphone musste ich beim Klingeln erst mal suchen, wie ich das Gespräch annehme. Ich bringe jedenfalls den Soundtrack des Films „Bootskadaver“ heraus, darauf freue ich mich schon sehr und dann die NO EXIT/BERMONES-Split-CD. Jeder Release ist ja wie ein neues Baby.

Insgesamt 18 Bands kamen zum Jubiläum, wie hast du den Abend erlebt?

Ich war um acht Uhr besoffen. Ab da weiß ich nichts mehr und kenne den Abend nur von Erzählungen, Konzertberichten und Fotos. Aber es muss wohl gut gewesen sein.

Highlight des Abends waren ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN. Wie siehst du das grassierende Reunionfieber im deutschen Punk, ist das durchweg positiv?

Einige könnten es sich klemmen, bei anderen freut man sich. Es ist dann auch so, wenn du Musiker bist und mal aktiv warst, dass es dich auch irgendwann wieder in den Fingern juckt. Nimm mal ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN, die waren damals fett in der Bravo auf der Titelseite und fangen nun wieder unten an. Sie spielen ja auch nicht mehr die Konrad-Songs, weil er verstorben ist.

Doch, den Song „Konrad K.“ haben sie live an dem Abend gespielt, und das fand auch nicht überall Anklang.

Ach so, na ja! Kennen gelernt habe ich sie beim Jubiläum von Coretex Records, das im SO36 stattfand, und da schmuggelte ich Sternburg Pils in den Laden, worauf sich die Bandmitglieder echt gefreut haben. Wenn ich mir das mal so im Stillen überlege, mit 14 bin ich ins Forum Steglitz mit einem Bravo-Poster von den Tauben gegangen, um mir Autogramme zu holen, und dann hat man ewig später den Kontakt und sie spielen bei mir ...

Fehlt es dem deutschen Punk nicht doch an gutem Nachwuchs? Alle fangen wieder an: SLIME, BOSKOPS, ARTLESS, TOXOPLASMA, ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN ... und alle Bandmitglieder sind weit über vierzig. OXO86 wurden genannt, die gibt es aber auch schon länger und sind mehr aus dem Skinhead-Lager.

Das Problem ist, dass es zwar verdammt viele gute neue Bands gibt, aber für die Bands ist es heutzutage echt schwieriger geworden. Immer weniger Clubs veranstalten Live-Musik oder explizit Punk-Konzerte. Außerdem gab es damals noch für die Besucher keine Altersbeschränkung. Ich sagte ja schon, ich habe mit 13, 14 meine ersten Helden live sehen dürfen. Es ist alles teurer geworden. Ich denke nur an das Deutsche-Bahn-Wochenendticket. Von Freitag bis Sonntag fünf Leute für 35 DM, da waren die Fahrten schon geil. Früher war man vielleicht auch offener, heute wird das Geld mehr zusammengehalten und man geht als Zuschauer eher zu den bereits etablierten Bands.

Ist das Club-Sterben wirklich so extrem? Ich finde, viele Läden kamen neu dazu oder haben sich nur umbenannt.

Clubs gibt es, aber Live-Musik wird, wie gesagt, immer weniger. Es ist eben einfacher vom Handling her, einen DJ zu bezahlen und eine Party anzukündigen, als eine Band plus Verpflegung und Unterkunft zu finanzieren.

Wie siehst du diese „Punks and Skins United“-Schiene? Es ist schon ulkig, die einen sagen „Arbeit ist scheiße“ und die anderen sind stolz, zur „Working Class“ zu gehören ...

Für die Subkultur sehe ich das absolut positiv, denn früher waren für mich Skinheads immer Nazis. Eines Tages kam „Wurschtel“ zu mir in den Laden und durch ihn wurde ich aufgeklärt, dass das nicht generell so sein muss. Die Frage ist, ob man da nicht oft auf Klischees zurückgreift. Die Oi!-Bewegung hat zwar diesen Arbeiterklasse-Hintergrund, aber da gibt es auch Freaks, die so schlampig und dreckig wie einige Punks herumlaufen, während Skins ja eigentlich recht edel und gut angezogen sind. Und im Punk sind diese „No Future“- und „Nie mehr arbeiten“-Parolen auch purer Quatsch heutzutage. Die Szene insgesamt ist ja geschrumpft und somit überschneidet sich auch ganz viel, das finde ich aber gut.